Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 26. November 2015, 11:28

Lilo Fuchs
geboren 1953 in Jena

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Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Dirk Vogel

Noch immer hat Lilo Fuchs Spaß an Scherzen, lacht gern mit ihren Kindern, trotz all ihrer Ernsthaftigkeit und nach allem, was sie erlebt hat: Ende August 1977 reiste sie mit ihrer kleinen Tochter Lili von Grünheide nach West-Berlin aus. Wenige Tage zuvor war ihr Mann, der Schriftsteller Jürgen Fuchs, aus der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen nach West-Berlin abgeschoben worden. Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 hatte man ihn verhaftet. Lilo Fuchs war bei der Ausreise noch jung, erst 24 Jahre alt.


Mit ihrer jüngeren Schwester Gisela wuchs sie in einer Souterrain-Wohnung in Jena auf, ihre Eltern waren Vertriebene aus Ostpreußen. Lilo wurde eine gute Schülerin. Sie musizierte gern, sang im Chor, spielte Klavier. Nach dem Abitur studierte sie Psychologie in Jena. Ihr Kommilitone Jürgen Fuchs hatte erste Texte geschrieben, die sich mit den Unterdrückungsmechanismen in der DDR-Gesellschaft auseinandersetzten, das Ministerium für Staatssicherheit hatte ihn schon im Visier. Im Spätherbst 1974 heirateten die beiden Studenten. 1975 wurde Jürgen Fuchs wegen seiner kritischen Texte exmatrikuliert. Nahezu fluchtartig verließ die Familie Jena. Wolf Biermann holte sie mit dem Auto ab und brachte sie nach Grünheide in das Gartenhaus von Katja und Robert Havemann. Nach der Verhaftung ihres Mannes im November 1976 wurde Lilo Fuchs auf all ihren Wegen körpernah von Stasi-Bewachern eskortiert. So ging es ein Dreivierteljahr lang bis zu ihrer Ausreise.

Die Verfolgung der Familie durch die ostdeutsche Geheimpolizei setzte sich in West-Berlin bis zum Herbst 1989 fort. Die DDR ließ sie in mehrfacher Hinsicht nicht los. Vom Westen aus unterstützten Lilo und Jürgen Fuchs die Opposition in der DDR, beharrlich, kontinuierlich, all die zwölf Jahre hindurch. Sie ließen Bücher, Zeitungen, Texte in die DDR schmuggeln, gaben Nachrichten über Verhaftungen weiter, machten die Menschenrechtsverletzungen in der DDR und im östlichen Europa im Westen öffentlich. Ihre Wohnung in Tempelhof, direkt gegenüber dem Flughafen, war Treffpunkt für aus der DDR getriebene Oppositionelle. Alle wurden freundlich empfangen, erhielten Rat und moralische Unterstützung für die Ankunft im Westen. Sie wiederum brachten neueste Informationen aus der DDR mit. Immer waren es dieselben Fragen und Probleme. Stundenlange, nächtelange Gespräche drehten sich darum, wie man den Freunden im Osten helfen könnte. Noch wichtiger als die materielle war die ideelle Hilfe. Kontakte wurden vermittelt und immer wieder Öffentlichkeit im Westen für die kritischen Stimmen aus der DDR geschaffen. Lilo Fuchs blieb in der ganzen Aufregung Halt- und Ruhepol.

Sie arbeitet heute als Psychologin in der psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle „Treffpunkt Waldstraße“ in Berlin Moabit.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Nov65 » 26. November 2015, 19:49

steffen52-1 hat geschrieben:Die Schlimmsten, welche Ausländerfeindlich waren,zur Wendezeit, sind die Jugend(Kinder) der Ex-SED-Genossen gewesen! Soviel dazu, zum Thema brauner Mopp!!!
Grüsse steffen52-1
Zumindest in einem Fall muss ich das leider bestätigen. Ein Sohn eines solchen Genossen auf Kreisebene(Chef der Volkspolizei des Kreises) war unter den Rädelsführern eines Angriffes auf ein Asylbewerberheim. Ich wurde später als Zeuge geladen.
Andreas
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 4. Dezember 2015, 16:56

Martin Gutzeit
geboren 1952 in Cottbus

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Pfarrer schreiben eher selten Kriegserklärungen. Doch genau das waren jene Sätze, die im Sommer 1989 ihren Weg durch die DDR-Opposition begannen: „Unsere Gesellschaft wird durch den absoluten Wahrheits- und Machtanspruch der SED bestimmt, auf den hin alle Verhältnisse in Staat und Gesellschaft geordnet sind. Die Kluft zwischen ideologischem Anspruch und Wirklichkeit tritt jedoch immer klarer hervor.“ So klare Worte konnten Festnahme, Anklage, ja Haft bedeuten. Und das Papier, das im Pfarrhaus der Kleinstadt Niederndodeleben bei Magdeburg entstanden war, ging noch weiter: „Dazu gehört eine offene Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Stalinismus und seiner Ausprägung in Geschichte und Gegenwart der DDR.“

Ein Frontalangriff. „Natürlich wussten wir, was wir taten“, sagt Martin Gutzeit im Rückblick, einer der beiden Autoren des Textes. Mit seinem Freund Markus Meckel, dem Pfarrer von Niederndodeleben, hatte der Ost-Berliner Theologe die Idee zu dem Aufruf entwickelt. Mehr als ein Jahr schon diskutierten die beiden, wie man die SED-kritischen Gruppen mobilisieren und organisieren könnte. Am 22. und 23. Juli 1989 war es so weit: Die Freunde schrieben ihr Papier und gönnten sich eine Flasche Rotwein, als es ihnen fertig erschien.

Für Gutzeit war die Kriegserklärung an die SED eine logische Konsequenz aus seinem bisherigen Leben. Der Sohn eines Pfarrers hatte den Kriegsdienst in der NVA total verweigert und anschließend Theologie studiert, das einzige Fach, das ihm noch offenstand. Als evangelischer Vikar und Pastor, schließlich als Assistent am Sprachenkonvikt in Ost-Berlin organisierte er Gesprächskreise über Frieden und Politik – unerwünscht in einem System, das sich selbst als „Friedensstaat“ definierte. Gutzeit wusste, worauf er sich einließ: „Meine Frau und ich haben unseren Kindern gesagt, was sie tun sollen, wenn wir verhaftet werden.“ Sie ahnten, dass sie beobachtet würden, auch wenn sie nicht errieten, wie nah die Spitzel ihnen standen.

Nach dem Gründungsaufruf konstituierte sich ausgerechnet am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, die Sozialdemokratische Partei in der DDR, abgekürzt SDP, die sich wenige Monate später in SPD umbenannte. Für seine Partei bereitete Gutzeit den Runden Tisch vor und nahm an dessen Sitzungen teil. Er stand immer für eine behutsame Wiedervereinigung, akzeptierte aber den schnelleren Weg, den die meisten Menschen in der DDR wollten. Als Abgeordneter der einzigen frei gewählten Volkskammer arbeitete er mit an der Selbstabschaffung des zweiten deutschen Staates. Losgelassen hat ihn das Thema DDR seither nie: Ob als Sachverständiger des Bundestages oder als Berliner Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen – Martin Gutzeit beschäftigt, wie die Revolution gegen alle Wahrscheinlichkeit friedlich bleiben und so zum historischen Glückfall werden konnte.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 15. Dezember 2015, 11:34

Udo Hartmann
geboren 1962 in Espenhain

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Im Herbst 1989 wurde in Leipzig aus einer eher zahlenmäßig bescheidenen Demonstration am Messemontag vier Wochen später jene Massenbewegung, die schließlich zum Mauerfall am 9. November führte. In der ersten Reihe des Demonstrationszuges lief damals auch Udo Hartmann. Er wollte nicht wie Tausende andere ausreisen, nein, Leipzig und seine malträtierte Umgebung, das war seine Heimat, die es zu erneuern galt. Einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, den wollte Hartmann haben. Und er wollte vor allem reisen in die weite Welt. Deshalb trug er an jenem 4. September das Plakat mit der Aufschrift „Gegen den Strom – Freies Reisen für alle“ durch die Innenstadt.

An diesem Montag hielt sich vor den Augen der (Messe-)Weltöffentlichkeit der Staatsapparat noch zurück. Den Demonstranten wurden zwar die Plakate entrissen, aber niemand wurde verhaftet. Hartmann: „Das war schon komisch. Als sie mein Plakat runterfetzten, hatte sich das Plakat um mein Handgelenk gewickelt. Sie haben mich aus der Demo gezogen. Ich hab die aber gar nicht interessiert. Sie haben nur das Plakat von meiner Hand gewickelt – und weg waren sie.“

Dafür schlugen Staatssicherheit und Polizei eine Woche später bei der nächsten Montagsdemonstration umso härter zu. Fast 100 Menschen wurden verhaftet, auch Udo Hartmann war darunter. Vier Wochen lang saß er im Gefängnis, verpasste damit sogar den Tag der Entscheidung, den 9. Oktober, als 70.000 friedliche Demonstranten der SED-Macht das Fundament entzogen.

Von den Entwicklungen der Leipziger Montagsdemonstrationen bekam Udo Hartmann in der Stasi-Untersuchungshaft kaum etwas mit. „Auf einmal wurde es aber im Knast ganz still, denn wir hörten die Sprechchöre von draußen. Da war natürlich richtig Stimmung. Es wurde gegen die Türen geklopft und gegen die Wände gehauen“, erinnert er sich. Wenige Tage nach jenem geschichtsträchtigen Tag war er wieder frei und fortan dabei beim rasant schnellen Untergang eines Staates.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 19. Dezember 2015, 10:50

Katja Havemann
geboren 1947 in Neubarnim

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Wer Katja, die eigentlich Annedore heißt, begegnet, kann sich täuschen. Ihr freundliches Entgegenkommen ist gepaart mit einem sehr kritischen Blick auf ihr Gegenüber. Sie redet bedächtig, wählt die Worte genau, kann auch schweigen und sich ihren Teil denken. Sich selbst ins Rampenlicht setzen widerspricht ganz und gar ihrem Charakter. Der Aufforderung, ihren bekannten Namen, den sie als Witwe Robert Havemanns trägt, für öffentliche Auftritte zu nutzen, gibt sie nur selten und zögerlich nach.

Diese Frau zeigt anders Gesicht, als in die Öffentlichkeit zu drängen. Sie macht keine Welle um ihre Person, ist eher der Fels in der Brandung für andere. Für die unruhigen Geister, die heute in der Summe als DDR-Opposition bezeichnet werden, war sie nicht nur die Hüterin des Erbes von Robert Havemann, sondern selbst eine Instanz. Im Herbst 1989 war ihr Grundstück in Grünheide bei Berlin die Wiege einer Initiative, die ganz wesentlich dazu beitragen sollte, endlich in der DDR Veränderungen herbeizuführen. Die Gastgeberin hatte gemeinsam mit ihrer engsten Freundin Bärbel Bohley fast dreißig Mitstreiter eingeladen, um die Bürgerbewegung Neues Forum ins Leben zu rufen. Fortan war sie immer dabei, wenn die Initiativgruppe sich traf, Demonstrationen vorbereitet wurden oder die Öffnung der Akten mit der Besetzung des Stasi-Akten-Archivs im Herbst 1990 erzwungen werden sollte.

Die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die sich in der Öffentlichkeit mit dem Namen Katja Havemann verbindet, veranlasste sie nicht, Ämter zu übernehmen oder ein Aushängeschild der Bürgerbewegung zu werden. Als ausgebildete Sozialpädagogin kümmerte sie sich seit Mitte der 1990er Jahre beruflich um hilfsbedürftige Menschen: Behinderte, sozial Geschädigte, psychisch Kranke. Die Zurücknahme ihrer Person hielt und hält sie jedoch nicht davon ab, sich weiterhin in die gesellschaftliche Auseinandersetzung einzumischen, wenn das Thema ihr so wichtig ist wie z. B. der Umgang mit der Vergangenheit. In den langen Jahren an der Seite Robert Havemanns und nach seinem Tod im Jahr 1982 bei den Ostberliner Frauen für den Frieden oder der Initiative für Frieden und Menschenrechte hat sie vielfachen Verrat erfahren. Sie musste erleben, wie Menschen sich um des eigenen Vorteils willen verbiegen, und dennoch sind Rachegefühle ihr fremd geblieben.
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 29. Dezember 2015, 17:27

Michael Heinisch
geboren 1964 in Frankfurt (Oder)

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Michael Heinisch ist ein Mensch, der Konfrontation nicht scheut. Manche nennen den streitbaren Sozialdiakon auch stur. Aufgewachsen als Sohn eines Pfarrers und einer Kantorin in Frankfurt (Oder), lernte Heinisch früh, was Nicht-Dazugehören heißt. Nicht bei den Pionieren, nicht in der FDJ, sein Nein zur Musterung kostete ihn das Abitur. Weil er den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ an der Jacke trug, geriet er Anfang der 1980er Jahre erstmals mit Polizei und Stasi in Konflikt.


In der Jungen Gemeinde traf er Gleichgesinnte, die sich wie er am Rand der DDR-Gesellschaft sahen. 1983 begann der gelernte Reichsbahn-Elektriker eine sozialdiakonische Ausbildung in Berlin-Weißensee. Abends half er im Freizeitklub der Erlösergemeinde Lichtenberg, damals schon ein beliebter Treffpunkt von Punks und Skins. „Mit Bibelsprüchen kam ich da nicht weit.“ Die radikale Absage der Jugendlichen an die verordnete DDR beeindruckte ihn: „Ohne sie wäre ich nie in die Opposition gegangen.“

Michael Heinisch verweigerte den Wehrdienst gänzlich, was in der DDR nicht gestattet war, und riskierte damit bis zu zwei Jahre Haft. Er nahm Kontakt zum Freundeskreis der Wehrdiensttotalverweigerer auf, wurde in verschiedenen Friedensgruppen aktiv. Als die Kirchenzeitung 1988 aus Protest gegen die Zensur mit weißen Flächen erschien, ging er zum ersten Mal auf die Straße.

Am 7. Mai 1989 war er Mitinitiator der Wahlkontrollen. Empört darüber, dass sich die Wahlergebnisse als manipuliert herausstellten, beschloss eine kleine Gruppe, die sich „mündige Bürger“ nannte, vier Wochen später gemeinsam vor das Staatsratsgebäude zu ziehen. Es war der Auftakt für Aktionen, die künftig an jedem 7. des Monats in Berlin stattfinden sollten. Die Demonstration endete, wo sie begonnen hatte – an der Sophienkirche. Die Sicherheitskräfte schlugen rabiat zu, Heinisch verbrachte eine Nacht im Knast. Es sollte noch schlimmer kommen: Im Juni knüppelte ihn die Polizei krankenhausreif bei dem Versuch, der chinesischen Botschaft eine Protestnote gegen das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens zu übergeben. Noch vom Krankenbett aus organisierte er ein Trommelfasten für China in der Erlöserkirche.

Als die Mauer fiel, nutzten viele Jugendliche die neuen Möglichkeiten. In der Offenen Jugendarbeit blieben oft jene zurück, die „keine Idee oder eine kriminelle Vergangenheit“ hatten. „Das waren größtenteils Skins“, erinnert sich Heinisch. Einige schlossen sich den Neonazis an, die sich in der Nachbarschaft der Erlösergemeinde formierten. Heinisch war trotzdem für sie da. 1990 gründete er einen Verein, kaufte einen maroden Altbau und startet ein Hausprojekt. Die Jugendlichen sollten Arbeit, ein Dach über dem Kopf und eine Zukunftsperspektive finden. Das Jugendprojekt wurde angefeindet. West-Berliner Sozialarbeiter liefen Sturm, Heinisch bezog wieder Prügel, diesmal von linken Hausbesetzern.

Das Hausprojekt wurde dennoch ein Erfolg. Sein damals gegründeter Verein hat heute 300 Mitarbeiter und kümmert sich um 3.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Osten Berlins. „Dafür“, sagt Heinisch, „hat es sich gelohnt.“

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 2. Januar 2016, 09:01

Rolf Henrich
geboren 1944 in Magdeburg


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Frauen und Männer wie Rolf Henrich machten die Revolution erst möglich. Denn er gehörte zu jenen Menschen, die 1989/90 die Brücke zwischen der kleinen Oppositionsbewegung und dem kritischen Teil der Gesellschaft schlugen. Rolf Henrich studierte Rechtswissenschaften und trat mit zwanzig der SED bei. Knapp drei Jahre arbeitete er bis 1968 als IM für das MfS. 1973 erhielt er die Zulassung als Rechtsanwalt, fast ein Jahrzehnt lang war er SED-Parteisekretär des Rechtsanwaltskollegiums Frankfurt (Oder). Der Mann kannte das System von innen, zumal seine Schwiegereltern hauptamtliche MfS-Mitarbeiter waren. Öffentlich fiel er bis 1988 nicht auf. Von der SED-Politik hatte er sich Jahre zuvor entfernt, enge Gesprächspartner waren Hans-Joachim Maaz oder Erika und Ludwig Drees, die Henrich Anfang 1988 mit Bärbel Bohley und Katja Havemann bekannt machten.

Als der Spiegel Ende März über die bevorstehende Publikation Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus von Henrich berichtete, wurde die SED-Führung überrascht. Das in diesem Buch gezeichnete desaströse Bild des „realen Sozialismus“ wurde schnell bekannt. Die Zeichen standen zu dieser Zeit aber weniger auf Debatten als auf Handeln. Sein Verdienst bleibt es, eine kompromisslose Analyse der Krise geliefert zu haben. Und er wusste, was er tat. Er rechnete mit einer hohen Haftstrafe. Aus politischen Gründen kam es jedoch zu keiner Anklage. Die SED schloss Henrich im April aus, Ende März bereits hatte er seine Zulassung als Anwalt verloren. Er hatte Glück, seine soziale Benachteiligung hielt nur wenige Monate an.

Henrich wurde eine der Symbolfiguren des Herbstes 1989, weil er gemeinsam mit Bärbel Bohley und Katja Havemann nach monatelangen Diskussionen und Vorbereitungen zu den Initiatoren des Neuen Forums zählte, das er dann auch am Zentralen Runden Tisch vertrat. Seine Biografie, sein Mut, seine klaren Worte, schließlich auch sein bürgerlicher Habitus ließen ihn vielleicht nicht zu einer Identifikationsfigur, sehr wohl aber zu einer markanten Gestalt der Revolution werden.

Anfang 1990 begann er sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Er trat der SPD bei, lehnte aber alle öffentlichen Ämter ab. Als Rechtsanwalt vertrat Henrich in Mauerschützenprozessen einige Angeklagte, was unterstreicht, dass er seine in den späten 1980er Jahren geäußerte Sehnsucht nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Leben zu erfüllen sucht.

Ilko-Sascha Kowalczuk

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 6. Januar 2016, 11:22

Gerold Hildebrand
geboren 1955 in Lauchhammer

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Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Dirk Vogel


In Gerold Hildebrands Familie war niemand politisch. Der Vater, gelernter Schlosser, war desillusioniert durch den Krieg, zunächst Katholik, dann Atheist und in der noch jungen DDR Lehrer für Mathematik und Sport geworden. Geprägt durch die totalitäre Erfahrung trat er nicht der SED bei, keine Partei der Welt werde ihn jemals zu Gesicht bekommen, das hatte er sich geschworen.

Gerold wurde Pionier in der staatlichen Kinderorganisation, aber er ging auch in die Christenlehre. Eine stille Allianz mit der Mutter, die einer schlesischen protestantischen Familie entstammte, ein Akt der Auflehnung gegen den Vater. Er las Max Frisch, Böll und Dürrenmatt, sah bei den Großeltern Beatclub und hörte andere westliche Musiksendungen. Diese Musik drückte ein Lebensgefühl aus, das in der kleinen, von einer Mauer umgebenen DDR nur schlecht zum Ausdruck gebracht werden konnte. Wohl deshalb war er jedes Wochenende unterwegs. Er trampte zu Konzerten von Rock- und Jazzgruppen, die vor allem Stücke aus dem Westen nachspielten. „Immer der Musik hinterher.“

Auf der Straße fand seine Politisierung statt. Beim Trampen erlebte er die Geschichten, die ihn in die Opposition brachten. Er hörte von jungen Leuten, die man gemaßregelt hatte, weil sie nach dem Tod von Jimi Hendrix schwarze Armbinden trugen, von Menschen, die ausreisen wollten, von Repressalien, die er später selbst erlebte.

Obwohl er Verwandtschaft in Westdeutschland hatte und somit als potenziell verdächtig galt, sollte er 1973 nach dem Abitur zu den Grenztruppen. Als er nach dem ersten halben Jahr gefragt wurde, ob er an der Grenze schießen würde, sagt er Nein. „Jeder wurde gefragt, und jeder konnte Nein sagen.“ Sein Nein blieb allerdings nicht ohne Folgen, der bereits zugesicherte Zahnmedizin-Studienplatz wurde ihm verwehrt. Seit dieser Zeit bezeichnete er sich selbst als Staatsfeind. Der Tod seines Freundes Matthias Domaschk in Stasi-Haft war eine weitere Zäsur, die ihn aber nicht zum Schweigen brachte. Für ihn stand fest: „Man muss dem Staat die Stirn bieten.“

Da Gerold Hildebrand nicht dem Staat dienen, sich aber sozial engagieren wollte, arbeitete er in kirchlichen Einrichtungen mit behinderten Kindern. Er nahm in Jena an illegalen Lesekreisen teil und war in der Umwelt-Bibliothek Berlin aktiv. Er beriet junge Männer, die in der DDR keinen Wehrdienst leisten wollten, über Möglichkeiten und Folgen der Verweigerung. Im Herbst 1989 organisierte er Fürbittgottesdienste, gehörte zu den Initiatoren der Mahnwache in der Berliner Gethsemanekirche und hielt den Kontakt zwischen Berliner und Leipziger Oppositionsgruppen.

Ende der 1990er Jahre studierte er an der Humboldt-Universität Sozialwissenschaften. Anschließend schrieb er, ehrenamtlich zumeist, als Redakteur für die Zeitschrift Horch und Guck gegen das Vergessen an. Obwohl der Wohlstand, von dem viele Menschen nach der Friedlichen Revolution geträumt hatten, nicht zu ihm gekommen ist, bezeichnet er sich als zufriedenen Menschen.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 27. Januar 2016, 10:54

Sarah Jasinszczak
geboren 1965 in Berlin

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Sarah Jasinszczak verbrachte Kindheit und Jugend am Arkonaplatz in Berlin-Mitte. Der Vater, ein überzeugter Kommunist und Volkspolizist, hatte es nicht leicht mit der Tochter. „Ich habe viel widersprochen, viel nachgefragt und ihm wenig Autorität zugestanden.“ Sarah interessierte sich früh für Literatur, besonders Hölderlin faszinierte sie und die Vorstellung, sich im Vollkommenen unvollkommen zu fühlen. Sie hatte ein Gespür für das Unvollkommene und fand es überall. „Das politische Denken kam mit den Fragen, die ich hatte.“

Mit 15 fuhr sie zu den ersten Bluesmessen und freundete sich mit den langhaarigen Typen an, die sie dort traf. In der Schule thematisierte sie Rosa Luxemburgs Aussage, auch die KPD hätte Fehler gemacht. Sarah fand, als Menschen müssten wir uns Fehler eingestehen. Ihre Lehrer waren anderer Meinung.

Der Studienplatz für Germanistik wurde Sarah Jasinszczak verwehrt, sie wurde Exportkauffrau.
Doch eigentlich war ihr längst klar, dass sie einen anderen Weg gehen wollte, der nur über die Kirche möglich war. Dort traf sie Menschen, die sich ähnliche Fragen stellten wie sie. In der Stephanusstiftung arbeitete sie mit geistig Behinderten und ließ sich zur Ergotherapeutin ausbilden. Politisch engagierte sie sich im Weißenseer Friedenskreis, ihr Thema: Ökologie. Sarah Jasinszczak wollte über die Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, die Giftmülldeponie in Schöneberg aufklären. Sie schrieb Artikel für den Umweltkalender und kam darüber 1987 zur Berliner Umwelt-Bibliothek. Hier konnte Literatur ausgeliehen werden, die in der DDR tabuisiert war. Sarah Jasinszczak gehörte zu denjenigen, die mit viel Energie die Arbeitsfähigkeit der Oppositionsgruppe in stürmischen Zeiten gewährleistete. Es sollte Öffentlichkeit geschaffen werden: Protesterklärungen wurden formuliert, Flugblätter und Untergrundzeitschriften gedruckt, Veranstaltungen organisiert.

Als ihr Partner Andreas Kalk 1988 verhaftet wurde, bot Anwalt und Stasi-Spitzel Wolfgang Vogel ihnen an, die DDR zu verlassen. „Aber weggehen war niemals eine Option.“ In der DDR wollte sie ihre Überzeugungen verbreiten. Im Mai 1989 zählte sie Stimmen bei der Kommunalwahl und trug provokativ eine große Wahlurne durch die Straßen. Sie wurde verhaftet, saß bis nachts um vier im Gefängnis Rummelsburg. Inzwischen schwanger, engagierte sie sich weiterhin beim Bibliotheksdienst in der Umwelt-Bibliothek. Sie organisierte in der Gethsemanekirche Mahnwachen für die in Leipzig und anderen Städten aus politischen Gründen Inhaftierten, vor die Tür ließen ihre Mitstreiter sie wegen ihrer Schwangerschaft allerdings nicht mehr.

Nach der Friedlichen Revolution hatte sie das Gefühl, endlich ausprobieren zu können, was ihr im Leben wichtig war: Sie gründete mit Freunden eine Landkommune und studierte Theaterpädagogik. Ihr Anliegen ist es, Geschichte für junge Menschen erlebbar zu machen. „So können sie lernen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren.“
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 3. Februar 2016, 11:35

Carlo Jordan
geboren 1951 in Berlin

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Carlo Jordan gehört zu jenen Zeitgenossen, die ganz in sich ruhen, sich kaum von etwas beirren oder aus der Ruhe bringen lassen. Das war vor 1989, das war 1989/90 und ist auch heute noch so. Er zählte dabei zu den prägnanten Köpfen der DDR-Opposition in den 1980er Jahren.

Der Bauingenieur wurde stark durch die antiautoritäre Studentenbewegung im Westen und den Prager Reformkommunismus beeinflusst. Ihm ging es zunächst um ein selbstbestimmtes Leben unabhängig vom Staat. Bis 1979 war er bei staatlichen Baubetrieben angestellt, ehe er ab 1980 in kirchlichen Einrichtungen als Bauleiter bzw. Dozent für Philosophie und Literatur tätig wurde. Seit Anfang der 1970er Jahre organisierte Jordan kulturoppositionelle Veranstaltungen in Berlin mit. Das MfS beobachtete und verfolgte ihn seit dieser Zeit kontinuierlich. Ab Anfang der 1980er Jahre begann er sich in Friedenskreisen zu engagieren. 1986 zählte Carlo Jordan gemeinsam mit Wolfgang Rüddenklau und Christian Halbrock zu den Initiatoren der Berliner Umwelt-Bibliothek. 1988 gründete er das Grün-ökologische Netzwerk Arche und die Samisdatzeitschrift Arche Nova, praktisch eine Abspaltung und Weiterentwicklung der Umwelt-Bibliothek. Die Arche dokumentierte die Umweltsituation und den Städtezerfall in der DDR. Einige der Videos wurden von westlichen Fernsehsendern ausgestrahlt, so der Film Bitteres aus Bitterfeld, in dem erstmals die Umweltverseuchung einer ganzen Region in der DDR dargestellt wurde. Solche Beiträge halfen, den kritischen Blick der Menschen auf ihre Lebensverhältnisse zu schärfen.

Carlo Jordan zählte während der Revolution 1989 zu jenen Personen, die davor warnten, die DDR in einem zu schnellen Prozess mit der Bundesrepublik zu vereinigen. Er befürwortete die deutsche Einheit auf dem Wege der Einberufung einer deutschen Nationalversammlung nach Art. 146 des Grundgesetztes. Gleichwohl war er kein Vereinigungsgegner. Im November 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der Grünen Partei in der DDR. Am Zentralen Runden Tisch, der vom Dezember 1989 bis März 1990 tagte, trat er als Sprecher der Grünen auf. Bis zur Vereinigung der Berliner Parlamente war er Mitglied der im Mai 1990 gewählten Ostberliner Stadtverordnetenversammlung, dann 1994/95 des Berliner Abgeordnetenhauses.

Im Januar 1990 zählte er zu den Initiatoren der Gedenk- und Forschungsstätte Normannenstraße, die in der ehemaligen MfS-Zentrale errichtet wurde. Immer wieder hat er sich seither in Publikationen zur Geschichte der DDR-Opposition geäußert. 2000 promovierte er an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation zur Geschichte der Militarisierung der Humboldt-Universität zu Berlin. Carlo Jordan gehört zu jenen Oppositionellen, die das vereinigte Deutschland mit auf den Weg brachten, aber denen das nicht annähernd gebührend gedankt wurde.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 22. Februar 2016, 10:45

Martin Klähn
geboren 1959 in Crivitz


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In der illustren Runde der Erstunterzeichner des Neuen Forums, die sich am 9. und 10. September 1989 auf dem Grundstück von Katja Havemann in Grünheide traf, war Martin Klähn mit 29 Jahren nicht nur einer der Jüngsten, er war auch nicht – wie es eigentlich zwischen Bärbel Bohley, Katja Havemann und Rolf Henrich abgemacht worden war – persönlich eingeladen worden. Der Bauingenieur hatte auf einem Treffen des Freundeskreises der Wehrdiensttotalverweigerer eher zufällig von der bevorstehenden Zusammenkunft erfahren und entschloss sich, dorthin zu fahren. Rolf Henrich, dem Klähns Absicht mitgeteilt worden war, lehnte zunächst ab. Klähn aber ließ sich nicht beirren und fuhr dennoch. So wurde er der einzige Vertreter aus dem Norden der DDR. Heiko Lietz, der eigentlich hätte kommen sollen, winkte ab, weil er nur eine neue Gesprächsrunde erwartete und keine Handlungen. Auch Martin Klähn glaubte zunächst, es würde sich um einen Debattierklub auf hohem Niveau handeln. Kurz nach seiner Ankunft in Grünheide aber merkte er, hier wird etwas ganz Neues geplant. Die enorme Wirkung erahnte er freilich ebenso wenig wie die anderen Mitstreiter.

Zurück in Schwerin, vervielfältigte der Programmierer sofort illegal in seinem Betrieb mithilfe von Kolleginnen den Aufruf des Neuen Forums und begann Unterschriften zu sammeln. Seine Wohnung wurde zum ersten Zentrum des Neuen Forums in Schwerin. Der Zulauf überraschte auch hier. Klähn stellte den verabredeten Antrag gemeinsam mit Uta Loheit, auch in Schwerin das Neue Forum zu legalisieren, was wie überall brüsk zurückgewiesen wurde. Zur Schweriner Gründungsversammlung des Neuen Forums in der Paulskirche am 2. Oktober 1989 erschienen über 800 Menschen.

Zum zweiten großen Erfolg kam es in Schwerin am 23. Oktober. Das Neue Forum organisierte eine Montagsdemonstration, die SED-Bezirksleitung versuchte mit einer eigenen großen Kundgebung gegenzuhalten. Es wurde für die SED ein Desaster: 40.000 Menschen demonstrierten für Veränderungen im Land, für das Neue Forum, gegen die SED. Die meisten waren ursprünglich zur SED-Kundgebung gekommen und wandten sich dann schnell den neuen Hoffnungsträgern zu. Es war auch ein ganz persönlicher Erfolg von Martin Klähn.

Der junge Mann hatte den Riss, der durch die Gesellschaft ging, in seinem eigenen Elternhaus erlebt. Vater und Mutter zählten zu Stützen des Regimes, der Sohn driftete ab und hatte sich schon im November 1987 in Ost-Berlin nach der Durchsuchung der Umwelt-Bibliothek mit den Verhafteten und Verfolgten öffentlich solidarisiert. Auch nach der Revolution, die er selbst so nicht nennt, weil sich seine Hoffnungen und Ziele nicht erfüllt haben, blieb er politisch aktiv. Er engagiert sich seit nunmehr fast 20 Jahren in der politischen und Erwachsenenbildung sowie auf vielfältigen zivilgesellschaftlichen Feldern. Ohne Martin Klähns Eigensinn wäre der Norden noch etwas später erwacht.

Ilko-Sascha Kowalczuk

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 28. Februar 2016, 09:41

Thomas Krüger
geboren 1959 in Buttstädt


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Politik braucht Bildung. Nicht jeder Mensch kann die Verheißungen von Ideologen und Populisten durchschauen; für junge Menschen gilt das besonders. Thomas Krüger gehört zu jenen eher seltenen Köpfen, die schon von Jugend an größten Wert auf Eigenständigkeit gelegt haben. Gerade einmal 23 Jahre war er alt, als er im Sommer 1982 ein drei Tage gültiges Transitvisum nutzte, um wochenlang durch den Kaukasus zu reisen – für einen DDR-Bürger eine unerhörte Übung in Unabhängigkeit: „Ich wollte mir etwas herausnehmen, was für mich nicht vorgesehen war“, sagt er im Rückblick. Fast alles ging gut, erst nach fünf Wochen fiel seine eigenwillige Auslegung der Visaregeln auf. Krüger wurde abgeschoben und mit einer Geldstrafe belegt. Dennoch wiederholte er die illegale Expedition ein Jahr später.

Zu dieser Zeit studierte Krüger schon Theologie in Ost-Berlin. Es war eine natürliche Entscheidung für den Pfarrerssohn aus Thüringen, ebenso wie das Engagement in staatskritischen Kreisen, etwa der Kirche von Unten. In seinen Predigten trat er kaum kaschiert für inhaftierte und drangsalierte Oppositionelle ein. Nach den manipulierten Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 hielt er eine Andacht für die freiwilligen Wahlbeobachter und rief dazu auf, „das Gemeinwesen in diesem Land zu retten“. Gleichzeitig wusste er aber auch: „Wenn man über den Graben springt, muss man damit rechnen, die Hucke vollzubekommen.“ Krüger pflegte in der DDR eher ungern gesehene Formen der Kunst: Er beschäftigt sich mit dem Dadaismus, den das Neue Deutschland für „grundfalsch“ erklärte, weil solcher „Avantgardismus“ die „Zersetzung der deutschen Nationalkultur durch die amerikanische Kulturbarbarei“ befördere. Schlimmer noch: Krüger spielte in Punkbands und inszenierte kritische Theaterstücke, etwa von Heiner Müller.

Zugleich gehörte der junge Vikar zum Kreis demokratisch gesinnter evangelischer Theologen, die über alternative Wege für die DDR nachdachten. Daraus entwickelte sich die Sozialdemokratische Partei in der DDR, die am 7. Oktober 1989, ausgerechnet am vom Politbüro sehnsüchtig erwarteten und euphorisch gefeierten 40. Gründungstag der DDR, in Schwante gegründet wurde. Krüger gehörte von Anfang an dazu – zu einer Zeit, als das SED-Regime durchaus noch zu Gewalt bereit war, um Kritiker mundtot zu machen.

Als Berliner Geschäftsführer der neuen Partei zählte Thomas Krüger zu den Organisatoren des Umbruchs, der sich immer mehr beschleunigte und durchaus andere Wege einschlug, als von vielen Bürgerrechtlern gewollt. Doch das schreckte den gerade 30-Jährigen nicht ab: Er engagierte sich politisch, als Kommunalpolitiker und Jugendsenator in Berlin, als Bundestagsabgeordneter in Bonn und als Präsident des Kinderhilfswerkes. Zehn Jahre nach der Friedlichen Revolution übernahm Thomas Krüger die Bundeszentrale für politische Bildung und erfand diese Behörde praktisch neu.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 4. März 2016, 09:29

Margitta Kupler
geboren 1961 in Berlin


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Margitta Kupler wurde am Tag des Mauerbaus geboren. Schon als junges Mädchen bestand sie darauf, eigene Entscheidungen zu treffen und sich nicht der Meinung des Kollektivs unterzuordnen. Sie besuchte kirchliche Veranstaltungen und fand zum christlichen Glauben. „Eine Form von Protest und eine Alternative, wenn man nicht staatskonform sein wollte.“

1978 kam es im Anschluss an die Feierlichkeiten anlässlich des Gründungstags der DDR auf dem Alexanderplatz zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei, in deren Verlauf auch ein Junge aus Margitta Kuplers Klasse verhaftet wurde. Die Stasi kam in die Schule, um Druck auf die Klasse auszuüben. Dem Jungen sollten keine Briefe ins Gefängnis geschrieben werden, es sollten keine Unterschriften gesammelt und bereits getätigte Unterschriften zurückgenommen werden. Angesichts dieser Ungerechtigkeit und der Machtlosigkeit, sich dagegen zu wehren, fühlte sie sich ohnmächtig. „Das war eine Sache, die in meinem Leben nicht vorgesehen war.“ Margitta Kupler nahm ihre Unterschrift nicht zurück und wurde der Schule verwiesen, angeblich weil sie einen West-Parka getragen hatte.

Nach der Geburt ihrer Kinder schickte sie diese nicht in staatliche Kindertagesstätten und nicht zu den Pionieren, der sozialistischen Massenorganisation für Kinder. „Man muss nicht alles mitmachen, man kann Akzente setzen, das eigene Leben betreffend.“ Angezogen von fortschrittlichen pädagogischen Konzepten in kirchlichen Einrichtungen ließ sie sich zur Gemeindehelferin ausbilden.

1989 nahm sie in Berlin-Weißensee eine Arbeit auf und organisierte dort Veranstaltungen zu Themen, die ihr wichtig waren: Wie stehen wir zur Bewaffnung, zur Armee, zum Kriegsspielzeug in Kindergärten? Im Herbst 1989 betreute sie in der Gethsemanekirche das Kontakttelefon gemeinsam mit Klaus, den sie später heiratete, und weiteren Mitstreitern. Hier liefen rund um die Uhr Informationen über die Proteste und staatlichen Übergriffe im ganzen Land zusammen und wurden weiterverteilt, u. a. an Korrespondenten, die eigentlich zur Berichterstattung über die Staatsfeierlichkeiten am 7. Oktober nach Ost-Berlin angereist waren. Den Mauerfall erlebte sie als Befreiung. Als eine der Ersten war sie im Dezember 1989 mit einem Fernsehteam von Elf 99 in der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. Beim Zentralen Runden Tisch gehörte sie zur AG Sicherheit, die sich um die Auflösung des ostdeutschen Geheimdienstes kümmerte. Diese Arbeitsgruppe beschloss die Vernichtung elektronischer Daten, was Margitta Kupler trotz vehementen Widerspruchs nicht verhindern konnte.

Heute berät Margitta Kupler in Mecklenburg-Vorpommern junge Menschen bei ihrer Lebensplanung. Sie findet nicht, dass man sich dem Arbeitsmarkt anpassen muss. „Dieser Markt ist so instabil, da ist das einzig Stabile der Mensch, der weiß, was er will.“

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon augenzeuge » 4. März 2016, 10:25

Interessierter hat geschrieben: Margitta Kupler nahm ihre Unterschrift nicht zurück und wurde der Schule verwiesen, angeblich weil sie einen West-Parka getragen hatte.[/b]


Erinnert mich jedes mal an meine Begegnung mit dem Direktor, der mich deshalb nicht zum Abi zulassen wollte.
Das hat man also sehr oft wirklich getan.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Nostalgiker » 4. März 2016, 11:18

Nur war an deinem, Augenzeuge, noch dieser Aufnäher "Schwerter zu ...." dran wie du nicht müde wirst zu betonen.

Was die "West-Parka! betrifft. In Berlin waren es hauptsächlich welche aus US-Armeebeständen und keine Bundesdeutschen. Warum das so war, überlegt mal ....
Und ansonsten hätte man ca. 1/3 aller Schüler der Schulen/Berufsschulen verweisen müssen wenn es denn so gewesen wäre .....

Übrigens was waren denn 1978 für Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem 7.Oktober auf dem Alex?
Ich kenne nur die von 1977 ....

Und Schule verwiesen; sie war 1978 wenn ihr Bericht stimmt bereits an einer EOS, denn von einer POS ohne Abschluß der 10.Klasse rausgeschmissen zu werden ist sehr schwer vorstellbar.
Aber bestimmt haben diverse Spezies hier genau dies von jemanden gehört der von jemanden weiß der wiederum jemanden kennt der davon gehört hat .....
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon augenzeuge » 4. März 2016, 16:00

Thoth hat geschrieben:Nur war an deinem, Augenzeuge, noch dieser Aufnäher "Schwerter zu ...." dran wie du nicht müde wirst zu betonen.

Und Schule verwiesen; sie war 1978 wenn ihr Bericht stimmt bereits an einer EOS, denn von einer POS ohne Abschluß der 10.Klasse rausgeschmissen zu werden ist sehr schwer vorstellbar.
Aber bestimmt haben diverse Spezies hier genau dies von jemanden gehört der von jemanden weiß der wiederum jemanden kennt der davon gehört hat .....


Nun verwechselt du aber etwas, Thoth. Ich hatte einen in der Abiklasse, der flog von der Schule, wegen der Schwerter zu Pflugscharen Etiketten. Ich trug diesen Aufnäher nie.
Meine Jacke hatte einen VW / Formel eins Aufnäher, der einen Riß überdeckte. Das reichte schon.....

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon HPA » 4. März 2016, 17:09

Bei uns ist der Direx Amok gelaufen, weil etliche Schüler mit Aufklebern vom Kirchentag 1983 auf den Taschen in die Schule gekommen sind.
Da hat es Verweise gehagelt.

Das die Dinger öffentlich in der Stadt im Rahmen der Festveranstaltung zum Lutherjahr grosszügigst verteilt wurden, hat den Betonkopf nicht interessiert.

BWParka kann ich bestätigen. Am Besten noch mit den Hoheitsabzeichen auf den Ärmeln.

Da ging die Post ab... [grins]

Völlig krank, im Nachgang betrachtet.
HPA
 

Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon SkinnyTrucky » 4. März 2016, 17:42

Mein Bundeswehrparka wurde ja schon erwähnt hier.... das ich aber vor den Augen eines wütenden Lehrers (zum Glück nich meiner) den Kulli zückte und Hammer-Zirkel-Ährenkranz auf die Ärmelflagge draufmalte und ihm frech gefragt hab, ob's denn nun gut sei und ihn dann stehen gelassen habe, stand noch nicht dabei.... auch nicht wie ein schwarzes T-Shirt moniert würde, welches ich echt gern trug.... es zeigte die Weltkugel im Print, auf jeder Seite fletschten sich die jeweiligen Supermachtherrscher die Zähne entgegen und aus ihren Köpfen wuchsen Raketenwälder jeweils aufeinander gerichtet empor.... den Spruch darauf weiß ich nich mehr aber das T-Shirt kam jedenfalls nicht gut an auffer Schule....

....auch hatte ich mal ne Jeansjacke mit Harward Print hinten drauf und etlichen Aufnähern aus dem Westen drauf.... damit gab's auch Ärger.... und soll ich euch was sagen, als vorpupertierende, sowieso mit spezieller Identitätskrise, konnte man lecker damit provozieren.... [zunge]


groetjes

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 9. März 2016, 11:21

Heiko Lietz
geboren 1943 in Schwerin


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Im aufgeregten Versammlungsgetümmel gehen die Reden wirr durcheinander. Kaum noch ist zu erkennen, was den Kontrahenten im Sinn steht. Die Ordnung der Debatte droht verloren zu gehen. Dann hebt Heiko Lietz seine Stimme über die Streitenden und ordnet das lärmende Chaos. Er kann das. Seine Worte sind ruhig, aber sie dringen durch. Die Augen unter den buschigen Brauen scheinen jeden zugleich anzusehen und zu bedeuten: Pause. Gedanken sortieren. Er braucht keine Ausrufezeichen hinter seinen Sätzen, will dem Streit nicht ausweichen. Doch er beherrscht die Kunst, ihn zu ordnen und die Beteiligten auf den Kern der Sache zurückzuführen, den sie selbst in der Hitze der Kontroverse verloren haben.

Ein begnadeter Moderator. Ein Vermittler mit Übersicht. Ohne seine ganz selbstverständliche Autorität hätte sich so manches Republik- oder Bundesforum der so vielgesichtigen Bürgerbewegung Neues Forum in den ereignisreichen Jahren der Friedlichen Revolution, der Vereinigung und der Neuorientierung in der Berliner Republik selbst gelähmt und wäre ohne Ergebnis auseinandergelaufen.

Vielleicht waren es die Gemeinschaften, deren Teil er war und in denen er sich zugleich zu behaupten hatte, die ihn diese Fähigkeit lehrten: sieben Geschwister, das Internat, die starke Verbundenheit der Theologiestudenten an der kommunistischen Universität seiner mecklenburgischen Heimat. Der Sohn eines Pfarrers hatte dort Kommilitonen an seiner Seite wie Christoph Wonneberger, Joachim Gauck, Ulrich Schacht. Als er der Einberufung zum Wehrdienst nicht folgte, kam er in Untersuchungshaft. Er beschloss nun, den Wehrdienst aufzunehmen und innerhalb der NVA subversiv zu agieren. Man steckte den Vikar zu den Bausoldaten. Dort organisierte er Proteste gegen die Besetzung der ČSSR 1968. Später, in der Jugendarbeit seiner Gemeinde in Güstrow, waren es häufig gefährdete Jugendliche, die er sammelte. Pfarrer Lietz bekehrte nicht, er half den jungen Leuten, ihren eigenen Wert zurückzugewinnen. Als ihm das Gehäuse der Amtskirche hierfür zu eng wurde, brach er aus, wurde Jugendbetreuer, Sozialarbeiter, Seelsorger, Friedensbeweger. Bewegte, indem er Menschen zur Selbstbewegung anregte durch seine ruhige Art, Unruhe zu stiften, Frieden konkret herzustellen.

Denn: Heiko Lietz will keinen Frieden, der Friedhoffrieden ist – wie Biermann ihn nannte –, er ist in keiner dieser Debatten neutral. Seine Position bleibt stets erkennbar. Entschieden verlässt er, was ihm nicht mehr richtig scheint. So wie seine Stimme im Lärm der Debatte zu moderieren versteht, bleibt sie doch klar und erkennbar die seine: aufmerksam, entschieden, engagiert – und respektiert. Die demokratische Umgestaltung ab 1989 in Mecklenburg ist ohne Heiko Lietz undenkbar.

http://revolution89.de/gesichter/detail ... 3602c60d8/
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 11. März 2016, 11:52

Christoph Links
geboren 1954 in Caputh


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Als sich Anfang 1989 ein „Hauch von Lockerung“ in der Zensur abzeichnete, schrieb der junge Lektor Christoph Links an das DDR-Kulturministerium und bat um die Lizenz für eine Verlagsgenossenschaft. Er wollte ausloten, wie weit er gehen konnte– innerhalb des Systems. Eine schriftliche Antwort bekam er nie. Stattdessen bat ihn der stellvertretende Kulturminister Klaus Höpcke in sein Büro und ließ ihn lächelnd wissen: Für einen weiteren DDR-Verlag fehle es an Papier und Druckkapazitäten, leider. Bei dieser Abfuhr wäre es wohl geblieben, hätte nicht, wie Links es formuliert, „vor meiner Haustür plötzlich eine Revolution stattgefunden“.

Sehr weit kam man innerhalb des Systems eben nicht. Das hatte der studierte Philosoph und Lateinamerika-Experte schon früher erfahren. Als außenpolitischer Redakteur und Nicaragua-Spezialist in der Berliner Zeitung war er rasch an die Grenzen des DDR-Journalismus gestoßen. Wer für Meinungsfreiheit eintrat und noch dazu in alternativen Dritte-Welt-Kreisen verkehrte, galt als „Träger revisionistischen Gedankenguts“. Daran änderte auch die SED-Parteimitgliedschaft nichts. Immerhin fiel sein Rausschmiss aus der Redaktion Mitte der 1980er Jahre freundlich aus – man bot ihm an, doch lieber zu promovieren.

1986 kam er zum Aufbau-Verlag, wurde Assistent der Geschäftsleitung. Dabei hatte er mit der Verlagswelt, in der seine Eltern zu Hause waren, lange Zeit nichts zu tun haben wollen. Im Dezember 1989, unter den geänderten politischen Verhältnissen, stellte Links einen neuen Antrag für einen unabhängigen Sachbuchverlag und gehörte bald zu den ersten privaten Gründern in der DDR. Am 5. Januar 1990 konstituierte sich LinksDruck als GmbH. Das Startkapital stammte von Freunden. Büroräume waren noch nicht gefunden, das Verlagsprogramm entstand am heimischen Küchentisch.

Direkt vor der Haustür der Familie in der Gethsemanestraße im Prenzlauer Berg hatten nur wenige Wochen zuvor, am 7. Oktober 1989, die Knüppelbrigaden von Volkspolizei und Staatssicherheit auf wehrlose Demonstranten eingedroschen. Ein Freund flüchtete verletzt in die Links' Wohnung. „In jener Nacht haben wir die Schreie der Zusammengeschlagenen gehört“, erinnert sich Links, der selbst mit seinen beiden Kindern hinter die Absperrungen geriet. „Es war der dramatischste Tag meines Lebens.“

In seinem kritischen Sachbuchverlag publizierte der Jungverleger, was „endlich erzählt werden sollte“: Erfahrungen mit dem Stalinismus, verdrängte DDR-Biografien, gesellschaftliche Probleme der Gegenwart. Kurz, es ging um die Aufarbeitung der weißen Flecken der DDR-Geschichte. Autoren schickten ihm Manuskripte, die in der DDR nie hatten erscheinen dürfen. Mit Standardwerken wie Chronik der Wende oder der Reihe des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wurde der Verlag zu einem wichtigen Berichterstatter der Friedlichen Revolution.

Das Verlagsspektrum ist längst breiter geworden, aber Titel zur DDR-Geschichte spielen darin noch immer eine wichtige Rolle. Der Ch. Links Verlag, wie er heute heißt, gehört zu den wenigen DDR-Gründungen, die sich auf dem gesamtdeutschen Buchmarkt behaupten konnten.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 13. März 2016, 10:43

Markus Meckel
geboren 1952 in Müncheberg


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Der Mann hatte etwas ganz Unerhörtes vor: Er wollte abseits der bestehenden Strukturen in der SED-Diktatur Politik machen. „Markus Meckel bat darum, dass er eine Übersicht darüber bekommt, welche Möglichkeiten es in der DDR gibt, eine Partei zu gründen“, meldete der IM „Ralf Schirmer“ an die Staatssicherheit. Meckel plane, „tatsächlich eine eigenständige Partei gegenüber den anderen“ zu gründen. Niemand anderes als Wolfgang Schnur, der scheinbar verständnisvolle Anwalt vieler DDR-Oppositioneller, verriet dieses Vorhaben. Politik machen wollte Markus Meckel schon früh. Er hatte im 20. Jahr der DDR die Oberschule verlassen müssen, weil er nicht bereit war sich anzupassen, machte sein Abitur an einer kirchlichen Schule und studierte im Anschluss Theologie. Als Pfarrer blieb er der Opposition, vor allem der Friedensbewegung, treu. Manche Vorgesetzten ertrugen den urprotestantischen Antrieb nur mit Zynismus; sein Landessuperintendent sah das Engagement kritisch: „Andere Landpastoren züchten Bienen, der Meckel macht seine Politik.“

Doch Markus Meckel beschränkte sich nicht auf Oppositionszirkel vor Ort; er dachte schon in den 1980er Jahren über eine DDR-weite Bewegung nach. Mit dem Aufruf zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei und deren Vollzug ausgerechnet am 40. Jahrestag des SED-Staates trieb er mit Martin Gutzeit und anderen die Provokation der Machthaber auf eine neue Stufe. Über mögliche Folgen war er sich bewusst: „Daran, dass die Stasi mich physisch angehen könnte, dachte ich nicht. Angst hatte ich um meine Familie. Es gab Erpressungsversuche, die Folgen für meine Familie androhten. Das ging mir sehr nahe.“ Doch im Herbst 1989 war das Honecker-System bereits so morsch, dass es Bürgerrechtlern und Massendemonstrationen nicht mehr standhielt. Nun konnte Meckel große Politik machen.

Als Repräsentant der in SPD umbenannten Partei trat Meckel im April 1990 als Außenminister in die einzige demokratisch legitimierte Regierung der DDR ein. Er startete mit dem denkbar höchsten Anspruch in sein Amt: Der überzeugte Friedensaktivist wollte Menschenrechte und Pazifismus in den Mittelpunkt rücken. Doch im Wettlauf zur Einheit 1990 hatte er damit keine Chance, da das Gebot der Stunde harte Realpolitik war. Vielen Teilnehmern an den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen erschien Meckels moralischer Ansatz als Störfaktor. Dass er nicht mehr seine Unterschrift unter das Abkommen setzen konnte, das aus zwei deutschen Staaten wieder Deutschland machte, lag aber an innenpolitischem Streit, in dessen Verlauf die SPD sich aus der Großen Koalition zurückzog.

Meckel blieb seinem Anspruch dennoch treu und arbeitete bis 2009 als SPD-Abgeordneter im Bundestag an einer moralisch fundierten Sicherheitspolitik. Das und sein Engagement für die Aufklärung der DDR-Vergangenheit, die er als Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vorantreibt, sind mit zahlreichen deutschen und internationalen Orden gewürdigt worden.

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Interessierter » 18. März 2016, 11:16

Rainer Müller
geboren 1966 in Borna


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„Das, was ich gemacht habe, war für mich selbstverständlich“, sagt Rainer Müller, groß geworden in Benndorf bei Frohburg, die Eltern christlich geprägt, LPG-Angestellte, der Sohn aufmüpfig von jeher. Keine Jugendweihe, Verteiler des Aufnähers Schwerter zu Pflugscharen in Klasse neun, was ihm als Best-Schüler unter fadenscheinigen Gründen die Verweigerung der Abiturausbildung einbrachte.

Müller war bekannt dafür, dass er fragte. Er schmiss schon mal den Unterricht und trieb seinen Staatsbürgerkundelehrer in die Verzweiflung. Die Staatsmacht reagierte. So blieb einem wie ihm nichts anderes übrig, als Maurer zu lernen. Die Facharbeiterprüfung legte er mit „gut“ ab, wurde in der Berufsschule sogar auf der Straße der Besten öffentlich gewürdigt, Protestler aber blieb er trotzdem: Teilnahme an einem Streik für bessere Arbeitsbedingungen, Antrag auf Bausoldatendienst, Totalverweigerung des Armeedienstes, Berufsverbot und Arbeitslosigkeit entgegen der Gesetze des Arbeiter-und-Bauern-Staates.

Müller war es gegeben, sich anzulegen. Zum Weltfriedenstag 1987 rief er beim Gottesdienst in der Bornaer Marienkirche dazu auf, die Arbeiten in den Braunkohletagebauen zu boykottieren und nicht weiter mitzumachen bei der Umweltzerstörung. Er interpretierte den Text Sag nein von Wolfgang Borchert, den dieser Dichter in seiner eigenen leidvollen Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg nach der Rückkehr nach Hamburg verfasst hatte – sag nein, wenn du Granaten drehen musst, sag nein, wenn du schießen sollst, „sag nein“, so Müller, „wenn deine Heimat zerstört wird“. Widerstand war für einen wie ihn nicht Jugendspaß, sondern Lebensernst. Die Maxime? „Wir wollten, dass dieses Land nicht kaputtgeht. Jeder, der sich so engagiert hat, wie ich es tat, dem war dabei klar, dass er mit einem Bein im Gefängnis stand. Halbe Sachen konnten, wollten wir nicht machen.“

Müller lernte die Bandbreite der staatlichen Sanktionen kennen – Verhaftung und Verhöre, Innenstadtverbot und Hausarrest, Bespitzelung und Geldstrafen. Die Stasi führte ihn als Operativen Vorgang „Märtyrer“. Schon am 1. Mai 1987 waren er und Verbündete mit Plakaten zur Demonstration gezogen, auf denen aus dem Sputnik oder sowjetischen Zeitungen stammende Zitate von Michail Gorbatschow zu lesen waren. Ein Slogan lautete: „Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen“, ein weiterer: „Das Volk braucht die ganze Wahrheit“. 1989 trugen Müller und seine Bürgerrechtsfreunde Uwe Schwabe und Frank Sellentin zum Abschluss eines Evangelischen Kirchentages ein Plakat mit der Aufschrift „Demokratie“ in deutscher und chinesischer Sprache. Es war ihr Protest gegen die blutige Niederschlagung der Demonstration in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Ab 1988 bekam Müller für seine politische Tätigkeit ein Gehalt aus der Gruppenkasse des Leipziger Arbeitskreises Gerechtigkeit, war damit das Phänomen des Vollzeit-Revolutionärs.

Heute ist er freiberuflicher Historiker und engagiert sich in vielen sozialen Bereichen.
http://revolution89.de/gesichter/detail ... 6ff2cb3ce/

Wieder einer der trotz sehr guter schulischer Leistungen kein Abitur machen durfte, weil er beispielsweise nicht an der Jugendweihe teilnahm und an seiner Kleidung Aufnäher " Schwerter zu Pflugscharen " trug, geriet er mit den SED - Repressionsapparaten in Konflikt.
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Nostalgiker » 18. März 2016, 12:12

Wie immer, Interessierter, ziehst du die falschen Schlußfolgerungen, aber das ist bei dir nichts Neues.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon SkinnyTrucky » 18. März 2016, 13:12

Thoth hat geschrieben:Wie immer, Interessierter, ziehst du die falschen Schlußfolgerungen, aber das ist bei dir nichts Neues.


Na Thoth.... da sind wir ja jetzt aber mal auf deine gespannt....ich mein, auf die richtigen Schlüsse.... [ich auch]


groetjes

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Volker Zottmann » 18. März 2016, 13:13

Was ist denn nun wieder an Wilfrieds Schlussfolgerungen falsch Thoth?
Mach Dir lieber mal Gedanken, wieso die Besten immer erst Maurer wurden. Ich kann das genau nachfühlen und einige andere gelernte Maurer hier im Forum auch.
Die Besten haben auch immer eine helle Vergangenheit. [grins]

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Nostalgiker » 18. März 2016, 13:39

Bestimmt Zottmann, Volker und die besonders "Besten" waren seit frühester Jugend im "Widerstand" und versteckten ihren Aufbegehren sobald es ging hinter dem Parteiabzeichen der SED .....
Ich gehe davon aus das du mir genau dies mal wieder nahe bringen wolltest.


@Mara, wenn du dich doppelt siehst solltest du jetzt ganz schnell auf dem nächsten Parkplatz anhalten oder ist es nur dein aufgeblasenes Ego welches dich statt von 'ich' vom 'wir' reden lässt?
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon SkinnyTrucky » 18. März 2016, 13:58

Hmmm oké, angehalten Thoth....tsjaa und da stelle ich nun fest das wir hier im Thread zu Mehreren sind....und nu.... [ich auch]

Ich finde, nun kannste loslegen....jetzt besteht auch keine Gefahr mehr das mir ein Unfall passiert falls mich deine Schlussfolgerungen vom Hocker....ääh, vom Fahrersitz hauen.... [wink]

Und ganz ohne Ego.... dat hättste wohl gerne, wah.... [zunge]


groetjes

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Nostalgiker » 18. März 2016, 14:01

Fühlst du dich als Usersprecher? Wer hat dich denn dazu gewählt Mara?
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon SkinnyTrucky » 18. März 2016, 14:15

Thoth hat geschrieben:Fühlst du dich als Usersprecher? Wer hat dich denn dazu gewählt Mara?



Na Thoth, die Zeiten sind doch schon längst vorbei, oder.... [ich auch]

WIR geht heute ohne ganz ohne Zwang.... [wink]


groetjes

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Re: Gesichter der " Friedlichen Revolution 1989/1990 "

Beitragvon Volker Zottmann » 18. März 2016, 14:52

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