Der 8. Mai 1945 - ein "Tag der Befreiung"?Ein Begriff der auch meiner Meinung nach mit Widersprüchen und Einschränkungen behaftet ist, wie die nachstehenden Ausführungen aufzeigen.
Am 8. Mai wird an vielen Orten an die bedingungslose Kapitulation der Deutschen im Jahr 1945 und an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa erinnert. In Frankreich, Tschechien und der Slowakei ist der 8. Mai ein gesetzlicher Feiertag. Die Deutschen tun sich dagegen schwer mit dem Gedenktag, seine Deutung und Bezeichnung als "Tag der Befreiung" sind seit Jahrzehnten umstritten - warum eigentlich?
Wir erklären, was am 8. Mai 1945 passierte, wie Ost- und Westdeutschland des Kriegsendes gedachten und warum die Bezeichnung "Tag der Befreiung" mit Vorsicht zu genießen ist...
Der 8. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation und Ende des Zweiten Weltkriegs
In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 unterzeichneten drei Vertreter der deutschen Wehrmacht - Generalfeldmarschall Keitel, Generaladmiral von Friedeburg und Generaloberst Stumpff - die bedingungslose Kapitulation der Deutschen. Bei der Unterzeichnung, die in Berlin-Karlshorst stattfand, waren Vertreter der sowjetischen, britischen, amerikanischen und französischen Streitkräfte anwesend. Einen Tag vorher, am 7. Mai 1945, war die bedingungslose Kapitulation bereits in Reims unterzeichnet worden, wo sich das Hauptquartier von General Eisenhower, dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, befand.
Erst am Morgen des 7. Mai hatten sich Vertreter der deutschen Wehrmacht - namentlich Großadmiral Dönitz und der vom ihm autorisierte Generaloberst Jodl - auf die bedingungslose Gesamtkapitulation auch gegenüber dem sowjetischen Oberkommando verständigt. Ursprünglich hatten Dönitz und Jodl den "Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens mit dem Hauptquartier des Generals Eisenhower" angestrebt. Mit der finalen Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation in Berlin endete der Zweite Weltkrieg in Europa. In Asien dauerte der Kriegszustand dagegen noch bis zum 15. August 1945 (offizielle Verkündung des "Kaiserlichen Erlass über das Kriegsende") bzw. 2. September 1945 (formelle Unterzeichnung der Kapitulation) an.
Der 8. Mai als Gedenktag im geteilten Deutschland
Der Umgang mit dem 8. Mai war im geteilten Nachkriegsdeutschland schon früh umstritten. Im Westen wurde der Tag weitgehend ignoriert, im Osten dagegen als "Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus" gefeiert und zeitweilig sogar zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Zum 30. Jahrestag der Kapitulation im Jahr 1975 orientierte sich die DDR noch stärker am sowjetischem Vorbild: Der Gedenktag wurde auf den 9. Mai verlegt und als "Tag des Sieges" gefeiert.
In der DDR war das offizielle Gedenken an den 8. Mai Teil der Selbstdarstellung als antifaschistischer Staat. Erinnert wurde an die Überwindung des Faschismus durch den Sieg der Roten Armee und die von kommunistischen Widerstandskämpfern und sowjetischem Volk erbrachten Opfer. Die nationalsozialistischen Verbrechen wurden am Rande erwähnt, aber nicht ausgeführt. Die Frage der Kollektivschuld des deutschen Volkes wurde ausgeblendet, die jüdischen Opfer weitestgehend verschwiegen. Negativerfahrungen der Deutschen mit der sowjetischen Streitmacht, Erinnerungen an Vertreibung, Vergewaltigung, Kriegsgefangenschaft etc. hatten ebenfalls keinen Raum.
In der Bundesrepublik Deutschland war der 8. Mai nie ein gesetzlicher Feiertag, größere Veranstaltungen gab es erst ab den 1970er Jahren und auch dann nur zu runden Jahrestagen. Mit einer positiven Lesart und einer entsprechenden offiziellen Bezeichnung als "Tag der Befreiung" tat man sich lange schwer.
Einen entscheidenden Einschnitt gab es im Jahr 1985. Anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes hielt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine Rede im Bundestag, in der er den 8. Mai offiziell als "Tag der Befreiung" titulierte. Zugleich machte Weizsäcker deutlich, dass der 8. Mai "kein Tag zum Feiern" sei:
"Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten..."
In der viel beachteten Rede rief Weizsäcker zum umfassenden Gedenken an "alle() Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft", vor allem an die sechs Millionen ermordeten Juden, auf. Der 8. Mai sei demnach vor allem ein "Tag des Erinnerns", so Weizsäcker.
Auch zur kollektiven (Mit-) Schuld der Deutschen am Holocaust äußerte sich der damalige Bundespräsident vergleichsweise deutlich: "Die Ausführung des Verbrechens lag in der Hand weniger. Vor den Augen der Öffentlichkeit wurde es abgeschirmt. Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Mitbürger erleiden mußten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zu offenem Haß."
Die Rede Weizsäckers gilt bis heute als wegweisend. In der Folge wurde die Bezeichnung des 8. Mai als "Tag der Befreiung" auch im Westen Deutschlands geläufiger - wenn auch unter anderen Prämissen als im Osten Deutschlands.
Umgang mit dem 8. Mai im vereinten Deutschland
Im wiedervereinten Deutschland konnte sich die Bezeichnung "Tag der Befreiung" nicht durchsetzen. Einen entsprechenden staatlichen Gedenktag gibt es bis heute nicht. Der 60. Jahrestag im Jahr 2005 wurde mit einem "Tag der Demokratie" begangen, am historischen Ort in Berlin-Karlshorst feiert man den 8. Mai als Beginn des "Frieden(s) in Europa".
Umstritten ist die Bezeichnung "Tag der Befreiung" aus mehreren Gründen. Zunächst verschleiert die Rede von der "Befreiung" die kollektive (Mit-) Schuld der Deutschen an den Gräueln des NS. Die Täter erscheinen als zahlenmäßig unbedeutende, gesellschaftlich leicht auszuschließende Gruppe, von denen die Masse des deutschen Volkes mit Kriegsende befreit wurde.
Des weiteren erweckt die Bezeichnung "Tag der Befreiung" den Eindruck, dass sich die Deutschen durch den einmaligen Akt der Kapitulation von ihrer (schuldhaften) Vergangenheit befreit hätten. Dass dem Kriegsende ein langer, schmerzhafter Aufarbeitungsprozess folgte, der noch immer nicht abgeschlossen ist (und dem sich Viele verweigerten), kommt nicht in den Blick.
Einige Historiker geben zudem zu bedenken, dass es den Alliierten 1945 nicht um Befreiung der Deutschen von einer Diktatur sondern um militärische Besiegung des Deutschen Reiches ging.
Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, lehnt den Begriff "Tag der Befreiung" aus anderen Gründen ab. Zumindest für den östlichen Teil Deutschlands stellte der 8. Mai 1945 keine Befreiung dar, weil dort eine Diktatur die andere ablöste. Von einer umfassenden Befreiung Deutschlands könne demnach erst nach dem Ende der DDR 1989/90 die Rede sein, so Knabe 2005 in der Publikation "Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland".
Als griffige Kurzformel taugt die Bezeichnung "Tag der Befreiung" somit im deutschen Kontext nicht. Wer vom 8. Mai als "Tag der Befreiung" spricht, sollte die oben genannten Einschränkungen, Widersprüche und problematischen Nebenbedeutungen nicht verschweigen. Angemessener ist wohl die Rede vom "Tag der bedingungslosen Kapitulation" oder "Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa".
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