Verhaftung bis ins Detail geplant
Ein Internierungslager für die „Feinde der DDR“ stand in Tambach-Dietharz Luftbild des Lagers in Tambach-Dietharz: Mit Nummer 1 ist das Mehrzweckgebäude bezeichnet, Haus Nummer 10 ist das Vierpfennighaus, im Haus Nummer 6 sollte der Sanitätstrakt untergebracht werden. Foto: Klaus-Dieter Simmen
Kreis Gotha. Am 19. September 1986 lebten im Landkreis Gotha 78 Ausländer, darunter Ägypter, Algerier, Belgier, Briten, Niederländer und Schweizer. Hinzu kamen noch acht Staatenlose. Das ist einer Aufstellung der Abteilung Pass- und Meldewesen des Volkspolizeikreisamtes zu entnehmen. Sie alle galten als Personen aus Feindesland – sollte die DDR in Verteidigungsbereitschaft versetzt worden sein. Für sie und all jene, die sich besuchsweise im Kreis aufhielten oder sich unterwegs auf der Transitstrecke befanden, wartete in diesem Falle das Internierungslager.
„Zunächst sollte die betreffenden Personen in den einzelnen Kreisen aufgegriffen werden, um sie zunächst hier zu internieren“, sagt Reinhard Köhler. Der Weimarer forscht schon seit Jahren als Landesforschungsbeauftragter der Vereinigung der Opfer des Stalinismus zu diesem Thema. Er weiß, dass in der DDR insgesamt 35 Internierungslager vorgesehen waren. Als zentrales Lager für den Bezirk Erfurt hatten die Verantwortlichen die GST-Ausbildungsstätte „Rote Jungfront“ im Wald bei Tambach-Dietharz vorgesehen.
Frauen, Kinder und Männer voneinander getrenntZunächst aber sollten die Personen aus Feindesland, die sich aus welchen Gründen auch immer im Landkreis aufhielten, im Internat der Bauschule in der Eisenacher Straße untergebracht werden. „Dafür waren die Wohnblöcke vorgesehen, wobei die Verantwortlichen, das waren Stasi und Volkspolizei, Frauen, Kinder und Männer von einander trennen wollten.“
Die Planung stammt vom 2. September 1986. Die Aufsicht über das Gothaer Internierungslager sollte der stellvertretende Leiter der Schutzpolizei des Volkspolizeikreisamtes übernehmen. Ihm hätten 21 Schutzpolizisten zuzüglich Volkspolizei-Reserve unterstanden sowie vier Kripo-Mitarbeiter und sieben Bedienstete vom Pass- und Meldewesen.
„Auch an die Fahrzeuge jener Bürger aus dem feindlichen Ausland, die auf der Transitstrecke unterwegs waren, hatten die Planer gedacht“, erzählt Köhler. „Sie sollten auf einem Parkplatz in der Eschleber Straße/Ecke August-Creutzburg-Straße abgestellt werden. Und falls das nicht reicht, stand noch eine Wiese in der Klinge in Reserve.“
Die Internierung des genannten Personenkreises in einer Spannungsphase und im Fall des Verteidigungszustandes hatte der Nationale Verteidigungsrat der DDR im März 1979 beschlossen. Grundlage dafür war das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 und das sogenannte Ergänzungsprotokoll I vom 8. Juni 1977. „Die Anordnung über die Vorbereitung und Ausführung von Maßnahmen zur Einrichtung der Internierungslager trat am 1. Oktober 1980 in Kraft“, weiß Reinhard Köhler.
Dem Ministerium für Staatssicherheit fiel die Aufgabe zu, auf die Organe des Ministeriums des Inneren operativ Einfluss zu nehmen und jegliche „feindlich-negativen Pläne gegen diese Maßnahmen aufzulösen und zu verhindern.“
Im Fall der Inbetriebnahme des Internierungslagers in der Eisenacher Straße hatte auch der Rat des Kreises seine Aufgaben zu erfüllen. Dieser musste für die Verpflegung der Gefangenen sorgen und Mitarbeiter für das Lager abstellen. Eine teilweise Aufnahmebereitschaft im Internat der Bauschule war bereits nach 24 Stunden vorgesehen, nach 72 Stunden musste das Lager einhundertprozentig funktionieren.
Dazu gehörten auch drei Busse, die den Transport ins Zentrallager für den Bezirk Erfurt sicherstellten. Selbst die Fahrtroute über die 18.-März-Straße und Reinhardsbrunner Straße Richtung Uelleben, Schönau vor dem Walde und Georgenthal war exakt festgelegt.
Warum sich die Verantwortlichen für das GST-Lager im Raum Tambach-Dietharz entschieden, kann nicht mehr in allen Facetten nachvollzogen werden. Aus der Aktenlage geht hervor, dass Würdenträger vom Ministerium für Staatssicherheit, der Bezirksdirektion der Volkspolizei und Funktionäre der SED-Bezirksleitung am 7. Januar 1983 sich über den „Stand der Durchsetzung der Anordnung“ informiert und dem Lager zugestimmt haben. In der geheimen Verschlusssache heißt es: „Das Objekt besitzt eine Belegungskapazität von 1000 Personen ... Es ist eine Küchenkapazität von 1000 Portionen vorhanden ... Der Bezug der Versorgungsgüter erfolgt aus Basisbetrieben bzw. Versorgungslagern der Stadt und des Landkreises Gotha ... Die medizinische Betreuung erfolgt über ein lagereigenes Revier mit einer Kapazität von 20 Betten. Das Revier entspricht den Anforderungen.“ Auch an die Möglichkeiten der sportlichen Betätigung und kultureller Betreuung hatten die Genossen gedacht.
„Das Problem in Tambach-Dietharz war“, so fand Köhler bei seinen Recherchen heraus, „dass nur wenige von den 45 Baracken beheizbar waren. Die Planer entschieden sich deshalb für zwei Neubauten mit jeweils drei Geschossen. Außerdem sollte das Personal, das im GST-Lager angestellt war, komplett übernommen werden.“ Die Gebäude wurden errichtet, der Rest blieb nur Planung für einen Ernstfall, der glücklicherweise nicht eintrat.
Quelle: TLZ vom 22.11.2015