Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

Re: Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Beitragvon turtle » 11. Juli 2010, 16:56

Hallo Uwe,
Menschen wie den N. wird es bestimmt immer geben. Er hat erkannt das er sich um orientieren muß,da sich die neue Zeit abzuzeichnen begann. Mit dem Verurteilen tu ich mich hier schwer. Zukunftsangst ,Job weg? Wie sichere ich meine Familie ab? Ich habe keine Ahnung kann mir aber vorstellen das so etwas auch eine Rolle gespielt hat. Immerhin konnte er sich so sogar noch hinstellen und sagen " Ich war doch gegen dies und das! Ich habe mich doch gegen die Stasi gestellt." Wendehals trifft hier aber zu. Der arme Vogel kann eigentlich nicht dafür,das sein Name so missbraucht wird.
Aber da fällt mir ein , Wer seine Fahne nach jeden neuen Wind gleich stellt,wer sich zu jedem neuen Staat bekennt, das sind die Praktiker der Welt! Mann könnte sie auch Lumpen nennen!! Ich denke es gab sehr viele N. Gruß Peter(turtle)
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Re: Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Beitragvon Icke46 » 11. Juli 2010, 19:33

Hallo, Uwe,

vielleicht sollte man das Wort Wendehals näher eingrenzen. Ich würde jemanden, der in einem längeren Prozess umdenkt und dann zu anderen Schlussfolgerungen kommt, nicht unbedingt zu den Wendehälsen zählen.

Für mich sind das eher die Leute, die sich zu DDR-Zeiten als Speerspitze des Sozialismus betrachtet haben und von einem Tag auf den anderen schon immer Vorkämpfer der bürgerlichen Demokratie gewesen sein wollten. Und am schlimmsten finde ich die, die in der DDR eine gewisse gesellschaftliche Postion - zb. als Professor an der Universität - hatten und sich heute allen Ernstes als Widerstandskämpfer betrachten.

Gruss

icke
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Re: Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Beitragvon turtle » 11. Juli 2010, 21:47

Von icke46,
Ich würde jemanden, der in einem längeren Prozess umdenkt und dann zu anderen Schlussfolgerungen kommt, nicht unbedingt zu den Wendehälsen zählen.

So sehe ich das auch! Je nach dem wo wir großgeworden sind,das Umfeld,die Familie ,der Umgang prägt uns. Wir haben Ideale und manchmal glauben wir auch an Götzen oder an den falschen Propheten. Irren ist menschlich.Jemand der in einer streng katholischen Familie aufwächst und später sich vom Glauben abwendet wenn er feststellt das er den Glauben an Gott verloren hat muss akzeptiert werden,genauso derjenige der gemerkt hat das er der verkehrten Politik gedient . Nur eben ist es so wie icke schreibt dazu ist ein längerer Prozess nötig.
Uwe Deine Selbstkritik ehrt Dich ,vieles von Dir habe ich bereits in den Foren gelesen. Ein Wendehals bist Du nicht. Du gehst offen und Selbstkritisch mit Deiner Vergangenheit um. So etwas schätze ich!!
Gruß Peter(turtle)
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Re: Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Beitragvon Berliner » 13. Juli 2010, 05:39

Hallo Uwe, [knuddel]

Deine Geschichte sind einfach toll, weil sie echt sind. Ich bedanke mich, dass Du Deine Erfahrungen hier wieder bringst. [rose]

Eine Frage wegen dieser Zeilen:

ABV hat geschrieben:Eines Tages standen ein paar Mitarbeiter der kurz vor der Auflösung stehenden Kreisdienststelle vor der Tür des Amtsleiters. Wenig später brüstete sich dieser vor der versammelten Belegschaft damit, dass er die Stasi-Leute mit den Worten, " ich lass mir doch nicht meine Polizei versauen, wegen euch", quasi davon gejagt hatte. Sicher, in einer Stadt wie Seelow kannte jeder die Hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter. Sie wären als Schutz oder Verkehrspolizisten kaum akzeptiert worden und der Ruf der Polizei hätte noch mehr gelitten.


Hat es das wirklich gegeben, dass MfS-Mitarbeiter schon waehrend der Wende ihre Zukuenft innerhalb des Staatapparates abzusichern versuchten ? Gab es MfS-MA, die diese Transition in "weniger belastete Stellen" gemeistert haben ?

Das wuerde mich schon sehr interessieren, diese Idee ist fuer mich ganz neu.

Danke ! [hallo]
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Re: Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Beitragvon Berliner » 13. Juli 2010, 23:37

Vielen Dank, Uwe.

ABV hat geschrieben:Erstmal vielen Dank an Icke, Turtle und Berliner, für das Lob und den Zuspruch [rose] [rose] [rose] [rose] . Das verpflichtet mich ja geradezu, weitere Beiträge zu schreiben.


nein, wirklich. Ich finde Deine Beitraege passen genau zum Zweck dieses Forums: Menschen zusammenzubringen und Themen der deutschen Teilung von allen Seiten zu betrachten.

ABV hat geschrieben:So jetzt zu deiner Frage Duane: Ja es gab MfS-Mitarbeiter die bereits im Vorfeld der Auflösungen von Stasi-Dienststellen, versuchten ihre Zukunft abzusichern. Das ist ja auch nichts verwerfliches. Auch diese Leute hatten Frau und Kinder, die weiter ernährt werden wollten. Außerdem konnte sich jeder denken, dass man es als ehemaliger MfS-Mitarbeiter zum Beispiel in einer LPG, sehr schwer haben würde. Da blieben ja quasi nur noch die anderen "bewaffneten Organe" als Zufluchtsort übrig.


Manchmal verstehe ich nicht, wie die Mitarbeiter des MfS, was eine "hoch ideologische" Organsiation war, je einer anderen Staatsmacht dienen konnten ?
Auf der einen Seite gab es Menschen, die schon laengst "den Braten gerochen haben" und sich anpassten, auf der anderen Seite gab es auch Menschen die ihren Ueberlieferungen treu blieben.

Was soll das Ideal sein ? Anpassungsfaehig oder treu ? [denken]

Berliner [hallo]
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Re: Heute bist du mein Freund, Morgen kenne ich dich nicht mehr

Beitragvon Berliner » 15. Juli 2010, 05:12

Hallo Uwe, nochmals vielen, vielen Dank. [knuddel]

ABV hat geschrieben:Während der Wende,kurz nach dem Krenz die Regierungsgeschäfte übernahm, sagte ein Mitarbeiter der Kreisdienststelle Seelow folgendes : " Seit über fünf Jahren haben wir gesagt, dass die DDR zusammenkracht, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Wir haben die SED-Kreisleitung über jeden Misstand informiert und auch darüber was die Leute bewegt und ärgert. Es hat keinen interessiert."


Ein bisschen Off-Topic, interessant waere es aber zu erfahren, was dieser Mann unter "zusammenkrachen" verstand. Bedeutete das eine oekonomische Pleite, ein Aufstand, ein Putsch ? Was war so eindeutig, dass diese HA des MfS dazu gefuehrt hatte dieses Statement zu machen ? [ich auch]

ABV hat geschrieben:Im November 1989 prophezeite meinem damaligen Chef und mir, ein Bürgermeister folgendes: " Es wird bald der Tag kommen, wo man euch in "Westuniformen" steckt. Und ihr werdet euch danach reissen, Beamte zu werden".


Nur kurz hierzu: Klar ist es, dass es Leute gibt, die "die Welt verstehen". Woran das liegt, weiss ich nicht, bewundern tue ich sie trotzdem... [rose]

Nochmals Danke fuer Deine tollen Schilderungen ! [hallo]
Duane
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