DDR - Seilschaften
Verfasst: 14. Februar 2018, 13:16
Der nachstehende Artikel aus dem Jahr 2001 deckt anschaulich das Agieren der DDR - Seilschaften auf:
Schnäppchen für die alten Kader
In Strausberg bei Berlin verramschten DDR-Seilschaften nach der Wende Immobilien ohne Rücksicht auf Gesetze.
Am Ende fühlte sich Volker Mackeprang wie im Krimi. Eines Montagmorgens, als er die Tür zu seinem Dienstzimmer im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen im brandenburgischen Strausberg öffnete, war sein Schreibtisch durchwühlt und der Computer weg. Sogar den Papierkorb hatte jemand penibel inspiziert.
Da hatte der Aufbauhelfer aus dem Westen genug von den Schikanen. Genervt verließ der Kieler Jurist Ende 1994 nach dreieinhalb Jahren die Stadt, die einst Sitz des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR war.
Peter Bluttner hielt es sogar nur ein Dreivierteljahr in der Kleinstadt östlich von Berlin. "Die wollten uns nicht", erinnert sich der Berliner Anwalt.
Dabei hatten die Westjuristen nur getan, wofür sie angeworben worden waren - Anträge zur Vermögensrückgabe an enteignete Alteigentümer nach Recht und Gesetz zu bearbeiten. Das war in Strausberg offenbar unerwünscht.
Vergebens begehrte Mackeprang gegen "dreiste Rechtsverstöße" auf. Bluttner erinnert sich an das schockierte Gesicht einer Kollegin im Amt, als sie den ersten von ihm erarbeiteten Rückgabe-Bescheid sah. "In unserem Kollektiv wurde schon seit einem Jahr nichts mehr rückübertragen", entfuhr es der Dame spitz. Bluttners schöner Entwurf wanderte in den Papierkorb.
Die Strausberger Stadtväter und ihre Kommunalbeamten ließen sich von den Wessis doch nicht ihre freihändige Anwendung des Gesetzes vermiesen. Als wäre die DDR nie untergegangen, schoben alte Kader sich gegenseitig - und ausgewählten Berliner Spekulanten - Grundstücke und Immobilien zu. Wenn ein Alteigentümer Anspruch auf Rückgabe anmeldete, verramschte die Stadt die Immobilie rasch zum Spottpreis. Es gebe da einen Investor, der Arbeitsplätze sichere, und der habe nach dem Gesetz Vorrang, lautete die stets wiederkehrende Begründung.
IM "Rudolf" alias Joachim Möller, zu DDR-Zeiten Leiter der damaligen Bäuerlichen Handelsgenossenschaft (BHG) in Strausberg, erwarb 1991 als Firmengeschäftsführer von der Stadt ein Haus in bester Innenstadtlage für 103 454 Mark, um es acht Monate später für 1,4 Millionen Mark weiterzuveräußern.
Wolfgang Winkelmann, bis Ende 1991 als Vize-Bürgermeister von Strausberg für die Ramschverkäufe verantwortlich, war 30 Jahre als IM "Bernd" fleißiger Zuträger der Stasi. Heute sitzt er für eine unabhängige Wählergemeinschaft im Strausberger Stadtparlament. Sein Sohn Heiko konnte sich 1999 für ganze 16 000 Mark eine Immobilie in der Strausberger Innenstadt sichern.
Die alten Kameraden blieben im Wilden Osten ein Jahrzehnt lang unbehelligt. Obwohl die Machenschaften im Potsdamer Innenministerium, zuständig für die Kommunalaufsicht, seit langem bekannt sind, schritt in Strausberg niemand ein. Man habe zu viel anderes zu tun, so die Begründung.
Auch die Potsdamer Staatsanwaltschaft fand 1997 eine Ausflucht, um die Ermittlungen einzustellen: Der Grundstücksverkauf an IM "Rudolf" sei juristisch so kompliziert, dass vorsätzliches Verhalten nicht nachzuweisen sei.
Geklagt haben die beiden 82-jährigen Erbinnen des ehemaligen Strausberger Kaufmanns Louis London. Der besaß bis zu seiner Flucht vor den Nazis ein Kaufhaus in der Innenstadt.
Im November 1990 beantragten die Alteigentümerinnen beim zuständigen Strausberger Amt die Rückgabe ihres Familienbesitzes. Dennoch verkaufte die Stadt, vertreten durch Winkelmann, das Haus am 25. April 1991 für 396 000 Mark an eine Berliner Immobilienfirma.
Obwohl im Gesetz vorgeschrieben, erfuhren die beiden Antragstellerinnen nicht einmal, dass es einen angeblichen Investor gab. Zwar wurden ihnen später die 396 000 Mark aus dem Verkauf überwiesen. Aber das war nur ein Bruchteil des wahren Werts. 1993 verkaufte die Berliner Firma das Haus in der Großen Straße 10 für 1,375 Millionen Mark weiter.
Falls das Gericht die Stadt Strausberg dazu verurteilt, den Klägerinnen die Preisdifferenz ganz oder teilweise zu zahlen, könnten die Machenschaften der alten DDR-Garde für die Kommune teuer werden. Der Stuttgarter Anwalt der London-Erbinnen, Christoph Partsch, vertritt noch vier weitere Kläger.
Der frühere Vize-Bürgermeister Friedhelm Zapf schätzt, dass mehrere hundert Millionen Mark an Grundstückswerten verschleudert wurden. Insgesamt 153 Fälle von nicht ordnungsgemäß zurückgegebenem Alteigentum hat Zapf aufgelistet. Er musste 1995 als Vize-Bürgermeister gehen, weil er die dubiosen Geschäfte nicht hinnehmen wollte.
Doch wie wenig in Strausberg in Wahrheit dem Zufall überlassen blieb, zeigt die Besetzung des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen. Dort wirken Karl-Heinz Montua und Wolfgang Böhlau. Beide Herren kennen sich mit Eigentumsfragen bestens aus. Zu DDR-Zeiten gehörten sie zur "Arbeitsgruppe Vermögen" des Kreises Strausberg, die nach einem Beschluss des SED-Politbüros von 1976 die geräuschlose Enteignung von Westbesitz in der DDR auf Kreisebene besorgte.
"Bei uns", sagt Zapf, "ist der DDR-Apparat unter den Mantel des Rechtsstaats geschlüpft."
Den vollständigen Bericht findet man hier:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19285797.html
Wenn man bedenkt, dass sich die geschilderten Verfahrensweisen nur auf den Raum Stausberg bezogen, ist das hochgerechnet auf die gesamte DDR schon erschreckend.
Interessant auch, dass den DDR - Verklärern wohl wieder einmal nicht mehr als das themenfremde " Herr Lehrer Argument " mit Hinweis auf die Treuhand einfallen wird.
Schnäppchen für die alten Kader
In Strausberg bei Berlin verramschten DDR-Seilschaften nach der Wende Immobilien ohne Rücksicht auf Gesetze.
Am Ende fühlte sich Volker Mackeprang wie im Krimi. Eines Montagmorgens, als er die Tür zu seinem Dienstzimmer im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen im brandenburgischen Strausberg öffnete, war sein Schreibtisch durchwühlt und der Computer weg. Sogar den Papierkorb hatte jemand penibel inspiziert.
Da hatte der Aufbauhelfer aus dem Westen genug von den Schikanen. Genervt verließ der Kieler Jurist Ende 1994 nach dreieinhalb Jahren die Stadt, die einst Sitz des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR war.
Peter Bluttner hielt es sogar nur ein Dreivierteljahr in der Kleinstadt östlich von Berlin. "Die wollten uns nicht", erinnert sich der Berliner Anwalt.
Dabei hatten die Westjuristen nur getan, wofür sie angeworben worden waren - Anträge zur Vermögensrückgabe an enteignete Alteigentümer nach Recht und Gesetz zu bearbeiten. Das war in Strausberg offenbar unerwünscht.
Vergebens begehrte Mackeprang gegen "dreiste Rechtsverstöße" auf. Bluttner erinnert sich an das schockierte Gesicht einer Kollegin im Amt, als sie den ersten von ihm erarbeiteten Rückgabe-Bescheid sah. "In unserem Kollektiv wurde schon seit einem Jahr nichts mehr rückübertragen", entfuhr es der Dame spitz. Bluttners schöner Entwurf wanderte in den Papierkorb.
Die Strausberger Stadtväter und ihre Kommunalbeamten ließen sich von den Wessis doch nicht ihre freihändige Anwendung des Gesetzes vermiesen. Als wäre die DDR nie untergegangen, schoben alte Kader sich gegenseitig - und ausgewählten Berliner Spekulanten - Grundstücke und Immobilien zu. Wenn ein Alteigentümer Anspruch auf Rückgabe anmeldete, verramschte die Stadt die Immobilie rasch zum Spottpreis. Es gebe da einen Investor, der Arbeitsplätze sichere, und der habe nach dem Gesetz Vorrang, lautete die stets wiederkehrende Begründung.
IM "Rudolf" alias Joachim Möller, zu DDR-Zeiten Leiter der damaligen Bäuerlichen Handelsgenossenschaft (BHG) in Strausberg, erwarb 1991 als Firmengeschäftsführer von der Stadt ein Haus in bester Innenstadtlage für 103 454 Mark, um es acht Monate später für 1,4 Millionen Mark weiterzuveräußern.
Wolfgang Winkelmann, bis Ende 1991 als Vize-Bürgermeister von Strausberg für die Ramschverkäufe verantwortlich, war 30 Jahre als IM "Bernd" fleißiger Zuträger der Stasi. Heute sitzt er für eine unabhängige Wählergemeinschaft im Strausberger Stadtparlament. Sein Sohn Heiko konnte sich 1999 für ganze 16 000 Mark eine Immobilie in der Strausberger Innenstadt sichern.
Die alten Kameraden blieben im Wilden Osten ein Jahrzehnt lang unbehelligt. Obwohl die Machenschaften im Potsdamer Innenministerium, zuständig für die Kommunalaufsicht, seit langem bekannt sind, schritt in Strausberg niemand ein. Man habe zu viel anderes zu tun, so die Begründung.
Auch die Potsdamer Staatsanwaltschaft fand 1997 eine Ausflucht, um die Ermittlungen einzustellen: Der Grundstücksverkauf an IM "Rudolf" sei juristisch so kompliziert, dass vorsätzliches Verhalten nicht nachzuweisen sei.
Geklagt haben die beiden 82-jährigen Erbinnen des ehemaligen Strausberger Kaufmanns Louis London. Der besaß bis zu seiner Flucht vor den Nazis ein Kaufhaus in der Innenstadt.
Im November 1990 beantragten die Alteigentümerinnen beim zuständigen Strausberger Amt die Rückgabe ihres Familienbesitzes. Dennoch verkaufte die Stadt, vertreten durch Winkelmann, das Haus am 25. April 1991 für 396 000 Mark an eine Berliner Immobilienfirma.
Obwohl im Gesetz vorgeschrieben, erfuhren die beiden Antragstellerinnen nicht einmal, dass es einen angeblichen Investor gab. Zwar wurden ihnen später die 396 000 Mark aus dem Verkauf überwiesen. Aber das war nur ein Bruchteil des wahren Werts. 1993 verkaufte die Berliner Firma das Haus in der Großen Straße 10 für 1,375 Millionen Mark weiter.
Falls das Gericht die Stadt Strausberg dazu verurteilt, den Klägerinnen die Preisdifferenz ganz oder teilweise zu zahlen, könnten die Machenschaften der alten DDR-Garde für die Kommune teuer werden. Der Stuttgarter Anwalt der London-Erbinnen, Christoph Partsch, vertritt noch vier weitere Kläger.
Der frühere Vize-Bürgermeister Friedhelm Zapf schätzt, dass mehrere hundert Millionen Mark an Grundstückswerten verschleudert wurden. Insgesamt 153 Fälle von nicht ordnungsgemäß zurückgegebenem Alteigentum hat Zapf aufgelistet. Er musste 1995 als Vize-Bürgermeister gehen, weil er die dubiosen Geschäfte nicht hinnehmen wollte.
Doch wie wenig in Strausberg in Wahrheit dem Zufall überlassen blieb, zeigt die Besetzung des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen. Dort wirken Karl-Heinz Montua und Wolfgang Böhlau. Beide Herren kennen sich mit Eigentumsfragen bestens aus. Zu DDR-Zeiten gehörten sie zur "Arbeitsgruppe Vermögen" des Kreises Strausberg, die nach einem Beschluss des SED-Politbüros von 1976 die geräuschlose Enteignung von Westbesitz in der DDR auf Kreisebene besorgte.
"Bei uns", sagt Zapf, "ist der DDR-Apparat unter den Mantel des Rechtsstaats geschlüpft."
Den vollständigen Bericht findet man hier:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-19285797.html
Wenn man bedenkt, dass sich die geschilderten Verfahrensweisen nur auf den Raum Stausberg bezogen, ist das hochgerechnet auf die gesamte DDR schon erschreckend.
Interessant auch, dass den DDR - Verklärern wohl wieder einmal nicht mehr als das themenfremde " Herr Lehrer Argument " mit Hinweis auf die Treuhand einfallen wird.