Der Westernfilm, kurz „Western“ genannt, ist ein Filmgenre, das sich seit Beginn der Filmgeschichte stetig gewandelt hat. Der Western verkörpert den Mythos, wie US-amerikanische Kultur und Geschichte entstanden sind, und beeinflusst damit nicht nur das eigene Selbstverständnis der Vereinigten Staaten, sondern auch die Art und Weise, wie die USA außerhalb ihrer Grenzen wahrgenommen und verstanden werden. Das Western-Genre hatte seine Blütezeit in den 1940er- und 1950er-Jahren, Dekaden in denen Tausende von Westernfilmen entstanden.
Es gibt wohl kaum einen männlichen Hollywoodstar jener Zeit – man denke etwa an Gary Cooper, James Stewart, John Wayne, Henry Fonda oder Clint Eastwood –, der nicht zumindest in einem Western mitgewirkt hat. Heute spielen Western in der aktuellen Filmproduktion und -rezeption keine wichtige Rolle mehr.
Western-Filme in den 40ern
In den 40ern wurde das Western-Genre von den epischen Western eines John Ford oder Howard Hawks dominiert. Fords durchgängig mit John Wayne besetzte Kavallerie-Trilogie ("Bis zum letzten Mann", "Der Teufelshauptmann", "Rio Grande") zeichnete zwar ein idealisiertes Bild der Armee, bereicherte das Genre aber auch mit seinen klassischen Grundkonstellationen. Hawks machte mit dem umstrittenen Billy-the-Kid-Western "Geächtet" Jane Russell zum beliebtesten Pin-up-Girl der Kriegszeit und schuf mit "Red River" den bis dahin visuell aufregendsten Western der Ära. Beide Regisseure vereinen in ihren Filmen den poetischen Mythos des Western mit der bitteren Ahnung vom bevorstehenden Verlust der alten Werte des Westens. Die unterschwellige Melancholie einiger dieser Filme nahm durchaus Grundzüge der Spätwestern vorweg.
Western-Filme in den 50ern
In den 50ern entwickelte sich der Wildwestfilm zu seiner vollen Blüte. Er zeigte Helden in der Krise, die von alten folkloristischen Leitbildern abwichen, beispielhaft verkörpert von Gary Cooper in Fred Zinnemanns "Zwölf Uhr mittags". Der mit vier Oscars prämierte Klassiker beschrieb den einsamen Kampf eines Sheriffs gegen eine Bande Gesetzloser, während die "ehrbaren" Bürger sich feige hinter seinem Rücken versteckten. "High Noon" (Originaltitel) war als Allegorie auf den Kampf der Opfer der von Senator Joseph Mc-Carthy angezettelten Kommunistenhatz in den USA angelegt und setzte als erster Western die Einheit von Raum und Zeit als Spannungsträger ein. Der Film wurde zum überragenden Kassenerfolg, obwohl nicht alle ihn mochten. Howard Hawks fand die Figur des Sheriffs zu passiv und weinerlich. Deshalb drehte er sechs Jahre später den Anti-"High Noon"- Western "Rio Bravo", in dem John Wayne einen harten, durchsetzungsfähigen Sheriff spielte. "Zwölf Uhr mittags" leitete die Ära der sogenannten Edelwestern ein. Filme wie Otto Premingers "Fluß ohne Wiederkehr", William Wylers "Weites Land", John Fords "Der schwarze Falke", Marlon Brandos "Der Besessene" oder "Der letzte Zug von Gun Hill" von John Sturges boten großes Starkino, variierten arche-typische Konflikte und schwelgten in opulenten Bildern.
Western-Filme in den 60ern
Doch bereits in den frühen 60ern zeichnete sich der Niedergang des Genres ab. Zu viele "große" Western waren gedreht worden, die Prärie war quasi abgegrast, es wurde schwieriger, der Gattung immer wieder neue innovative Geschichten zu entringen. Als Folge davon kam es zu einem extremen Auseinanderdriften innerhalb des Genres. Es entstanden einerseits Filme, die die alten Formeln geradezu aufeinandertürmten und mit Hochglanzoptik aufpeppten, wie etwa das von Japans Meisterregisseur Akira Kurosawa inspirierte Gunfi ghterepos "Die glorreichen Sieben" oder John Waynes Rentnerwestern "El Dorado". Auf der anderen Seite gab es brüchige, ganz und gar unpatriotische Antiwestern, die vom Niedergang der großen Illusion des Wilden Westens kündeten. Filme wie "Der Mann, der Liberty Valance erschoß" oder "Cheyenne" betrieben eine bittere, schonungslose Demontage der alten Mythen und Legenden - und waren noch dazu beide von Großmeister John Ford inszeniert, der dem Westmann-Kult im Kino einst zu seiner Größe verholfen hatte. "Wenn die Wahrheit über die Legende herauskommt, drucken wir trotzdem die Legende", lautet der Schlüsselsatz aus "Liberty Valance". Der Film erzählt die Geschichte eines Gouverneurs, dessen Ruhm daher rührt, dass er angeblich vor langer Zeit den Banditen Liberty Valance erschossen hat - was sich als Lüge herausstellt, die aus pragmatischen Gründen unterdrückt wird. "Liberty Valance" markierte das erste Aufeinandertreffen der Genretitanen John Wayne und James Stewart, wobei Wayne naheliegenderweise den alten Wilden Westen symbolisiert und Stewart den "Cowboy" mit Manieren und Anzug. Die Zeiten ändern sich und Land auf Brutalität und nackter Gewalt errichtet worden war. "Heaven's Gate" trieb das United-Artists-Studio in den Ruin und wurde als unpatriotisches Machwerk gescholten.
Western-Filme der Neuzeit
Über zwanzig Jahre später zeigte die TV-Westernserie "Deadwood" im Prinzip nichts anders, wurde aber mit Preisen überhäuft. Nach dem "Heaven's Gate"-Debakel schien der Western klinisch tot, bis Clint Eastwood ihm zu einem Revival verhalf. Mit "Pale Rider" und "Erbarmungslos" legte er zwei Spätwestern vor, die pessimistische Abgesänge auf die Zeit des alten Westens waren. Fast gleichzeitig bescherte Kevin Costner dem Genre ein weiteres Meisterwerk: "Der mit dem Wolf tanzt". Das bildgewaltige Epos war im Grunde eine Modernisierung des 40 Jahre alten Western "Der gebrochene Pfeil", in dem James Stewart den Friedensstifter zwischen Weißen und Apachen spielt. Costners Indianerwestern räumte sieben Oscars ab und ist mit einem weltweiten Einspielergebnis von 424 Millionen Dollar einer der erfolgreichsten Western aller Zeiten. Das Genre war wieder einmal von den Toten auferstanden, und über die Jahre erlebte es immer wieder kleinere Revivals. "Wyatt Earp", "Open Range" oder "Todeszug nach Yuma" demonstrierten beeindruckend, welch unglaublicher Reichtum im ältesten Genre der Filmgeschichte steckt. Oder wie es ein Genrekenner einst formulierte: Der Western kann gar nicht sterben, denn es gibt nichts, das ihn ersetzen könnte.
quelle: Cinema.de
und "Western Die Entwicklung eines Filmgenres von Michael Hanisch
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