Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

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Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

Beitragvon Interessierter » 29. Oktober 2020, 10:54

Volkspolizisten hatten einen Eid auf ihren Staat geschworen und sich u.a. verpflichtet, die sozialistische Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung auch unter Einsatz ihres Lebens zu schützen. Im Herbst 1989 trat der Ernstfall ein. Wie die Volkspolizisten mit dieser Situation umgingen, hat der Historiker Matthias Ohms hat in seinem Buch "Schlagstockeinsatz und Sicherheitspartnerschaft" am Beispiel Magdeburg untersucht.

Wie gingen die Polizisten vor?

In Magdeburg beispielsweise forderten am 5. Oktober 1989 Einsatzkräfte der Volkspolizei Demonstranten auf, ihren Zug aufzulösen. Die Menschen marschierten jedoch weiter. Die friedlich Demonstrierenden wurden daraufhin von Einheiten der Bereitschaftspolizei eingekesselt. Demonstranten, die als Rädelsführer ausgemacht wurden, die Plakate mit "staatsfeindlichen" Parolen trugen oder Schmähungen gerufen haben sollen, wurden festgenommen und auf die Reviere der Volkspolizei gebracht. Es wurden auch Menschen verhaftet, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren, die beispielsweise zufällig aus einem anliegenden Lokal oder Haus kamen.

Die Volkspolizisten gingen keineswegs zimperlich mit den Leuten um. Sie schlugen sie mit Gummiknüppeln und verfrachteten sie in LKW auf die Polizeireviere. Es gibt Berichte, dass die Zugeführten mitunter getreten und geschlagen wurden, dass sie stundenlang drangsaliert wurden. Pausenlos wurden ihnen dieselben Fragen gestellt, manche von ihnen mussten immer wieder ihren Lebenslauf schreiben. Dieser Umgang mit den friedlichen Demonstranten hat den Glauben der Bevölkerung an den Staat weiter zusammenbrechen lassen.

Und sicher auch die Sicht auf die Volkspolizei, oder?

Natürlich. Gerade nach den harten Einsätzen Anfang Oktober 1989 hat die Polizei deutlich an Akzeptanz in der Bevölkerung verloren. Einige Menschen zeigten das auch ganz deutlich: In Halberstadt wurden Volkspolizisten beispielsweise mit Messern attackiert und bespuckt. In einigen Geschäften bediente man Polizisten nicht mehr. Mitunter kam es in Betrieben zu Anfeindungen gegenüber den Ehepartnern von Volkspolizisten.

Wurde das Vorgehen der Volkspolizei öffentlich thematisiert?


Ja. Plötzlich berichteten Radio und Fernsehen über das Vorgehen der Polizei und die Reaktionen der Bevölkerung. Bislang waren derartige Dinge totgeschwiegen worden. Auf einmal hat man darüber geredet. Das so entstehende negative Bild der Polizei führte auch zu Verunsicherungen unter den Volkspolizisten. In der zweiten Oktoberhälfte wurde von der neuen DDR Führung der Umgang mit Bürgern und Demonstranten öffentlich als zu hart und überzogen erklärt. Der Großteil der Ordnungsstrafverfahren wurde eingestellt, stattdessen wurde gegen Polizisten ermittelt. Für viele Volkspolizisten und Bereitschaftspolizisten war nun nicht klar, wie man sich zukünftig zu verhalten hatte, wenn nun zu Beginn des Monats ausgegebene Befehle im Nachhinein als falsch gebrandmarkt wurden.

Wie wandelte sich die Rolle der Volkspolizisten in dieser Zeit?


Anfangs wurden die Demonstrationen niedergeknüppelt, später entwickelten sich sogenannte Sicherheitspartnerschaften. Am 16. Oktober setzten sich die Veranstalter aus den kirchlichen Kreisen, Vertreter der Stadt und die Polizei in Magdeburg zum ersten Mal zusammen und vereinbarten, dass die Stadt Straßenbahnen bereitstellt, damit die Menschen direkt nach den Friedensgebeten nach Hause fahren können. Am 23.10. wurde dann formal der erste Demonstrationszug bei der Polizei und der Stadt angemeldet und der Weg des Demonstrationszuges festgelegt. Darüber hinaus sollte die Demonstration durch eigene Ordner abgesichert werden, die ebenso sicherstellen sollten, dass keine Schmäh-Transparente gezeigt oder staatsfeindliche Parolen gerufen werden. Die Polizei hielt sich zunehmend im Hintergrund.

https://www.mdr.de/zeitreise/schwerpunk ... s-100.html

Zur Sicherheitspartnerschaft kam es aber auch, weil der Teil der VP, der keine Volkspolizisten sondern Parteipolizisten waren, erkannte dass die Macht der Partei und auch ihre dahinschwand. Die Angst machte ihnen dann überaus flexible Wendehälse.
Sie erkannten, dass sie der Masse des demonstrierenden Volkes nicht gewachsen waren.

Das Volk der DDR sorgte hauptsächliche für eine friedliche Revolution und nicht irgendwelche Organe dieser SED - Diktatur. Als deren Führung die Aussichtslosigkeit und den Irrsinn Gewalt anzuwenden erkannten, als Gorbi ihnen dann auch noch die Unterstützung versagte, da waren sie einfach machtlos.
Ohne Macht waren auch die SED - Diktatur - Schergen nur noch ein ängstlicher jämmerlicher Haufen, den diese stolzen und mutigen Bürger einfach davonjagen konnten. [bravo]
Interessierter
 

Re: Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

Beitragvon Interessierter » 17. Januar 2021, 10:35

Polizei - Ab nach Workuta

Die neuen Polizeiführer in den Ost-Ländern sind oft die alten: ehemalige Volkspolizisten, die dem SED-Regime bis zuletzt treu gedient haben.

Bis zur deutschen Einheit war Bernd Sladko, einst Oberst der Volkspolizei und nach der Wende Polizeidirektor in Thüringen, dazu ausersehen, den Sicherheitsapparat des Landes in die Demokratie zu führen. Doch Tage vor dem Zusammenschluß wurde der Chefpolizist von der eigenen Vergangenheit eingeholt.

Zum Verhängnis geriet dem altgedienten Vopo-Offizier ein Papier der Erfurter Bezirksverwaltung für Staatssicherheit. Aus dem Schriftstück "Dok-Nr. 001338" geht hervor, daß die Stasi den Genossen zur Hilfe bei der konspirativen "Zuführung" von "Personengruppen, die mit provokativ-demonstrativen Handlungen" auffielen, verpflichtet hatte. Der christdemokratische Landessprecher Josef Duchac, der diese Woche zum Ministerpräsidenten gewählt werden soll, verfügte Sladkos Abberufung.

Die Erfurter Enthüllungen sind symptomatisch für die Probleme beim Neuaufbau der Polizei im östlichen Berlin und in den fünf neuen Bundesländern. Keine Ost-Behörde war so mit der Stasi verschwistert wie die Volkspolizei mit ihren 120 000 Staatsdienern, die einen Eid auf die "sozialistische Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung" geschworen hatten. Sie waren, so der Ost-Berliner Polizeibeauftragte Ibrahim Böhme (SPD), "bis zur Agonie des Regimes dessen zuverlässige Stütze".

Deshalb dürften die Führungskräfte der ehemaligen Vopo vom Major an aufwärts, forderte vergangene Woche Hermann Lutz, Chef der mächtigen Gewerkschaft der Polizei (GdP), auf keinen Fall in den Polizeidienst übernommen werden.

Wie weit das einfache Polizei-Volk, das "mit aufrechter Haltung, festem Schuhwerk und klarer Marschroute" (so das SED-Blatt Die Volkspolizei) Protestler niederzuknüppeln hatte, aus aufrechten Demokraten besteht, ist nicht weniger zweifelhaft: 90 Prozent aller Vopos gehörten der SED an.

Gerhard Kilian, der Leitende Polizeidirektor der Berliner Direktion 5, sinniert, wie die Vereinigung der Polizeien abgelaufen wäre, wenn sich der reale Sozialismus in ganz Deutschland durchgesetzt hätte: "Für die Führungsleute hätte es geheißen: Ab nach Workuta!"

Weitere Fakten aus der Wendezeit findet man hier:
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13500792.html

Wer nun meint, dass damals so gut wie alle " Schwarzen Schafe " ausgemistet wurden, der irrt gewaltig. Ein Blick auf die Absonderung mancher ehemalige VP in Foren, macht deutlich wer sich von den Vopos dort auch heute noch tummelt.
Interessierter
 

Re: Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

Beitragvon Interessierter » 9. Februar 2021, 10:49

Nichts hören, nichts sagen, nichts sehen

1990 befand sich die Volkspolizei in einer "Identitätskrise". Die neue Lage und der Autoritätsverlust hatten sie zutiefst verunsichert. Ihre Aufgaben nahmen die einstigen "Büttel der SED" nur noch oberflächlich wahr. Eine Art rechtsfreier Raum entstand - der wilde Osten.

Berlin, Alexanderplatz, im Sommer 1990. Auf dem weitläufigen Areal im Zentrum der Hauptstadt der DDR breiteten Hehler und Schwarzhändler Tag für Tag ihre Waren aus – Teppiche, Unterhaltungselektronik, Jeans, Autoteile; Devisenschieber wechselten in aller Ruhe 350 Ostmark in 100 D-Mark um und Vietnamesen verkauften stangenweise unverzollte Zigaretten. Es herrschte stets ein buntes Treiben. Und obgleich ständig gegen mindestens ein halbes Dutzend DDR-Gesetze verstoßen wurde, fehlte von den einst allgegenwärtigen und gestrengen Volkspolizisten jede Spur.

Die Volkspolizisten schauten höflich weg

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – dies schien das Motto der Volkspolizei in dieser Zeit gewesen zu sein. Denn Schwarzmärkte wie auf dem Alexanderplatz hatten sich überall in der untergehenden DDR fest etabliert. Doch nicht nur an "Verstößen gegen das Devisengesetz", an Schwarzhandel und Hehlerei sahen die Ordnungshüter geflissentlich vorbei. Raser und Drängler hatten auf den ostdeutschen Straßen weitestgehend freie Fahrt und Neonazis konnten in aller Öffentlichkeit die Arme zum Hitlergruß ausstrecken, ohne juristische Konsequenzen fürchten zu müssen. Und als etwa in Berlin-Friedrichshain ein Schlägertrupp in Häuser einbrach und die Bewohner bedrohte, ließ "die alarmierte Polizei", wie die "Berliner Zeitung" empört berichtete, "tapfer die Telefone klingeln, während die berauschten Randalierer" auch noch "umliegende Häuser zerlegten". Das war Alltag überall in der Republik.

https://www.mdr.de/zeitreise/schwerpunk ... se100.html
Interessierter
 

Re: Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

Beitragvon Nostalgiker » 9. Februar 2021, 11:04

Der leitende Polizeidirektor Gerhard Kilian, der Berliner Direktion 5 (West) war 1990 mit sehr viel Unwissen geschlagen. Normalerweise hätte er wissen müssen das Workuta als Arbeitslager 1962 geschlossen wurde.
Aber so sind sie die fanatischen Antikommunisten, nichts wissen aber so tun als ob.

Na gut, der Typ selber wurde 1991 aus dem Dienst entfernt und das nicht von den Kommunisten sondern von seinen eigenen Leuten geschasst weil er illegal ein privates Waffendepot hatte.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

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Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

Beitragvon augenzeuge » 9. Februar 2021, 13:27

Nostalgiker hat geschrieben:Normalerweise hätte er wissen müssen das Workuta als Arbeitslager 1962 geschlossen wurde.


Wieso hätte er das wissen müssen?
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Re: Interview - Die Volkspolizei in den Wendemonaten 1989

Beitragvon Olaf Sch. » 9. Februar 2021, 14:55

Vielleicht handelte es sich nur um eine Metapher? Aber ich habe da was interessantes gesehen... wer hat Amazon Prime?

https://www.amazon.de/gp/video/detail/B ... 4_brws_3_3
Olaf Sch.
 


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