Oma im Kaufrausch

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Oma im Kaufrausch

Beitragvon Interessierter » 21. August 2017, 09:37

Wir ( die Zeitzeugin ) lebten seinerzeit mit drei Frauen aus drei Generationen zusammen. Oma, noch sehr rüstig und zupackend, hatte die Aufgabe des Kochens und des Einkaufens übernommen, während meine Mutter und ich arbeiten gingen.

Jeden Samstag in den Vormittagsstunden ging Oma, die bereits die Mitte der Siebzig überschritten hatte, zum Krämer (Kolonialwarenhändler), der auf der anderen Straßenseite sein Geschäft hatte. Die ganze Woche wurde kaum etwas gekauft, höchstens im Notfall. Aber wenn der Samstag kam, war Oma nicht mehr zu bremsen.

Meine Mutter und ich konnten diese Schlepperei nicht verstehen. Es war uns den Nachbarn gegenüber peinlich. Schließlich waren wir im besten Alter und die alte Frau quälte sich mit zwei Riesentaschen ab. Alles, aber auch alles wurde an diesem Samstagvormittag rangeschleppt. Für Oma gab es auch nur diesen einen Krämer, bei dem man fast alles bekommen konnte. Selbstbedienungs-Läden gab es zu Zeiten der "Fresswelle" noch nicht.

Auch glaube ich, dass Oma das total abgelehnt hätte, sowie sie sich auch später 1960 nie mit unserer Waschmaschine anfreunden konnte. (Die Wäsche wurde angeblich nicht weiß genug!). Wenn wir ihr den Vorschlag machten, öfter mal einzukaufen, oder zu einer anderen Zeit, in der der Laden nicht so voll war, sah sie uns mit einem vernichtenden Blick an. Wir konnten sie damals nicht verstehen und manchmal belächelten wir sie auch ein wenig.

Da kam sie über die Straße, der Chef des Ladens, im wehenden Kittel, trug ihr die Taschen, was sie mit einem gewissen Stolz hinnahm. Irgendwann hatten wir erreicht, dass sie unten an der Haustür klingelte, um von uns mit Sack und Pack in den vierten Stock rauf geholt zu werden. Nicht ein einziges Mal durften wir einkaufen. Ich weiß, dass meine Mutter dieses Problem bei dem Chef des Ladens angesprochen hatte. Wenn es damals schon den "Hackenporsche" gegeben hätte, sie wäre mit einem Fahrzeug nicht ausgekommen.

Verzeih’ mir Oma, die Du nun schon lange auf Deiner Wolke sitzt! Aber heute glaube ich, Dein damaliges Verhalten besser zu verstehen.
Wie so viele Frauen ihrer Generation, hatte sie ein schweres Leben, zwei Weltkriege, zwei Hungersnöte, viele Kinder, sie hatte immer in großer Armut gelebt.

Für uns alle war das Wirtschaftswunder wirklich ein Wunder! Für sie war es sicher wie ein kleiner Fackelzug, wenn sie mit ihren bis oben angefüllten Riesentaschen über die Straße ging - sichtbar für die Nachbarn - und die Genugtuung hatte: Jetzt geht es mir endlich auch gut!!!


Nur so kann ich mir ihr Verhalten von damals erklären!

http://www.ewnor.de/vh/314_vh.php

Irgendwie erinnert mich das auch an meine Großmutter und das Einkaufsverhalten zur damaligen Zeit. Zunächst mit Lebensmittelmarken und dann beim Krämerladen mit der Möglichkeit, auch einmal " anschreiben " zu lassen und am 1. des Folgemonats zu bezahlen.
Als Lebensmittel wie Zucker, Mehl oder Salz erst im Laden gewogen und abgepackt wurden und als ein Brötchen noch 5 Pfennige kostete....
Als der Großvater mit trockenem Brot in seiner Brotdose zur Arbeit fuhr, damit die Oma ihrem Enkelkind Butter aufs Brot schmieren konnte... [denken]

Vielleicht können sich ältere User unseres Forums ja an ähnliche Erlebnisse erinnern?
Interessierter
 

Re: Oma im Kaufrausch

Beitragvon Volker Zottmann » 21. August 2017, 10:45

Erinnern kann ich mich auch an meine Oma, die Mutter meines Vaters, bestens.
Allerdings nutzte ihr weder die Wirtschaftswunderzeit noch die Fresswelle... Sie lebte bis zu ihrem Tod 1961 schlicht auf der falschen Seite.
Bettelam war sie immer schon, früh verwitwet, 2 Söhne. Der eine schaffte es erst nach Düsseldorf und dann sogar nach Kanada. Die Oma Hedwig war stolz, nun einen Sohn in Amerika zu wissen. Dort hatte er seit Anbeginn die Möglichkeit ihr mit richtigen gut gefüllten "Fresspaketen" das armselige Dahinfristen zu erleichtern. Glück hatte sie insofern, dass sie seit Kriegsende jeweils ein eigenes Zimmer bewohnte. Selbst im späteren Johannishospital. Anders, viel schlechter erging es vielen Altersheimbewohnern bis zur Wende. So wie in Stecklenberg, wo bis zu 4 Alte in ein Zimmer gepfercht waren.
Als Oma starb, besaß sie ein Bett,ein Vertiko, einen Kleiderschrank, einen Tisch, vier Stühle... Alles uralt , was bei ganz knapp über 100 Mark Rente 1961 auch kein Wunder war.
Einen Kaufrausch hat meine Oma leider nie erleben dürfen.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 


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