In den Bereich der Ironie gehören die »Jahresendflügelfigur« und das »Erdmöbel«, die beide durch das DDR-Satiremagazin »Eulenspiegel« bekannt wurden.
Auch zu finden in folgendem Buch:
Ernst Röhl -
Wörtliche Betäubung. Neudeutscher Mindestwortschatz. Eulenspiegel Verlag Berlin, 1986, ISBN 3-359-00040-4 (3. erweiterte Auflage 1989, ISBN 3-359-00435-3)
Zum Thema, im weiteren Sinne, hie ein Artikel aus einem Blog //Bremer Sprachblog //
Barocke Blutarmut
Über die Sprache der ehemaligen DDR werden ja häufig Dinge
erzählt, die mehr mit Vorurteilen als mit der sprachlichen Wirklichkeit zu tun haben. Letzte Woche habe ich dieses Juwel auf Welt Online gefunden:
Dann erfand die ostdeutsche Wirklichkeit neue Wörter für neue Sachverhalte. Vielfach handelte es sich dabei um Abkürzungen, die man im Westen schon deshalb nicht verstand, weil das, was sie benannten, dort nicht vorkam: VEB und VVB, LPG und NVA, zum Beispiel. Die Beziehung der Staatspartei SED zur deutschen Umgangssprache war gekennzeichnet durch Blutarmut und barocke Formelhaftigkeit. Gern erfand sie auch Neologismen, etwa wenn einfache Berufe durch eine neue Bezeichnung aufgewertet werden sollten. Da gab es etwa den Facharbeiter für Bürotechnik. Es handelte sich um die Stenotypistin. Auch die Versuche, christlichen Festen den atheistischen Garaus zu machen, führten zu sprachlicher Verrenkung. Eine gewisse Prominenz erlangte die Jahresendflügelfigur, die nichts anderes bezeichnete als den Weihnachtsengel. Ein anderer tabuisierter Bereich war das Sterben. Der DDR-Beitrag zum Thema war ein neues Wort für den Sarg: Erdbestattungsmöbel. [Welt Online]Also erstmal:
Neue Wörter für neue Sachverhalte sind nichts Ungewöhnliches, schon gar nicht etwas typisch Ostdeutsches. Jede Sprachgemeinschaft findet neue Wörter für neue Sachverhalte, sonst könnten sich ihre Sprecher nach kurzer Zeit nur noch über sehr wenige Aspekte ihres Lebens unterhalten. Abkürzungen sind an sich auch nichts typisch Ostdeutsches, ich stelle dem VEB beispielhaft die GmbH gegenüber, der VVB die IHK, der LPG die eG und der NVA das KSK der Bundeswehr. Blutarm vielleicht, aber allesamt erfunden von einer westdeutschen Wirklichkeit (falle eine Wirklichkeit tatsächlich Dinge erfinden kann).
Das Aufwerten von einfachen Berufen durch neue Bezeichnungen ist ganz sicher nichts, was typisch für die DDR war. Ich empfehle
diese Liste gesamtdeutscher Ausbildungsberufe für einen Abend heiteren Euphemismenratens — von der „Fachkraft für Lagerlogistik“ über die „Kauffrau im Einzelhandel“ bis zum „Verfahrensmechaniker Steine- und Erdenindustrie (Asphalttechnik)“. Alles ehrbare Berufe, die wir aber im Alltag mit weniger barocken Formeln benennen.
(soweit das Zitat aus dem Blog)
- Der fett hervorgehoben Satz ist besonders von all den Eiferen zu lesen welche die teilweise durchaus kuriosen Wortschöpfungen aus der DDR als Systemimmanenten Ausdruck des "menschenverachtenden" Regimes ausmachen. -
Die meisten Besonderheiten des Sprachgebrauches der DDR betrafen den Wortschatz oder Redewendungen:
politisch geprägte (offizielle) Bildungen: antifaschistischer Schutzwall, Arbeiter-und-Bauern-Macht, Kollektiv der sozialistischen Arbeit, Republikflucht begehen, die Werktätigen
unterschiedliche Bildungsmuster in Ost und West: Flugzeug statt Flieger, 2-Raum-Wohnung, Kaderleiter, Kaufhalle, Kinderkrippe, Kindergarten, Jahresendprämie
unterschiedliche Bedeutungen in Ost und West: Brigade, Kollektiv, Krankenschein, Poliklinik, realisieren
Bezeichnungen für DDR-Typisches: Dederon, Malimo, KIM-Eier, Präsent 20, Polylux, Kriepa; Kombinat, Konsum [Betonung auf der ersten Silbe, o und u kurz gesprochen], Messe der Meister von morgen, Babyjahr, Ehekredit, Hausarbeitstag, Komplexannahmestelle, Faltbeutel, polytechnische Oberschule, Westpaket
umgangssprachliche, ironische Sprachschöpfungen(nicht offiziell): Arbeiterwohnregal, Wohnklo, Konsumjeans, Aluchips [DDR-Geld], SV-Urlaub [6 Wochen von der Sozialversicherung bezahlte Krankschreibung, die mancher dem Urlaub hinzurechnete], der große Bruder [die Sowjetunion], Essengeldturnschuhe [verächtlich für billige Turnschuhe, die so viel kosteten wie das Schulessen für eine Woche: 2,75 Mark], zur Fahne [Armee] müssen, Karl-Chemnitz-Stadt [für das in Karl-Marx-Stadt umbenannte Chemnitz]
Nach 1989 wurden die vormaligen Westler und Bundis umgangssprachlich schnell zu Wessis (als Analogiebildung zu den Ossis?).
Gruß
Nostalgiker