DDR-Flüchtlingsschicksal - Ein Leben als dreifache Randgruppe Schwul, schwarz, Stones-Fan - und Bürger der DDR. Andreas Göbel fiel auf in seiner Heimat Sachsen. Doch als er sich 1982 weigerte, Freunde zu bespitzeln, geriet er ins Visier der Stasi. Auf einestages erzählt er von einer misslungenen Flucht, Haft - und wie ein Kiosk zu seiner Rettungsinsel wurde. Jan Rothstein
Düster und stickig ist es, aber auch gemütlich. Im Hinterzimmer seines Kiosks in Köln, den er liebevoll "mein Büdchen" nennt, hat sich Andreas Göbel ein Refugium eingerichtet. Die Wand ist mit Fotos, Zeitungsartikeln, Eintrittskarten und anderen Erinnerungsstücken beklebt. Sie erzählen Geschichten aus seinem rastlosen Leben. Dazwischen blitzt immer wieder ein Symbol hervor: Eine rote Zunge, das Markenzeichen der Rolling Stones.
"Ein labiler und negativer Jugendlicher"Bald wurde Göbel Mitglied einer Rolling-Stones-Clique, die ihre DDR-kritische Haltung durch West-Musik und West-Kleidung zeigte. Ihr wichtigstes Erkennungszeichen war das Rolling-Stones-Zungensymbol, das für Göbel eine ganz eigene Bedeutung hatte: "Die rote Zunge steht für das Schreien. Für alles, was man in der DDR nicht sagen durfte." Anfangs, so erinnert sich Göbel, sei das nur stiller Protest gewesen. Aber etwa mit 17 fasste er den Entschluss, früher oder später in den Westen zu gehen. Und während er Freunde fand, die seine Träume vom Reisen und freier Meinungsäußerung teilten, wuchs die Zahl seiner Feinde. Auch wenn er davon zunächst noch gar nichts merkte.
Göbels Fluchtpläne durften nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Doch allein durch ein paar Ruhestörungen unter Alkoholeinfluss und Pöbeleien auf Feiern war er bald im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit. "Bei dem G. handelt es sich um einen labilen und negativen Jugendlichen", heißt es in einer Stasi-Akte von 1982 über ihn. Er gehöre einer Gruppe an, die bei Veranstaltungen "wiederholt negativ in Erscheinung getreten" sei. Die Stasi gab zu Protokoll, "daß der G. selbst sowie sein Freundeskreis stark den Einflüßen westlicher Massenmedien unterliegen und die PID sich deutlich bei ihnen auswirkt". Unter PID (politisch-ideologische Diversion) verstand die Stasi die aus ihrer Sicht negativen Einflüsse des Westens auf die DDR-Bevölkerung.
Die Schlinge des Überwachungsapparats zog sich schnell zu: Mit 21 Jahren stand Göbel voll im Fokus der Stasi. Sie wollte ihn als Informanten. Die Kontaktaufnahme war genauestens vorbereitet. Sogar einen Decknamen für Göbel gab es schon: "Klaus Groß". Göbel sollte helfen, seine Clique "unschädlich zu machen" und seine Auftraggeber über das "ungesetzliche Verlassen der DDR" sowie über den "staatsfeindlichen Menschenhandel", also Fluchthilfen, informieren.http://www.spiegel.de/einestages/ddr-fl ... 47522.html