Offene Grenze 1989: Wohin bin ich gefahren (Ort/Gemeinde)? Warum?

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

Re: Offene Grenze 1989: Wohin bin ich gefahren (Ort/Gemeinde)? Warum?

Beitragvon zollo » 30. Dezember 2020, 13:14

Meine nächste Tour im Frühjahr ging dann richtig in den "wilden" Osten.
Nachdem ich mir also sicher war, dass es in der noch bestehenden DDR keine erneute Wende geben wird, habe ich mich aufgemacht, die Grenze richtig zu überqueren.
Gegenüber dem Grenzbereich den ich regelmäßig bestreift habe, lag der Ort Sommersdorf. Dort lag auch eine Grenzkompanie. Das war also mein erstes Ziel. Dort angekommen habe ich mich über den herunter gekommenen Zustand des Gebäudes gewundert. Wie kann man eine in den Augen der Machthaber so wichtige Einrichtung, eine Kaserne, so verkommen lassen.
Bei meinem Aufenthalt habe ich u. a. die Rückkehr eines Postens in die Kaserne gesehen. Auch dieser Mann machte einen ziemlich erbärmlichen, schlampigen Eindruck. Vielleicht nur ein Eindruck und zeitlich begrenzt, weil ich weiter wollte.
Des weiteren habe ich mir eine große Werkstatt im Grenzgebiet angeschaut. Ein Reparaturbetrieb des Braunkohlentagebaus Wulfersdorf (Ost). Ich hatte das Gefühl, ich befinde mich in der schwärzesten Hölle. Einige trübselige Lampen, welche die Halle erleuchten sollten, hingen von der Decke herab. Wie die Menschen dort arbeiten konnten ist mir ein Rätsel geblieben. Zu einem Gespräch kam es nicht, irgendwie war da kein Zugang möglich. Man versuchte mich nicht zu beachten.
Bei dem Gesamtzustand dieser Anlage gewann man den Eindruck, die Braunschweigischen Kohlebergwerke (BKB) denen dieses Gewerk bis Kriegsende unterstand, waren die letzten Investoren in dieser Werkstatt gewesen.
In meiner Lehrzeit bei einem großen LKW Hersteller, heute nicht mehr am Markt, habe ich auch einmal an so einem Arbeitsplatz, der Gesenkschmiede, vier Wochen verbringen müssen. Das war allerdings 1956/57.
Nun aber weiter nach Hötensleben. Diesen Ort konnte ich während meiner Ausbildung nur von
Westen teilweise einsehen. Den Ort habe ich zu Fuß durchstreift und konnte mich mit Anwohnern unterhalten. U. a. mit einem Kleinbauern, der sich nie in eine LPG pressen ließ und dadurch auch leiden musste. Er hat seinen Acker immer nur mit Pferden bearbeitet. Bei dieser Tätigkeit habe ich ihn auch angetroffen.
Weiter mit der Betreiberin der Minol-Tankstelle im Ort, die mir über ihre Sorgen wegen der bevorstehenden Veränderungen erzählte.
Auch eine Poststelle der Deutschen Post habe ich mir angesehen. Nun ja, über diesen Eindruck der Bedürftigkeit schweigt des Sängers Höflichkeit.
Mein Gesamteindruck, nach insgesamt mehreren Reisen in das Gebiet der DDR deckte sich keines falls mit dem Eindruck der Politik. Die später propagierten blühenden Landschaften sah ich damals nichts. Außer Verfall war da erst mal nichts. Das es nach dem Einsatz massiver Geldmittel anders gekommen ist war ein Glücksfall.

Damals hätten die Bürger/innen dieses Landes verzweifelt sein können. Waren sie aber nicht, sondern hoffnungsvoll. Warum sind heute so viele verzweifelt?
zollo
 

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