MfS Bericht über eine Fotoausstellung in Ostberlin

Was dachte der DDR Bürger über den deutschen in der Bundesrepublik. Was hielt der Bundesdeutsche vom DDR Einwohner? Unterschiedliche Ansichten bestehen heute noch. Was drücken sie aus, was wird erwartet?

MfS Bericht über eine Fotoausstellung in Ostberlin

Beitragvon Transitfahrer » 18. Dezember 2018, 17:34

In der Zeit vom 17.1.1977 bis 6.2.1977 fand in den Ausstellungsräumen am Fernsehturm eine Ausstellung der BRD zum Thema »Fotografie in Wissenschaft und Technik« statt.1 Veranstalter der Ausstellung war der Kulturbund der DDR. Für den Aufbau und die inhaltliche Gestaltung zeichneten das Institut für Fotoanalyse in Hofgeismar bei Kassel2 und dessen Leiter Dr. Brill, der während der gesamten Dauer der Ausstellung anwesend war, verantwortlich. Von der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, die sich stark arrangierte,3 wurde diese Ausstellung vor allem als Demonstration dafür betrachtet, dass auch ohne Regierungsabkommen der Austausch von Erfahrungen und Leistungen auf den Gebieten Wissenschaft und Kultur möglich sei.
Die Ausstellung wurde von insgesamt 149 245 Personen besucht. (Davon allein am 29.1.1977 10 300, am 30.1.1977 17 400, am 5.2.1977 12 500 und am 6.2.1977 20 000 Besucher.)
Wie bei Ausstellungen allgemein üblich, war für die Besucher ein Besucherbuch vorgesehen. Von der BRD-Seite wurde zu Beginn der Ausstellung der Versuch unternommen, ein eigenes Besucherbuch auszulegen. Dieses Ansinnen ist sofort zurückgewiesen worden, da ein Besucherbuch nur vom Veranstalter der Ausstellung, dem Kulturbund der DDR, ausgelegt werden kann. Demzufolge wurde nach der Eröffnung der Ausstellung auf einem Tisch am Eingang des Ausstellungsraumes ein Besucherbuch, versehen mit einem Stempel »Kulturbund der DDR«, öffentlich ausgelegt. Dieses Buch war während der gesamten Dauer der Ausstellung jedem Besucher zugänglich. Es wurde niemand dazu aufgefordert und auch keiner daran gehindert, sich in das Buch einzutragen. Nach Beendigung der Ausstellung ist das Buch wieder vom Kulturbund der DDR eingezogen worden.
In dem Besucherbuch haben insgesamt 120 Besucher Eintragungen vorgenommen (0,08 % der Ausstellungsbesucher).
In der überwiegenden Mehrzahl der Eintragungen wird die Durchführung einer Ausstellung der BRD in der DDR begrüßt. Eine fachliche Wertung der Ausstellung wird nur von relativ wenigen Personen vorgenommen. Aus den meisten Eintragungen ist zu entnehmen, dass die Betreffenden aus Neugier und vor allem weil es sich um eine BRD-Ausstellung handelte, einen Besuch unternommen haben.
In einer Reihe von Bemerkungen wird die Durchführung einer solchen Ausstellung mit der Hoffnung auf eine weitere Durchsetzung des Entspannungsprozesses verbunden. Etwa die Hälfte der Personen hat sich dafür ausgesprochen, künftig weitere Ausstellungen der BRD in der DDR zu veranstalten.
Bemerkenswert ist, dass in relativ vielen Eintragungen (ca. 20) einseitig der hohe Stand von Wissenschaft und Technik in der BRD hervorgehoben und die DDR im Vergleich damit als »rückständig« bezeichnet wird. Das drückt sich u. a. in solchen Bemerkungen aus, wie
– die Ausstellung zeige den gewachsenen Vorsprung der »freien Wissenschaft«;

– ein solcher Fortschritt von Wissenschaft und Technik sei unter sozialistischen Verhältnissen nicht möglich;

– die Ausstellung mache den Nachholbedarf der Wissenschaft und Technik in der DDR deutlich;

– »hier haben wir begriffen, was wissenschaftlich-technischer Fortschritt ist«.

Verschiedentlich gibt es auch dahingehend Bemerkungen, dass es solche Ausstellungen erst ermöglichen, sich »objektiv« über den Stand der Wissenschaft und Technik in der BRD zu informieren. Dabei wird u. a. behauptet:
– die Massenmedien der DDR würden ein verzerrtes Bild von der BRD zeigen;

– es gebe in der DDR nur schwach entwickelte Informationen aus der BRD;

– der große Besucherstrom beweise, dass in der DDR ein großes Informationsdefizit bestehe.

In zwei Fällen wird offen die Forderung nach Übersiedlung in die BRD erhoben beziehungsweise gegen Grenzsicherungsmaßnahmen gehetzt. Beide Schreiber blieben anonym.
In anderen Eintragungen wird der Wunsch auf »Reisefreiheit« in die BRD geäußert, um sich »an Ort und Stelle objektiv informieren zu können«. Man sei nur in die Ausstellung gekommen, weil es »die erste Ausstellung aus Deutschland in der DDR« sei.
Einige solcher Schreiber bringen zum Ausdruck, dass für sie die Ausstellung ein Blick in den »freien Teil Deutschlands« gewesen sei, der für DDR-Bürger nach wie vor nicht zugänglich wäre. In einer Eintragung wird die Behauptung aufgestellt, die DDR-Werbung sei darauf ausgerichtet gewesen, die DDR-Bürger so wenig wie möglich zu informieren, um sie von der Ausstellung fernzuhalten. Der Besucherstrom spreche aber für sich und es dürfte die erste und letzte BRD-Ausstellung in der DDR gewesen sein, denn der »Einblick in den Kapitalismus war zu offen«. Von einem anderen Schreiber werden die negativen Eintragungen als Widerspiegelung »der objektiven Meinung der Besucher im Hinblick auf die angebliche Freiheit in der DDR« hingestellt.
Gegen die genannten feindlich-negativen Schmierereien nahm eine Reihe DDR-Bürger im Besucherbuch Stellung. Von ihnen wurde verurteilt, dass Schmierfinken die Gelegenheit gegeben werde, die DDR zu diskriminieren und zu beschimpfen. Solche Beiträge seien niveaulos und zeugten von mangelnder politischer Bildung. Diejenigen Schreiber, »die das Hohelied auf die Zustände in der BRD singen«, sollten auch die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus sehen und an die vielen arbeitslosen Wissenschaftler in der BRD denken. Die Wissenschaft und Technik in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern brauche sich nicht zu verstecken. Es gebe auch hier hohe Spitzenleistungen, wie z. B. die im VEB Zeiss Jena entwickelte Multispektralkamera. In anderen Beiträgen wird auch auf die Tatsache verwiesen, dass sich der Doppelmörder Weinhold in der BRD auf freien Fuß befindet.4

1 Vgl. dazu »Fotografie in Wissenschaft und Technik«. In: Bild und Ton. Wissenschaftliche Zeitschrift für Kinofilm-, Fernsehfilm-, Foto- und Tontechnik 30(1977)1, S. 4; Boysen, Jacqueline: Das »weiße Haus« in Ost-Berlin. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR. Berlin 2010, S. 148.

2 Das »Institut für Fotoanalyse« wurde 1955 von Hermann Brill als »Laboratorium für Fotoanalyse« gegründet.

3 Gemeint ist vermutlich: »engagierte«.

4 Werner Weinhold, Jg. 1949, Soldat der NVA, erschoss am 19.12.1975 bei seiner Flucht aus der DDR zwei Grenzsoldaten. In der Bundesrepublik angeklagt wegen Totschlags wurde er im Dezember 1976 zunächst freigesprochen, im Berufungsverfahren drei Jahre später jedoch zu 5 ½ Jahren Haft verurteilt. Vgl. Grasemann, Hans-Jürgen: Ein innerdeutscher Strafrechtskonflikt und seine Folgen. Anmerkungen zum Fall Weinhold. In: Deutsche Studien 16(1978)63, S. 227–240.

Quelle: BStU, MfS, ZAIG 2647, Bl. 1–5 (5. Expl.).
Serie: Informationen.
Verteiler: Honecker – MfS: Mittig, Leiter HA II, Hugler (ZAIG), Ablage.
Datum: Unter der Datumszeile zusätzlich handschriftlich: »11.2.77« (Datum der Vorlage an Mielke durch die ZAIG).
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