Das unscharfe Bild von der „friedlichen Revolution“
Verfasst: 27. Januar 2019, 11:27
Nicht ein Aufstand bereitete der DDR ein Ende. Sie implodierte, weil ihr eine Mehrheit das letzte Licht von Zustimmung und Achtung ausknipste. Aber wir haben aus 1989 nicht genug gemacht.
Wovon deutsche Demokraten und Patrioten geträumt hatten
Es stimmt ja auch: Nachdem die Deutschen bisher im 20. Jahrhundert gerade nicht ihre Friedensfähigkeit und ihre zivile Stärke unter Beweis gestellt hatten, gelang ihnen dieses Mal etwas, wovon deutsche Demokraten und Patrioten seit 1848 geträumt hatten – auf vollkommen unblutige Weise bereiteten sie einer Diktatur das verdiente Ende.
Und doch ist das Wort von der „friedlichen Revolution“ zu hoch gegriffen, zu biedermeierlich prunkend. Die Bürgerrechtler haben am Umbruch mitgewirkt, ihr Werk war er aber nicht. Der aus einer säkularisierten jüdischen Familie stammende Soziologe Albert O. Hirschman, der im April 1933 aus seiner Heimatstadt Berlin nach Frankreich und später in die USA floh, hat 1970 in einem berühmt gewordenen Buch untersucht, wie Menschen mit großen Enttäuschungen umgehen, die sie nicht mehr wegstecken können.
Zwei Arten von Reaktion fand Hirschman: voice und exit, Widerspruch und Abwanderung. Im einen Fall erheben die Enttäuschten ihre Stimme, werden laut, protestieren, und versuchen, die Verhältnisse zu ändern, in denen sie gefangen sind. Entscheiden sie sich aber für exit, dann stimmen sie mit den Füßen ab: Verzweifelt an der Möglichkeit, die schlechten Verhältnisse zu verändern, gehen sie weg, lassen ihr bisheriges Leben hinter sich, machen es zum Leben der verbliebenen anderen.
Der Staat des furchtbar kleinlichen Terrors
Das Besondere der DDR bestand darin, dass sie seit dem Mauerbau 1961 beides unterbunden hat: Widerspruch wie Abwanderung. Obwohl zahlreiche DDR-Bürger ausreisen konnten, einigen die Flucht gelang und wenige im Land wider den Stachel löckten, galt in diesem Staat des furchtbar kleinlichen Terrors: Die Menschen mussten bleiben, und Widerspruch war verboten.
1989 erreichte ein den ganzen Ostblock erfassender Gärungsprozess auch die DDR. Es gab Widerspruch, es gab den Mut derer, die bleiben und ihr Land verändern wollten – dafür steht die große Montagsdemonstration am Leipziger Ring vom 9. Oktober 1989. Ungleich größer war aber der Druck, der von der anschwellenden Zahl der DDR-Bürger ausging, die sich für Abwanderung entschieden und ihrem Staat keine Träne hinterherweinten.
„Rübermacher“ beendeten den Kommunismus
Nicht Revolutionäre bereiteten der DDR ein Ende. Sie implodierte, weil ihr eine Mehrheit das letzte Licht von Zustimmung und Achtung ausknipste. Das macht diesen Umbruch nicht weniger großartig. Es waren die „Rübermacher“ gewesen, die dem Kommunismus in Deutschland das Ende bereiteten.
Was haben wir aus dem Geschenk von 1989 gemacht? Leider zu wenig. 1989 stand sicher nicht das Ende der Geschichte an. Aber Europa hätte, im Blick auf seinen Osten, den Kontinent neu gestalten und von seinen schweren historischen Hypotheken befreien können.
Das ist doch geschehen, werden unsere Politiker antworten – siehe die Osterweiterung von EU und Nato, siehe das deutsch-polnische Verhältnis, das heute so geläufig und problemlos ist wie nie zuvor, siehe das Weimarer Dreieck und was auch immer. Gewiss, das ist kostbar und Grund zu Freude. Und doch fehlt etwas.
Den vollständigen Beitrag mit vielen Fotos findet man hier:
https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... ution.html
Wovon deutsche Demokraten und Patrioten geträumt hatten
Es stimmt ja auch: Nachdem die Deutschen bisher im 20. Jahrhundert gerade nicht ihre Friedensfähigkeit und ihre zivile Stärke unter Beweis gestellt hatten, gelang ihnen dieses Mal etwas, wovon deutsche Demokraten und Patrioten seit 1848 geträumt hatten – auf vollkommen unblutige Weise bereiteten sie einer Diktatur das verdiente Ende.
Und doch ist das Wort von der „friedlichen Revolution“ zu hoch gegriffen, zu biedermeierlich prunkend. Die Bürgerrechtler haben am Umbruch mitgewirkt, ihr Werk war er aber nicht. Der aus einer säkularisierten jüdischen Familie stammende Soziologe Albert O. Hirschman, der im April 1933 aus seiner Heimatstadt Berlin nach Frankreich und später in die USA floh, hat 1970 in einem berühmt gewordenen Buch untersucht, wie Menschen mit großen Enttäuschungen umgehen, die sie nicht mehr wegstecken können.
Zwei Arten von Reaktion fand Hirschman: voice und exit, Widerspruch und Abwanderung. Im einen Fall erheben die Enttäuschten ihre Stimme, werden laut, protestieren, und versuchen, die Verhältnisse zu ändern, in denen sie gefangen sind. Entscheiden sie sich aber für exit, dann stimmen sie mit den Füßen ab: Verzweifelt an der Möglichkeit, die schlechten Verhältnisse zu verändern, gehen sie weg, lassen ihr bisheriges Leben hinter sich, machen es zum Leben der verbliebenen anderen.
Der Staat des furchtbar kleinlichen Terrors
Das Besondere der DDR bestand darin, dass sie seit dem Mauerbau 1961 beides unterbunden hat: Widerspruch wie Abwanderung. Obwohl zahlreiche DDR-Bürger ausreisen konnten, einigen die Flucht gelang und wenige im Land wider den Stachel löckten, galt in diesem Staat des furchtbar kleinlichen Terrors: Die Menschen mussten bleiben, und Widerspruch war verboten.
1989 erreichte ein den ganzen Ostblock erfassender Gärungsprozess auch die DDR. Es gab Widerspruch, es gab den Mut derer, die bleiben und ihr Land verändern wollten – dafür steht die große Montagsdemonstration am Leipziger Ring vom 9. Oktober 1989. Ungleich größer war aber der Druck, der von der anschwellenden Zahl der DDR-Bürger ausging, die sich für Abwanderung entschieden und ihrem Staat keine Träne hinterherweinten.
„Rübermacher“ beendeten den Kommunismus
Nicht Revolutionäre bereiteten der DDR ein Ende. Sie implodierte, weil ihr eine Mehrheit das letzte Licht von Zustimmung und Achtung ausknipste. Das macht diesen Umbruch nicht weniger großartig. Es waren die „Rübermacher“ gewesen, die dem Kommunismus in Deutschland das Ende bereiteten.
Was haben wir aus dem Geschenk von 1989 gemacht? Leider zu wenig. 1989 stand sicher nicht das Ende der Geschichte an. Aber Europa hätte, im Blick auf seinen Osten, den Kontinent neu gestalten und von seinen schweren historischen Hypotheken befreien können.
Das ist doch geschehen, werden unsere Politiker antworten – siehe die Osterweiterung von EU und Nato, siehe das deutsch-polnische Verhältnis, das heute so geläufig und problemlos ist wie nie zuvor, siehe das Weimarer Dreieck und was auch immer. Gewiss, das ist kostbar und Grund zu Freude. Und doch fehlt etwas.
Den vollständigen Beitrag mit vielen Fotos findet man hier:
https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... ution.html