Das Ende der DDR begann in der Provinz
Verfasst: 17. Februar 2017, 11:08
Die Herbstrevolution in der DDR bereitete sich im Sommer 1989 vor. Die Unruhe in der Bevölkerung wuchs, die Zahl der Menschen, die nicht ausreisen durften, stieg immer weiter an. Ab September bildeten sich die ersten oppositionellen Gruppen. Die diktatorisch herrschende kommunistische Partei, die SED, wurde unsicher und begann zunehmend die politische Initiative zu verlieren, was die pompösen Feierlichkeiten zum 40.Jahrestag der DDR am 7.Oktober nur unzulänglich verdeckten, widersprachen sie doch krass der gesellschaftlichen und politischen Realität.
Es ist daher kein Zufall, dass gerade in diesen Tagen die ersten großen Demonstrationen einsetzten, vor denen die Staatsmacht zurückweichen musste: Am 7.Oktober in Plauen, am 8.Oktober in Dresden und am 9.Oktober in Leipzig, wo plötzlich 70000 Demonstranten auf die Straße gingen. Von da an gab es kein Halten mehr.
Die Menschen gingen aber nicht nur in den großen Städten auf die Straße. Wie flächendeckend die Revolution das Land erfasst hatte, wird deutlich, wenn man sich die Zahl der Orte vergegenwärtigt, in denen noch vor dem Mauerfall demonstriert wurde. Mehr als 325 waren es insgesamt, von der Ostsee bis in die Sächsische Schweiz.
Die Proteste an all diesen Orten hatten einiges gemeinsam: Überwindung der Angst, ein Gefühl unendlicher innerer Befreiung, Gegnerschaft zu SED und MfS, die Forderung nach Demokratisierung, nach freien Wahlen und nach Reisefreiheit bis hin zum Abriss der Mauer – und daraus gelegentlich folgend die Forderung nach Wiedervereinigung.
In Schwerin hatte das Theater keinen geringen Anteil an der Entwicklung. Schon im Februar 1989 begann dort die Revolution unbemerkt und wohl auch unbeabsichtigt mit der Aufführung von Schillers „Wilhelm Tell“. Gewiss hatte man kein Revolutionsstück im Sinn, das die Zuschauer zum Sturz des SED-Regimes auffordern wollte.
Aber immerhin stand der Landvogt Gessler von Anfang an auf einem Balkon, der dem des Staatsratsgebäudes in Berlin sehr ähnlich war, und eine Aufschrift verkündete „Grenzgebiet. Betreten verboten“. Als es dann im Oktober 1989 ein Gastspiel in der Berliner Volksbühne gab, war es gar nicht anders möglich, als dass ein Vers nach dem anderen Szenenapplaus hervorrief: „Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit?“ – „Der fremde Zauber reißt die Jugend fort“ – „Wir sind umringt von Spähern“.
Schon im Oktober waren die Mitarbeiter des Theaters zu einer Vollversammlung zusammengekommen. Ihr Treffen am 4.Oktober sollte der Vorbereitung des Republikgeburtstags dienen, aber dann wurde eine viel beachtete Resolution der Unterhaltungskünstler verlesen und schon am 6.Oktober ein Positionspapier ähnlichen Inhalts verfasst, das in den folgenden Tagen zu viel Gezerre zwischen der Belegschaft, Parteisekretären und Stadträten Anlass gab. Inzwischen hatte allerdings eine andere Entwicklung eingesetzt, die ihrem vorläufigen Höhepunkt zustrebte.
Verdiente Genossen terrorisierten die Demonstranten
Am 2.Oktober sollte im Gemeindezentrum der St. Paulskirche in der Nähe des Bahnhofes eine Zusammenkunft zur Gründung der Oppositionsbewegung des Neuen Forums stattfinden; die Veranstalter hatten mit 80 bis 100 Teilnehmern gerechnet, gekommen jedoch waren zwischen 800 bis 1000. Der erforderliche Umzug in die Kirche war völlig ungeplant und daher umso eindrucksvoller.
Das war die eigentliche Initialzündung für Mecklenburg. Die anschließende Protestveranstaltung, der Stadtjugendabend am 6.Oktober, sollte von der Partei gestört werden. 208 verdiente Genossen erschienen und terrorisierten die Anwesenden, lärmten und rissen das Mikrophon an sich. Dennoch konnte die Veranstaltung stattfinden, weil die Teilnehmer deutlich in der Überzahl waren. Auch die weitere Entwicklung verlief anders, als es sich die Partei gedacht hatte, und zwar ganz besonders blamabel.
Das Neue Forum (NF) hatte für Montag, den 23.Oktober, um 15 Uhr zunächst zu einer Friedensandacht im Dom und anschließend zu einer Kerzendemonstration eingeladen, die erste Demonstration in Schwerin überhaupt. Sie sollte bis zum Alten Garten führen, einem weiten Platz im Zentrum der klassizistischen Anlagen Schwerins neben der Schlossinsel und zwischen Museum, Theater und der heutigen Staatskanzlei, die damals die Bezirksleitung der SED beherbergte.
Der Erste Sekretär der Bezirksleitung der SED, Ziegner, glaubte, besonders raffiniert zu sein, und organisierte für denselben Zeitraum ebenfalls am Alten Garten eine Kundgebung zusammen mit dem aus allerlei Satellitenorganisationen bestehenden Demokratischen Block, vorgeblich um den Dialog zu fördern. Aus dem ganzen Bezirk Schwerin wurden Claqueure in Bussen herantransportiert, gleichzeitig marschierten Polizei und Kampfgruppen auf, die alle Vorkehrungen trafen, etwaige Demonstranten des NF festzunehmen und zuzuführen.
40.000 Menschen protestierten gegen die Diktatur
Natürlich wollten die Vertreter des NF Zusammenstöße vermeiden und erwogen eine Absage, aber die Dynamik der einmal angelaufenen Ereignisse war stärker. Von überall her füllte sich der Platz am Alten Garten mit Demonstranten. Zum Schluss demonstrierten 40.000 Teilnehmer gegen die Diktatur. Die SED-Kundgebung war zerflossen, und der Erste Sekretär Ziegner hatte nicht den Mut aufgebracht, sich den Demonstranten zu stellen. Er verdrückte sich und wurde wenig später gestürzt. Der Gegenangriff der Partei hatte sich in einen Sieg der Bürgerbewegung verwandelt.
Eine halbe Eisenbahnstunde von Schwerin entfernt liegt das 4800 Einwohner zählende Crivitz, über das hier stellvertretend für die vielen kleinen Orte der DDR ausführlicher berichtet werden soll. Schon lange nahm die Crivitzer Pfarrstelle an all den Aktivitäten teil, die auch anderswo den revolutionären Ereignissen vorangingen.
Jeden Herbst fanden die Friedensdekaden unter dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ statt, es gab einen Umweltkreis, Crivitz beteiligte sich an der Ökumenischen Versammlung und an der sozial-diakonischen Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen. Wehrdienstverweigerer und Bausoldaten wurden betreut, der Schaukasten am Pfarrhaus hatte eine wichtige Funktion für den Informationsaustausch.
Wer weiterlesen möchte, kann das hier:
https://www.welt.de/kultur/article40947 ... ovinz.html
Wie man lesen kann, waren die Mecklenburger auch in kleinen Orten damals sehr aktiv und mutig!!
Es ist daher kein Zufall, dass gerade in diesen Tagen die ersten großen Demonstrationen einsetzten, vor denen die Staatsmacht zurückweichen musste: Am 7.Oktober in Plauen, am 8.Oktober in Dresden und am 9.Oktober in Leipzig, wo plötzlich 70000 Demonstranten auf die Straße gingen. Von da an gab es kein Halten mehr.
Die Menschen gingen aber nicht nur in den großen Städten auf die Straße. Wie flächendeckend die Revolution das Land erfasst hatte, wird deutlich, wenn man sich die Zahl der Orte vergegenwärtigt, in denen noch vor dem Mauerfall demonstriert wurde. Mehr als 325 waren es insgesamt, von der Ostsee bis in die Sächsische Schweiz.
Die Proteste an all diesen Orten hatten einiges gemeinsam: Überwindung der Angst, ein Gefühl unendlicher innerer Befreiung, Gegnerschaft zu SED und MfS, die Forderung nach Demokratisierung, nach freien Wahlen und nach Reisefreiheit bis hin zum Abriss der Mauer – und daraus gelegentlich folgend die Forderung nach Wiedervereinigung.
In Schwerin hatte das Theater keinen geringen Anteil an der Entwicklung. Schon im Februar 1989 begann dort die Revolution unbemerkt und wohl auch unbeabsichtigt mit der Aufführung von Schillers „Wilhelm Tell“. Gewiss hatte man kein Revolutionsstück im Sinn, das die Zuschauer zum Sturz des SED-Regimes auffordern wollte.
Aber immerhin stand der Landvogt Gessler von Anfang an auf einem Balkon, der dem des Staatsratsgebäudes in Berlin sehr ähnlich war, und eine Aufschrift verkündete „Grenzgebiet. Betreten verboten“. Als es dann im Oktober 1989 ein Gastspiel in der Berliner Volksbühne gab, war es gar nicht anders möglich, als dass ein Vers nach dem anderen Szenenapplaus hervorrief: „Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit?“ – „Der fremde Zauber reißt die Jugend fort“ – „Wir sind umringt von Spähern“.
Schon im Oktober waren die Mitarbeiter des Theaters zu einer Vollversammlung zusammengekommen. Ihr Treffen am 4.Oktober sollte der Vorbereitung des Republikgeburtstags dienen, aber dann wurde eine viel beachtete Resolution der Unterhaltungskünstler verlesen und schon am 6.Oktober ein Positionspapier ähnlichen Inhalts verfasst, das in den folgenden Tagen zu viel Gezerre zwischen der Belegschaft, Parteisekretären und Stadträten Anlass gab. Inzwischen hatte allerdings eine andere Entwicklung eingesetzt, die ihrem vorläufigen Höhepunkt zustrebte.
Verdiente Genossen terrorisierten die Demonstranten
Am 2.Oktober sollte im Gemeindezentrum der St. Paulskirche in der Nähe des Bahnhofes eine Zusammenkunft zur Gründung der Oppositionsbewegung des Neuen Forums stattfinden; die Veranstalter hatten mit 80 bis 100 Teilnehmern gerechnet, gekommen jedoch waren zwischen 800 bis 1000. Der erforderliche Umzug in die Kirche war völlig ungeplant und daher umso eindrucksvoller.
Das war die eigentliche Initialzündung für Mecklenburg. Die anschließende Protestveranstaltung, der Stadtjugendabend am 6.Oktober, sollte von der Partei gestört werden. 208 verdiente Genossen erschienen und terrorisierten die Anwesenden, lärmten und rissen das Mikrophon an sich. Dennoch konnte die Veranstaltung stattfinden, weil die Teilnehmer deutlich in der Überzahl waren. Auch die weitere Entwicklung verlief anders, als es sich die Partei gedacht hatte, und zwar ganz besonders blamabel.
Das Neue Forum (NF) hatte für Montag, den 23.Oktober, um 15 Uhr zunächst zu einer Friedensandacht im Dom und anschließend zu einer Kerzendemonstration eingeladen, die erste Demonstration in Schwerin überhaupt. Sie sollte bis zum Alten Garten führen, einem weiten Platz im Zentrum der klassizistischen Anlagen Schwerins neben der Schlossinsel und zwischen Museum, Theater und der heutigen Staatskanzlei, die damals die Bezirksleitung der SED beherbergte.
Der Erste Sekretär der Bezirksleitung der SED, Ziegner, glaubte, besonders raffiniert zu sein, und organisierte für denselben Zeitraum ebenfalls am Alten Garten eine Kundgebung zusammen mit dem aus allerlei Satellitenorganisationen bestehenden Demokratischen Block, vorgeblich um den Dialog zu fördern. Aus dem ganzen Bezirk Schwerin wurden Claqueure in Bussen herantransportiert, gleichzeitig marschierten Polizei und Kampfgruppen auf, die alle Vorkehrungen trafen, etwaige Demonstranten des NF festzunehmen und zuzuführen.
40.000 Menschen protestierten gegen die Diktatur
Natürlich wollten die Vertreter des NF Zusammenstöße vermeiden und erwogen eine Absage, aber die Dynamik der einmal angelaufenen Ereignisse war stärker. Von überall her füllte sich der Platz am Alten Garten mit Demonstranten. Zum Schluss demonstrierten 40.000 Teilnehmer gegen die Diktatur. Die SED-Kundgebung war zerflossen, und der Erste Sekretär Ziegner hatte nicht den Mut aufgebracht, sich den Demonstranten zu stellen. Er verdrückte sich und wurde wenig später gestürzt. Der Gegenangriff der Partei hatte sich in einen Sieg der Bürgerbewegung verwandelt.
Eine halbe Eisenbahnstunde von Schwerin entfernt liegt das 4800 Einwohner zählende Crivitz, über das hier stellvertretend für die vielen kleinen Orte der DDR ausführlicher berichtet werden soll. Schon lange nahm die Crivitzer Pfarrstelle an all den Aktivitäten teil, die auch anderswo den revolutionären Ereignissen vorangingen.
Jeden Herbst fanden die Friedensdekaden unter dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ statt, es gab einen Umweltkreis, Crivitz beteiligte sich an der Ökumenischen Versammlung und an der sozial-diakonischen Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen. Wehrdienstverweigerer und Bausoldaten wurden betreut, der Schaukasten am Pfarrhaus hatte eine wichtige Funktion für den Informationsaustausch.
Wer weiterlesen möchte, kann das hier:
https://www.welt.de/kultur/article40947 ... ovinz.html
Wie man lesen kann, waren die Mecklenburger auch in kleinen Orten damals sehr aktiv und mutig!!