der 9. November 1989 in Berlin

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Stabsfähnrich » 28. April 2010, 12:10

unabhängig vom historischen Datum, hat dieses Datum für mich persönlich Zeitgeschichte.
Vom 09. zum 10. November war ich Diensthabener Speisesaal im GR 33. An sich eine undankbare 24 Stunden Schicht. Morgens um 08:00 Uhr übernahm ich den Dienst. Bis Abends 18:00 Uhr war der Dienst wie immer. Kontrolle der Speisenzubereitung sowie der Essensausgabe. Daneben Beaufsichtigung der Reinigungskräfte usw.. Nachdem der Nachtaufzug die Verpflegung empfangen hatte und einem abschließenden Kontrollgang durch den Küchenbereich, legte ich mich zur Nachtruhe( vier Stunden beim 24 Stundendienst). Gegen 22:30 Uhr klingelt das Telefon, was an sich recht ungewöhnlich war. In der Leitung der Stabschef des GR mit dem Befehl: Lösen Sie für ihre Einheit die erhöhte Gefechtsbereitschaft aus. Gesagt und getan. 1. Hauptproblem waren die neu eingezogenen Soldaten ( 1. Dhj.), welche bisher weder vereidigt noch mit der Mpi geschossen hatten. Diese durften die Magazine nur in der Magazintasche mitführen. Von an sich acht Kraftfahrern waren nur noch sechs anwesend. Also wurde das Marschband nur mit sechs LKW inkl. angehangenen Granatwerfer (120 mm) formiert. Da kein höherer Dienstgrad bei der A-Batt. vorhanden war, konnte ich mich auch noch um vier Ural inkl. 85 mm Kannonen kümmern. Ab diesem Zeitpunkt überschlugen sich Ereignisse. Es erschienen in unregelmäßigen Abständen, Melder mit den sich teilweise wiedersprechenden Befehlen. Diese reichten von aktuellen Lagemeldungen bis hin zu, dass die normale Gefechtsbereitschaft herzustellen ist. Gegen 00:30 Uhr dann der Befehl: Sie verlegen mit Teilen der GwB in Richtung GÜST Sonnenallee. Weitere Befehle folgen.
Also setzte sich meine Truppe, bestehend aus sechs W50 mit Grantwerfer von der Elsenstraße über Puschkinallee in Bewegung. In der Puschkinallee - sonst zu der Zeit kaum Verkehr - war wie die Karl-Marx-Allee am Tage. Trabis, Wartburgs, Ladas.............alles fuhr in Richtung Schöneweide. Es wurde gewunken und gelacht, aber auch Drohrufe wie z.B. "Ihr Grenzerschweine, Mauerschützen usw.". Bis zum S-Bahnhof Baumschulenweg kamen wir als Kolonne relativ gut durch, ab Baumschulenstraße ging nichts mehr. Die Straße war komplett Dicht. Die Kameraden der Volkspolizei gaben die Mühe auf den Verkehr zu regeln und hatten sich geschlossen in den S-Bahneingang des Bahnhofs zurück gezogen. Von dort erhielt ich den Tipp, über Nebenstraßen zur Süd-Ost-Allee zu fahren und dann weiter zur GÜST. Mit einiger Mühe erreichten wir die GÜST auf einer Entfernung von ca. 2000 Meter. Ab da ging garnichts mehr. Eingekeilt zwischen Trabis und anderen Fahrzeugen - es ging nicht vorwärts und nicht rückwärts. Dummerweise kamen die um uns versammelten Menschen mit uns ins Gespräch und fragten u.a., was wir da als "Anhänger" mit uns führten. Ich glaube es hätte Panik gegeben wenn Wir erklärt hätten, dass es sich um 120 mm Granatwerfer handelt. Also erklärten wir einfach, dass es sich um Entfernungsmess- und Funkaufklärungsgeräte handelt. Irgendwie haben uns die Menschen dass auch geglaubt................kann aber auch sein, dass in dieser Nacht dies keinen interessierte. Egal............... Gegen 03:00 Uhr halfen wir den Kollegen der PKE, einen defekten Schlagbaum zu öffnen bis dann der Befehl kam, Zurückverlegung zum Fuchsbau, Herstellen der Gefechtsbereitschaft und Vollzugsmeldung bei der 750. Ehrlich gesagt wußte weder ich noch die anderen Kameraden was überhaupt geschehen ist. Keiner sagte etwas, Fragen an die Vorgesetzten wurden ignoriert oder mit solchen Sachen gehändelt wie " Mensch Genosse - wir haben einen zweiten 17. Juni".
Nach Dienstsschluss setzte ich mich in die S-Bahn, in voller Uniform. Mutterseelen alleine - ein derartiger Zustand war ungewöhnlich zu dieser Zeit. Im Bahnhof Ostkreuz stürmte eine Gruppe von ca. 8-10 Punks in meinen Wagen, kamen auf mich zu - und ich sah mich schon recht arg verprügelt. Aber nein, die klopften mir auf die Schulter, Mensch dass habt ihr toll gemacht, los trink mal einen. Also ich war heilfroh Leninallee (heute Landsberger Allee) aus zu steigen.
Das war mein 9. November 89.
Stabsfähnrich
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Luchs » 28. April 2010, 12:38

Das sind die Beiträge, die ein Forum so richtig gut machen.
Viele Grüße [hallo]
Micha
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon karl143 » 28. April 2010, 14:31

Hallo Christian,
ich bin mir sicher, das sind Tage, die vergisst du dein Leben lang nicht. Und was sich da alles so im Kopf für Sachen einprägen.
Wahnsinn. Aber ein Superbeitrag.
karl143
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Stabsfähnrich » 29. April 2010, 06:15

karl143 hat geschrieben:Hallo Christian,
ich bin mir sicher, das sind Tage, die vergisst du dein Leben lang nicht. Und was sich da alles so im Kopf für Sachen einprägen.
Wahnsinn. Aber ein Superbeitrag.


...............ja Karl, da haste Recht an solche Sachen kann ich mich noch super und in fast allen Einzelheiten erinnern. Dagegen an meine Hochzeitstag nicht mehr, umso mehr an meine Scheidung nach genau 12 Jahren, 2 Stunden und 10 Minuten [laugh]
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Berliner » 1. Mai 2010, 08:03

Die Geschichte von Chris (vielen Dank [knuddel]) erinnert auch an die Geschichte von Harald Jaeger, Oberstleutnant der Staatssicherheit.

Hier ein laengerer Clip zusammengeschnitten aus dem Film "9. November 1989, Schabowskis Zettel" von Spiegel TV.

Gruss ueber den Teich, [hallo]
Berliner


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Talent kann es nicht - nichts ist verbreiteter als erfolglose Maenner mit Talent.
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Berliner » 2. Mai 2010, 04:39

Hallo Chris, [knuddel]

ich bin froh Deine Geschichte markiert zu haben, um auch spaeter darauf zurueckzukommen. Es hat sich wirklich gelohnt. [heart]

Was war das fuer eine Nacht fuer Dich ? Hast Du schon geahnt, dass alles jetzt anders wurde ? Wie fuehltest Du Dich zwischen den Autos aber unter dem Volk mit "Messgeraeten" dabei ? War das wir die Revolution der Nelken, oder der Anfang des Endes?

Hoffentlich trete ich Dir nicht zu nah, die Geschichte ist wirklich wahnsinning interessant. Wenn Du mehr erzaehlen moechtest, dann hoere ich (lese ich) gerne zu... [ich auch]

Gruss ueber den Teich, [hallo]
Duane
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon js674 » 2. Mai 2010, 06:11

Hallo Chris,

da haben wir ja den gleichen Dienst im Schmandhaus geschoben, bei mir war es nur im GR - 38 und die Schicht vom 08.11. zum 09.11.
Nach Feierabend früh nach Hause und noch was privates erledigt.
Gegen Abend wurde ich dann von meiner damaligen geweckt, mit den Worten "Jens steh auf die haben die Mauer aufgemacht" und so ging es noch ein paar mal, bis ich mich entlich aus dem Bett bewegte und mich vor der Röhre breit machte.
Als ich die ersten Bilder im Fernseher sah, sagte ich zu ihr "hole mir mal die 2 Bier und die halbe Korn die noch da ist.".
Wir hatten zu der Zeit Besuch und er rieb sich schon die Hände weil es entlich was gab, aber ich sagte ihm nur mit kalten Blick "Wenn du was haben willst kauf dir selber was, den das was du da siehst, ist das Ende von meinen Beruf."
Und so war es ja auch und da erst merkte ich wie sehr ich doch mit dem System verbunden war und was mir mein Land alles gegeben hat.
Am 10.11. versuchte mich das Regiment wieder rein zuholen über Meldekette, die bei mir über das VP - Revier lief und dort gab es nur zur Antwort " Informiert eure Leute selber, wir haben anderes zutun", dass erzählte mir mein Kumpel der die Kette auslöste.
So hat wohl jeder seine Erlebnisse gemacht zu besagten Tag.

gruß Jens
js674
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Stabsfähnrich » 2. Mai 2010, 06:35

js674 hat geschrieben:Hallo Chris,

da haben wir ja den gleichen Dienst im Schmandhaus geschoben, bei mir war es nur im GR - 38 und die Schicht vom 08.11. zum 09.11.
Nach Feierabend früh nach Hause und noch was privates erledigt.
Gegen Abend wurde ich dann von meiner damaligen geweckt, mit den Worten "Jens steh auf die haben die Mauer aufgemacht" und so ging es noch ein paar mal, bis ich mich entlich aus dem Bett bewegte und mich vor der Röhre breit machte.
Als ich die ersten Bilder im Fernseher sah, sagte ich zu ihr "hole mir mal die 2 Bier und die halbe Korn die noch da ist.".
Wir hatten zu der Zeit Besuch und er rieb sich schon die Hände weil es entlich was gab, aber ich sagte ihm nur mit kalten Blick "Wenn du was haben willst kauf dir selber was, den das was du da siehst, ist das Ende von meinen Beruf."
Und so war es ja auch und da erst merkte ich wie sehr ich doch mit dem System verbunden war und was mir mein Land alles gegeben hat.
Am 10.11. versuchte mich das Regiment wieder rein zuholen über Meldekette, die bei mir über das VP - Revier lief und dort gab es nur zur Antwort " Informiert eure Leute selber, wir haben anderes zutun", dass erzählte mir mein Kumpel der die Kette auslöste.
So hat wohl jeder seine Erlebnisse gemacht zu besagten Tag.

gruß Jens


Hallo Jens,
Zufälle gibt es................besonders der Begriff "Schmandhaus". Vielleicht noch zur Erleuterung für Aussenstehende. So wie im alltäglichen Leben, wurden bestimmte Sachen und Einrichtungen mit teils liebevollen aber auch weniger liebevollen Bezeichnungen bedacht. Der Fernsehturm in Berlin hieß Telespargel, der Palast der Republik hieß Honnis Lampenladen usw. Der Begriff Schmand stand - und dies offensichtlich nicht nur im GR 33 - für alle Begriffe die mit Speisen bzw. Nahrung im Zusammenhang standen. Das Schmandhaus, war der Speisesaal. Die diensthabene Schmandschabe, war der Diensthabende Küche, der Schmandschrank - an sich das Besenspind - der für die zeitweilige illegale Aufbwahrung der Speisen, welche die Dachse heimlich aus der Küche für die EK`s anschleppten. Wir gehen schmandten - beliebte Redewendung, um anderen mit zu teilen, dass man sich zum Zwecke des Nahrungsverzehr ins Schmandhaus begibt. Extraschmand = beliebte Zugabe zum normalen Essen. Darunter wurde z.B. Letscho aber auch Salami und Schnittkäse gemeint. Schmand backen = es wurde eine Scheibe Brot mit Wurst und Käse belegt und anschließend in den Minibackofen (Elektrogrill mit einer Heizspirale) geschoben. Die Minibacköfen waren nicht gestattet, aber trotzdem vorhanden und wurden im Rahmen des Stubendurchgangs durch den Hfw regelmäßig eingezogen. Ich möchte aber wetten, sobald der Hfw die Stube (Unterkunft) verlassen hatte, war ein neuer Minibackofen vorhanden oder wurde von Stube zu Stube gereicht.

Was ich auch an dem Beitrag vom Jens bestätigen kann, ist die Tatsache dass gewohnte - mehrfach geübte - mit hohen Priroritäten versehende Meldewege und Machtstrukturen über Nacht verschwunden sind. Das sonst so gerühmte Zusammenwirken der bwaffneten Organe der DDR zerfiel in tausend kleine Stücke und löste sich so nach und nach auf. Und dies nicht über einen längeren Zeitraum, sondern praktisch über Nacht.
Stabsfähnrich
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon js674 » 2. Mai 2010, 07:00

Stabsfähnrich hat geschrieben:
..........................................................................
backen = es wurde eine Scheibe Brot mit Wurst und Käse belegt und anschließend in den Minibackofen (Elektrogrill mit einer Heizspirale) geschoben. Die Minibacköfen waren nicht gestattet, aber trotzdem vorhanden und wurden im Rahmen des Stubendurchgangs durch den Hfw regelmäßig eingezogen. Ich möchte aber wetten, sobald der Hfw die Stube (Unterkunft) verlassen hatte, war ein neuer Minibackofen vorhanden oder wurde von Stube zu Stube gereicht.


Nicht nur die Minibacköfen, sondern auch die Tauchsieder hatte ich zu hauf im Panzerschrank zuliegen.
Wurden aber wieder ausgehändigt als die E´s nach Hause gegangen sind und nächsten Tag wieder eingezogen bei den neuen E´s [grins]

Stabsfähnrich hat geschrieben:Was ich auch an dem Beitrag vom Jens bestätigen kann, ist die Tatsache dass gewohnte - mehrfach geübte - mit hohen Priroritäten versehende Meldewege und Machtstrukturen über Nacht verschwunden sind. Das sonst so gerühmte Zusammenwirken der bewaffneten Organe der DDR zerfiel in tausend kleine Stücke und löste sich so nach und nach auf. Und dies nicht über einen längeren Zeitraum, sondern praktisch über Nacht.


Und nicht nur da, mußte auch noch öfters nach Schöneweide fahren und alte Kabeltrommeln abliefern, war da schon bekannt und siehe da ab den Tag wurden wir nur noch wiederwillig dort abgefertigt und das auch erst nach dem ich mir dort laut Luft gemacht habe. [schrei]

gruß Jens
js674
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Stabsfähnrich » 2. Mai 2010, 07:33

js674 hat geschrieben:
Stabsfähnrich hat geschrieben:
..........................................................................
backen = es wurde eine Scheibe Brot mit Wurst und Käse belegt und anschließend in den Minibackofen (Elektrogrill mit einer Heizspirale) geschoben. Die Minibacköfen waren nicht gestattet, aber trotzdem vorhanden und wurden im Rahmen des Stubendurchgangs durch den Hfw regelmäßig eingezogen. Ich möchte aber wetten, sobald der Hfw die Stube (Unterkunft) verlassen hatte, war ein neuer Minibackofen vorhanden oder wurde von Stube zu Stube gereicht.


Nicht nur die Minibacköfen, sondern auch die Tauchsieder hatte ich zu hauf im Panzerschrank zuliegen.
Wurden aber wieder ausgehändigt als die E´s nach Hause gegangen sind und nächsten Tag wieder eingezogen bei den neuen E´s [grins]

Stabsfähnrich hat geschrieben:Was ich auch an dem Beitrag vom Jens bestätigen kann, ist die Tatsache dass gewohnte - mehrfach geübte - mit hohen Priroritäten versehende Meldewege und Machtstrukturen über Nacht verschwunden sind. Das sonst so gerühmte Zusammenwirken der bewaffneten Organe der DDR zerfiel in tausend kleine Stücke und löste sich so nach und nach auf. Und dies nicht über einen längeren Zeitraum, sondern praktisch über Nacht.


Und nicht nur da, mußte auch noch öfters nach Schöneweide fahren und alte Kabeltrommeln abliefern, war da schon bekannt und siehe da ab den Tag wurden wir nur noch wiederwillig dort abgefertigt und das auch erst nach dem ich mir dort laut Luft gemacht habe. [schrei]

gruß Jens


so war es Jens. Das ewige Katze und Maus Spiel. Tauchsieder, UFO`s , Radiogeräte (Kantenboxen) waren bei anderen Hfw. dutzendweise in den Stahlblechschränken. Mein Glück war, dass ich in meiner Batterie Soldaten des dritten Diensthalbjahres hatte, welche nicht mehr grenzdiensttauglich waren. Nicht mehr grenzdiensttauglich bedeutet, dass die Betroffenen sich eines Dienstvergehen (z.b. unerlaubte Kontaktaufnahme, schlafen im Grenzdienst, Verstoß gegen Grenzdienstvorschriften u.a.) schuldig gemacht haben und im Durchschnitt mit drei Tage Arrest bestraft waren, welcher ja nachgedient werden mußte. Da der Betroffene dies wußte, auch die Tatsache daß u.a. der Hauptfeldwebel sein Veto abgab bei der Entscheidung < nachdienen ja/nein>, hielt sich bei mir in der Einheit diese Erscheinung in Grenzen, dass verbotene Gegenstände in der Batterie auftauchten. Auch trug das dritte Diensthalbjahr mit dazu bei, dass diese Erscheinungen nicht vom ersten Diensthalbjahr in Anspruch genommen wurden. Denn dies wäre ihnen negativ auf die Füsse gefallen. Übrigens zweites Diensthalbjahr war bei mir nicht vorhanden, da das erste Diensthalbjahr anschließend in die Grenzkompanieen versetzt wurde.
Stabsfähnrich
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Berliner » 5. Mai 2010, 22:06

js674 hat geschrieben:Als ich die ersten Bilder im Fernseher sah, sagte ich zu ihr "hole mir mal die 2 Bier und die halbe Korn die noch da ist.".
Wir hatten zu der Zeit Besuch und er rieb sich schon die Hände weil es entlich was gab, aber ich sagte ihm nur mit kalten Blick "Wenn du was haben willst kauf dir selber was, den das was du da siehst, ist das Ende von meinen Beruf."
Und so war es ja auch und da erst merkte ich wie sehr ich doch mit dem System verbunden war und was mir mein Land alles gegeben hat.


Stabsfähnrich hat geschrieben:Was ich auch an dem Beitrag vom Jens bestätigen kann, ist die Tatsache dass gewohnte - mehrfach geübte - mit hohen Priroritäten versehende Meldewege und Machtstrukturen über Nacht verschwunden sind. Das sonst so gerühmte Zusammenwirken der bwaffneten Organe der DDR zerfiel in tausend kleine Stücke und löste sich so nach und nach auf. Und dies nicht über einen längeren Zeitraum, sondern praktisch über Nacht.


Hallo Jens, Hallo Chris! [knuddel]

vielen Dank, dass Ihr zu dieser Zeit mehr erzaehlt habt, die Geschichten sind wahnsinnig interessant. [grins]

Einige Fragen:

War das so, dass einer an einem Tag vom Sozialismus ueberzeugt war, und am naechsten Tag alles weg war ?
Wieso loeste sich Eurer Meinung nach alles so schnell und eindeutig auf ?


Ich bedanke mich.....uebrigens beim ersten Durchlesen verstand ich "Schandmaus", klang regelrecht unanstaendig. [peinlich]

Duane [hallo]
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon drewitz » 12. Mai 2010, 07:48

Damals war ich zu 120% vom Sozialismus überzeugt,von der DDR vielleicht zu 80%..Gorbatschow und seine Politik betrachtete ich als Hoffnung für einen besseren Sozialismus,eine bessere DDR.Aber nicht mit unserer Führung.Und dann tat sich endlich etwas in der Republik,viele Leute gingen ,zu dieser Zeit noch, für einen humaneren Sozilialismus auf die Straße.Es gab endlich (!)Bewegung.
Auf einmal ging die Mauer auf-und mir war klar,das wars mit dem Traum einer besseren Gesellschaft,die DDR würde bald nicht mehr existieren.
Wie ging es mir da?Wahrscheinlich wie dem Papst,wenn Jesus ihm erklären würde:Du-was ihr da mit der Kirche anstellt ist alles
bullshit!
Ich stand mehrere Tage wie unter Schock am Checkpoint Charly und habe Ossis in den Westen durchgewunken,ohne recht zu begreifen was ich da tue...

Torsten
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Holtenauer » 12. Mai 2010, 08:47

Hallo Jens, Hallo Chris!

vielen Dank, dass Ihr zu dieser Zeit was erzaehlt habt. Die Geschichten sind ja wahnsinnig interessant. Man hatte nur im Fernseh die Sendungen geschaut und auch ich hatte gedachte, was das für die Grenzer, die ich da etwas ungläubig stehen sah, jetzt bedeutet und was sie dachten.

Danke nochmal für eure Berichte [bravo] [bravo]
Holtenauer
 

Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon SkinnyTrucky » 12. Mai 2010, 17:27

Stabsfähnrich hat geschrieben:Im Bahnhof Ostkreuz stürmte eine Gruppe von ca. 8-10 Punks in meinen Wagen, kamen auf mich zu - und ich sah mich schon recht arg verprügelt. Aber nein, die klopften mir auf die Schulter, Mensch dass habt ihr toll gemacht, los trink mal einen. Also ich war heilfroh Leninallee (heute Landsberger Allee) aus zu steigen.


Chris, Punks werden leider allzuoft verkannt..... [flash] ....ich war doch auch ganz lieb in Berlin oder..... [smile]

....auch wenn man es kaum noch erkennt, wie ich früher mal rumgelaufen bin..... [blush]

Ich wär sogerne auch in Berlin dabeigewesen....leider war ich aber weit ab vom Geschehen in der technischen Zone zu Rövershagen und später zu meiner Flucht kam keine richtige Stimmung auf....da war ich eigendlich nur allein mit mir, auch war ich nich alleine in diesem Moment....aber halt ganz alleine mit meiner Angst.....auch später in Lüdenscheid....meine Tante und Onkel, die ja 1961 geflüchtet waren konnten nur dumme Sprüche klopfen und da fühlte ich mich eh nich wohl....später wo ich da weg bin, so zwei Monate später....ja da lernte ich Leute in meinem Alter kennen....halt auch Punks, Ökos und so....aber für die war das eine far-from-own-bed-show und die kämpften immer noch gegen ihr eigenes Land....wo ich dann später auch mitmachte....

....einmal sind wir mit der Ganzen Truppe in 1990 in Gorleben gewesen und haben bei meinem Bruder geschlafen....da war ja kaum noch was zu sehen vom Zaun als wir über die Grenze fuhren....

Liebe Grüsse aus Affi/Lago di Garda Sud

Mara
Wenn es heute noch Menschen gibt, die die DDR verklären wollen, kann das nur damit zusammenhängen, dass träumen schöner ist als denken.... (Burkhart Veigel) Bild
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon augenzeuge » 12. Mai 2010, 21:25

Damals am 9.11.1989......eine Erinnerung von AZ

...damals begann mein Abend oft mit den ZDF-Nachrichten um 19 Uhr. An diesem Tag war es etwas früher. Und anders. Er begann so 18:45 mit dem DDR-TV.
Ich hatte über das Radio im Auto von der Pressekonferenz erfahren und aus den Erfahrungen dieser Zeit, der schnellen politischen Entwicklungen in Ostberlin, hatte diese Zeit eine geladene Spannung, wie ich sie zuvor kaum so erlebt hatte.

Ich wohnte damals in Rudow- dem süd-östlichsten Zipfel Westberlins. Das Haus war ungefähr einen guten Kilometer von der Grenze Waltersdorfer Chaussee entfernt.

Die Übertragung der Konferenz erfolgte live und ich hörte die berühmten Worte Schabowskis...... Noch bevor ich zum ZDF umschaltete war mir die Tragweite klar. Allerdings wollte ich es nicht wahrhaben. Die nun folgende Stunde stand ganz im Sehen der deutsch/ deutschen Nachrichten.

Gegen 20:15 war es soweit, ich hielt es nicht mehr aus. Ich stürmte zu meinem Auto und fuhr mit zu hoher Geschwindigkeit an die Grenze.
Noch war alles sehr ruhig. Die Strasse war leer. Ich parkte mein Auto kurz vor dem Westberliner Polizeihäuschen, welches unmittelbar an der Grenze stand.
Direkt an der Demarkationslinie standen schon viele Menschen und schauten gespannt Richtung Grenzübergang.

Obwohl mittlerweile die Westberliner die Grenzlinie etwas überschritten, die Mauer stand hier wenige Meter dahinter, waren keine Grenzer zu sehen, die dies sonst sofort verhindert hätten.
Es dauert bis nach 20:30 Uhr als die ersten wenigen Fussgänger im Westteil ankamen. Zu einer Zeit, als die Bornholmer Str. noch nicht geöffnet war!
Hier war es allerdings die Grenze zu Brandenburg, nicht Ostberlin. Der Grenzübergang war die offizielle Verbindung zum Flughafen Schönefeld in der DDR. Regelmäßig fuhr hier ein DDR-Bus durch, um Passagiere vom Bahnhof Zoo abzuholen.

Es war eine Weile später, als die ersten Trabbis die Grenze hier überquerten. Jedes Auto hielt an, manche hatten schnell ein paar Sektflaschen organisiert. Mit vielen leichten Klatschern auf das Autodach und einem lauten Jubel fuhr eine anscheinend endlose Karawane von Trabbis, Ladas, Skodas an der immer größer werdenden euphorisch jubelnden Menschenmasse vorbei.
Plötzlich konnte man weit in die DDR hineinlaufen. Auch ich tat dies. Noch mit Unbehagen. Man sah die Grenzer, die Passkontrolleure nicht mehr......Dieser Zustand dauerte allerdings nicht lange an. Diese Gribbeln, hier hautnah Geschichte miterleben zu können, werde ich nie vergessen.

Dieser Tag war für viele Menschen ein Sieg. Sie hatten ihr Ziel, ihre langersehnte persönliche Freiheit, erreicht. Weiter dachte man an diesem Tag noch nicht. Im Vordergrund standen die jetzt möglichen Begegnungen der jahrelang getrennten Familien. Für die Mehrheit der in den letzten Jahren Ausgereisten bestand ein Einreiseverbot in die DDR. Dieses bestand auch noch an diesem Tag. Für mich wurde es 3 Tage später aufgehoben.......
AZ

Ein Video vom 10.11.89 an diesem Übergang:
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Berliner » 12. Mai 2010, 23:50

20 Jahre Mauerfall 10. November`89 Bornholmer Str und Chausseestr



das Video habe ich hier reingestellt (es gibt eine ganze Reihe davon vom selben User videohai und aus diesen Tagen). Es versprach etwas vom "Chausseestrasse" im Titel, weiss nur nicht ob geliefert wurde.

Auf jeden Fall lasse ich es erstmal da...nicht immer alles abaendern oder loeschen... [blush]

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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon js674 » 16. Mai 2010, 22:48

Berliner hat geschrieben:vielen Dank, dass Ihr zu dieser Zeit mehr erzaehlt habt, die Geschichten sind wahnsinnig interessant. [grins]
Einige Fragen:

War das so, dass einer an einem [b]Tag vom Sozialismus ueberzeugt war, und am naechsten Tag alles weg war ?
Wieso loeste sich Eurer Meinung nach alles so schnell und eindeutig auf ?[/b]

Ich bedanke mich.....uebrigens beim ersten Durchlesen verstand ich "Schandmaus", klang regelrecht unanstaendig. [peinlich]
Duane [hallo]


Hi Duane,
Ich will nicht sagen das ich überzeugter Sozialist war, es war halt mein Traumberuf gewesen und erst mit den Bildern im Fernsehen wurde es mir klar das ich doch sehr stark mit meinen Land verbunden war. Denn es gab mir ja alles was ich wollte, auch wenn man manches nur unter dem Ladentisch bekam.
Doch je mehr Tage des Umbruchs ins Land gingen und ich mir die freie Welt selber angeschaut habe, kann ich nur sagen .... ich habe mich damals für meine Landsleute geschämt wie sie sich in Westberlin aufgeführt haben, alles was kostenlos war da haben sie sich fast darum geprügelt.
Und so wurde mir auch klar um in dem neuen System zu übeleben muß ich mir ein dickes Fell zulegen.
so ersteinmal kurz meine Gedanken dazu.

gruß Jens
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon augenzeuge » 6. Juli 2010, 19:02

Hier noch ein paar schöne Aufnahmen vom 9.11.89 und Kommentare von Verantwortlichen des damaligen MfS zur Öffnung der Bornholmer Brücke....

"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon augenzeuge » 20. Oktober 2017, 16:44

Hier noch ein Bericht zum Mauerfall. Vor Rudow fiel die Mauer zuerst.....

„Ich hatte die Pressekonferenz von Schabowski im Fernsehen verfolgt und danach mit meinem Regimentskommandeur telefoniert“, erinnert sich Schäfer. „Mir war klar, dass jetzt fast jeder ein- und ausreisen konnte und fuhr deshalb an meine Grenzübergangsstelle.“ Die war bis dahin allein West-Berlinern vorbehalten, die vor allem schnell zum Flughafen Schönefeld kommen wollten. „Ich ließ die scharfe Munition einsammeln und dann die Kontrolle der Ausweise nach und nach einstellen.“


http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/230418/

Ein paar Bilder der Entwicklung dieses Überganges findet man hier:

http://www.schoenefeld.info/die%20b179.htm

AZ
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Interessierter » 28. April 2019, 10:48

“Ich war einer von den Bösen”

Mein Name ist Manfred K., 1989 war ich bei der DVP1, Kasernierte Polizei in Blankenburg. Damals habe ich in Pankow gewohnt, Florastraße, fast an der Grenze. In den Tagen vor dem 40. Republikgeburtstag wurden wir täglich darauf vorbereitet, dass es im Umfeld zu Störungen kommen wird. Nicht nur als Möglichkeit, sondern als gesicherte Tatsache. Staatsfeinde und Provokateure aus dem Westen wollten die Feiern torpedieren und bereiteten Straßenschlachten vor. Uns wurde gesagt, dass ein Einsatz von Schusswaffen durch die Provokateure geplant sei.
Die Aufrührer hätten Kontakt zu Neonazis und Autonomen in West-Berlin und von denen Techniken des Straßenkampfes gelernt. Sie würden sich als harmlose Bürger darstellen, in Wirklichkeit aber die Konfrontation suchen. Dazu wurden uns Filmaufnahmen vom Dresdner Hauptbahnhof gezeigt, auf denen Bürger die VP angriffen.
Man kann schon sagen, dass wir regelrecht aufgeheizt wurden.

Nach dem Aufsitzen, auf dem Weg nach Mitte, ging es weiter. Ein Kamerad fragte, wieso wir denn nicht alle Waffen bekommen würden, wenn die Lage so gefährlich sei. Tatsächlich waren einige von uns unbewaffnet. Eine Antwort gab es aber nicht. Ich vermutete, dass diejenigen keine Waffen bekommen hatten, die im Verdacht standen, unzuverlässig zu sein. Das Misstrauen gab es sogar schon innerhalb der Volkspolizei.

Wir waren dann den ganzen Tag in der Innenstadt. Erst Karl-Marx-Allee, dann am Platz der Akademie2. Es gab immer mal kurze Aufregung wegen einzelner Protestierer, aber das regelten die Männer vom MfS, wir unterstützen bloß. Richtig los ging es erst am Abend. Während der Feier im Republikpalast standen wir vor dem Palasthotel. Hunderte Demonstranten zogen an uns vorbei, in beide Richtungen. Plötzlich mussten wir aufsitzen und wurden zum Rosa-Luxemburg-Platz gefahren. Dort waren die Straßen voller Menschen und die Stimmung war schon aggressiv.

Irgendwann hörten wir, dass es im Prenzlauer Berg Krawalle von Autonomen gäbe. Wir wurden zum Senefelderplatz verlegt und kurz darauf ging es los. Ganze Gruppen zogen an uns vorbei, skandierten Parolen und bedrohten uns. So empfanden wir das damals jedenfalls. Helme und Schilder wurden ausgegeben, kurz darauf trafen die Räumwagen ein. Sie hatten große Gitter montiert, so dass man mit ihnen leicht eine Straße räumen konnte, wenn mehrere nebeneinander fuhren. Eigentlich waren sie zum Absperren gedacht, aber in dieser Nacht funktionierten wir sie eben um.

Da wir schon so lange im Einsatz waren, hatten die meisten jetzt die Schnauze voll. Wir waren müde, hatten kaum was gegessen, konnten nicht aufs Klo. Die Stimmung war absolut mies. Als es dann ernst wurde, waren wir froh darüber. Endlich konnten wir unseren Frust rauslassen und Ziele fanden sich genug. Mit Knüppeln gingen wir auf jeden los, den wir erwischten. Egal, ob er zu den Demonstranten gehörte oder nicht. Langhaarige, Intellektuelle, Hippie, Parkaträger, Punker, egal. Wer jetzt auf der Straße war, gehörte dazu. Manche von uns schlugen sich durch die Menge, andere konzentrierten sich auf eine einzelne Person, jagten und verprügelten sie. Jeder der sich irgendwie wehrte, wurde auf den Wagen verbracht.

Allerdings sah ich auch viele ältere Leute, die wirklich nicht den Eindruck machten, dass sie Aufrührer wären. Aber wir waren wie blind und sahen das als besonders perfide Taktik der Demonstranten an. Als wenn sie ihre eigenen Eltern vorschicken würden. In der Schönhauser Allee wurden wir massiv aus den Fenstern beschimpft und bedroht. Es war wirklich kein schöner Einsatz.

Nach ungefähr zwei Stunden fuhren wir los. Wir saßen an den Seiten auf den Bänken, die Zugeführten mussten in der Mitte auf dem Boden sitzen. Während der Fahrt in den Blankenburger Pflasterweg bekamen sie nochmal viele blaue Flecke durch unsere Stiefel ab. In der Kaserne mussten sie von der Ladefläche steigen. Wer es nicht schnell genug schaffte, dem wurde “geholfen”.


Unser Einsatz war damit beendet. An diesem Abend sind mehr als 1.700 Protestierer zugeführt worden. Erst ein paar Tage danach erfuhr ich, dass es sehr viele Verletzte unter den Demonstranten gegeben hatte. Es waren wohl mehrere hundert. Verletzungen bei den Kollegen beschränkten sich auf Verstauchungen und Prellungen. Das wenigste davon war aber direkt von Demonstranten verursacht.

Im Nachhinein fingen wir auch unter uns an zu diskutieren. Wir hatten sie ja gesehen, die sogenannten Randalierer und Staatsfeinde. Das waren doch keine prügelnden Skinheads oder Autonome. Es war mir dann lange sehr unangenehm, zuzugeben, dass ich am 7. Oktober dabei war. Weil ich wohl auf der falschen Seite stand, ich war einer von den Bösen.

https://www.berlinstreet.de/9809
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Edelknabe » 28. April 2019, 17:11

Eine richtig ehrliche Aussage vom Manfred K., da kann man wirklich nicht meckern wenn der Mann das im Nachhinein so sieht.Das gute ist ja, er sieht auch die Gründe dafür,damals der Böse gewesen zu sein.

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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon andr.k » 28. April 2019, 21:37

Interessierter hat geschrieben:1989 war ich bei der DVP, Kasernierte Polizei in Blankenburg


Die Grundstruktur, wie sie 1989/90 bestand, erhielten die VP-Bereitschaften (VPB) 1962 mit der Einführung der Wehrpflicht in der DDR. Seitdem waren die VPB »kasernierte, vollmotorisierte, ständig einsatzbereite, nach militärischen Prinzipien organisierte und geführte Einheiten der Deutschen Volkspolizei«.

Interessierter hat geschrieben:An diesem Abend sind mehr als 1.700 Protestierer zugeführt worden.


Insgesamt wurden im Verlauf des Einsatzes am 7. Oktober in Berlin 547 Personen zugeführt. Diese Zahlen wurden von der Arbeitsgruppe "Rekonstruktion" der Unabhängigen Untersuchungskommission in Berlin bestätigt.

Detaillierte Informationen, u.a. über die VP-Bereitschaften (VPB) und zu den Ereignissen vom 7./8. Oktober 1989 in Berlin, sind dem Buch "Mittendrin - Die Berliner Volkspolizei 1989/90" zu entnehmen.

Übrigens hatten wir das Thema schon …

Quellen: viewtopic.php?p=251891#p251891
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon augenzeuge » 19. Mai 2020, 07:43

Die letzte Truppe und der Fall der Mauer

Grenzsoldaten: In der schicksalhaften Nacht des 9. November 1989 hatten sie Dienst. Wie empfanden sie die dramatischen Stunden der Maueröffnung?

Die Doku erzählt die Geschichte der Soldaten. Und über die Vertuschung von früheren Todesschüssen an diesem Standort.



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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon augenzeuge » 9. November 2022, 13:05

Wer erinnert sich nicht? Auch wenn es unglaubliche 33 Jahre zurück liegt.

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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Gerd Böhmer » 9. November 2022, 15:12

Hallo Allerseits,

auch ich erinnere mich bis Heute an diesen Abend und an dieser Stelle aus meinen Annalen:
am Abend des Tages wurde durch den ersten Sekretär der Berliner Bezirksleitung der SED, Herrn Günter Schabowski, bekannt gegeben, das die Bürger der DDR ab sofort ohne Angabe von Gründen in das westliche Ausland reisen können. In den späten Abendstunden des Tages wurden dann die Grenzen nach West-Berlin und die BRD geöffnet, nachdem es erst einige Unstimmigkeiten bei den Verantwortlichen der DDR-Grenzorgane gegeben hatte – am 10.11.1989 um 00.27 Uhr habe ich dann erstmalig die Grenze nach West-Berlin am Grenzübergang Sonnenallee passiert.
In einer Bierkneipe an der Sonnenallee hatten die Gäste von dem Ereignis noch keine Kenntnis genommen und sich nur etwas gewundert, das es auf einmal auf der Sonnenallee so lebhaft geworden war. Die Gäste dieser Bierkneipe wollten nicht glauben was da kurz zuvor geschehen war – und nachdem sie die Personaldokumente der DDR gesehen hatten und auch die Meldung in den Radionachrichten vernommen hatten gab es nur noch Saalrunden ...
Durch die Grenzöffnung erschienen viele DDR-Bürger dann am 10.11.1989 nicht zur Arbeit, aber das war gemessen an dem Ereignis der Nacht zuvor verständlich. In einigen Bereichen, speziell im Verkehrswesen gab es an den folgenden Tagen bedingt durch die erste Reisewelle einige Engpässe.


aus heutiger Sicht, es war ein historisches Ereignis, nur was sich bis Heute daraus entwickelt hat ist leider auch negativ zu sehen ...
MfG Gerd Böhmer,
Reichsbahninspektor aD
http://www.gerdboehmer-berlinereisenbahnarchiv.de
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Danny_1000 » 9. November 2022, 16:04

Gerd Böhmer hat geschrieben:.....

aus heutiger Sicht, es war ein historisches Ereignis, nur was sich bis Heute daraus entwickelt hat ist leider auch negativ zu sehen ...

Für die überwiegende Mehrheit hier im Osten war es ein Gewinn. Das fängt bei der Sanierung unzähliger Städte und Dörfer - also der ostdeutschen Landschaften - an, setzt sich über die Verbesserung der persönlichen Lebensverhältnisse von Millionen Ostdeutscher fort, geht über die Beseitigung von massiven Schäden an Umwelt und Natur, über eine spürbare Verbesserung der gesamten Infrastruktur bis hin zu Freiheiten, die es in der DDR so nie gab.

Nun kann man lange darüber diskutieren, was im Zuge des Beitrittes - eine Vereinigung gab es nicht wirklich - falsch gemacht wurde und auch heute noch falsch läuft, summa summarum aber war es für eine übergroße Mehrheit der Ossis ein Gewinn.
Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben
dafür einsetzen, dass du es sagen darfst !
(Evelyn Beatrice Hall 1868; † nach 1939)
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Verratnix » 9. November 2022, 17:21

Ich hab' mich auch erinnert...auch wenn ich "Wessi" bin.

Es hat sich dann auch zum Glück so entwickelt wue es heute ist. 1990 fiel dann ja so einiges weg, die Einreise wurde einfacher, etc.
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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Edelknabe » 9. November 2022, 18:43

Habe gerade in den alten Taschenkalender von 1989 geschaut. Da steht nur " Lakufa plus Vorfertigung, Historisches Datum in der Geschichte der DDR, Karin zum Training, Hausflur gekehrt". Also ein ganz normaler Tag, übrigens ein Donnerstag. Diese Lakufa war eine Farbenbude im Leipziger Westen, die Vorfertigung ne Vorbereitung für diese Lakufa am kommenden Tag, unsere Tochter hatte wie jede Woche ihr Judo-Training und Abends kehrte ich da offiziell den Hausmeisterposten inne den Hausflur im Gründerzeithaus.

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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon pentium » 9. November 2022, 18:57

Edelknabe hat geschrieben:Habe gerade in den alten Taschenkalender von 1989 geschaut. Da steht nur " Lakufa plus Vorfertigung, Historisches Datum in der Geschichte der DDR, Karin zum Training, Hausflur gekehrt". Also ein ganz normaler Tag, übrigens ein Donnerstag. Diese Lakufa war eine Farbenbude im Leipziger Westen, die Vorfertigung ne Vorbereitung für diese Lakufa am kommenden Tag, unsere Tochter hatte wie jede Woche ihr Judo-Training und Abends kehrte ich da offiziell den Hausmeisterposten inne den Hausflur im Gründerzeithaus.

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Re: der 9. November 1989 in Berlin

Beitragvon Spartacus » 9. November 2022, 19:01

pentium hat geschrieben:
Edelknabe hat geschrieben:Habe gerade in den alten Taschenkalender von 1989 geschaut. Da steht nur " Lakufa plus Vorfertigung, Historisches Datum in der Geschichte der DDR, Karin zum Training, Hausflur gekehrt". Also ein ganz normaler Tag, übrigens ein Donnerstag. Diese Lakufa war eine Farbenbude im Leipziger Westen, die Vorfertigung ne Vorbereitung für diese Lakufa am kommenden Tag, unsere Tochter hatte wie jede Woche ihr Judo-Training und Abends kehrte ich da offiziell den Hausmeisterposten inne den Hausflur im Gründerzeithaus.

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Er hat sich hinter der Gardine gar nicht mehr vor getraut und auch den Fernseher nicht mehr eingeschalten. [flash]

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