Nachkriegszeit
Verfasst: 24. April 2017, 10:55
Vater und Sohn, ein schwieriges Verhältnis
Drei Jahre und zehn Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erblickte ich ( der Autor ) im Ostflügel des Schlosses Blumendorf, etwas außerhalb von Bad Oldesloe das Licht der Welt. Der westliche Teil des Gebäudes war bereits in den letzten Kriegsjahren als Krankenhaus eingerichtet worden. Meine Mutter hatte im Januar 1945 zusammen mit ihrer Mutter und meiner, noch in Osterode/Ostpreußen geborenen Schwester Hals über Kopf ihre Heimat verlassen müssen. Mit dem Osteroder Krankenhaus, Patienten und Personal, waren sie wochenlang auf der Flucht vor den Russen und den Polen, die jetzt als die neuen Herren das Land besetzten und die Deutschen erbarmungslos vertrieben und verfolgten.
Meine beiden Großväter habe ich nie kennenlernen dürfen, Mutters Vater hatte ein Fuhrgeschäft und konnte seine Pferde nicht allein lassen. Deshalb wollte er später nachkommen und ließ Frau, Tochter und Enkelin allein auf die Flucht gehen, in dem guten Glauben, dass dem Krankenhaustreck nichts geschehen würde. Am 16. Februar 1946 ist er in Tagewerben an Hunger und Entkräftung gestorben, seine Familie hat er nie mehr wiedergesehen. (siehe »Flucht aus Ostpreußen«) Den anderen Großvater hielt es ebenfalls aus Pflichtbewusstsein dort. Er war Landbriefträger und Beamter und konnte doch seine Post nicht einfach den Russen überlassen, oder sie gar untergehen sehen. Ich hörte von meinen Eltern später einmal, dass er nicht mehr aus der Stadt herausgekommen und dort an Hunger und Krankheit verstorben ist.
Nach Wochen kamen die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein an und hatten alles Materielle und auch ihre Heimat verloren. Aus diesem Grund ist in meinen Papieren als Geburtsort Bad Oldesloe angegeben, mehr verbindet mich nicht mit dieser Stadt.
Mein Vater war am 1. April 1939 als Freiwilliger zur Kriegsmarine gegangen und nach seiner Grundausbildung auf "Kreuzer Nürnberg" als Matrose gefahren. Als am 1. September 1939 das Linienschiff SMS "Schleswig-Holstein" in Danzig mit Schüssen auf die Westerplatte die Kampfhandlungen eröffnete, befanden sich Deutschland und seine Soldaten am Beginn des Zweiten Weltkrieges. Im Oktober 1941 wechselt er zur U-Boot-Waffe und erlebte den Seekrieg an Bord des Unterseebootes U-466. (siehe »mit U-466 auf Feindfahrt«).
Die 40.000 deutschen U-Boot-Fahrer kämpften 68 Monate lang auf allen Ozeanen der Welt und versenkten dabei über 5100 Schiffe mit rund 21.500.000 Bruttoregistertonnen. Bei diesen Angriffen sind unzählige zivile Besatzungsmitglieder und 30.000 U-Boot-Fahrer ums Leben gekommen. 661 Boote wurden im Fronteinsatz durch Zerstörer und Flugzeuge vernichtet, weitere 496 Boote durch Unfälle oder technisches Versagen.
Mein Vater war einer der wenigen U-Boot-Fahrer, die körperlich unversehrt den Krieg überstanden hatten. Im durch Bomben völlig zerstörten Hamburg fand er nach seiner Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager der Engländer 1946 Unterkunft und eine neue berufliche Aufgabe bei der Polizei. Seine Schwiegermutter, Ehefrau und Tochter waren zu diesem Zeitpunkt noch in Leipzig untergebracht und kamen erst später nach. Da es aber ohne nachgewiesenen Wohnraum keine Zuzugsgenehmigung nach Hamburg gab, blieb die Familie zunächst in Zarpen, bzw. in Reinfeld/Holstein in Notunterkünften. Erst im September 1950 war unsere Familie im neuen Zuhause am Hamburger Stadtrand wieder vereint. Hier wuchs ich auf. Dass wir bettelarm waren, ist mir lange nicht bewusst geworden, denn alle meine Freunde und Schulkameraden lebten in keinen besseren Verhältnissen, am Äußeren konnte man uns nicht unterscheiden, aber darunter habe ich nie gelitten. Wegen der schlechten Ernährung litt ich lange unter Spulwürmern und schmerzhaften Furunkeln, die entweder mit schwarzer, stinkender Ichthyolsalbe behandelt, oder, wenn das nicht half, von unserem Hausarzt aufgeschnitten wurden.
Als Kinder hörten wir von den Eltern und Großmüttern oft die Geschichten, wie sie aus der Heimat flüchteten und welche Gräuel sie dabei durchleiden mussten. Auch unser Vater erzählte knapp von seiner Zeit auf dem U-Boot. Weil ich damals seine Erzählungen nicht verstand, stellte ich Fragen dazu, die er regelmäßig mit den Worten abwürgte, "lass mich in Ruhe damit, ich will von diesem Kriegsscheiß nichts mehr hören". Noch ziemlich verschwommen entwickelte sich aber mein Gespür dafür, dass Eltern und Großeltern mit diesem Krieg eine Schuld auf ihre und die Schultern ihrer Kinder und Enkel geladen hatten, die kaum abzutragen ist.
Hier geht es weiter:
http://www.ewnor.de/hk/780_hk.php
Die vielen Waisenkinder, deren Väter im Krieg gefallen waren, hatten sich mehr darunter zu leiden, keinen Vater mehr zu haben.
Vater und Sohn, ein schwieriges Verhältnis
Drei Jahre und zehn Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erblickte ich ( der Autor ) im Ostflügel des Schlosses Blumendorf, etwas außerhalb von Bad Oldesloe das Licht der Welt. Der westliche Teil des Gebäudes war bereits in den letzten Kriegsjahren als Krankenhaus eingerichtet worden. Meine Mutter hatte im Januar 1945 zusammen mit ihrer Mutter und meiner, noch in Osterode/Ostpreußen geborenen Schwester Hals über Kopf ihre Heimat verlassen müssen. Mit dem Osteroder Krankenhaus, Patienten und Personal, waren sie wochenlang auf der Flucht vor den Russen und den Polen, die jetzt als die neuen Herren das Land besetzten und die Deutschen erbarmungslos vertrieben und verfolgten.
Meine beiden Großväter habe ich nie kennenlernen dürfen, Mutters Vater hatte ein Fuhrgeschäft und konnte seine Pferde nicht allein lassen. Deshalb wollte er später nachkommen und ließ Frau, Tochter und Enkelin allein auf die Flucht gehen, in dem guten Glauben, dass dem Krankenhaustreck nichts geschehen würde. Am 16. Februar 1946 ist er in Tagewerben an Hunger und Entkräftung gestorben, seine Familie hat er nie mehr wiedergesehen. (siehe »Flucht aus Ostpreußen«) Den anderen Großvater hielt es ebenfalls aus Pflichtbewusstsein dort. Er war Landbriefträger und Beamter und konnte doch seine Post nicht einfach den Russen überlassen, oder sie gar untergehen sehen. Ich hörte von meinen Eltern später einmal, dass er nicht mehr aus der Stadt herausgekommen und dort an Hunger und Krankheit verstorben ist.
Nach Wochen kamen die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein an und hatten alles Materielle und auch ihre Heimat verloren. Aus diesem Grund ist in meinen Papieren als Geburtsort Bad Oldesloe angegeben, mehr verbindet mich nicht mit dieser Stadt.
Mein Vater war am 1. April 1939 als Freiwilliger zur Kriegsmarine gegangen und nach seiner Grundausbildung auf "Kreuzer Nürnberg" als Matrose gefahren. Als am 1. September 1939 das Linienschiff SMS "Schleswig-Holstein" in Danzig mit Schüssen auf die Westerplatte die Kampfhandlungen eröffnete, befanden sich Deutschland und seine Soldaten am Beginn des Zweiten Weltkrieges. Im Oktober 1941 wechselt er zur U-Boot-Waffe und erlebte den Seekrieg an Bord des Unterseebootes U-466. (siehe »mit U-466 auf Feindfahrt«).
Die 40.000 deutschen U-Boot-Fahrer kämpften 68 Monate lang auf allen Ozeanen der Welt und versenkten dabei über 5100 Schiffe mit rund 21.500.000 Bruttoregistertonnen. Bei diesen Angriffen sind unzählige zivile Besatzungsmitglieder und 30.000 U-Boot-Fahrer ums Leben gekommen. 661 Boote wurden im Fronteinsatz durch Zerstörer und Flugzeuge vernichtet, weitere 496 Boote durch Unfälle oder technisches Versagen.
Mein Vater war einer der wenigen U-Boot-Fahrer, die körperlich unversehrt den Krieg überstanden hatten. Im durch Bomben völlig zerstörten Hamburg fand er nach seiner Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager der Engländer 1946 Unterkunft und eine neue berufliche Aufgabe bei der Polizei. Seine Schwiegermutter, Ehefrau und Tochter waren zu diesem Zeitpunkt noch in Leipzig untergebracht und kamen erst später nach. Da es aber ohne nachgewiesenen Wohnraum keine Zuzugsgenehmigung nach Hamburg gab, blieb die Familie zunächst in Zarpen, bzw. in Reinfeld/Holstein in Notunterkünften. Erst im September 1950 war unsere Familie im neuen Zuhause am Hamburger Stadtrand wieder vereint. Hier wuchs ich auf. Dass wir bettelarm waren, ist mir lange nicht bewusst geworden, denn alle meine Freunde und Schulkameraden lebten in keinen besseren Verhältnissen, am Äußeren konnte man uns nicht unterscheiden, aber darunter habe ich nie gelitten. Wegen der schlechten Ernährung litt ich lange unter Spulwürmern und schmerzhaften Furunkeln, die entweder mit schwarzer, stinkender Ichthyolsalbe behandelt, oder, wenn das nicht half, von unserem Hausarzt aufgeschnitten wurden.
Als Kinder hörten wir von den Eltern und Großmüttern oft die Geschichten, wie sie aus der Heimat flüchteten und welche Gräuel sie dabei durchleiden mussten. Auch unser Vater erzählte knapp von seiner Zeit auf dem U-Boot. Weil ich damals seine Erzählungen nicht verstand, stellte ich Fragen dazu, die er regelmäßig mit den Worten abwürgte, "lass mich in Ruhe damit, ich will von diesem Kriegsscheiß nichts mehr hören". Noch ziemlich verschwommen entwickelte sich aber mein Gespür dafür, dass Eltern und Großeltern mit diesem Krieg eine Schuld auf ihre und die Schultern ihrer Kinder und Enkel geladen hatten, die kaum abzutragen ist.
Hier geht es weiter:
http://www.ewnor.de/hk/780_hk.php
Die vielen Waisenkinder, deren Väter im Krieg gefallen waren, hatten sich mehr darunter zu leiden, keinen Vater mehr zu haben.