Als die Stasi die Wende verhindern wollte
Verfasst: 1. August 2018, 10:39
Es sollte ein Signal in die gesamte Republik gesendet werden, ein Signal der Stärke. In Schwerin wollte die SED das Ruder noch einmal herumreißen, sich an die Spitze der Bewegung setzen. Stasi-Chef Erich Mielke persönlich zog im Hintergrund die Strippen. Als das Neue Forum am 23. Oktober 1989 zur ersten Montagsdemonstration auf dem Alten Garten in Schwerin aufrief, organisierte die Staatsmacht eine Gegenkundgebung. Aus allen Teilen des Bezirkes wurden Gefolgsleute des Regimes herangefahren. Doch der Versuch, die friedliche Revolution aufzuhalten, scheiterte kläglich.
Am 21. Oktober, zwei Tage vor den beiden Demos, hatte sich Minister Mielke noch zuversichtlich gezeigt, kämpferisch. „Zentral abgestimmt“ werde in Schwerin „eine Großkundgebung durchgeführt“, verkündete Mielke vor Stasi- und Parteigranden in Berlin. „Wir werden (… ) sorgfältig auszuwerten haben, wie das verlief, was damit erreicht wurde. Das müssen wir dann im weiteren Vorgehen mit berücksichtigen“, heißt es in dem Redemanuskript des Ministers, das unserer Zeitung vorliegt.
Praktisch über Nacht wurden die Einladungszettel für die geplante SED-Kundgebung an die Hauswände geklebt. „Wir wollen einen Dialog im besten Sinne, der uns zusammenführt und nicht trennt“, stand darauf. Aber es war eine Kundgebung im alten Stil, mit der die Genossen bei der Bevölkerung punkten wollten. „Für Ratschläge, die darauf zielen, den Sozialismus zu beseitigen, haben wir keine Zeit und kein Ohr“, sagte Bezirksparteichef Heinz Ziegner auf dem Alten Garten. Keine Zeit und kein Ohr hatte auch die Mehrheit der Demonstranten – für die abgedroschenen Parolen der Partei.
„Noch während die Veranstaltung lief, kehrten die eigenen Leute der SED den Rücken“, erzählt Anne Drescher. Die heutige Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen gehörte damals zu den Bürgern, die dem Aufruf des Neuen Forum zur Montagsdemo in Schwerin gefolgt waren. Dass das Regime seinen Kredit verspielt hatte, war schon in den Stunden vor der staatlich organisierten Kundgebung deutlich geworden. So berichtete der Lagefilm der Staatssicherheit über eine Kampfgruppen-Hundertschaft, in der Mitglieder bei der Einweisung kritische Fragen gestellt hätten. „6 Kämpfer lehnten (den) Einsatz ab“, hieß es.
Hinter dem Transparent des Neuen Forum zogen schließlich rund 40 000 Menschen durch die Stadt, traten für eine politische Erneuerung der DDR ein – mit Kerzen in der Hand und dem Ruf „Keine Gewalt!“ auf den Lippen. Viele Demonstranten hatten zuvor an einem Friedensgebet im Dom teilgenommen. „Am 23. Oktober 1989 hat sich das Volk die Straße erobert“, sagte Uta Loheit, eine der Repräsentantinnen des Neuen Forums in Schwerin, in einem SVZ-Interview im Jahr 2009.
Die Staatsmacht freilich versuchte, ihr Fiasko noch als einen Erfolg zu verkaufen. In den DDR-Fernsehnachrichten wurden Ausschnitte der Rede Heinz Ziegners gezeigt, Klatschen war zu hören. „Die Buh-Rufe und Pfiffe wurden herausgeschnitten“, erinnert sich Anne Drescher. Außerdem sei der Eindruck einer gemeinsamen Kundgebung mit dem Neuen Forum erweckt worden, was die bekannte Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley zu Nachfragen bei den Freunden in Schwerin veranlasst habe. In der SVZ fand der Protestzug damals zumindest Erwähnung.
https://www.svz.de/regionales/mecklenbu ... 34646.html