George Bush sen., der amerikanische Präsident, der damals relativ jung im Amt war, forderte bereits im März 1989 eine neue Politik der NATO und ihrer Mitgliedstaaten in Reaktion auf die wirkungsvolle Parole Gorbatschows vom „europäischen Haus“. Der damalige Sicherheitschef, General Scowcroft, und sein Helfer Philip Zelikow waren an der Ausarbeitung dieser neuen Politik wesentlich beteiligt. In dem so genannten „Scowcroft-Memorandum“, an dem auch Philip Zelikow mit geschrieben hatte, hieß es:
Heute sollte die oberste Priorität der amerikanischen Europapolitik das Schicksal der Bundesrepublik Deutschland sein. … Selbst wenn wir bei der Überwindung der Teilung Europas durch mehr Offenheit und Pluralismus Fortschritte machen, ist keine Vision des künftigen Europas denkbar, die nicht auch eine Stellungnahme zur ›deutschen Frage‹ enthält.
Sinn dieser auch unter amerikanischen Strategen umstrittenen Erklärung war, so Zelikow und Condoleezza Rice später, die deutsche Frage wieder auf die Tagesordnung auch gegen Gorbatschow zu setzen.
Kurz nach den Feiern zum 40. Jubiläum der NATO in Brüssel, besuchte er George Bush die Bundesrepublik Deutschland und hielt eine Rede in der Rheingoldhalle in Mainz:
Für die Gründerväter des Bündnisses war diese Hoffnung ein ferner Traum. Jetzt ist diese Hoffnung die neue Aufgabe der NATO. (…) Der Kalte Krieg begann mit der Teilung Europas. Er kann nur beendet werden, wenn die Teilung Europas aufgehoben ist. (…) Es könne kein europäisches Haus (à la Gorbatschow) geben, wenn sich nicht alle seine Bewohner von Raum zu Raum frei bewegen können. (…) Wir streben die Selbstbestimmung für ganz Deutschland und alle Länder Osteuropas an. (…) Berlin muss die nächste Station sein.
Scowcroft zufolge sei diese Rede eigentlich noch deutlicher gewesen, man habe aber Bundeskanzler Kohl nicht desavouieren wollen.
Die Bundesrepublik sollte nun wegen der notwendigen Wiedervereinigungspolitik „partner in leadership“ werden – eine Rolle, die bis dato Großbritannien eingenommen hatte. Horst Teltschik, verantwortlicher Leiter für die Außen- und Sicherheitspolitik im Kanzleramt, sieht die Rolle der Amerikaner zwar nicht als den eigentlichen Inaugurator der neuen Politik der Einheit in Europa, aber bestätigte, dass man damals auf die Signale in Richtung „partner in leadership“ deutlicher hätte reagieren müssen.
Zentral in dieser Politik war die Rolle der NATO. Condoleezza Rice sagte:
Es ist richtig, dass die USA tatsächlich nur eine Sorge hatten, diejenige nämlich, dass die Wiedervereinigung Deutschlands die NATO zerstören könnte . Denn die NATO war die treibende Kraft für den Frieden in Deutschland, der Anker Amerikas in Europa.
Diese Politik hielten die USA zusammen mit der Bundesrepublik Deutschland während des ganzen Prozesses durch. In diese Politik trafen sich amerikanische und (west)deutsche Interessen; sie bestimmte die weitere Diplomatie: vor allem mit den „10 Punkten“ Helmut Kohls vom 28. November 1989 und mit den nur einen Tag später vorgelegten „4 Prinzipien“ Bushs, die der Präsident eine Woche später, nämlich am 4. Dezember 1989, auf dem NATO Gipfel in Brüssel wiederholte: Erstens Selbstbestimmung, zweitens Bekenntnis zur NATO, drittens „friedliche und schrittweise Wiedervereinigung“, viertens Bestätigung „der bestehenden Grenzen in Europa.“
Seit November 1989 – und dies ist meine zweite grobe These – übernahmen die Kanzleien und Außenministerien der USA und der Bundesrepublik das Heft in die Hand, nur noch in Teilen gestützt von den meisten Opposition in der DDR. Diese waren anfänglich – wenn auch uneinheitlich – nicht die Unterstützer der Wiedervereinigung, geschweige denn unter dem Dach der NATO.
Diese amerikanisch-deutsche Politik wurde für die USA wohl die erfolgreichste seit dem Marshall-Plan von 1947.
Alexander von Plato
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