MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Alle Themen die eine Bezug zur Wende und Grenzöffnung haben. Persönliche Erlebnisse, Gedanken aus dieser Zeit, Dokumente und ähnliches.

MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Beitragvon pentium » 9. Dezember 2014, 17:47

Zitat:
Zur historischen Aufarbeitung der Ereignisse des Herbstes 1989 gibt es für den ehemaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt erstaunlich wenig Veröffentlichungen. Bisher liegt nur eine zusammenhängende Darstellung aus der Sicht der Bürgerbewegung vor.

Dieser Beitrag soll ein erster Versuch sein, die Auswirkungen der Ereignisse auf die damalige Bezirksverwaltung für Staatssicherheit vor allem aus den von ihr hinterlassenen Unterlagen zu interpretieren. Wichtig erscheint, das Verhältnis von SED und Staatssicherheitsdienst zu beleuchten. Das MfS war zwar per Gesetz in das administrative Gefüge der DDR eingebettet, aber es hat sich in den fast 40 Jahren seiner Existenz nie vorrangig als Staatsorgan begriffen, sondern als "Schild und Schwert" der Partei, genauer der Parteiführung der SED. Aus diesem Verständnis heraus, aus dem Abhängigkeitsverhältnis von der Partei und der Agonie, in die die überalterte SED-Führung 1989 gefallen war, wird letztlich klarer, warum sich der Staat DDR und noch vor ihm die Geheimpolizei relativ widerstandslos auflösen ließen....]

http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Publi ... cationFile

Ein ziemlich umfangreiches Dokument über den Herbst 1989, besonders in den letzten Abschnitten gibt es einige interessante Einblicke in die letzten Wochen der Staatssicherheit im Bezirk Karl-Marx-Stadt.

mfg
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Beitragvon augenzeuge » 9. Dezember 2014, 19:03

Echt spannend!! [super]

Seit Beginn der achtziger Jahre war eine Vielzahl von Friedens- und Ökologiegruppen entstanden. Eine Ursache war, daß zu den allgemeinen Beschwernissen des Lebens in der DDR eine drastisch zugespitzte Umweltsituation kam – Stichworte sind das Waldsterben im Erzgebirge und der Uranbergbau –, die vielfachen Protest auslöste.


Das MfS war .... "Schild und Schwert" der Partei, genauer der Parteiführung der SED. Aus diesem Verständnis heraus, aus dem Abhängigkeitsverhältnis von der Partei und der Agonie, in die die überalterte SED-Führung 1989 gefallen war, wird letztlich klarer, warum sich der Staat DDR und noch vor ihm die Geheimpolizei relativ widerstandslos auflösen ließen.

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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Beitragvon augenzeuge » 9. Dezember 2014, 19:32

Was sagt man dazu? [angst]

So hatten zum Beispiel in Plauen 64 Ausreisewillige angekündigt, daß sie am 40. Jahrestag der DDR für die Forderung nach Freizügigkeit demonstrieren wollten.
Die federführend mit ihrer Bekämpfung betraute Abteilung XX mußte feststellen, daß sie dieses Vorhaben mit administrativen und strafrechtlichen Maßnahmen nicht mehr verhindern konnte.


Ehemalige Angehörige des MfS verließen die DDR über Ungarn. Geklagt wurde über inoffizielle Mitarbeiter, die die Staatssicherheit "irregeführt" und denselben Weg eingeschlagen hatten.

...die Mitarbeiter der Staatssicherheit konnten ihren Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang gerecht werden. Die für Ermittlungsverfahren bei "ungesetzlichen Grenzübertritten" (§ 213 des
DDR-Strafgesetzbuches) zuständige Untersuchungsabteilung IX sah sich kaum mehr in der Lage, wie bisher jeden Fall zu untersuchen. Es wurden Überlegungen angestellt, ob ein größerer
Teil dieser Aufgaben an die Volkspolizei übertragen werden könnte.

Ein früher undenkbares Zurückweichen gegenüber den Ausreisewilligen war es, als in der Dienstversammlung am 15. September bestimmt wurde, zu "Demonstrativhandlungen" neigende Antragsteller ausreisen zu lassen. Die Leitung der Bezirksverwaltung fürchtete Störungen der Feiern zum 40. Jahrestag der DDR.

Das Überwachungssystem funktionierte auch an anderen Stellen nicht mehr. Die Abteilung XX war selbst in Verbindung mit den Mitarbeitern für Kirchenfragen bei den Räten der Kreise nicht
mehr in der Lage, sich offensiv mit der Kirche auseinanderzusetzen.


Unglaublich....was schon vor dem 40. Jahrestag passierte.....
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Beitragvon Danny_1000 » 9. Dezember 2014, 19:41

augenzeuge hat geschrieben:......
Das MfS war .... "Schild und Schwert" der Partei, genauer der Parteiführung der SED. Aus diesem Verständnis heraus, aus dem Abhängigkeitsverhältnis von der Partei und der Agonie, in die die überalterte SED-Führung 1989 gefallen war, wird letztlich klarer, warum sich der Staat DDR und noch vor ihm die Geheimpolizei relativ widerstandslos auflösen ließen.

AZ

Die Agonie der Parteiführung als Begründung dafür anzuführen, warum sich der Staat DDR und noch vor ihm die Geheimpolizei relativ widerstandslos auflösen ließen, trifft es nicht. Zum Einen ist dieser Begriff sehr schwammig.

Natürlich mag es unter den alten greisen Parteiführern Typen gegeben haben, bei denen die Nerventätigkeit nahezu erloschen war.

Daneben aber gab es mit Sicherheit in der Anfangsphase des Umbruches in der DDR auch innerhalb der SED auf der höheren und mittleren Leitungsebene Menschen, die sich konsequent gegen eine militärische Niederschlagung der Massendemos in der DDR aussprachen und auf Dialog setzten.

Ein Beispiel dafür ist der „Aufruf der Leipziger Sechs“ am 8.Oktober 1989, unter denen sich auch 3 SED- Funktionäre der Bezirksleitung Leipzig befanden.

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dafür einsetzen, dass du es sagen darfst !
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Beitragvon augenzeuge » 9. Dezember 2014, 19:52

Danny, lies mal das ganze Dokument. Lohnt sich.

Siegfried Gehlert, der Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt.....reagierte auf den Ruf der Demonstranten: "Wir bleiben hier!" :

"Rausschmeißen aus der DDR, was rauszuschmeißen geht, bevor sich noch mehr dieser Banditen überlegen, daß sie ihren Antrag auf Übersiedlung zurückziehen. Ablehnungen bedürfen der
Zustimmung der Arbeitsgruppe des 1. Sekretärs der [SED-]Bezirksleitung [...] Und wenn wir in Plauen alle rausgeschmissen hätten, die wir rausschmeißen wollten, dann hätten wir mindestens
1.000 Demonstranten weniger."


Diesem Mann hätt ich alles zugetraut....

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MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon augenzeuge » 23. November 2019, 20:01

Auszüge aus einer mir vorliegende Studie der Außenstelle Chemnitz des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen

Anhand von SED-Akten – Sprache und Wortwahl geben Aufschluß über die Denkweise der MfS-Mitarbeiter - wird dargestellt, wie die Staatssicherheit am Ende weitgehend kampflos kapitulieren musste. Das war alles andere als selbstverständlich. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht Siegfried Gehlert, Generalleutnant und langjähriger Leiter der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR.

Siegfried Gehlert,
wurde 1958 im Alter von 33 Jahren zum Leiter der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt ernannt. Im Herbst 1989 war der inzwischen 64jährige der dienstälteste BV-Chef im MfS, der
über seinen Bezirk hinaus im Staatssicherheitsdienst über Renommee verfügte: Bei ihm waren einige spätere Spitzenkader des MfS wie die BV-Chefs von Gera, Dresden und Frankfurt in die
Lehre gegangen. Er wäre bereit gewesen, die Parteidiktatur auch mit härteren Methoden zu verteidigen, war aber auch Praktiker genug, um die Grenzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Die Partei hat für ihn noch immer recht, Fehler können nur einzelne Mitglieder begangen haben.

1973 promovierte er an der "Juristischen Hochschule" des MfS in Potsdam-Eiche in einer Gemeinschaftsarbeit mit drei anderen Geheimdienstmitarbeitern über die Vervollkommnung der Arbeit der Kreisdienststellen zum Dr. jur. 12 Beurteilungen und viele Auszeichnungen bescheinigen ihm, daß "er seine ganze Kraft und Persönlichkeit für die ständige Qualifizierung des Kampfes gegen die Feinde" einsetzte. Viele sowjetische Auszeichnungen stützen die Aussage, daß er Wert auf "eine enge brüderliche Zusammenarbeit mit den sowjetischen Tschekisten legte".

Es gab im Bezirk eine starke Bürgerrechtsbewegung – nur in Ostberlin zählte die Staatssicherheit mehr aktive Oppositionelle. Im Jahr 1989 gab es zudem in Karl-Marx-Stadt sehr viele Bürger, die der DDR den Rücken kehren wollten, und noch mehr, die zu einem relativ frühen Zeitraum gegen das Regime auf die Straße gingen – allein in Plauen ab Mitte Oktober jeden Sonnabend etwa 20.000 Menschen.

Ihnen stand – neben der "Volkspolizei" und den "Kampfgruppen" – eine der größten MfS-Bezirksverwaltungen in der DDR mit zuletzt über 3.800 hauptamtlichen und einem
Mehrfachen an inoffiziellen Mitarbeitern gegenüber, die sich jedoch letztlich als ohnmächtig erwies, obwohl der Staatssicherheitsdienst beim Einschleusen inoffizieller Mitarbeiter in die Bürgerbewegung in Karl-Marx-Stadt erfolgreicher gewesen war als zum Beispiel in Rostock.

Der Nutzeffekt für die Rettung des alten Regimes war aber ebenfalls außerordentlich gering, nicht zuletzt weil diesen IM die Hände gebunden waren. Das MfS war zwar per Gesetz in das administrative Gefüge der DDR eingebettet, aber es hat sich in den fast 40 Jahren seiner Existenz nie vorrangig als Staatsorgan begriffen, sondern als "Schild und Schwert" der Partei, genauer der Parteiführung der SED. Aus diesem Verständnis heraus, aus dem Abhängigkeitsverhältnis von der Partei und der Agonie, in die die überalterte SED-Führung 1989 gefallen war, wird letztlich klarer, warum sich der Staat DDR und noch vor ihm die Geheimpolizei relativ widerstandslos auflösen ließen.

Die Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt war mit 3.829 Mitarbeitern eine der größten innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit. Häufig wurden ihre Leistungen von der Zentrale lobend
hervorgehoben.

Die folgenden Zahlen für die ersten neun Monate des Jahres 1989 belegen die Funktionstüchtigkeit des Überwachungsapparates. Die Führungsoffiziere trafen sich mit 8.128
inoffiziellen Mitarbeitern (IM) 70.490 mal in insgesamt 3.059 konspirativen Wohnungen. Damit kam jeder IM durchschnittlich einmal im Monat mit seinem hauptamtlichen
Ansprechpartner zusammen und übergab die geforderten Informationen. Eine Kartei der konspirativen Wohnungen läßt erkennen, daß die Überwachung fast lückenlos organisiert war.

...wird fortgesetzt...


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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon pentium » 23. November 2019, 20:23

MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt

Beitragvon pentium » 9. Dezember 2014
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Sperrbrecher » 23. November 2019, 20:24

augenzeuge hat geschrieben:Siegfried Gehlert,
wurde 1958 im Alter von 33 Jahren zum Leiter der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt ernannt. Im Herbst 1989 war der inzwischen 64jährige der dienstälteste BV-Chef im MfS.

Er wurde 1943 zum RAD und 1944 zur Wehrmacht eingezogen und trat 1943 der NSDAP bei.

Quelle: Harry Waibel: "Diener vieler Herren"
Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR.
Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2011, ISBN 978-3-631-63542-1, S. 99.
In der DDR wussten 90% der Bevölkerung, dass sie verarscht werden.
In der Bundesrepublik haben es 90% der Wähler immer noch nicht gemerkt.
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon pentium » 23. November 2019, 20:42

Gehlert, Siegfried

* 19.7.1925 ✝ 29.1.2010

Geb. in Raschau (Sachsen); Vater Verw.-Angest.; Volks- u. Handelsschule; 1943 RAD; 1944 Wehrmacht; 1945 sowj. Kriegsgefangenschaft.

1948 VP; 1949 SED; 1950 Einstellung im MfS, Dienststelle Aue der Landesverw. Sachsen; 1952 Ltr. der Krs.-Dienststelle Auerbach, dann Schwarzenberg, 1953 der Krs.-Dienststelle Zwickau; 1954 Ltr. der Abt. II (Spionageabwehr) der BV Karl-Marx-Stadt; 1955 stellv. Ltr., 1958 Ltr. der BV Karl-Marx-Stadt (Nachf. von Hans Schneider); 1959 Mitgl. der SED-BL Karl-Marx-Stadt; 1960 – 65 Fernstudium an der HS des MfS Potsdam-Eiche, Dipl.-Jur.; 1973 dort Prom. zum Dr. jur.; 1979 VVO; 1987 Gen.-Ltn.; Febr. 1990 Entlassung; gest. in Chemnitz.

Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien
Herausgegeben von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix. 5. Auflage, März 2010. Berlin: Ch. Links Verlag 2010.

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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon andr.k » 23. November 2019, 20:43

Siegfried Gehlert, geboren 19.07.1925.
1945 sowjetische Gefangenschaft, 1948 Einstellung VP, 1950 Einstellung MfS, 1965 Dipl.-Jurist, 1973 Dr. jur., VVO in Gold, 1987 Generalleutnant, verstorben 29.01.2010.
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon augenzeuge » 23. November 2019, 21:57

Da der alte Link vom Beitrag von 2014 nicht mehr funktioniert, mache ich weiter. Also, Fortsetzung folgt. [wink]
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon steffen52 » 23. November 2019, 22:18

augenzeuge hat geschrieben:Da der alte Link vom Beitrag von 2014 nicht mehr funktioniert, mache ich weiter. Also, Fortsetzung folgt. [wink]
AZ

Das ist schon okay das mit der Fortsetzung, aber ist eigentlich die Nummer von dem User aus NS, Jörg(AZ) nicht das er traurig ist das er nicht über die (böse) Stadt Chemnitz schreiben darf, die auch einmal K.-M.-Stadt hieß.
Nur mal so als Einwurf von mir als Einwohner von Chemnitz. Alles Gut, schreibe weiter über diesen Heini des MfS welchen ich zum 1 Mai auch immer auf der Tribüne sehen musste und auch ab und an als Schüler sah weil er nicht all zu weit
von meinen täglichen Schulweg sich eine Ärztevilla unter den Nagel gerissen hatte. Wusste eigentlich jeder Bewohner dieses Viertels das es ein Bonze war, Wolga mit Fahrer, später Lada 1500 mit Sonderkennzeichen. [shocked]
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Merkur » 23. November 2019, 22:26

steffen52 hat geschrieben:später Lada 1500 mit Sonderkennzeichen.


Wie sah denn so ein Sonderkennzeichen aus?
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon steffen52 » 23. November 2019, 22:34

Merkur hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:später Lada 1500 mit Sonderkennzeichen.


Wie sah denn so ein Sonderkennzeichen aus?

Darüber hast Du nun wohl keine Info gehabt! Das sind Kennzeichen gewesen mit diesen konnten sie parken wo Halteverbot und Parkverbot ist, auf der Autobahn mehr als 100 kmh fahren. Das wusstest Du nicht? [ich auch]
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon andr.k » 23. November 2019, 22:43

steffen52 hat geschrieben:Das sind Kennzeichen gewesen mit diesen konnten sie parken wo Halteverbot und Parkverbot ist, auf der Autobahn mehr als 100 kmh fahren. Das wusstest Du nicht? [ich auch]
Gruß steffen52


Wie sahen die Sonderkennzeichen aus?
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon augenzeuge » 23. November 2019, 22:50

Das weiß ich auch nicht. [peinlich] Eigentlich wärs dumm, er wäre doch sofort aufgefallen. [denken]

Weiter im Thema:

120 Informationen hatte das MfS seit 1987 Partei- und Staatsfunktionäre auf Mängel vor allem im Gesundheitswesen hingewiesen. Die Bürokratie hatte kaum reagiert und sogar weitere
Nachforschungen untersagt. Auf der Dienstbesprechung des Ministers hatte sich Gehlert von Mielke den Vorwurf anhören müssen, daß er sich um das Abstellen von langfristig bekannten
Mängeln selbst hätte kümmern können.

Auch die Mitarbeiter der Staatssicherheit konnten ab Mitte 1989 ihren Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang gerecht werden. Die für Ermittlungsverfahren bei "ungesetzlichen Grenzübertritten" (§ 213 des DDR-Strafgesetzbuches) zuständige Untersuchungsabteilung IX sah sich kaum mehr in der Lage, wie bisher jeden Fall zu untersuchen. Es wurden Überlegungen angestellt, ob ein größerer Teil dieser Aufgaben an die Volkspolizei übertragen werden könnte.
Ein früher undenkbares Zurückweichen gegenüber den Ausreisewilligen war es, als in der Dienstversammlung am 15. September bestimmt wurde, zu "Demonstrativhandlungen" neigende Antragsteller ausreisen zu lassen.

Die Leitung der Bezirksverwaltung fürchtete Störungen der Feiern zum 40. Jahrestag der DDR. Das Überwachungssystem funktionierte auch an anderen Stellen nicht mehr. Die Abteilung XX war selbst in Verbindung mit den Mitarbeitern für Kirchenfragen bei den Räten der Kreise nicht mehr in der Lage, sich offensiv mit der Kirche auseinanderzusetzen.

Die Leitung der Bezirksverwaltung fürchtete demoralisierende Auswirkungen auf die eigenen Reihen. So wurde eine "verstärkte politisch-ideologische Arbeit" mit den jungen Mitarbeitern der Staatssicherheit angemahnt. Ihnen sollte das Bewußtsein für die "Kraft des Sozialismus" erhalten bleiben.

Ehemalige Angehörige des MfS verließen die DDR über Ungarn. Bis zum 11. Oktober hatten sich 39 über Ungarn oder mit den Botschaftsbesetzern in die Bundesrepublik abgesetzt und 30 einen Ausreiseantrag gestellt. Dazu kamen noch 104 ehemalige inoffizielle Mitarbeiter, die ebenfalls über Ungarn oder legal mit Ausreiseantrag die DDR verlassen hatten. Mit ihnen war auch Wissen über das MfS zum "Klassenfeind" gelangt, und das schmerzte besonders.

Geklagt wurde über inoffizielle Mitarbeiter, die die Staatssicherheit "irregeführt" und denselben Weg eingeschlagen hatten. Hauptamtliche Mitarbeiter durften deshalb privat gar nicht mehr nach Ungarn fahren und Reiseanträge von IM sollten nach nachrichtendienstlichen Gesichtspunkten eingeschätzt und deren "Ehrlichkeit" durch Observations- und Abhörmaßnahmen überprüft werden. Wie in den vergangenen 40 Jahren wurde die Hauptschuld dem politischen Gegner in der Bundesrepublik zugewiesen und eigenes Versagen kaum benannt.

Die Staatssicherheit in einer Lageeinschätzung: Eine Kontrolle von 6.000 am 6. Oktober aufgegebenen Briefen hatte ergeben, daß sich 90 Prozent aller Schreiber zur politischen Lage äußerten. Unter 100 fand sich nur eine positive Meinung. "Es herrscht eine explosive Stimmung.

In der Nacht vom 4. zum 5. Oktober 1989 beförderten acht Züge 6.242 DDR-Bürger, darunter 848 aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt, von Prag über das Territorium der DDR nach Hof. Die MfS-Bezirksverwaltung hatte dabei zusammen mit der Volkspolizei die Aufgabe, die Züge gegenüber der Bevölkerung abzuschirmen. Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung hatte darüber hinaus entschieden, daß im Stadtgebiet von Karl-Marx-Stadt zusätzlich drei Hundertschaften der Kampfgruppen eingesetzt werden sollten. Auf der Dienstversammlung am Tag nach der Durchfahrt zeigten sich Leitung und Mitarbeiter noch immer schockiert darüber, auf welchen Widerstand sie gestoßen waren.

Eintausend Menschen hatten sich auf dem Hauptbahnhof von Karl-Marx-Stadt eingefunden, je 500 in Reichenbach und Plauen, 400 in Freiberg und Hunderte warteten an Strecken-abschnitten, auf denen die Züge langsam fahren mußten. Sie waren von den Bahnanlagen nur mit körperlicher Gewalt, Schlagstöcken und schwerer Technik von MfS, Kampfgruppen, Bereitschafts- und Transportpolizei abzudrängen. Mütter mit Kleinkindern hätten sich unter Mißachtung des hohen Risikos auf die Gleise gelegt und die Strecke blockiert. Sie hätte regelrecht "freigekämpft" werden müssen. Von den anderen Reisenden auf den Bahnhöfen hätte sich keiner bereitgefunden, MfS und Polizei zu unterstützen.

Eig. Anm.: Ja in welcher Welt haben die denn 1989 gelebt?

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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon steffen52 » 23. November 2019, 23:05

andr.k hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:Das sind Kennzeichen gewesen mit diesen konnten sie parken wo Halteverbot und Parkverbot ist, auf der Autobahn mehr als 100 kmh fahren. Das wusstest Du nicht? [ich auch]
Gruß steffen52


Wie sahen die Sonderkennzeichen aus?

Die waren logisch in jeden Bezirk anders.( der ersten Buchstaben für den Bezirk und dann ging es weiter mit 01, 02 u.s.w.) Aber jeder Volkspolizist in der DDR kannte sie und strafte diese Genossen nicht ab. [wink]
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon andr.k » 23. November 2019, 23:54

steffen52 hat geschrieben:Die waren logisch in jeden Bezirk anders.( der ersten Buchstaben für den Bezirk und dann ging es weiter mit 01, 02 u.s.w.) Aber jeder Volkspolizist in der DDR kannte sie und strafte diese Genossen nicht ab.


Bist Du Dir sicher mit den Kennzeichen?

Das MfS Karl-Marx-Stadt, hatte mit Stand 1990: 783 KFZ.
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon andr.k » 23. November 2019, 23:56

Kleine Korrektur: Gehlert war 1980 schon Generalmajor.

1980.PNG
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Volker Zottmann » 24. November 2019, 10:44

andr.k hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:Die waren logisch in jeden Bezirk anders.( der ersten Buchstaben für den Bezirk und dann ging es weiter mit 01, 02 u.s.w.) Aber jeder Volkspolizist in der DDR kannte sie und strafte diese Genossen nicht ab.


Bist Du Dir sicher mit den Kennzeichen?

Das MfS Karl-Marx-Stadt, hatte mit Stand 1990: 783 KFZ.


Steffen52 hat auch nicht von 783 Fahrzeugen geschrieben, sondern von diesem personenbezogenen.
Und die, ebenso die der SED Bezirkschefs, waren sehr wohl bekannt und hatten in aller Regel interne Erkennungszeichen.
Welche, das brauche ich Stasikennern ja nicht eräutern.
VEB Plastopack Harzgerode hatte in der 1980ern Besuch vom Hallenser SED-Bezirkschef Böhme, der mit Peugeot anreiste und auch dessen Zahlenfoge am Nummernschild war markant.

Ähnliche Späßchen erlauben sich auch heute Ministerpräsidenten, stellt ja auch deren Wichtigkeit in den Vordergrund. Gerade dieses Merkmal war in der DDR nicht zu unterschätzen, die Geltungssucht.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Merkur » 24. November 2019, 10:55

Volker Zottmann hat geschrieben:Und die, ebenso die der SED Bezirkschefs, waren sehr wohl bekannt und hatten in aller Regel interne Erkennungszeichen.
Gruß Volker


Interne Erkennungszeichen und „Freie-Fahrt-Scheine“ sind mir bekannt. Aber eben keine Kfz-Sonderkennzeichen in den Bezirken. Selbst EH fuhr ja mit einem normalen Berliner I-Kennzeichen.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Nostalgiker » 24. November 2019, 11:07

Merkur, du wirst doch nicht etwa das photographische Gedächtnis des wertvollen Zeitzeugens Volker Zottmann anzweifeln? Seine "Erinnerungen" sind, laut Eigenwerbung, auch nach 40, 50, 60, gar 65 Jahren unverändert wie am ersten Tag.

Mir sind auch keine Sonderkennzeichen an den Fahrzeugen bekannt.
Zumindest in Berlin wußte man das in den Volvos welche über die sogenannte Protokollstrecke bretterten nun nicht gerade Bäckermeister Schulze seine Gattin spazieren fuhr.
Ehrlich gesagt habe ich mich auch nicht für die Nummernschilder der Autos interessiert oder gar nach "geheimen" Sonderkennzeichnungen der Fahrzeuge gespäht.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon augenzeuge » 24. November 2019, 11:12

Nostalgiker hat geschrieben:Mir sind auch keine Sonderkennzeichen an den Fahrzeugen bekannt.

Das hätte mich jetzt auch sehr überrascht. [grin]
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon augenzeuge » 24. November 2019, 11:35

Weiter im Thema:

Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Siegfried Lorenz wies als Konsequenz daraus an, dass alle 1. Sekretäre der SED-Kreisleitungen vor Ort zu bleiben hatten und nicht an der bezirklichen Auszeichnungsveranstaltung zum 40. Jahrestag teilnehmen durften. Sie sollten ihre Genossen, auf die Parteilinie einschwören und verhindern, daß die Opposition weiter an Boden gewinnt. Am 7. Oktober, musste die Staatssicherheit feststellen, dass die Situation mit ihren traditionellen Mitteln nicht mehr zu beherrschen war. Die dort eingeschleusten 150 "gesellschaftlichen Kräfte" konnten nicht verhindern, dass sich im Anschluss spontan ein Schweigemarsch mit 1.500 Teilnehmern formierte.

Nun setzte die Staatsmacht auf blanke Gewalt.
Massiver Schlagstockeinsatz, Wasserwerfer sowie ein bedrohlich tieffliegender Hubschrauber waren die Mittel von Polizei, MfS und Kampfgruppen, um die friedlich Demonstrierenden auseinanderzujagen. Nicht gelungen war der Versuch, eines Fotografen habhaft zu werden, der den Gewalteinsatz dokumentierte. Die Demonstranten schirmten ihn gegenüber den Sicherheitskräften ab.

Die von 64 Ausreisewilligen schon im September in der Stadt Plauen angemeldete Demonstration zum 40. Jahrestag der DDR bildete den Auftakt zu wöchentlichen Willens-
bekundungen der Bürger aus dem gesamten Vogtland, die keinen Vergleich mit der "Heldenstadt" Leipzig zu scheuen brauchen. 3.000 Bürger gingen an diesem Tag auf die
Straßen. Mit selbstgefertigten Transparenten und Aufschriften wie "Freiheit", "Freie Wahlen" und "Reisefreiheit" verkündeten sie offen ihre Forderungen an die weitere Entwicklung der
DDR. Auch Rufe nach dem damaligen Hoffnungsträger für die Opposition, dem KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow, waren zu hören.

Bei dem Versuch, gegen die Demonstranten vorzugehen, setzte sich ein Teil zur Wehr. Es wurden drei Polizisten verletzt und zwei als Wasserwerfer verwendete Tankfahrzeuge beschädigt. Den eingesetzten Sicherheitskräften – insgesamt 755 Mann – gelang es trotzdem nicht, die Demonstration aufzulösen.

Immer wieder leitete die Staatssicherheit aus diesem Ereignis die These von der Gewalttätigkeit und Gewaltbereitschaft der Opposition ab, um so eigene Übergriffe zu rechtfertigen und sich für künftiges hartes Vorgehen Gründe zu schaffen. Ein völlig unerwarteter Vorgang machte ihr Vorhaben kaputt. Die Freiwilligen Feuerwehren von Plauen und Neundorf verurteilten am nächsten Tag in Schreiben an die Volkspolizei "das zweckentfremdete Einsetzen von Tanklöschfahrzeugen als Wasserwerfer gegen fast ausschließlich friedliche, unbewaffnete Bürger und Kinder" entschieden!

Noch gab man nicht auf. Sechs Kampfgruppenhundertschaften hatten sich ab sofort einsatzbereit zu halten und dazu noch je eine Hundertschaft in jedem Kreis.

In der SED-Bezirkszeitung "Freie Presse" erschien am 9. Oktober eine Darstellung der Ereignisse in Karl-Marx-Stadt und Plauen und der Polizeieinsätze am 40. Jahrestag unter der Überschrift "Gewissenlose Provokation". Darin wurde die Schuld an den Auseinandersetzungen in scharfmacherischer Form den Demonstranten zugeschrieben. Heftige Proteste aus der Bevölkerung waren die Folge. Das hatte es bisher noch nicht gegeben. Die Leserbriefschreiber forderten eine Richtigstellung der Meldung und die Freilassung der als "Rädelsführer" bezeichneten Verhafteten. Die SED-Bezirksleitung musste erstmals so deutlich zur Kenntnis nehmen, dass "ein nicht geringer Teil der Bevölkerung" das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte ablehnte.

Der Parteisekretär der MfS-Bezirksverwaltung folgte der in der "Freien Presse" vorgegebenen Linie. Er gewann den Ereignissen fast positive Züge ab: Man habe dem Feind gegenübergestanden, was der Herausbildung des Feindbildes unter den Genossen nur förderlich sein könne. In Plauen habe man die Feinde gefilmt, so daß sie nun aufgeklärt werden könnten. Einige leitende MfS-Mitarbeiter scheinen eine gewaltorientierte Lösung für einen gangbaren Weg gehalten zu haben.

Siegfried Lorenz, vor den Kreissekretären seiner Partei am 13. Oktober: "Im Politbüro herrscht Klarheit darüber, wir hätten rechtzeitiger zurückschlagen müssen."

Fortsetzung folgt.......
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon augenzeuge » 24. November 2019, 12:05

Thema:

Das MfS musste nachgeben und bis zum 12. Oktober befanden sich fast alle am DDR-Jahrestag Verhafteten wieder auf freiem Fuß. Ein Untersuchungsausschuß, der die Ereignisse in Karl-Marx-Stadt und Plauen prüfen sollte, mußte akzeptiert werden. An seiner Spitze stand allerdings der Abteilungsleiter Staat und Recht der SED-Bezirksleitung Klaus Bartl, der in dieser Funktion die Arbeitsgruppe des 1. Sekretärs der Partei geleitet und das Vorgehen gegen Ausreisewillige und Opposition im Bezirk wesentlich mitbestimmt hatte. Er war damit einer der Verantwortlichen für die Ereignisse, die untersucht werden sollten.

Siegfried Lorenz: "Wir sind uns im klaren darüber, daß wir zur Zeit noch keine Rezepte haben, wie wir jetzt und sofort die Probleme, die selbst im Bezirk unterschiedlichster Art sind, sofort spürbar lösen können." "Die oppositionellen Kräfte sind zum geordneten Angriff übergegangen und dabei aus den Kirchenräumen herausgetreten",… "Die Antwort kann nur lauten, entweder das Neue Forum wird Bestandteil der Nationalen Front oder es wird verboten."

Über den damaligen Oberbürgermeister von Karl-Marx-Stadt, Dr. Langer, sagte Gehlert: "Höre auf mit deinem OB, den habe ich am Telefon erlebt, da brauchte ich gar keinen Riecher zu haben, da habe ich schon am Telefon gerochen, daß der in die Hosen geschissen hatte.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Kreisdienststellenleiter ausdrücklich davor gewarnt wurden, die Kampfgruppen in die Verteidigung von MfS-Liegenschaften
einzubeziehen. Es wurde befürchtet, daß ein Teil ihrer Mitglieder bei Demonstrationen zur Bürgerbewegung überlaufen würde. Einige Angehörige dieser paramilitärischen Verbände
waren bereits als Demonstrationsteilnehmer ermittelt worden.

Vor allem von Plauen ausgehend, wo seit dem 21. Oktober an Sonnabenden regelmäßig 25.000 bis 30.000 Menschen an Demonstrationen teilnahmen, protestierten auch in anderen Orten immer mehr Bürger gegen die Zustände in der DDR und die dafür Verantwortlichen. In der Bezirksstadt steigerte sich die Anzahl der Demonstrationsteilnehmer von 3.000 am 20. Oktober, über 6.000 am 27. auf 25.000 am 30. Oktober und auf fast 100.000 am 6. November. Dieser Montag bildete den Höhepunkt der Protestbewegung im Bezirk: In 14 Städten versammelten sich Menschen auf den Straßen, um ihren Willen zur Veränderung der Verhältnisse kundzutun.

In kleinen Städten des Vogtlandes war mehr als ein Drittel der Einwohner beteiligt, so in Oelsnitz mit 6.500, in Auerbach mit 5.000, in Schöneck und Treuen mit je 2.500 Teilnehmern.
Das Wirken der IM sollte optimiert werden. Die vorhandenen 11.986 inoffiziellen Mitarbeiter, darunter 3.857, die ihre Wohnung für konspirative Treffs zur Verfügung stellten, reichten nach Meinung der leitenden Genossen aus, um die Aufgaben des MfS wahrzunehmen.

Immer mehr Bürger der DDR verließen das Land, und die Tendenz nahm noch zu. Um die massenhafte Westflucht über die Tschechoslowakei und Ungarn zu stoppen, wurden durch das Ministerium des Innern die Ausreisemodalitäten vereinfacht. Dagegen war auf den Demonstrationen nun verstärkt der Ruf zu hören: "Wir bleiben hier!" Die Haltung der MfS-Bezirksverwaltung gegenüber Antragstellern wirkt grotesk, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln und Methoden seit 1961 versucht worden war, Ausreisewillige an der Verwirklichung ihrer Absicht zu hindern.

Als Antwort auf dieses Problem proklamierte Gehlert nun: "Rausschmeißen aus der DDR, was rauszuschmeißen geht, bevor sich noch mehr dieser Banditen überlegen, daß sie ihren Antrag auf Übersiedlung zurückziehen. Ablehnungen bedürfen der Zustimmung der Arbeitsgruppe des 1. Sekretärs der [SED-]Bezirksleitung [...] Und wenn wir in Plauen alle rausgeschmissen hätten, die wir rausschmeißen wollten, dann hätten wir mindestens 1000 Demonstranten weniger."


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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon steffen52 » 24. November 2019, 12:12

andr.k hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:Die waren logisch in jeden Bezirk anders.( der ersten Buchstaben für den Bezirk und dann ging es weiter mit 01, 02 u.s.w.) Aber jeder Volkspolizist in der DDR kannte sie und strafte diese Genossen nicht ab.


Bist Du Dir sicher mit den Kennzeichen?

Das MfS Karl-Marx-Stadt, hatte mit Stand 1990: 783 KFZ.

Ja ich bin mir mehr als sicher, es geht ja auch nur um die paar Oberbonzen der SED. Noch mal zum mitschreiben. Der 1 Sekretär der Bezirksleitung des SED von K.-M.-Stadt hatte die TJC 0-01( später hatte er dann einen Volvo da er Politbüromitglied
war) der 2 Sekretär der SED Bezirksleitung halt die TJC 0-02 und der Vorsitzende des Rates des Bezirkes die TJC 0-03, welche Nummer genau der MfS- Gehlert hatte ist mir nicht so mehr in der Erinnerung, das es eine Extranummer
gewesen ist das ist Fakt. Eins hat das MfS nicht gemacht, sie fuhren keine Westautos im Gegensatz von den oberen SED-Genossen der Bezirke( Peugeot, Citroen). Nun alles klar? [hallo] Volker hat mit seiner Aussage völlig recht!
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon HPA » 24. November 2019, 12:15

Das eine einzige MfS Bezirksleitung über 783 Autos verfügt ist natürlich auch eine Hausnummer.
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon steffen52 » 24. November 2019, 12:18

Merkur hat geschrieben:
Volker Zottmann hat geschrieben:Und die, ebenso die der SED Bezirkschefs, waren sehr wohl bekannt und hatten in aller Regel interne Erkennungszeichen.
Gruß Volker


Interne Erkennungszeichen und „Freie-Fahrt-Scheine“ sind mir bekannt. Aber eben keine Kfz-Sonderkennzeichen in den Bezirken. Selbst EH fuhr ja mit einem normalen Berliner I-Kennzeichen.

Merkur es geht ja auch nicht um die Bezeichnung der jeweiligen Bezirke sondern es zählte die Zahlenfolge und auch EH hatte I für Berlin und dann die gewissen Ziffern welche relevant gewesen sind, so nun
hoffe ich Du hast es geschnallt! [ich auch]
Gruß steffen52
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Volker Zottmann » 24. November 2019, 12:57

Was meines Erachtens sehr schade ist, ist die vergessene Würdigung von Plauen. Dort sind mehr und auch früher die Menschen auf die Straße getreten.
Heute wird immer Leipzig als Symbol hingestellt, doch den Plauenern steht hier der Vorrang zu.
Selbst zur berühmt gewordenen, entscheidenden Demonstration in Leipzig waren wesentlich weniger Menschen prozentual zur Bevölkerung auf den Beinen, als in Plauen oder dem anhaltinischen Provinznest Quedlinburg. DDR-weit waren hier prozentual die Meisten auf den Demos. Genauso wie bereits 1953.
Falsch dargestellt wird ebenso bis heute, dass die GÜST Bornholmer Straße die erst war, die die Schagbäume öffnete. Auch das ist falsch in der Geschichtsschreibung, denn im Süden Berlins geschah das schon Stunden zuvor, nur fast unbemerkt, eben ohne Kameras.

Gruß Volker
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Re: MfS und SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt zur Wendezeit

Beitragvon Nostalgiker » 24. November 2019, 13:27

augenzeuge hat geschrieben:
Nostalgiker hat geschrieben:Mir sind auch keine Sonderkennzeichen an den Fahrzeugen bekannt.

Das hätte mich jetzt auch sehr überrascht. [grin]
AZ


In solch einem Fahrzeug sitzend habe ich auch selten die Nummernschilder außen gesehen wenn ich mich zu diversen Ministerratskantinen chauffieren ließ.

Anmerkung
es gab einen Minsterrat,
es gab eine zentrale Plankomission
es gab 14 Ministerien,
es gab 17 Industrieministerien,
es gab 3 Ministerien für Sicherheit,
es gab 8 Einrichtungen welche Ministerien gleichgestellt waren aber keine Ministerien waren

und nicht alle hatten eine separate Kantine!
Mangelwirtschaft eben.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

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