Kapitalismus am Kasernentor

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Werner Thal » 26. Juni 2020, 08:59

DER SPIEGEL - 37/1990 - Demoralisierte Sowjetarmee in der DDR

Kapitalismus am Kasernentor

Der hochgewachsene Major, an den Schläfen schon ergraut, nimmt die Videokassette in die Hand,
studiert sie lange, fragt, wie viele Minuten der Film läuft, dann greift er zu einer anderen.
Schließlich entscheidet er sich für das Kunstwerk "Jung und offen untenherum", legt dafür einen
Zwanzigmarkschein aufs Brett und enteilt mit der Kassette, auf deren Cover ein nacktes
Mädchen die Schenkel spreizt, in Richtung Kaserne.

Der Offizier hat eben den Grundstein fürs Überleben in der Heimat gelegt: einen Zwanziger für
einen Pornofilm, der sich auf Leerkassetten überspielen und pro Kopie für gut das Zehnfache
zu Hause verkaufen läßt. Zudem können damit private Kino-Abende organisiert werden,
Eintritt für die heiße Schau mindestens zehn Rubel pro Kopf - alles in allem eine zukunftsträchtige
Investition.

Der Soldat am Stand gegenüber wappnet sich simpler für eine mögliche Karriere in der Heimat,
die ihm, wie er weiß, weder Arbeit noch Bleibe zu bieten haben wird: Sorgfältig prüft er die auf
dem Tisch ausgelegten Springmesser, läßt fachmännisch die Klinge herausschnellen und kauft
schließlich das teuerste - es hat die längste Klinge und ist mithin sicher am wirksamsten, wenn
man schon mal zustechen muß.

Beiderseits der Bahnstation von Wünsdorf in der Mark südlich von Berlin, wo Militärzüge nach Moskau
und Kiew halten, verramschen in diesen Tagen Angehörige von ehemaligen Beutevölkern der
Sowjetunion, als diese noch ein Imperium war, Schund an die Noch-Besatzer der DDR. Qualifiziert
sind die polnischen, vietnamesischen, georgischen Händler vor allem durch ihre ihnen einst
aufgezwungene Kenntnis des Russischen sowie das Wissen um die Wünsche des vormaligen Herren-
Volkes: Auf Brettern und Kisten stapeln sich Billig-Schokolade, Shampoo, französischer Landwein in
Papptüten, "Kellergeister"-Flaschen, Puschkin-Wodka, Marlboro-Zigaretten unter Ladenpreis
(drei Mark pro Schachtel, obgleich mit Banderole)

Daneben aber auch die als Symbol westlicher Lebensart nach wie vor heiß begehrten "Dschinsy"
(Jeans), überteuerte Lederjacken, orientalischer Machart, Dosenbier, Batterien, Autowerkzeug
und etwas, was die Amerikaner Getto-Blaster nennen: Kassettenrecorder mit zwei dröhnenden
Lautsprechern.

Auf dem rußverschmierten Platz zwischen dem rußverschmierten Bahnhof, den verrottenden
Häusern ringsum und den schiefen Kasernenmauern des Hauptquartiers der "Westgruppe der
Streitkräfte" (früher: "Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland") rüstet sich in diesen
Wochen die Sowjetarmee selbst ab - geistig, moralisch, tatsächlich. Dort ist Tag für Tag
buchstäblich zu beobachten, wie eine einst glorreiche Truppe, so scheint es, insgesamt mit
Deutscher Mark gekauft wurde und nun zerbröckelt.



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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Werner Thal » 26. Juni 2020, 09:43

....und hier ist der Link dazu:

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery ... f/13501167

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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon augenzeuge » 26. Juni 2020, 12:42

Qualifiziert sind die polnischen, vietnamesischen, georgischen Händler vor allem durch ihre ihnen einst
aufgezwungene Kenntnis des Russischen sowie das Wissen um die Wünsche des vormaligen Herren-
Volkes:
Auf Brettern und Kisten stapeln sich Billig-Schokolade, Shampoo, französischer Landwein in
Papptüten, "Kellergeister"-Flaschen, Puschkin-Wodka, Marlboro-Zigaretten


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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Edelknabe » 26. Juni 2020, 16:49

Aus dem Link im Eingangstext:

"Dort ist Tag für Tag
buchstäblich zu beobachten, wie eine einst glorreiche Truppe, so scheint es, insgesamt mit
Deutscher Mark gekauft wurde und nun zerbröckelt. "Textauszug ende

Schrieb ich doch schon öfter, dieser Gorbatschow und seine Sowjetarmee wurden damals gekauft, mit harter D-Mark, waren das nicht Milliarden, um weiterhin still zu halten?

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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon pentium » 26. Juni 2020, 16:56

Edelknabe hat geschrieben:Aus dem Link im Eingangstext:

"Dort ist Tag für Tag
buchstäblich zu beobachten, wie eine einst glorreiche Truppe, so scheint es, insgesamt mit
Deutscher Mark gekauft wurde und nun zerbröckelt. "Textauszug ende

Schrieb ich doch schon öfter, dieser Gorbatschow und seine Sowjetarmee wurden damals gekauft, mit harter D-Mark, waren das nicht Milliarden, um weiterhin still zu halten?

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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Volker Zottmann » 26. Juni 2020, 17:03

Gorbatschow war lediglich froh, die immensen Kosten die eine Kultivierung der Kasernen gekostet hätte, nie stemmen brauchte. Nicht mal die Reparationsleistungen der DDR vermochten, die noch maroderen Liegenschaften der Russen zu erhalten.
Beim unabwendbaren Abzug noch mehrere Milliarden DM hinterhergeworfen zu bekommen, hat einigen Amtsträgern jedenfalls gefallen. Der einfache Landser hatte nur Befehl und folglich gar nichts davon.
Reich und zu Wohlstand sind nur einige Militärs und Politiker geworden.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon pentium » 26. Juni 2020, 17:10

Edelknabe hat geschrieben:Aus dem Link im Eingangstext:

"Dort ist Tag für Tag
buchstäblich zu beobachten, wie eine einst glorreiche Truppe, so scheint es, insgesamt mit
Deutscher Mark gekauft wurde und nun zerbröckelt. "Textauszug ende

Schrieb ich doch schon öfter, dieser Gorbatschow und seine Sowjetarmee wurden damals gekauft, mit harter D-Mark, waren das nicht Milliarden, um weiterhin still zu halten?

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Am 25. Dezember 1991 trat Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion zurück. 1994 verließen die letzten sowjetischen Soldaten Berlin und Brandenburg.
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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon augenzeuge » 26. Juni 2020, 18:12

pentium hat geschrieben:
Edelknabe hat geschrieben:Aus dem Link im Eingangstext:

"Dort ist Tag für Tag
buchstäblich zu beobachten, wie eine einst glorreiche Truppe, so scheint es, insgesamt mit
Deutscher Mark gekauft wurde und nun zerbröckelt. "Textauszug ende

Schrieb ich doch schon öfter, dieser Gorbatschow und seine Sowjetarmee wurden damals gekauft, mit harter D-Mark, waren das nicht Milliarden, um weiterhin still zu halten?

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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon pentium » 26. Juni 2020, 18:23

augenzeuge hat geschrieben:
pentium hat geschrieben:
Edelknabe hat geschrieben:Aus dem Link im Eingangstext:

"Dort ist Tag für Tag
buchstäblich zu beobachten, wie eine einst glorreiche Truppe, so scheint es, insgesamt mit
Deutscher Mark gekauft wurde und nun zerbröckelt. "Textauszug ende

Schrieb ich doch schon öfter, dieser Gorbatschow und seine Sowjetarmee wurden damals gekauft, mit harter D-Mark, waren das nicht Milliarden, um weiterhin still zu halten?

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Sagen wir mal so, die vietnamesischen Händler die ich kenne sprechen kein russisch....
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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Edelknabe » 26. Juni 2020, 18:27

Zumal der Pole schon aus Nationalstolz heraus russisch verabscheute. Umgekehrt wohl genau so.

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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Kumpel » 27. Juni 2020, 07:21

Hat wohl mehr mit geschichtlichen Erfahrungen zu tun , als mit deinem Nationalstolz.

Ich geb dir mal was zum lesen. https://www.dialogmagazin.eu/leseprobe- ... rauen.html
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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Edelknabe » 27. Juni 2020, 16:10

Der war köstlich Kumpel, der aus dem letzten Teil von deinem Link:

"Zweifellos gibt es Ähnlichkeiten zwischen Polen und Russen, die in ihrer charakteristischen Gemütsart zum Ausdruck kommen, in ihrer Mitteilsamkeit und Neigung zum Trinken, ihrer Melancholie und Rührseligkeit, und die sich deutlich von der kühlen und zurückhaltenden Gefühlswelt der Deutschen, Skandinavier oder Holländer unterscheiden. Aber es handelte sich dabei nur um eine äußerliche, keineswegs eine innere Ähnlichkeit von Gemütsart und Emotionalität. Hier kommen in ähnlichen Formen ganz verschiedene Erfahrungen und Gefühle zum Ausdruck.

Einstmals gab es einen Umstand, der Polen und Russen einander ähnlich machte und näherbrachte - die gemeinsame Vorliebe für den Wodka. In den vergangenen zwanzig Jahren haben die Polen diese Vorliebe jedoch abgelegt und sich in ein Volk der Biertrinker verwandelt. Das geschah allerdings weniger unter deutschem Einfluss als vielmehr unter tschechischem, vor allem jedoch dank eines guten Angebots und geschickter Vermarktung durch die polnischen Brauereien, die zu den modernsten und dynamischsten in ganz Europa zählen." Textauszug ende

Rainer Maria

PS: Und das hast du alles gewusst, das aus dem Link? Mann Kumpel, du scheinst mir doch ein recht gebildeter ExBergmann zu sein.
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Re: Kapitalismus am Kasernentor

Beitragvon Kumpel » 27. Juni 2020, 16:37

Für was hältst du mich denn Edelknabe?
Ich war in DDR Zeiten oft in Polen und kenne die Trinkgewohnheiten.
Bei meinem ersten kleinen Umtrunk mit Polen gab es am Anfang Bier und ich dachte schon super, da kann ich mithalten.
Das war aber nur zum ersten Durst löschen. Nach drei vier Bierchen gab es nur noch Wodka.
Das Problem war , die hatten relativ wenig zu essen dazu, anders als bei den Russen und ich war ziemlich zeitig fertig mit der Welt.
Ach ja , schöne Erinnerungen kommen da auf.
Besonders die Bożena...... Scheiße ist das lange her.
Manches hätte man doch festhalten sollen.
Kumpel
 


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