Als in der DDR die Angst verschwand
Verfasst: 3. März 2017, 14:50
Schon lange vor dem Mauerfall war die Veränderung in Ost-Berlin zu spüren. Eine Erinnerung an die Zeit, als Honeckers Regime der Bevölkerung nicht mehr mit russischen Panzern drohen konnte.
Nachher ist man immer klüger. Auch wir haben manchmal das Gefühl, irgendwie hätten wir den Mauerfall kommen sehen oder zumindest so ein bisschen geahnt. Gedächtnis ist ein Zustand, der sich immer neu selbst erfindet. Und dadurch das eigene Leben und die Weltgeschichte folgerichtig erscheinen lässt.
Aber – immerhin das dürfen wir uns zugestehen – dass es in DDR heftig rumort, wurde uns 1987 klar. Wer damals mit offenen Augen durch das Land reiste, konnte die Zeichen kaum übersehen. Seit zwei Jahren regierte Gorbatschow als Parteichef in Moskau. Das kommunistische Mutterland war plötzlich freier als die DDR.
Honeckers Regime konnte der Bevölkerung nicht mehr mit russischen Panzern drohen. Das spürten die Menschen, und die Gespräche in Kneipen und Cafés waren dementsprechend offen und frei. So frei, dass wir Westler uns umdrehten, um zu überprüfen, ob niemand zuhört. Von früheren DDR-Besuchen war man ja gewohnt, dass, wenn überhaupt, nur im engsten Freundeskreis hinter verschlossenen Türen über Politik geredet werden durfte. Und plötzlich war alles ganz anders. Die Menschen diskutierten, sie machten freche Witze vor aller Ohren. Die Angst war verschwunden.
Westler mussten vor 24 Uhr Ost-Berlin verlassen
Wir hatten natürlich keine Ahnung, dass wir den Anfang vom Ende der DDR erlebten. Unsere kühnste Hoffnung war ein etwas freierer Sozialismus nach Art des Prager Frühlings 1968. Und selbst dies schien uns noch in weiter Ferne zu liegen. Alle sahen das damals so. Nicht ganz alle – wie ein Besuch mit einer Gruppe von interessierten Grünen bei Ost-Berliner Bürgerrechtlern zeigte.
Während Stasi-Leute ums Haus schlichen, saß ein Grüppchen Oppositionelle in Bärbel Bohleys Wohnzimmer und erklärte den Gästen mit glänzenden Augen und voller Zuversicht, dass die Verhältnisse schon demnächst Kopf stehen würden.
Damals musste man als Westler mit Tagesvisum vor 24 Uhr Ost-Berlin verlassen haben. So stand die kleine Besuchergruppe des Nachts an einer Straßenbahnhaltestelle. Man war wieder unter sich, Bohley und die anderen hatten sich verabschiedet. Schnell herrschte Einigkeit: Diese DDR-Oppositionellen sind ja ganz wundervolle, mutige Menschen, aber so naiv, so voller Illusionen. Nicht ganz zwei Jahre später lehrte uns die Geschichte, wer die Realisten waren.
https://www.welt.de/debatte/kolumnen/Ma ... hwand.html
Nachher ist man immer klüger. Auch wir haben manchmal das Gefühl, irgendwie hätten wir den Mauerfall kommen sehen oder zumindest so ein bisschen geahnt. Gedächtnis ist ein Zustand, der sich immer neu selbst erfindet. Und dadurch das eigene Leben und die Weltgeschichte folgerichtig erscheinen lässt.
Aber – immerhin das dürfen wir uns zugestehen – dass es in DDR heftig rumort, wurde uns 1987 klar. Wer damals mit offenen Augen durch das Land reiste, konnte die Zeichen kaum übersehen. Seit zwei Jahren regierte Gorbatschow als Parteichef in Moskau. Das kommunistische Mutterland war plötzlich freier als die DDR.
Honeckers Regime konnte der Bevölkerung nicht mehr mit russischen Panzern drohen. Das spürten die Menschen, und die Gespräche in Kneipen und Cafés waren dementsprechend offen und frei. So frei, dass wir Westler uns umdrehten, um zu überprüfen, ob niemand zuhört. Von früheren DDR-Besuchen war man ja gewohnt, dass, wenn überhaupt, nur im engsten Freundeskreis hinter verschlossenen Türen über Politik geredet werden durfte. Und plötzlich war alles ganz anders. Die Menschen diskutierten, sie machten freche Witze vor aller Ohren. Die Angst war verschwunden.
Westler mussten vor 24 Uhr Ost-Berlin verlassen
Wir hatten natürlich keine Ahnung, dass wir den Anfang vom Ende der DDR erlebten. Unsere kühnste Hoffnung war ein etwas freierer Sozialismus nach Art des Prager Frühlings 1968. Und selbst dies schien uns noch in weiter Ferne zu liegen. Alle sahen das damals so. Nicht ganz alle – wie ein Besuch mit einer Gruppe von interessierten Grünen bei Ost-Berliner Bürgerrechtlern zeigte.
Während Stasi-Leute ums Haus schlichen, saß ein Grüppchen Oppositionelle in Bärbel Bohleys Wohnzimmer und erklärte den Gästen mit glänzenden Augen und voller Zuversicht, dass die Verhältnisse schon demnächst Kopf stehen würden.
Damals musste man als Westler mit Tagesvisum vor 24 Uhr Ost-Berlin verlassen haben. So stand die kleine Besuchergruppe des Nachts an einer Straßenbahnhaltestelle. Man war wieder unter sich, Bohley und die anderen hatten sich verabschiedet. Schnell herrschte Einigkeit: Diese DDR-Oppositionellen sind ja ganz wundervolle, mutige Menschen, aber so naiv, so voller Illusionen. Nicht ganz zwei Jahre später lehrte uns die Geschichte, wer die Realisten waren.
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