Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Dokumente über die Zeit der Wende

Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon Interessierter » 14. Mai 2012, 14:37

"Was das Vernichten anbetrifft, Genossen,...: macht das wirklich sehr klug und sehr unauffällig."

Dienstbesprechung anläßlich der Amtseinführung des Gen. Genrealleutnant Schwanitz als Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit durch den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Gen. Hans Modrow 21.11.1989

[Auszüge einer Tonbandabschrift der Dienstbesprechung, BStU, Zentralarchiv ZAIG 4886. Das vollständige Dokument umfaßt 68 Seiten und ist in der Mediathek Haus 1 einzusehen.]

Ausführungen Genosse Generalleutnant Schwanitz

Genossen, es ist auch keine große Zeit, die uns gegeben ist. Uns steckt die Zeit wie die Faust im Nacken. [...] Also vor uns liegt eine gewaltige Kraftanstrengung und Genossen, man muß es deutlich aussprechen, es steht auch wirklich viel auf dem Spiel, es steht auf dem Spiel unsere Macht, darüber darf es keine Illusionen geben.

Wovon müssen wir uns trennen, Genossen.
1. Von der These, wir müßten alles wissen, was in diesem Staat geschieht oder nicht funktioniert und überall Einfluß nehmen. [...] Das führte bei vielen Bürgern zu der Annahme, das MfS überwacht das Volk und bei manchem in unserem Organ löste das die Vorstellung der Selbstüberschätzung aus.
2. Schluß müssen wir machen mit der Übernahme von Verantwortung anderer Organe. Schluß mit flächendeckenden Einsätzen von Angehörigen unseres Organs bei Demonstrationen, Fußballspielen und anderen Großveranstaltungen. Sie haben uns großen Schaden zugefügt, als wir immer mehr versucht haben, Aufgaben der Volkspolizei auf der Straße zu übernehmen. Wir dürfen uns von anderen nicht mehr als Briefträger benutzen lassen, weil etwa die Staatssicherheit einen längeren Arm hat.
3. Wir müssen uns trennen von der operativen Bearbeitung Andersdenkender. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang trennen von solchen Begriffen wie politisch-ideologische Diversion, politische Untergrundtätigkeit, politische Kontaktpolitik, Kontakttätigkeit usw., beziehungsweise müssen diese Begriffe neu wissenschaftlich durchdacht werden.


Es ist schon sehr aufschlußreich, daß der Genosse Schwanitz über Praktiken redet, die sonst immer bestritten wurden !
Im folgenden Absatz kann man erkennen, daß mehre tausend Stasi-Mitarbeiter zum Zoll verschoben werden sollen, um sie sozial abzusichern.

Genau so Genossen, ist klar, wir müssen ganz ganz kurzfristig in Größenordnungen unsere Zollorgane kadermäßig stärken. Ich hab gestern mit dem Genossen Möller gesprochen, wir müssen kurzfristig 6.000 bis 7.000 Tschekisten zu den Zollorganen geben und zwar nicht abkommandieren, sondern sie in das Dienstverhältnis der Zollorgane übergeben. Das ist nebenbei gesagt für viele Genossen eine sehr gute Lösung, auch was ihre soziale Sicherheit anbetrifft. Ich muß das mal so sagen. [...]

Mehr Details findet man hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... schwanitz/
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon karnak » 14. Mai 2012, 15:03

Interessierter!
Was soll ich sagen.Sind die Aussagen wirklich so schrecklich?
Sind das nicht staatliche Aufgaben die einem Geheimdienst nichts angehen bzw.völlig überzogen waren?
Das der Geheimdienst was seine Inlandsaufgaben anging, völlig überdimensional aufgebläht war,ist doch wohl keine Frage.Was ist eigentlich so schlimm daran wenn ein führender bzw.der führende Mitarbeiter Konsequeten aus dem bisherigen Tun zieht.Mit Sicherheit viel zu spät,aber er zieht zumindest Konsequenzen.Manch einer hier in dem Forum hat das für sich nicht getan.Zumindest ist das manchmal mein Eindruck.
Und das er als Führender Mitarbeiter nach einer Lösung sucht für seine Mitarbeiter zu einer neuen Tätigkeit halte ich auch für durchaus ehrenwert.Nicht im Sinne des"Untertauchens",den davon wird zumindest nicht gesprochen sondern von sozialer Absicherung.
Ansonsten muß man auch bedenken,daß in dieser Zeit der Gedanke einer reformierten,eigentständigen DDR immer noch im Raum stand.
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon Interessierter » 14. Mai 2012, 16:37

Karnak, ich habe nicht geschrieben, daß es schrecklich ist. Ich finde es aufschlußreich.

[hallo]
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon karnak » 14. Mai 2012, 17:05

Aufschlußreich in welcher Hinsicht?
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon augenzeuge » 14. Mai 2012, 17:35

karnak hat geschrieben:Aufschlußreich in welcher Hinsicht?


Für mich in der Hinsicht, dass man wenige Tage nach Mauerfall selbst genau wusste, was man jahrelang falsch gemacht hat. Oder hätte ich sagen sollen, dass man es sich endlich sagen traute, als die bisherigen Minister weg waren?
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon karnak » 14. Mai 2012, 18:06

Du kannst mir eines glauben,daß es nicht wenige im Mfs gab die das schon jahre vorher wussten,oder die das zumindest ahnten.Glaube mal ja nicht,daß das Mfs in dieser Hinsicht so ein homogener Verein von 200% war.
Ich glaube mal nicht,daß die die heute über das Mfs diskutieren in der DDR einen Mfs-Angehörigen und seine private Meinung kannten.Natürlich gibt es immer solche und solche.Aber wie gesagt,man darf sich das nicht alles so homogen vorstellen.
Und den Mut, gegen die offizielle Firmameinung zu sprechen ,hatte kaum jemand,auch ich nicht.Das konnte nämlich durchaus auch gefährlich werden.
Da fällt mir eine Geschichte ein.Ich habe als APO-Sekretär mit meinem GO-Sekretär ein Problem diskutiert was meine Frau aus Ihrem Betrieb mitgebracht hatte.Wohlgemerkt das Gespräch fand unter 4 Augen statt.Eine Weile hat er mit mir ja geduldig gesprochen.Aber nachdem wir uns nicht einig wurden und er eigentlich auch keine vernünftigen Argumente mahr hatte,kam dann der Satz:"Ich weiss garnicht mit was für Leuten Du privat zutun hast".Also habe ich lieber zurückgerudert,ich war nun mal kein Freiheitskämpfer.Wenn ich es auf die Spitze getrieben hätte,man hätte mich zumindest in der Parteigruppe wieder "auf die richtige Linie gebracht".Das wollte ich mir einfach ersparen,wie die Meisten halt,traurig aber wahr.
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon augenzeuge » 14. Mai 2012, 18:25

Karnak, alles was du geschrieben hast, kann ich gut nachvollziehen und bestätigt auch indirekt meinen Hinweis. Das System funktionierte nur mit Druck und Angst. An beides hatten sich nicht wenige gewöhnt, merkten es teilweise auch nicht und verstanden zumindest recht gut damit umzugehen.
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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon Icke46 » 14. Mai 2012, 18:59

Hallo, karnak,

einige hier im Forum sind mit den in der DDR gebräuchlichen Abkürzungen vielleicht nicht so vertraut - bei den beiden in Deinem Beitrag steh ich auch ein bissel auf dem Schlauch - was ist APO, was ist GO [wink] ?

Gruss

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Re: Tonbandabschrift - Schwanitz - Modrow

Beitragvon augenzeuge » 14. Mai 2012, 19:10

icke46 hat geschrieben:Hallo, karnak,

einige hier im Forum sind mit den in der DDR gebräuchlichen Abkürzungen vielleicht nicht so vertraut - bei den beiden in Deinem Beitrag steh ich auch ein bissel auf dem Schlauch - was ist APO, was ist GO [wink] ?

Gruss

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