Meine erste Düsseldorf-Reise 1987
Verfasst: 23. Mai 2012, 20:08
März 1987 !
Ich hatte es geschafft! Hatte nach 4 Wochen ungeduldigen Wartens meine Reisegenehmigung in Händen.
Überglücklich, nach nunmehr 33 Jahren spätabends mit dem “Mumienexpress” endlich wieder einmal Richtung Westen zu reisen, wenn auch nur 10 Tage und allein. Der Zug Richtung Westen hatte viele Namen. In den 50er Jahren war es der Heringszug, wegen des Schwarzhandels. Im Westen nannte man ihn dann bis zur Wende nur den Interzonen-Zug. Im Osten blieb es der Mumienexpress. Weil all die vielen Jahre zuvor ja nur alte Ost-Rentner reisen durften, eben respektlos die “Mumien” genannt.
Meine Tante Aenne wurde zu unserem Bedauern bis zuletzt im Unklaren gelassen, ob es mit meiner Reise klappt, denn am letzten Tag gab es keine Telefon-Verbindung mehr über das Fernamt (jedes Gespräch mußte angemeldet werden und es konnte bis zu 24 Stunden dauern bis man vermittelt wurde). Armes (Ost-)Deutschland!
Abends bin ich in Magdeburg mit 15.- Westmark (!), von der Staatsbank 1:1 getauscht, in den Zug geklettert. Hier wurden mindestens 8 Reisende, teils 10, in die Sechser-Abteile gepfercht. Ein freundlicher Reichsbahner (solche gab es früher) sagte noch, dass keiner meutern solle, denn alle, die in Oebisfelde noch im Gang stehen, müssten dort bei jedem Wetter mit ihrem Gepäck auf dem Bahnsteig ausharren. Da dort keiner 40 Minuten in Wind und Wetter zubringen wollte, ergaben wir uns der Enge. So brauchte im wahrsten Sinne des Wortes keiner zu frieren. Draußen nicht und erst recht nicht drinnen.
Spätestens nach Passieren von Oebisfelde hasste ich den Staat mehr denn je. Es ist ein Unterschied, ob man von Schikanen hört, oder sie selbst hautnah miterleben muss! Diese sture staatliche Willkür!
Überfallartig betrat ein ganzes “Prüfgremium” Uniformierter den Waggon. Zeitgleich wurde dieser von außen abgeschlossen!
Zwei, drei Leute prüften unsere Reisepapiere, einer war mit Pässen stempeln und Geldwechsel für westdeutsche Reisende beschäftigt.
Ein weiteres Geschwader widmete sich dem Waggon selbst. Wer bisher nicht wusste, wie viele Klappen und Öffnungen ein Reisezugwagen hat, der lernte es jetzt. Trittleitern wurden eigens zur Kontrolle in den Zug getragen. Die Kontrolleure stocherten sogar mit langen Eisenstangen in den Zwischendecken herum, suchten Republikflüchtlinge, arme Seelen ohne Pässe. Das geschah im ganzen langen Interzonenzug zeitgleich, in jedem Abteil. Denn deren Zeitfenster betrug ohne Zwischenfälle “nur” 40 Minuten.
Derzeit waren bestimmt im Zug 50 oder noch mehr Uniformierte beschäftigt, abgesehen vom eigentlichen Grenzpersonal. Das lief außen um die umstellten Wagen. Hundeführer scheuchten ihre abgerichteten Kampfmaschinen unter die Waggons, nichts wäre denen verborgen geblieben. Ich empfinde dafür auch heute nur Abscheu.
Zur reinen Freude der Wachmannschaften wurden Reisende aufs Übelste diskriminiert und unwürdigen Prozeduren unterzogen. Gepäckstücke wurden in der Enge vor den Augen der Mitreisenden durchwühlt. Zu meutern traute sich aber niemand, denn keiner wollte seine Reise bereits auf dem Bahnhof in Oebisfelde beenden. Eine fürchterlich gedrückte Stimmung breitete sich aus, man spürte förmlich die elektrische Ladung, die kurz vorm Zerbersten war. Durch dieses Prozedere diskreditierte sich der Staat selbst immer offensichtlicher. Tausende durften nun handverlesen reisen, und ein Jeder erzählte anschließend von unwürdigen Schikanen.
Jeder sah nun bei Ausfahrt unseres Zuges einen kilometerlangen Stacheldrahtkorridor durchs Niemandsland, durch den die Züge nach der Kontrolle im Schritttempo fuhren. Unmenschlich!
Von "unserem" Arbeiter- und Bauernstaat verbrochen! Das war der Ausgang aus dem “DDR-Gefängnis” der 17 Millionen!
Man spürte, wie der ganze Zug sich schlagartig aus den Federn hob. So viele Steine sind da gleichzeitig den Reisenden von den Herzen gepurzelt.
Uns regierte in den letzten Jahren eine gefährliche, vertrottelte alte Riege, die meisten borniert und nicht mehr lernfähig. Die lebten ihre Dummheit aus, ohne es zu merken. Doch noch schlimmer war, dass sich ein ganzes Volk solange hat demütigen lassen!
Freude und Traurigkeit hielten sich im Zug die Waage. Man war froh, nun endlich zu reisen und gleichzeitig betrübt, dass dies allein geschehen musste, dass die Familienangehörigen als Geiseln zurück bleiben mussten. Ich habe das bei allen meinen 4 Fahrten so empfunden.
Schon bei der ersten Reise kam mir Schillers “Bürgschaft” in den Sinn: “Ich lass den Freund dir als Bürgen, ihn magst du, entrinn ich, erwürgen …”
In Dortmund, meiner ersten Station angekommen, war ich zu einem Frühstück bei Frau P. eingeladen. Sie ist nach dem Tod ihres Mannes als Rentnerin mit seiner Urne übergesiedelt. Sie hatte es zuvor geschafft, ihren Werner, also die Urne, ewige Monate bis zur Ausreisegenehmigung in der Wohnung aufzubewahren …
In der selben Etage, direkt nebenan wohnte Witwe Jung, eine weitere Quedlinburgerin. Ihr Mann half über Jahre den P’s im Süderstädter Schrebergarten. Da sind dann nach dem Tod der Männer beide Frauen sinniger Weise gemeinsam übergesiedelt und waren nicht allein.
“Piepschen” freute sich nun mächtig, mich, ihren ehemaligen Nachbarn wieder zu sehen. Über was haben wir nur alles geschlabbert. Doch schon recht bald ging es weiter nach Duisburg und da stieg ich am Hauptbahnhofsvorplatz in die Straßenbahn U79 Richtung Düsseldorf.
In Wittlaer, dem ersten Düsseldorfer Vorort, stieg ich dann aus. Niemand kannte meine Ankunftszeit, so war ich mit mir und meinen Gedanken in den ersten Momenten dort ganz allein. Das war toll, das war wunderschön!
So etwa muss es gefühlsmäßig den Spätheimkehrern des letzten Krieges gegangen sein…
Ich stand da bestimmt eine Viertelstunde am Bahnsteig oberhalb von Wittlaer, mit Blick Richtung Duisburger Straße. Selbst ich als 36-Jähriger brauchte in dieser Situation eine gewisse Zeit, mich zu sammeln, meine Gefühle zu ordnen …
An mir zog meine kurze aber intensive Düsseldorfer Kinderzeit vorüber. Kaum begreifend, dass ich nun hier stehe, hier stehen darf!
Alles hier war immer noch so vertraut …
Nun lief ich ein paar hundert Meter weiter entlang der alten B 8 und schon stand ich in Kaiserswerth, Arnheimer Straße 146, im Grundstück genau rechts neben dem Diakonie-Heim “Haus Heimatfreude”.
Hier wohnte meine Tante Aenne, allein im Souterrain einer alten geklinkerten Bauhausvilla, direkt an die Rheinwiesen grenzend. Eine wunderschöne Wohnlage.
Was war das für ein Hallo, als ich bei ihr unvermittelt im Garten stand. Unbeschreiblich, solch freudige Momente gibt es nicht viele im Leben …
(Meine Tante starb am 12. April 2012, Sie wurde 100 Jahre, einen Monat und einen Tag)
Ich hatte es geschafft! Hatte nach 4 Wochen ungeduldigen Wartens meine Reisegenehmigung in Händen.
Überglücklich, nach nunmehr 33 Jahren spätabends mit dem “Mumienexpress” endlich wieder einmal Richtung Westen zu reisen, wenn auch nur 10 Tage und allein. Der Zug Richtung Westen hatte viele Namen. In den 50er Jahren war es der Heringszug, wegen des Schwarzhandels. Im Westen nannte man ihn dann bis zur Wende nur den Interzonen-Zug. Im Osten blieb es der Mumienexpress. Weil all die vielen Jahre zuvor ja nur alte Ost-Rentner reisen durften, eben respektlos die “Mumien” genannt.
Meine Tante Aenne wurde zu unserem Bedauern bis zuletzt im Unklaren gelassen, ob es mit meiner Reise klappt, denn am letzten Tag gab es keine Telefon-Verbindung mehr über das Fernamt (jedes Gespräch mußte angemeldet werden und es konnte bis zu 24 Stunden dauern bis man vermittelt wurde). Armes (Ost-)Deutschland!
Abends bin ich in Magdeburg mit 15.- Westmark (!), von der Staatsbank 1:1 getauscht, in den Zug geklettert. Hier wurden mindestens 8 Reisende, teils 10, in die Sechser-Abteile gepfercht. Ein freundlicher Reichsbahner (solche gab es früher) sagte noch, dass keiner meutern solle, denn alle, die in Oebisfelde noch im Gang stehen, müssten dort bei jedem Wetter mit ihrem Gepäck auf dem Bahnsteig ausharren. Da dort keiner 40 Minuten in Wind und Wetter zubringen wollte, ergaben wir uns der Enge. So brauchte im wahrsten Sinne des Wortes keiner zu frieren. Draußen nicht und erst recht nicht drinnen.
Spätestens nach Passieren von Oebisfelde hasste ich den Staat mehr denn je. Es ist ein Unterschied, ob man von Schikanen hört, oder sie selbst hautnah miterleben muss! Diese sture staatliche Willkür!
Überfallartig betrat ein ganzes “Prüfgremium” Uniformierter den Waggon. Zeitgleich wurde dieser von außen abgeschlossen!
Zwei, drei Leute prüften unsere Reisepapiere, einer war mit Pässen stempeln und Geldwechsel für westdeutsche Reisende beschäftigt.
Ein weiteres Geschwader widmete sich dem Waggon selbst. Wer bisher nicht wusste, wie viele Klappen und Öffnungen ein Reisezugwagen hat, der lernte es jetzt. Trittleitern wurden eigens zur Kontrolle in den Zug getragen. Die Kontrolleure stocherten sogar mit langen Eisenstangen in den Zwischendecken herum, suchten Republikflüchtlinge, arme Seelen ohne Pässe. Das geschah im ganzen langen Interzonenzug zeitgleich, in jedem Abteil. Denn deren Zeitfenster betrug ohne Zwischenfälle “nur” 40 Minuten.
Derzeit waren bestimmt im Zug 50 oder noch mehr Uniformierte beschäftigt, abgesehen vom eigentlichen Grenzpersonal. Das lief außen um die umstellten Wagen. Hundeführer scheuchten ihre abgerichteten Kampfmaschinen unter die Waggons, nichts wäre denen verborgen geblieben. Ich empfinde dafür auch heute nur Abscheu.
Zur reinen Freude der Wachmannschaften wurden Reisende aufs Übelste diskriminiert und unwürdigen Prozeduren unterzogen. Gepäckstücke wurden in der Enge vor den Augen der Mitreisenden durchwühlt. Zu meutern traute sich aber niemand, denn keiner wollte seine Reise bereits auf dem Bahnhof in Oebisfelde beenden. Eine fürchterlich gedrückte Stimmung breitete sich aus, man spürte förmlich die elektrische Ladung, die kurz vorm Zerbersten war. Durch dieses Prozedere diskreditierte sich der Staat selbst immer offensichtlicher. Tausende durften nun handverlesen reisen, und ein Jeder erzählte anschließend von unwürdigen Schikanen.
Jeder sah nun bei Ausfahrt unseres Zuges einen kilometerlangen Stacheldrahtkorridor durchs Niemandsland, durch den die Züge nach der Kontrolle im Schritttempo fuhren. Unmenschlich!
Von "unserem" Arbeiter- und Bauernstaat verbrochen! Das war der Ausgang aus dem “DDR-Gefängnis” der 17 Millionen!
Man spürte, wie der ganze Zug sich schlagartig aus den Federn hob. So viele Steine sind da gleichzeitig den Reisenden von den Herzen gepurzelt.
Uns regierte in den letzten Jahren eine gefährliche, vertrottelte alte Riege, die meisten borniert und nicht mehr lernfähig. Die lebten ihre Dummheit aus, ohne es zu merken. Doch noch schlimmer war, dass sich ein ganzes Volk solange hat demütigen lassen!
Freude und Traurigkeit hielten sich im Zug die Waage. Man war froh, nun endlich zu reisen und gleichzeitig betrübt, dass dies allein geschehen musste, dass die Familienangehörigen als Geiseln zurück bleiben mussten. Ich habe das bei allen meinen 4 Fahrten so empfunden.
Schon bei der ersten Reise kam mir Schillers “Bürgschaft” in den Sinn: “Ich lass den Freund dir als Bürgen, ihn magst du, entrinn ich, erwürgen …”
In Dortmund, meiner ersten Station angekommen, war ich zu einem Frühstück bei Frau P. eingeladen. Sie ist nach dem Tod ihres Mannes als Rentnerin mit seiner Urne übergesiedelt. Sie hatte es zuvor geschafft, ihren Werner, also die Urne, ewige Monate bis zur Ausreisegenehmigung in der Wohnung aufzubewahren …
In der selben Etage, direkt nebenan wohnte Witwe Jung, eine weitere Quedlinburgerin. Ihr Mann half über Jahre den P’s im Süderstädter Schrebergarten. Da sind dann nach dem Tod der Männer beide Frauen sinniger Weise gemeinsam übergesiedelt und waren nicht allein.
“Piepschen” freute sich nun mächtig, mich, ihren ehemaligen Nachbarn wieder zu sehen. Über was haben wir nur alles geschlabbert. Doch schon recht bald ging es weiter nach Duisburg und da stieg ich am Hauptbahnhofsvorplatz in die Straßenbahn U79 Richtung Düsseldorf.
In Wittlaer, dem ersten Düsseldorfer Vorort, stieg ich dann aus. Niemand kannte meine Ankunftszeit, so war ich mit mir und meinen Gedanken in den ersten Momenten dort ganz allein. Das war toll, das war wunderschön!
So etwa muss es gefühlsmäßig den Spätheimkehrern des letzten Krieges gegangen sein…
Ich stand da bestimmt eine Viertelstunde am Bahnsteig oberhalb von Wittlaer, mit Blick Richtung Duisburger Straße. Selbst ich als 36-Jähriger brauchte in dieser Situation eine gewisse Zeit, mich zu sammeln, meine Gefühle zu ordnen …
An mir zog meine kurze aber intensive Düsseldorfer Kinderzeit vorüber. Kaum begreifend, dass ich nun hier stehe, hier stehen darf!
Alles hier war immer noch so vertraut …
Nun lief ich ein paar hundert Meter weiter entlang der alten B 8 und schon stand ich in Kaiserswerth, Arnheimer Straße 146, im Grundstück genau rechts neben dem Diakonie-Heim “Haus Heimatfreude”.
Hier wohnte meine Tante Aenne, allein im Souterrain einer alten geklinkerten Bauhausvilla, direkt an die Rheinwiesen grenzend. Eine wunderschöne Wohnlage.
Was war das für ein Hallo, als ich bei ihr unvermittelt im Garten stand. Unbeschreiblich, solch freudige Momente gibt es nicht viele im Leben …
(Meine Tante starb am 12. April 2012, Sie wurde 100 Jahre, einen Monat und einen Tag)