Das Ehepaar Leinhos aus Pferdsdorf erinnert sich an die Zeit der TeilungWenn Kurt Leinhos zu DDR-Zeiten den Honig seiner Bienen ablieferte, konnte er mit Fug und Recht behaupten: Da ist auch Westhonig drin. Eine Biene, sagt der Hobby-Imker, hat einen Radius von fünf Kilometern. Keinen Kilometer vom Bienenstand entfernt lag die Grenze. Mehr als 50 Jahre hat das Ehepaar Leinhos in Pferdsdorf verbracht. Als die beiden kurz nach dem Krieg heirateten, konnte man "schwarz" über die Grenze. Seit dem 13. August 1961 waren sie doppelt eingesperrt: zwischen Schlagbaum und Minenfeld. Foto: Peter Michaelis
Den Bienen machte das nichts aus. Sie flogen rüber und kamen zurück. Die Menschen aber waren wie festgenagelt im kleinen Dorf ganz nah an der Grenze.
Kurt Leinhos ist Jahrgang 1924. Er stammt aus Pferdsdorf bei Creuzburg. Hier hat er sein ganzes Leben verbracht. Seine Eltern hatten einen Bauernhof mit acht Hektar Land. Den sollte er bewirtschaften. Dann kam der Krieg, und als Kurt 17 war, wurde er in eine Uniform gesteckt und nach Russland geschickt. Verwundet kam er zurück, damals im Spätherbst 1944. Er hatte Heimaturlaub, um sich zu kurieren. Und als es ihm nach Weihnachten besser ging, da nahm er seine Ziehharmonika und ging das kleine Stück bis nach Willershausen: An der Pferdsdorfer Kirche vorbei den Berg hoch. Es ist nicht weit: drei Kilometer von Dorf zu Dorf. Die Jugend traf sich zum Musizieren, und die wenigen jungen Männer, die gerade nicht im Krieg waren, erregten Aufmerksamkeit. Irmgard aus Willershausen war erst 16 damals und ihr gefiel der junge Mann mit der Ziehharmonika. Eigentlich wollte sie Kindergärtnerin werden, war deshalb bei einem Kurs in der Eifel gewesen - neun Monate lang. Aber dann musste sie wegen der Bombenangriffe zurück.
Es blieb zunächst beim Liebäugeln. Doch Kurt und Irmgard sollten sich bereits ein halbes Jahr später wiedersehen. Da war der Krieg gerade zu Ende - und Kurt bereits wieder daheim und nicht wie so viele andere in Gefangenschaft. Damals lag Willershausen schon auf der anderen Seite der Besatzungsgrenze. Deshalb wurde das hessische Dorf für ihn und ein paar andere Burschen aus Pferdsdorf auch kurzzeitig zum Unterschlupf, als es hieß, die Sowjets würden nach jungen Deutschen für die Arbeitslager suchen. Kurt hatte Glück im doppelten Sinne: Er wurde nicht geschnappt und er fand die Liebe.
Irmgard, die er im Winter noch als etwas zu jung empfunden hatte, war mittlerweile 17. Die beiden wurden ein Paar. Dass sie aus dem Hessischen kam und er aus dem Thüringischen, das nun neuerdings Teil der Ostzone war, sahen sie nicht als Problem an. Wie so viele glaubten die Eltern von Kurt Leinhos, dass schon bald wieder Ruhe einkehren würde. Dem Glück stand eher der Berufswunsch von Irmgard im Wege: Kurt sollte die elterliche Landwirtschaft weiterführen. Dafür brauchte er eine Bäuerin und keine Erzieherin. Die Liebe war stärker - und die Arbeit auf dem Pferdsdorfer Hof der jungen Willershausenerin nicht fremd: Auch ihre Eltern hatten Landwirtschaft. So gingen vier Jahre ins Land, in denen sich die Verliebten oft auf Trampelpfaden über die Grenze zueinander schlichen.
Wartet doch noch ein Jahr, dann ist Deutschland einsIrmgard Leinhos erinnert sich an dunkle Nächte, in denen die Grenzgänger Reißaus nahmen, weil sie sich im Dunkeln voreinander fürchteten. Als Irmgard 21 war, sollte geheiratet werden. Ach, sagte der Vater von Kurt, wartet doch noch ein Jahr, dann ist Deutschland bestimmt wieder eins. Aber da hätten der Pferdsdorfer und die Willershausenerin lange warten können...
6. November 1949: Geheiratet wird in dieser evangelischen Gegend grundsätzlich in der Heimatgemeinde der Frau. Also gehen alle Gäste aus Pferdsdorf heimlich rüber und feiern in Willershausen - in der prächtigen Dorfkirche, die den schönen Namen "Unserer lieben Frau" trägt.In den Jahren danach wurde es immer schwieriger, geradewegs über die Grenze zu gelangen, die die beiden Dörfer und die Familien trennte. Es gab aber inzwischen eine bürokratische Möglichkeit: Irmgard, aber auch ihr Mann und dann ihr gemeinsamer Sohn, der 1950 geboren wurde, konnten Reisepässe beantragen. Dann durften sie an einer offiziellen Grenzübertrittstelle rüber. Das war nicht der nächste, aber immerhin ein gangbarer Weg, der die Kontakte nicht abreißen ließ. Im Februar 1961 waren sie eingeladen zu zwei Taufen - und erhielten eine Genehmigung. "Auf lange Zeit ein letztes Mal", wie sich herausstellen sollte. Mit der Chance auf einen Familienbesuch war Schluss, als am 13. August in Berlin und entlang der innerdeutschen Grenze die Sicherung darauf ausgelegt wurde, dass keiner mehr lebend rüberkommen sollte.
Kurt Leinhos hat die Nachricht damals im Radio gehört. Klar war für ihn wie für seine Frau längst: Weggehen kommt nicht in Frage. Sie hatten in den Jahren zuvor manchen gesehen, der die Heimat verließ.
Einer fuhr an Irmgard mit einem großen Mistwagen vorbei. Sie wunderte sich noch. Nachher erfuhr sie, dass auf dem Wagen das Hab und Gut der Bauersfamilie unter einer dünnen Lage Dung gelegen hatte. Einer trieb seine Kühe über die Grenze - und die Kühe vom Nachbarn liefen gleich mit. Sie wollten wohl auch lieber in den Westen... Mit dem Zeitzeugenbericht bis hin zur Grenzöffnung, geht es hier weiter:
http://www.tlz.de/web/zgt/kultur/detail ... -777466813Ich lese Zeitzeugenberichte immer sehr gerne, da sie doch viel über die Situationen, Lebensumstände, Ängste, Sorgen und Hoffnungen aussagen.
Wenn es dann User gibt denen schon grundsätzlich Zeitzeugenberichte nicht gefallen und sie daher permanent Details bestreiten, als wären sie dabei gewesen, so ist das wahrscheinlich Ausdruck ihres Ärgers und der Erkenntnis, welch menschenverachtendem System sie gedient haben.Da empfehle ich einfach Franz Lehar: Immer nur lächeln und immer vergnügt....