Exakt | 05.10.2016 Tondokument von 1989 - Vor der entscheidenden Demonstration
Der Abend des 09. Oktober 1989 in Leipzig sollte das Schicksal der DDR besiegeln. Nachdem 70.000 Menschen für Freiheit und Bürgerrechte auf die Straße gingen, brachen alle Dämme. Ein erst jetzt aufgetauchtes Tonband zeigt, wie sich die beunruhigte SED-Führung der Stadt Leipzig auf diesen entscheidenden Abend vorbereitet hatte.
Am Vormittag hatte der Oberbürgermeister Dr. Seidel im Leipziger Rathaus die engsten Vertrauten um sich versammelt. Heimlich wurde die Krisensitzung mitgeschnitten. Zu hören ist ein angespannter Oberbürgermeister, der wie bei den vorangegangenen Demonstrationen auf Polizei und Staatssicherheit setzt.
Wir müssen uns auch drüber im Klaren sein he, dass man natürlich nicht zulassen kann, dass das was sich montäglich vollzieht, dass sich das nun in alle Ewigkeit in unserer Stadt fortsetzen kann. Und da gehört es auch einfach, dass man paar Leute darf ich mal sagen, aus dem Verkehr zieht. Da muss eingegriffen werden, Schluss, das kann sich der Staat und können wir uns nicht mehr bieten lassen. Warum nicht? Weil es um die Machtfrage geht.
Dr. Bernd Seidel, Oberbürgermeister Leipzig
Doch andererseits kritisiert Bernd Seidel in seiner teilweise launigen Rede auch die verkrusteten Verhältnisse in der DDR.
Weil so wie ich auch nicht auf alles eine Antwort habe, viele unserer Genossen das auch nicht haben. Wir müssen jetzt über unsere eigene Verantwortung reden. Wie oft rennen doch die Leute noch mit dem Kopf gegen die Wand, wenn sie vernünftige Vorschläge haben und nicht bloß meckern.
Dr. Bernd Seidel, Oberbürgermeister Leipzig
Zu verdanken haben ist der heimliche Mitschnitt Toningenieur Thomas Hauf, der aushilfsweise Dienst im Rathaus hatte. Hauf, der regelmäßiger Teilnehmer der Friedensgebete war, wurde die Brisanz der Versammlung schnell klar.
Ja, 09. Oktober 1989. Das ist der Ratsplenarsaal und hier hat die Sitzung stattgefunden, hier war ein Tisch aufgebaut in U-Form, Bürgermeister saß ungefähr hier, ich war an dem Tag ja hier, um das Mikrofon aufzubauen für den Bürgermeister, für eine kleine Raumbeschallung, damit er gut verständlich ist. Und die ersten Sätze, die er sagte erschienen mir aber so brisant, dass ich mir gesagt habe, das muss ich einfach mitschneiden, das ist interessant, das wird jetzt spannend und da habe ich mir schnell ein Band gesucht und habe es eingelegt, auf Start gedrückt und es einfach gemacht.
Thomas Hauf, Toningenieur
http://www.mdr.de/exakt/tondokument-leipzig-100.html
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