von OaZ » 4. September 2020, 08:00
Ohne Ortskenntnis zu haben, liefen wir los. Bereits nach wenigen Metern kamen wir an einem Obst- und Gemüseladen vorbei. Das Warenangebot erschien mir unfassbar. Die Präsentation der Früchte bzw. der Ware allgemein war ebenfalls ein Traum. Hier kaufte ich meine Lieblingsfrucht: Bananen. Es müssen wenigstens 5 oder 6 gewesen sein. Und der freundliche Händler gab uns noch 2 etwas angedrückte gratis mit. Genüsslich aß ich mindestens 4 sofort.
Kurze Zeit später kamen wir an einem EDEKA-Laden vorbei. Dort warb man mit einem Sonderangebot für Bananen. Dieses war ungefähr die Hälfte vom dem, was ich wenige Minuten vorher bei besagtem Händler bezahlt hatte. Hier ärgerte ich mich und dies war sozusagen mein allererstes "Lehrgeld" in Fragen Marktwirtschaft. Ich hätte sozusagen bei EDEKA die doppelte Menge Bananen bekommen.
War man in der DDR froh, überhaupt einen Artikel irgendwo zu bekommen, so musste man nun nicht mehr suchen, wohl aber Preise vergleichen. Das war völliges Neuland ... nicht nur für mich.
Ich hatte mir fest vorgenommen, nur wenig vom Begrüßungsgeld auszugeben und möglichst viel davon zu sparen. Ich weiß nicht, warum ich fast nichts ausgeben wollte (das Warenangebot "erschlug" einen ja sozusagen), aber sparsam war ich schon immer.
In der Fußgängerzone liefen wir an einem Fleischerladen vorbei. Mich beeindruckte neben dem opulenten Warenangebot auch die Einrichtung des Ladens. Noch heute gehe ich, wenn ich unterwegs bin, gern in Fleischerläden und schaue mich um. Ich stand nicht in der Schlange, wartete im hinteren Teil des Ladens beobachtete mein Umfeld und war einfach nur beeindruckt.
Unter anderem auch von der Freundlichkeit der Verkäuferinnen, denen man anmerkte, dass ihnen ihre Tätigkeit Freude bereitete.
So etwas kannte ich in und aus der DDR nicht. Verkäuferinnen waren kleine Göttinnen. Sie verwalteten etwas, was aufgrund der Mangelwirtschaft nicht jeder DDR-Bürger hatte bzw. haben konnte. Entsprechend führten sie sich auf. Die allseits bekannte "Bückware" - gut und unsichtbar von außen verpackt- ist allen noch bekannt.
Auch die folgende Situation hat sich nachhaltig in meinem Gedächtnis verankert: Ein Mann verlangte 6 Schweinelenden. Ich schaute in die Auslage. Dort lagen nur noch 2. Ich schmunzelte innerlich und wartete das Bedauern der Verkäuferin gegenüber dem Kunden ab. Aber es kam ganz anders. Sie nahm die Schale und verschwand nach hinten. Kurze Zeit später kam sie zurück: mit einer vollen Schale voller Schweinelenden!!! Es lagen mindestens 10 neue darin. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Ein Schwein hat doch nur 2 Lenden. Woher holt sie das nur? Wie kann das sein? Mir kam es wie Zauberei vor. Ich war baff.
Bevor jetzt "kluge" Hinweise kommen, dass es vielleicht gar keine richtigen gewesen wären und so ... alles Quatsch! Es waren echte Lenden vom Schwein.
Sozusagen mit eigenem Erleben führte mir der Kapitalismus gerade etwas vor, das mir heute noch ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert.
Ebenfalls beeindruckt war ich von der Sauberkeit Fuldas. Hier lag so gut wie nichts auf der Straße. Die Wege waren sauber, die Häuser und deren Fassaden sahen toll aus. Wenn man wie ich nur die verfallenen Häuser aus der DDR und keine Vergleiche, wie es denn auch aussehen könnte, kennt, ist man wohl besonders fasziniert von dem, was da auf einen einbricht.
Ich war ca. 15 Jahre später noch einmal in Fulda. Da war es für mich bereits eine ganz normale Stadt.
Es gab erinnerlich nichts mehr, was mich noch faszinierte ... das Aussehen der Städte, die Freundlichkeit in den Geschäften und das Warenangebot waren für mich inzwischen Normalität geworden.
In den frühen Nachmittagsstunden begaben wir uns zum Auto und wollten zu den Schwiegereltern zurück. Ich hatte tatsächlich nichts außer den Bananen und 2-3 Tafeln Schokolade vom Begrüßungsgeld gekauft. Auch meine Freundin war überaus sparsam. Im Gegensatz zu mir jedoch hatte ihre Familie Westverwandtschaft. Ihr Vater wuchs mit 6 Geschwistern auf, von denen 2 im Westen lebten und die sich regelmäßig in der DDR trafen. Verschiedene Produkte wie bspw. Kaffee, Jogurt und Schokolade gehörten bei ihnen zu ganz normalen Haushaltsartikeln aus der BRD.
Der Trabi sprang problemlos an und der Tag sollte noch eine weitere Überraschung bereit halten ...