Von wegen, die Wiedervereinigung kommt nicht voran. Beim Essen entstand durch zwei Unkulturen aus BRD und DDR eine neue. Die Kolumne.
Unser Kolumnist beschäftigt sich mit dem leiblichen Wohl.
Gibt es in Deutschland Unterschiede zwischen Ost und West nach all den Jahren?
Und welche Rolle spielen die Italiener bei dieser Frage?
Eigentlich soll man ja über Verblichene nichts Schlechtes sagen. Doch ich kann nicht anders. Ich weiß wohl, hiermit mache ich mir Feinde, zerstöre wohlige Kindheitserinnerungen und lasse mühsam zusammengebastelte Träume zerplatzen. Dennoch muss ich feststellen: Das Essen in der DDR war schlecht.
Essen in der DDR: Zeugnisse des schlechten Geschmacks
Gebackene Jagdwurstscheiben mit Nudeln und Tomatensoße, Würzfleisch in Mehlpampensoße oder saure Suppe mit zerkochtem Dosengemüse, das alles sind Zeugnisse einer Unkultur, die nichts mit einem menschenverachtenden System zu tun haben, sondern schlicht mit schlechtem Geschmack.
Man kann auch mit wenigen und einfachen Zutaten brillant kochen, das beweisen täglich tausende italienischer Mütter und Großmütter. Zum Trost nun verletzter ostdeutscher Seelen sei zweierlei bemerkt. Zum einen waren die Brötchen in der DDR großartig, ebenso die Bratwürste, zumindest in Thüringen.
Essen in der BRD: Nicht minder fürchterlich
Zum anderen war das Essen in der BRD mindestens genauso fürchterlich. Wer zum Beispiel die Herstellung von Scheiblettenkäse nicht nur duldet, sondern durch Erwerb und Verzehr auch noch fördert, der hat jegliches Recht auf Kritik an der Nahrung anderer bereits im Ansatz verwirkt.
Es ist also besänftigend zu erkennen, dass dreißig Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung zumindest die Speisegewohnheiten der seither vermählten Staaten sich einander annäherten und zu einer einig deutschen Entsetzlichkeit verschmolzen. Wie schön.
Einig deutsche Pappbrötchen
Denn wer will denn da noch fremdeln, wenn er am Hauptbahnhof zu Chemnitz die gleichen pappigen Brötchen mit Formvorderschinken und schwabbeliger Salatgurkenscheibe von der gleichen Gastrokette vom gleichen patzigen Personal zu den gleichen Mondpreisen verkauft bekommt wie am Hauptbahnhof zu Koblenz?
Oder wenn die ausgestanzten Pressfleischschnitzel im Goldenen Ochsen zu Görlitz die gleichen sind wie die in den Landwehrstuben zu Dingolfing und dazu noch vom gleichen Tiefkühlcaterer geliefert und im gleichen ranzigen Industriefett frittiert und mit den gleichen gleichermaßen modernen wie unnötigen, knatschigen „Potato Wedges“ serviert werden? Die Namen der Gasthäuser sind natürlich aus verständlichen Gründen erfunden, wir wollen schließlich nicht für irgendwen werben.
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