Re: Wie die Menschen in der DDR die Mauern der Angst zu Fall brachten
Verfasst: 3. November 2014, 15:54
Heute: 3. November 1989.
Neun von zehn Arbeitern sehen keinen Einfluss auf die Gesellschaft
Der VII. Philosophiekongress in Ost-Berlin endet für die meisten jungen Teilnehmer enttäuschend. Prof. Dr. Martin Buhr von der Akademie der Wissenschaften betont zwar, es sei der letzte Kongress im alten Stil gewesen, doch wird von den jungen Wissenschaftlern für Anfang Dezember ein alternativer Kongress einberufen.
Soziologen stellen die Ergebnisse einer aktuellen Befragung in einem Kombinat vor. Danach fühlen sich zwar nur 38,8 Prozent der Arbeiter an den Entscheidungen im direkten Umfeld ihrer Tätigkeit nicht beteiligt. Auf Betriebsebene sind es aber schon 82 Prozent. An den Entscheidungsprozessen in der Gesellschaft fühlen sich gar 90,1 Prozent nicht beteiligt. Die Ergebnisse der Umfrage durften selbstredend bislang nicht veröffentlicht werden.
Mitterand lehnt deutsche Wiedervereinigung nicht grundsätzlich ab
Die 54. deutsch-französischen Konsultationen in Bonn enden mit einer Pressekonferenz, auf der sich Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand positiv zur Wiedervereinigung äußert. Er habe keine Angst vor einem geeinten Deutschland, so lange sich ein Vereinigungsprozess im Rahmen der europäischen Einigung bewege und auf dem ausdrücklichen Wunsch des deutschen Volkes in Ost und West beruhe.
Modrow greift an
Die SED-Bezirksleitung unter Hans Modrow veröffentlicht ein Positionspapier, das nicht nur in seinen Reformansätzen über die bisherige Parteilinie hinausgeht, sondern auch als klarer Angriff auf Egon Krenz und seine Regierung gewertet werden muss.
Unter der Überschrift „Was wir wollen und wofür wir uns mit ganzer Kraft einsetzen“ werden zwar die Werte des Sozialismus - wie „Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Alte, Kranke und Schwache“ – betont. Ansonsten aber wird dem Leistungsprinzip das Primat zugewiesen. Schlamperei und Leistungsunwilligkeit wird der Kampf angesagt, Sondervorrechte und Privilegien sollen abgeschafft werden. In diesem Sinne sei auch ein anderer Umgang mit Geld notwendig.
Der neue Sozialismus solle sich an den Bedürfnissen der Menschen, an wahrer Demokratie und dem Erhalt der Umwelt orientieren. „Es hat sich viel angehäuft, was unser Leben belastet und grundlegend verändert werden muss. Dazu braucht unser Land eine neue Führung, die die tiefgreifende Erneuerung des Sozialismus will und auch zielstrebig leiten kann.“
Wie fortgeschritten der Wandel in den DDR-Medien tatsächlich ist, kann man auch daran ablesen, dass das Dresdner Papier von allen zentralen Medien geflissentlich übergangen wird. Die „Wende,“ von der jetzt alle sprechen – sie hat noch einen weiten Weg vor sich.
Oberbürgermeister von Leipzig tritt zurück
Lange Zeit hat er sich einem ernsthaften Dialog mit den Bürgern verweigert. Nach harscher Kritik zieht Leipzigs Oberbürgermeister Dr. Bernd Seidel die Konsequenzen und tritt von seinem Amt zurück. Seidel hatte die Amtsgeschäfte der Stadt seit 1986 geleitet. Sein Nachfolger wird für einige Monate Günter Hädrich.
Auch zwei Gewerkschaftsbosse nehmen ihren Hut. Herbert Bischoff, Vorsitzender der Gewerkschaft Kunst, muss sich von der Basis die „Verletzung innergewerkschaftlicher Demokratie“ und die „Missachtung gewerkschaftlicher Interessenvertretung“ vorwerfen lassen. Gegen Gerhard Nennstiel, dem Vorsitzenden der IG Metall, war am Wochenende massive Kritik erhoben worden, nachdem er unter Verdacht geraten ist, sich aus unlauteren Quellen ein luxuriöses Eigenheim errichtet zu haben.
Prag drängt Ost-Berlin zu einer Lösung der Flüchtlingsfrage
Nur wenige Tage nach Wiederzulassung des pass- und visafreien Reiseverkehrs in die Tschechoslowakei, droht die bundesdeutsche Botschaft in Prag erneut aus allen Nähten zu platzen. Das tschechoslowakische Außenministerium teilt dem Botschafter der DDR in Prag, Helmut Ziebart, mit, dass die CSSR keine Flüchtlingslager für geflohene DDR-Bürger einrichten wird.
Die Regierung in Prag erwartet vielmehr, dass von Seiten der DDR Maßnahmen ergriffen werden, die den weiteren Zustrom von politischen Flüchtlingen beendet. Andernfalls müsse die DDR zu einer Abfertigungspraxis kommen, die es jeden Tag so vielen DDR-Bürgern erlaubt, aus der CSSR in die BRD auszureisen, wie täglich in die BRD-Botschaft neu hinzukommen. Bislang konnte die DDR-Botschaft lediglich 50 Ausreisgenehmigungen pro Tag erstellen.
Ziebart informiert den ZK-Abteilungsleiter für Sicherheitsfragen, Wolfgang Herger, und Stasi-Chef Mielke auch über die Verwunderung der tschechoslowakischen Genossen, warum die DDR die Ausreisewelle über die bundesdeutsche Botschaft in Prag abwickle und nicht gleich über die Ständige Vertretung der BRD in Ost-Berlin.
Demonstranten aus Dresden müssen ins Gefängnis
Drei Jugendliche werden in Dresden zu mehrjährigen Freiheitsstrafen im Zusammenhang mit den Demonstrationen vor dem Hauptbahnhof der Stadt Anfang Oktober verurteilt.
Die meisten DDR-Bürger müssen weiter auf ein Telefon warten
Seit Jahren wartet die Mehrzahl der DDR-Bürger auf einen Telefonanschluss. Jedes Jahr gehen ungefähr 100.000 Eingaben zu diesem Ärgernis bei Postminister Rudolph Schulze ein. Heute gesteht er ein, dass es noch Jahre dauern wird, die rund eine Million Anträge realisieren zu können. Die Investitionskosten veranschlagt er auf etwa neun Milliarden Mark. Angesichts der wirtschaftlichen Misere, deren Umfang der Bevölkerung weiter verschwiegen wird, scheint dies ein hoffnungsloses Anliegen zu sein.
Neun von zehn Jugendlichen glauben an die Erneuerung der DDR
Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen in der DDR gehen laut einer Umfrage des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig davon aus, dass die eingeleitete Erneuerung der Gesellschaft gelingen wird. Lediglich 14 Prozent sehen das eher kritisch. Etwa 92 Prozent befürchten allerdings für die nächste Zeit große wirtschaftliche Probleme in der DDR. Genauso viele Befragte wollen sich aber auch mit aller Kraft für die Erneuerungen einsetzen.
Neun von zehn Jugendlichen glauben an die Erneuerung der DDR
Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen in der DDR gehen laut einer Umfrage des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig davon aus, dass die eingeleitete Erneuerung der Gesellschaft gelingen wird. Lediglich 14 Prozent sehen das eher kritisch. Etwa 92 Prozent befürchten allerdings für die nächste Zeit große wirtschaftliche Probleme in der DDR. Genauso viele Befragte wollen sich aber auch mit aller Kraft für die Erneuerungen einsetzen.
Neues Deutschland entschuldigt sich für falschen Bericht
Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland muss sich bei seinen Lesern für eine offenkundige und peinliche Falschmeldung entschuldigen. Am 21. September 1989 wird über einen Koch der Schlafwagengesellschaft MITROPA berichtet, der angibt, in Budapest mit einer Menthol-Zigarette betäubt und über Österreich in die BRD verschleppt worden zu sein. Die Meldung wird republikweit auch von anderen Presseorganen übernommen. Mit ihr soll offensichtlich dem Eindruck entgegengewirkt werden, Bürger der DDR würden das Land aus Enttäuschung oder Verärgerung verlassen. Stattdessen würden sie von Schlepperbanden regelrecht entführt.
Die lahme Propagandalüge kann kaum einen DDR-Bürger überzeugen und dient als Beispiel der gezielten Fehlinformation durch die DDR-Medien. Nun haben Recherchen ergeben, dass die Darstellung frei erfunden wurde und so niemals stattgefunden hat.
quelle:
tagesspiegel.de
mfg
pentium
Neun von zehn Arbeitern sehen keinen Einfluss auf die Gesellschaft
Der VII. Philosophiekongress in Ost-Berlin endet für die meisten jungen Teilnehmer enttäuschend. Prof. Dr. Martin Buhr von der Akademie der Wissenschaften betont zwar, es sei der letzte Kongress im alten Stil gewesen, doch wird von den jungen Wissenschaftlern für Anfang Dezember ein alternativer Kongress einberufen.
Soziologen stellen die Ergebnisse einer aktuellen Befragung in einem Kombinat vor. Danach fühlen sich zwar nur 38,8 Prozent der Arbeiter an den Entscheidungen im direkten Umfeld ihrer Tätigkeit nicht beteiligt. Auf Betriebsebene sind es aber schon 82 Prozent. An den Entscheidungsprozessen in der Gesellschaft fühlen sich gar 90,1 Prozent nicht beteiligt. Die Ergebnisse der Umfrage durften selbstredend bislang nicht veröffentlicht werden.
Mitterand lehnt deutsche Wiedervereinigung nicht grundsätzlich ab
Die 54. deutsch-französischen Konsultationen in Bonn enden mit einer Pressekonferenz, auf der sich Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand positiv zur Wiedervereinigung äußert. Er habe keine Angst vor einem geeinten Deutschland, so lange sich ein Vereinigungsprozess im Rahmen der europäischen Einigung bewege und auf dem ausdrücklichen Wunsch des deutschen Volkes in Ost und West beruhe.
Modrow greift an
Die SED-Bezirksleitung unter Hans Modrow veröffentlicht ein Positionspapier, das nicht nur in seinen Reformansätzen über die bisherige Parteilinie hinausgeht, sondern auch als klarer Angriff auf Egon Krenz und seine Regierung gewertet werden muss.
Unter der Überschrift „Was wir wollen und wofür wir uns mit ganzer Kraft einsetzen“ werden zwar die Werte des Sozialismus - wie „Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Alte, Kranke und Schwache“ – betont. Ansonsten aber wird dem Leistungsprinzip das Primat zugewiesen. Schlamperei und Leistungsunwilligkeit wird der Kampf angesagt, Sondervorrechte und Privilegien sollen abgeschafft werden. In diesem Sinne sei auch ein anderer Umgang mit Geld notwendig.
Der neue Sozialismus solle sich an den Bedürfnissen der Menschen, an wahrer Demokratie und dem Erhalt der Umwelt orientieren. „Es hat sich viel angehäuft, was unser Leben belastet und grundlegend verändert werden muss. Dazu braucht unser Land eine neue Führung, die die tiefgreifende Erneuerung des Sozialismus will und auch zielstrebig leiten kann.“
Wie fortgeschritten der Wandel in den DDR-Medien tatsächlich ist, kann man auch daran ablesen, dass das Dresdner Papier von allen zentralen Medien geflissentlich übergangen wird. Die „Wende,“ von der jetzt alle sprechen – sie hat noch einen weiten Weg vor sich.
Oberbürgermeister von Leipzig tritt zurück
Lange Zeit hat er sich einem ernsthaften Dialog mit den Bürgern verweigert. Nach harscher Kritik zieht Leipzigs Oberbürgermeister Dr. Bernd Seidel die Konsequenzen und tritt von seinem Amt zurück. Seidel hatte die Amtsgeschäfte der Stadt seit 1986 geleitet. Sein Nachfolger wird für einige Monate Günter Hädrich.
Auch zwei Gewerkschaftsbosse nehmen ihren Hut. Herbert Bischoff, Vorsitzender der Gewerkschaft Kunst, muss sich von der Basis die „Verletzung innergewerkschaftlicher Demokratie“ und die „Missachtung gewerkschaftlicher Interessenvertretung“ vorwerfen lassen. Gegen Gerhard Nennstiel, dem Vorsitzenden der IG Metall, war am Wochenende massive Kritik erhoben worden, nachdem er unter Verdacht geraten ist, sich aus unlauteren Quellen ein luxuriöses Eigenheim errichtet zu haben.
Prag drängt Ost-Berlin zu einer Lösung der Flüchtlingsfrage
Nur wenige Tage nach Wiederzulassung des pass- und visafreien Reiseverkehrs in die Tschechoslowakei, droht die bundesdeutsche Botschaft in Prag erneut aus allen Nähten zu platzen. Das tschechoslowakische Außenministerium teilt dem Botschafter der DDR in Prag, Helmut Ziebart, mit, dass die CSSR keine Flüchtlingslager für geflohene DDR-Bürger einrichten wird.
Die Regierung in Prag erwartet vielmehr, dass von Seiten der DDR Maßnahmen ergriffen werden, die den weiteren Zustrom von politischen Flüchtlingen beendet. Andernfalls müsse die DDR zu einer Abfertigungspraxis kommen, die es jeden Tag so vielen DDR-Bürgern erlaubt, aus der CSSR in die BRD auszureisen, wie täglich in die BRD-Botschaft neu hinzukommen. Bislang konnte die DDR-Botschaft lediglich 50 Ausreisgenehmigungen pro Tag erstellen.
Ziebart informiert den ZK-Abteilungsleiter für Sicherheitsfragen, Wolfgang Herger, und Stasi-Chef Mielke auch über die Verwunderung der tschechoslowakischen Genossen, warum die DDR die Ausreisewelle über die bundesdeutsche Botschaft in Prag abwickle und nicht gleich über die Ständige Vertretung der BRD in Ost-Berlin.
Demonstranten aus Dresden müssen ins Gefängnis
Drei Jugendliche werden in Dresden zu mehrjährigen Freiheitsstrafen im Zusammenhang mit den Demonstrationen vor dem Hauptbahnhof der Stadt Anfang Oktober verurteilt.
Die meisten DDR-Bürger müssen weiter auf ein Telefon warten
Seit Jahren wartet die Mehrzahl der DDR-Bürger auf einen Telefonanschluss. Jedes Jahr gehen ungefähr 100.000 Eingaben zu diesem Ärgernis bei Postminister Rudolph Schulze ein. Heute gesteht er ein, dass es noch Jahre dauern wird, die rund eine Million Anträge realisieren zu können. Die Investitionskosten veranschlagt er auf etwa neun Milliarden Mark. Angesichts der wirtschaftlichen Misere, deren Umfang der Bevölkerung weiter verschwiegen wird, scheint dies ein hoffnungsloses Anliegen zu sein.
Neun von zehn Jugendlichen glauben an die Erneuerung der DDR
Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen in der DDR gehen laut einer Umfrage des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig davon aus, dass die eingeleitete Erneuerung der Gesellschaft gelingen wird. Lediglich 14 Prozent sehen das eher kritisch. Etwa 92 Prozent befürchten allerdings für die nächste Zeit große wirtschaftliche Probleme in der DDR. Genauso viele Befragte wollen sich aber auch mit aller Kraft für die Erneuerungen einsetzen.
Neun von zehn Jugendlichen glauben an die Erneuerung der DDR
Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen in der DDR gehen laut einer Umfrage des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig davon aus, dass die eingeleitete Erneuerung der Gesellschaft gelingen wird. Lediglich 14 Prozent sehen das eher kritisch. Etwa 92 Prozent befürchten allerdings für die nächste Zeit große wirtschaftliche Probleme in der DDR. Genauso viele Befragte wollen sich aber auch mit aller Kraft für die Erneuerungen einsetzen.
Neues Deutschland entschuldigt sich für falschen Bericht
Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland muss sich bei seinen Lesern für eine offenkundige und peinliche Falschmeldung entschuldigen. Am 21. September 1989 wird über einen Koch der Schlafwagengesellschaft MITROPA berichtet, der angibt, in Budapest mit einer Menthol-Zigarette betäubt und über Österreich in die BRD verschleppt worden zu sein. Die Meldung wird republikweit auch von anderen Presseorganen übernommen. Mit ihr soll offensichtlich dem Eindruck entgegengewirkt werden, Bürger der DDR würden das Land aus Enttäuschung oder Verärgerung verlassen. Stattdessen würden sie von Schlepperbanden regelrecht entführt.
Die lahme Propagandalüge kann kaum einen DDR-Bürger überzeugen und dient als Beispiel der gezielten Fehlinformation durch die DDR-Medien. Nun haben Recherchen ergeben, dass die Darstellung frei erfunden wurde und so niemals stattgefunden hat.
quelle:
tagesspiegel.de
mfg
pentium