Eine Erinnerung an die ›andere westliche Linke‹ zur Zeiten der Mauer

Was dachte der DDR Bürger über den deutschen in der Bundesrepublik. Was hielt der Bundesdeutsche vom DDR Einwohner? Unterschiedliche Ansichten bestehen heute noch. Was drücken sie aus, was wird erwartet?

Eine Erinnerung an die ›andere westliche Linke‹ zur Zeiten der Mauer

Beitragvon Interessierter » 7. September 2016, 12:59

Rote Nelken für Havemann

I.
Eine kurze, etwas verallgemeinernde Ausgangsskizze: Innerhalb der intellektuellen und journalistischen Szene Westdeutschlands (oder der ›alten Bundesländer‹) nahm die Generation von 68 jahrzehntelang eine herausragende Rolle ein. In der führenden politischen Klasse der zu Ende gehenden Ära Schroeder waren und sind an exponierter Stelle Repräsentanten jener Zeit stark vertreten (Fischer, Trittin, Wieczorek-Zeul, Rezzo Schlauch usw.). Mit dem Ende der deutschen und europäischen Teilung von freiheitlichem Westen und kommunistischem Osten ist auch diese ›linke Kultur‹ in eine starke Identitätskrise geraten. Innsbesondere durch die Öffnung osteuropäischer Staats­sicherheitsarchive wurde (und wird) immer mehr sichtbar, wie zweifelhaft sich oft viele ›linke Intellektuelle‹ gegenüber den Regimen des "realen Sozialismus" verhalten haben (Stichwort Wallraff). Aber nicht alle Intellektuelle und Politiker, die sich in den westdeutschen sechziger bis achtziger Jahren als ›Linke‹ definierten, müssen die Öffnung der Geheim-Akten über das realsozialistische De­nunziations- und Spitzelsystem fürchten.

Es ist an der Zeit, sich endlich auch differenzierender an diejenigen ›politischen Linke‹ zu erinnern, deren Verhalten eben nicht von der ›Doppiezza‹, dem ›Doppelspiel‹ geprägt war, die Vittorio Foa am Beispiel der italienischen Kommunisten beklagt hat. Das ist man auch denjenigen schuldig, die in dem vergangenen "Wolfsjahrhundert" (Ossip Mandel­stam) ihre Ideen einer ›besseren Gesellschaft‹, für die sie auch den Namen ›Sozialismus‹ verwendeten, nicht an die diversen Staatssicherheitsdienste verraten haben.2 Sie kön­nen heute – falls sie noch leben oder sich im öffentlichen politischen Getümmel bewegen – die ins Kraut schies­senden Stasi-Verdächtigungen, soweit sie ihre eigene Person betreffen, gelassen verfolgen, weil ihr vielleicht träumerisches Ideal vom Sozialismus mit der Wirklichkeit des osteuropäischen/ostdeutschen Sozialismus nicht vereinbar gewesen ist. Vielleicht waren sie auch zu ängstlich, um sich ohne Herzklopfen den Anweisungen irgendwelcher subalterner Stasi-Angestellten zu unterwerfen. Oder zu wenig ›deutsch‹, um sich diplomatischen Gepflogenheiten ohne Murren und Phantasie unterzuordnen. Aus den aktuellen Erinnerungsdebatten wird diese Linke jedoch weitgehend ausgeblendet.


II.
Nein, nicht schon wieder rosarote Verklärungen der ›tem­pi passati‹. Auch von roten Veteranen-Plaudereien oder Präsentationen alter Rechnungen haben wir genug. Aber warum soll man nicht daran erinnern, dass sich auch der Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Zeit als Juso-Funktionär an Diskussionen um einen ›basisdemokra­tischen Sozialismus‹ beteiligt hat, wie er damals im Umfeld des Offenbacher "Sozialistischen Büros" vertreten wurde. "Der Jungsozialisten-Bezirk Hannover", so schrieb ein gewisser Gerhard Schröder in der Zeitschrift ›Jungsozialisten‹, Ausgabe 2/74, "hat keinen Anlaß, zu leugnen, daß die Diskussionsansätze des Sozialistischen Büros seine Theoriedebatte prägen". Das ist kein Stoff für eine neue Kampagne, vielleicht nur eine Fußnote in der Biographie des Bundeskanzlers. Aber aus aktuellem Anlaß und um der historischen Differenzierung willen sollte man schon an die Aktivitäten jenes "Sozialistischen Büros" erinnern, das sich auch in den Hochzeiten der DDR-Vergötzung durch Teile der westdeutschen Linken nicht instrumentalisieren ließ.3 Die Debatten in den Publikationen des Sozialistischen Büros etwa während der ›bleiernen Jahre des Terrorismus‹ oder um die bürgerlichen Freiheitsrechte in der Zeit der Berufsverbote oder über den Nicht-Sozialismus in den Gesellschaften des ›realen Sozialismus‹ muß heute niemand, der an ihnen teilgenommen hat, aus seiner politischen Biographie streichen.

In "links", der Zeitschrift des ›Sozialistischen Büros‹, die auch von kritischen Linken in der DDR gelesen wurde, setzten sich in den Jahren um 1977 u.a. Elmar Altvater, Hansgeorg Conert, Rudi Dutschke und Manfred Scharrer mit dem Charakter des ›Realsozialismus‹ auseinander. Einig war man sich darin, daß diese Gesellschaft nicht die war, die man anstrebte. Aber wie war sie begrifflich zu fassen? Das Marxsche Entwicklungsschema "Feudalismus – Kapitalismus – Sozialismus" half hier nicht weiter. Selbst als ›Übergangsgesellschaften‹, wie Trotzki sie einst hoffnungsvoll bezeichnet hatte, wollte man sie nicht mehr verstehen. Ebenso umstritten war, wie es zu einer ›bürokratischen Herrschaft‹ dieser Art hatte kommen können: Waren Marx‘ Theorien schuld? Oder Lenins Lehre von der ›führenden Rolle der Partei‹? Oder das Weiterbestehen der alten Arbeitsteilung? Klar war: An ein ›sozialistische Bewußtsein‹ der Herrschenden zu appellieren war sinnlos. Auch mit der Rolle der Opposition hat man sich in den Informationsdiensten des ›Sozialistischen Büros‹ seligen Angedenkens ausführlich beschäftigt.4 Keine Kompromisse mit der stalinistischen Nomenklatura auch hier. Übel denunziert und attackiert von der DKP unseligen Angedenkens. Wer erinnert sich noch an Namen wie Renate Damus5 oder Ursula Schmiederer6 (beide an der Universität Osnabrück), die sich als linke Intellektuelle verstanden und trotzdem (?) mit Verve jede Zusammenarbeit auch nur mit dem in der Hierarchie niedrigsten Stasi-Schnüffler ablehnten. Allerdings beschränkten sich die Solidarisierungen mit der Opposition im "realen Sozialismus‹ vornehmlich auf theoretische Debatten oder öffentliche Erklärungen. Das SB hat sich ganz besonders aktiv an der Kampagne für Rudolf Bahro engagiert und seine Ideen auf vielen Seminaren diskutiert. Solidarisiert, wenn auch nicht immer einmütig, hat sich das SB mit der polnischen ›Solidarność‹-Bewegung. Längerfristige praktische Kontakte zu Oppositionsgruppen oder zur intellektuellen Kritik innerhalb des ›Ostblocks‹ gab es aber nur sehr wenige, allenfalls im privaten Rahmen.

Der interessante, vollständige Beitrag hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... -45/04512/

Ein letztes Urgestein mag vielleicht Ralf Stegner noch sein.
Interessierter
 

Re: Eine Erinnerung an die ›andere westliche Linke‹ zur Zeiten der Mauer

Beitragvon Interessierter » 15. September 2016, 09:11

Christ und Rebell: Rudi Dutschke

"Schon sehr früh sah ich die Schrecken des Krieges. Ich hörte, dass mein Onkel bei Maikop durch einen Volltreffer in seinem Panzer ums Leben gekommen war. Die Benachrichtigung darüber sagte aus: ›Gefallen für Führer und Reich‹. Was uns dieser Führer und dieses Reich gebracht haben, sehen wir erst heute, da an eine Einheit Deutschlands noch nicht wieder zu denken ist. Es soll nicht noch einmal heißen ›gefallen‹. Meine Mutter hat uns vier Söhne nicht für den Krieg geboren. Wir hassen den Krieg und wollen den Frieden. Wenn ich auch an Gott glaube und nicht zur Volksarmee gehe, so glaube ich dennoch, ein guter Sozialist zu sein."

Dies schrieb Rudi Dutschke im Februar 1958, kurz vor seinem 18. Geburtstag, an den Genossen Direktor der Gerhart-Hauptmann-Oberschule.

So hatte auch der Schüler Rudi D. im Brandenburgischen Luckenwalde, etwa fünfzig Kilometer von Berlin gelegen, Antikriegs-Gedichte gelernt und zusammen mit pazifistischen Lehrern und Mitschülern kritische Literatur gegen Waffen, Bewaffnung und Kriege allgemein gelesen, ja Kriegsspielzeug und alte Landser-Heftchen auf den Müll geworfen.

Umso empörter ist Rudi Dutschke, wir sind zurück im Jahre 1958, als vor allem der Direktor seiner Schule, eilfertig der neuen Linie der herrschenden SED folgend, hart mit potentiellen Wehrdienstverweigerern ins Gericht geht und von allen Schülern verlangt, nach dem Abitur den freiwilligen Dienst in der Nationalen Volksarmee anzutreten.
Und auf einer Schülervollversammlung der oberen Klassen, die nicht zuletzt des rebellischen jungen Christen Rudi Dutschke wegen einberufen wird, hält er seine erste große Rede.

Gut zwanzig Jahre später wird Rudolf Augstein dem toten Agitator der Revolte von 1968 nachrufen: "Er war ein Redner, wie es außer Strauß und Wehner in Deutschland nach 1945 keinen mehr gegeben hat. Im Gegensatz zu diesen beiden aber kein Pragmatiker."

Der vollständige, interessante Beitrag hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... -46/04614/

Er war ein Mensch, der leider von vielen verkannt wurde, damals leider auch von mir. [denken]
Interessierter
 


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