Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 19. August 2014, 18:52

Rette sich wer kann -
Die Flucht des Dr. 213



Herbst 1984.
Im Anschluss nach der abgeschlossenen Lehre als Maschinist habe ich einen Hilfsjob
auf der Warnowert in Warnemünde zugewiesen bekommen. Für einem Arbeitsunfall,
zu dem ich gar nichts konnte, wurde ich bestraft. Und das nur, damit der eigentliche
Übeltäter, ein "Kandidat der SED" der Arsch sauber gehalten wurde.
Es gehört mit in die Fluchtgeschichte weil es der finale Auslöser dafür war,
Widerstand zu zeigen und meine Flucht aus diesem schönen Land vorzubereiten.


Ich bin mal wieder mal bei meinem "Traumjob" und hänge wie meistens irgendwelche Sachen an den Kran.
Geistig nicht besonders anspruchsvoll. Es regnet und stürmt wie so oft zu dieser Jahreszeit an der Küste.
Kein Problem denn ich habe ja eine gelbe Regenjacke die ich nur aus dem Spind holen muß.
Die Umkleide ist gut 500 Meter weit weg und so mache ich mich auf den Weg.
Endweder aus Mangel an Umkleideräumen in Arbeitplatznähe, oder aus reiner Schikane hatte man mir eine
so weit entfernten Umkleide zugeteilt. Dort angekommen gibt es erst einmal einen selbst gekochten Tee.
Grusinische Mischung im Teebeutel natürlich. Mit extra viel Zucker.
Omas alter 1- Tassen Tauchsieder macht`s möglich.
Und genau das richtige bei diesem stürmisch- nasskalten Mistwetter.

Als ich wieder zurück zum Kran komme, wird gerade eine Palette an Bord eines der bereits fast fertigen
Schiffe am Ausrüstungskai gehoben. Ich sehe noch wie der große Kran ungewöhnlich nervös
herum manövriert. Als gelernter Kranführer habe ich natürlich selbst einen besonders guten Blick dafür.
Irgend etwas stimmte hier nicht. Aber ich denke mir zunächst nichts dabei.
Der Kranführer da oben wird schon wissen was er tut. Einige Minuten später kommt die Palette wieder
herunter und ich sehe darin geborstene Blei- Akkus.
Der dicke Meister kommt kurz darauf mit seinem Dienst- Fahrrad angeradelt.
Die Szene erinnert mich an einen frühkindliches Zirkuserlebnis bei dem
ein echter Elefant auf einem kleinen Dreirad aus Stahlrohr im Kreis fährt.
Nur dieses mal ist es eben der Meister auf seinem Dienstfahrrad.
Er japst wie immer heftig nach Luft und verkündet mit quiekender Stimme etwas von Ärger und das
es noch ein böses Nachspiel für uns geben würde. Dabei rollen seine Schweinsäuglein im Kreis herum.
Ich erfahre nun endlich was überhaupt geschehen war.

Beim Absetzen der Kranladung oben auf dem Schiff war eine Palette mit Notromakkus zu Bruch gegangen.
Ich messe dem zunächst keine weitere Bedeutung bei. Schließlich hatte ich
die besagte Palette nicht angebunden, ja ich war noch nicht einmal dabei gewesen.
Und darum ich mir auch überhaupt keinerlei Schuld bewußt.

Tage später kommt der Hammer:
Ich werde zusammen mit meinem Kollegen vom Bodenpersonal plus dem Kranführer zu einer Verhandlung
der Konfliktkommision vorgeladen.
So nannte man in der DDR diese Art Laiengericht. Eine DDR- Spezialität.
Der Vorsitzende war der Sprache nach unverkennbar Ostpreuße.
Er fügte jedem seiner gesprochenen Sätze stets noch ein unbewußtes und in dieser Situation
für mich besonders höhnisch empfundenes "Nich wahr ?" hinten an.

Die Sache wird so dargestellt, dass ich natürlich auch mit schuldig wäre.
Denn als eingeteilter Anschläger bin ich für das korrekte Befestigen der Ladungen mit verantwortlich.
Mein Einwand, ich sei erst wieder am Kran gewesen als die Last schon lange oben war,
wurde natürlich abgewürgt. Der Vorsitzende begründete mit offenbar sehr weit geholten Argumenten
meine Mitschuld. Ich bekam eine Strafe von etwa 180 Mark.
Viel Geld damals, bei einem Monatslohn von nur 600 Ost- Mark.
Auf diese Summe kam man auch nur mit vielen Überstunden.

Der junge Kranführer wurde - als Kandidat der SED- natürlich nur verwarnt.
Ich könnte kotzen ! Ich hasste fortan das System dafür und wollte nur noch abhauen.
Das war dann zugleich auch das Ende der Freundschaft zur Werft.

Kurz darauf kündigte ich meinen Job was in der damaligen DDR eigentlich überhaupt nicht üblich war.
Der Abteilungsleiter wollte meiner Kündigung zuerst nicht zustimmen.
Verhindern konnte er sie jedoch nicht. Der Rest war reine Formsache. Am letzten Tag erhielt ich den Laufzettel.

Das herumlaufen um all die vielen Stellen abzuklappern beschäftigte mich einen ganzen Tag lang.
Werkzeugmarken abgeben. Arbeitsklamotten abgeben und noch jede Menge Schriftkram.
Letzter Punkt auf meinem Zettel ist die Personalabteilung. Es ist nun schon später Nachmittag.

Der Mann von der Personalabteilung wollte mir noch einen Arbeitsplatz im Hafen andrehen.
Aber da wußte ich gleich, daß es eine unbeliebte, weil harte und zudem schlecht bezahlte Hilfstätigkeit
im 3- Schichtsystem war. Darum wurden dafür auch immer Leute gesucht. Ich lehnte dankend ab.

Meine Geld- Strafe von diesem Amateurgericht bezahlte ich aber selbstverständlich noch.
Was blieb mir auch anderes übrig.


1985 Arbeitslos in der DDR
Jeder der behauptet, es gab in der DDR keine Arbeitslosigkeit, der lügt.

Was sollte ich nun anfangen ? Irgend eine neuer Job mußte her.
Mit LKW- Führerschein und Kranführerschein gab es genug offene Stellen.
Soweit ich es aber auch versuchte, immer nur Absagen sobald zur Sprache kam,
daß ich meinen alten Job auf der Werft selbst gekündigt hatte.
Wahrscheinlich hatte sie auch meine Kaderakte angefordert oder bereits sogar
Anweisung von oben erhalten, mich extra nicht einzustellen.
Und den Wehrdienst hatte ich ja auch noch nicht abgeleistet.

Glücklicherweise war ich finanziell in der Lage, eine gewisse Zeit ohne Arbeit zu überstehen.
Zeit, in der ich beschloß mein Leben zu ändern.

Ich hatte nur noch ein Ziel. Dorthin zu gehen, wo das besser Leben war.
Endlich einen Beruf zu haben der mir Spaß macht und der zu meinen Fähigkeiten paßt.
In der DDR sah ich da wirklich keine Zukunft mehr.
Zum Glück war ich nicht der Typ der seinen Kummer im Alkohol ertränkt.
Ich hatte ja genug Phantasie und sogar schon einen Plan B im Hinterkopf.
Nun wurde er wieder aktuell. Jedoch wollte ich nichts überstürzen.
So eine Flucht würde nicht leicht werden und brauchte viel Vorbereitung.
Ich lies mir also Zeit und sondierte viele unterschiedliche Fluchtwege.


Frühjahr 1985

Außer Vorstellungsgespräche haben meine Bewerbungen keinen Erfolg.
Egal, für mich beginnt nun die Suche nach einem Fluchtweg aus der DDR.
Ideen hatte ich inzwischen einige. Darunter waren auch ganz ausgefallene.

So wie etwa mit einem Gleitdrachen von einem Ostberliner Hochhaus über die
Mauer nach Westberlin hinüber fliegen. Aus Erfahrung wußte ich wie leicht
man in Ost- Berliner Hochhäuser gelangt. Ja, Berlin wäre gar nicht so schlecht,
da kenne ich mich gut aus.

Und das kam nämlich so:
In den Sommerferien war ich gerne für einige Tage bei meiner Tante in
Ost- Berlin zu Besuch. Es waren stets die schönsten Ferien für mich.

Bei einem meiner vielen Stadtbummel traf ich zufällig in Berlin auf dem Schwarzmarkt
vor dem Ostbahnhof einen Schüler aus einer Parallelklasse meiner Heimatstadt.
Er war einer der Schwarzmarkthändler auf dem Platz vor dem Kaufhaus.
Ungefähr da wo es zum großen Delikat- Supermarkt ganz unten im Kaufhaus ging.


Das muß man sich mal vorstellen, man trifft 300 Kilometer weg von zu Hause
und noch dazu in einer großen Millionenstadt ein bekanntes Gesicht.

R. war schon ein richtiger Profi auf dem Schwarzmarkt am Ostbahnhof.
Ich sah ihm eine ganze Weile zu.
Dann irgendwann wollte ich es auch mal mit dem Verkauf probieren.
Er führte mich in das Geschäft ein und bald darauf war ich selbst Händler.

Der Wareneinkauf fand in den Eingängen der beiden Hochhäuser gleich in der Nähe statt.
Dicke Geldscheinbündel wurden zu den polnischen Zwischenhändlern hinüber
gereicht und gegen die Waren getauscht. Wir kauften prall gefüllte Plastik- Tüten voll
mit Spiegel- Sonnenbrillen, Modeschmuck aus falschem Silberdraht und solche Sachen.
Unglaublich, welche Mengen von dem Zeug in die kleinen Fiat's der Polen hinein paßte.
Die hatte ihre Waren einfach in große Kunststoff- Müllsäcke gestopft.

Auf dem Schwarzmarkt, keine 200 Meter weg, verkauften wir alles wieder.

Wir machten gigantische Gewinne. Spät am Nachmittag, wenn der Verkauf auf dem
Schwarzmarkt nicht mehr lohnte, tranken wir wie die Könige in der kleinen Bar
des Kaufhauses am Ostbahnhof Gin-Tonic.
Mit dicken Geldscheinbündeln in den Taschen fuhren wir Heim.

Ich machte die Tour noch ein paar mal alleine und natürlich immer mit Gewinn.
Hatte man besonders gut verkauft war es auch üblich, einen Teil des Gewinnes
gegen Westmark zu tauschen. Zum üblichen Kurs von etwa 20 zu 1.
Die polnischen Händler hatten irgendwie die Möglichkeit das Ostgeld nach Westberlin
zu schmuggeln um es dort in D- Mark umzutauschen.

Irgendwann wurde die Geschäfte aber immer flauer und die Sommerferien waren
auch fast vorbei. Das war dann auch des Ende dieser lukrativen Touren.
Eigentlich auch ganz gut so, denn sonst hätte man uns sicher irgend wann mal geschnappt.

Zurück zu den Ost- Berliner Hochhäusern:
Von so einem Dach, so überlegte ich, müßte es doch möglich sein unbehelligt nach
Westberlin zu kommen. Mit einem Gleitdrachen.
Ja, ganz einfach wie ein Vogel hinüber fliegen das wäre schon toll.
Leider war diese Idee völlig abgehoben.
Ich hatte nämlich überhaupt keine Ahnung vom Fliegen. Informationen zu beschaffen
war fast unmöglich. Damals gab es noch kein Internet in dem man hierzu einfach mal
eine Suchmaschine danach fragen konnte. So fehlten mir natürlich auch Baupläne.
Und eine Garage oder gar eine voll ausgestattete Werkstatt wären dazu auch notwendig gewesen.
Eine Transportmöglichkeit und ein abgelegenes Testfluggelände hatte ich ebenfalls nicht.
Und ich fürchtete einen Absturz schon beim Start.
Also doch alles Hirngespinste, jedenfalls war auch das nichts für mich.

Die Landgrenze kam auch nicht in Frage. Ich hatte gehört, daß auf Karten der DDR
mit Absicht falsche oder sogar keine Details vom Grenzgebiet zu sehen waren.
Ohne Orientierung den richtigen Weg zu finden wäre viel zu riskant.

Die Ostseegrenze erschien mir dagegen viel ungefährlicher für eine Flucht in den Westen.
Und die Ostsee lag ja für mich auch fast vor der Haustüre.
Ich hatte mir überlegt, wie man so eine doch recht lange Strecke über die Ostsee am besten
schaffen könnte. Ich war sicher ein guter Schwimmer.
Jedoch nur alleine mit Muskelkraft würde es so gut wie unmöglich sein. Ich brauchte
irgendeinen Antrieb, etwas mit einen Motor, oder vielleicht doch mit Hilfe von Schwimmflossen ?

Ich hatte erfahren, daß es auf dem Gelände vom VEB Fischkombinat in Rostock- Marienehe
eine Werkstatt gab, in der zu Sportzwecken richtige Monoflossen gebaut wurden.
Man müsse nur am Werkstor zu dem Pförtner dort sagen: „zum Flossenbau“ und schon
würde man ohne weitere Fragen unbehelligt durchgelassen. Das wollte ich gerne mal testen.

Normalerweise sind Schwimmflossen ja zweiteilig so wie ein Paar Schuhe.
Jeder kennt diese Dinger die man zum Schnorcheln im Urlaub benutzt.
Diese Monoflossen sind jedoch etwas größer und aus einem Stück gemacht.
Und auch mit nur einem gemeinsamen Einstig für die Füße.
Mann sieht mit so einem Ding so ähnlich wie eine Meerjungfrau aus.
Benutzt werden solche Monoflossen üblicherweise zum Streckenschwimmen und Tauchen.
Für meinen Zweck also immerhin ein denkbarer Antrieb.

Auf so einer langen Strecke im Wasser der Ostsee konnte man schnell an Unterkühlung umkommen.
Und das sogar selbst mitten im Hochsommer. Das hatte ich in dem Buch „Seemannschaft“ gelesen.
Also mußte für dieses Vorhaben zuerst ein schützender Anzug besorgt werden.
Kaufen konnte man so einen in der DDR aber nicht sofort.

Ich einem Taucherbuch mit schwarzem Einband finde ich endlich eine Bastelanleitung
für einen selbst geschneiderten Neoprenanzug.
Ich nehme mir vor, genügend Gummi und Kleber dafür zu organisieren.
Der Kleber wäre nicht das Problem gewesen. Neopren dagegen war überhaupt nicht aufzutreiben.
Das Gummi von Schlauchboten hielt ich für zu steif und nicht wärmend genug und damit für diesen
Zweck ungeeignet. Es ist tatsächlich nicht geeignet.

Ohne so einen wärmenden Schutzanzug würde ich selbst im Sommer keine Flucht in der Ostsee
wagen können. Das Wasser wäre immer noch zu kalt.
Und so ließ ich auch diesen Plan erst einmal wieder fallen.
Und das war auch besser so. Ohne Übung ist das eine sehr schlechte Idee.

Ich war bestimmt kein schlechter Schwimmer. Aber nicht auf solch langen Strecken
auf dem offenen Meer. Dazu braucht man Ausdauer und viel Kraft.

Ich machte dann auch Krafttraining. Als Hantelersatz diente mir ein roter
Koffer- Plattenspieler. Ich stemmte das Ding stundenlang wie eine Hantel.
Und ich verordnete mir eine besondere Ernährung dazu. Ich verspeiste Unmengen von
Quark mit Honig. Dazu verdrückte ich eine Tubennahrung.
Diese Mischung aus Honig und Malz war außerdem noch sehr lecker.

Und ich begann regelmäßig in der Schwimmhalle mit Streckenschwimmen.
Ich trainierte etwa 2 mal die Woche am frühen Nachmittag für jeweils etwa eine Stunde.
Nach einiger Zeit war ich dann der Meinung, ich würde langsam auffallen weil ich dort
vorwiegend nur Bahnen geschwommen war.
Und das taten dort sonst nur die viel älteren Semester unter den Besuchern der Schwimmhalle.

Im Frühsommer des Jahres verlegte ich mein Training dann in's Freie.
Leider trainierte ich ab dann nicht mehr so oft wie geplant. Der Winter war hart und das
Wasser der Warnow war noch lange Zeit sehr kalt.
Dafür begann ich aber ein umso intensiveres Lauftraining.
Und genau dieses Training sollte mich dann wenig später vor den Vopos retten ... [crazy]
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 19. August 2014, 18:59

Wettlauf mit der VoPo

Ich hatte immer noch den Plan eine komplette Polizeiuniform samt Ausrüstung zu stehlen.
Und zwar so richtig komplett wie möglich, mit wirklich allen Einzelheiten.
So hatte ich schon ein Funkgerät UFT-721 aus Beständen der Reichsbahn "organisiert" ,
aber immer noch keinen dazu passenden Quarz für die Rostocker Polizeifrequenz im 2- Meter Band.
Eine beigefarbene Pistolentasche hatte ich bereits und dazu eine schwarz angemalte Plastik- Pistole
die ich täuschend echt mit einem Metall- Lauf versehen hatte.

Eines Abends war ich wieder auf die Lauer gegangen, um an der neuen Feuerwehrwache
in der Rostocker Südstadt, in der zugleich auch eine Meldestelle der VoPo untergebracht war,
auf eine günstige Gelegenheit zu warten.Ich muß an dem Abend etwas unvorsichtig gewesen sein.
Oder es war einfach nur ein blöder Zufall. Jedenfalls kam eine Motorradstreife direkt auf mich zu.
Schon von weitem hatte ich sie bereits bemerkt. So eine richtig alte knatternde MZ ES125 ? mit fetten,
ausgeblichenen beigefarbenen Gummisitzen, daran waren schlauchförmige dicken Haltegriffe.
Ich stopfte in letztem Moment meinen Haustürschlüssel in die Unterhose und als die beiden
Vopos bei mir angekommen waren, ließ ich mich durchsuchen.

Dabei spielte ich betrunken und lallte dabei zur besseren Überzeugung sogar etwas herum.
Dazu torkelte ich ein wenig und hielt mich wankend an ein parkendes Auto gestützt fest.
Das ganze muß sehr echt gewirkt haben.
Der Plan ging jedenfalls perfekt auf. Die Vopos wurden leichtsinnig in der Bewachung.
In einem günstigen Moment begann ich los zu sprinten.
Die beiden VoPo's waren einen Moment lang wie paralysiert aber schon nahm einer der beiden
die Verfolgung auf. Der andere versuchte derweil sein Motorrad zu starten.
Vergeblich, denn der Motor sprang nicht sofort an.
Mein Glück ! Sein Kollege aber nahm sogleich die Verfolgung zu Fuß auf.
Durch die dicke Motorradkleidung war er beim laufen allerdings im Nachteil.

Nach etwa 20 Metern der Verfolgung warf er plötzlich seine blecherne Farb- Signallampe nach mir.
Er muß sehr gut gezielt haben. Das Teil flog mir nämlich direkt auf den Hinterkopf.
Ich spürte den Schlag deutlich aber durch meine eigene Geschwindigkeit in Wurfrichtung blieb der
Aufprall glücklicherweise ohne ernsthafte Wirkung. Der Bulle hinter mir sammelte laut fluchend die
Reste seine Signallampe auf und gab kurz darauf die Verfolgung zu Fuß schließlich ganz auf.

Ich lief weiter über die Straße und verschwand hinter dem nächsten Häuserblock.
Irgendwo ein paar Straßen weiter knatterte ein Motorrad scheinbar ziellos hin und her.
Dann irgendwann war Stille.

Wieder mal Glück gehabt. An meinem Kopf spüre ich nun doch eine leicht brennende
und wässrige Wunde. Ich bleibe noch einige Minuten in einem schützenden Gebüsch in Deckung.
Auf dem Weg nach Hause gehe ich in eine Telefonzelle.
Ich will noch etwas Spott über meine lahmen Verfolger ablassen.
110 gewählt und dann höre ich es so eine Minute nur Tut Tut Tut aber keiner geht ran.
Na egal, ich lege wieder auf und gehe weiter.


Der Otto Grothewohl- Express

Ich wohnte damals in unmittelbarer Nähe zum Rostocker Hauptbahnhof.
Dort gab es auf der Seite zur Südstadt hin ein Abstellgleis, und zwar gleich neben der damals
noch vorhandenen Fußgängerbrücke.
Ab und zu sah man dort einen einzelnen Wagon mit Milchglasscheiben.
Davor stand dann ein grauer W50 mit Kastenaufbau. Ein Knasttransporter.
Rund herum standen Polizisten in Uniform und mit bellenden Wachhunden.
Ab und zu sah man wie gefesselte Gefangene umgeladen wurden.
Das Schauspiel dauerte jeweils so etwa 4 Stunden. Auch im Sommer.
Bei dem Gedanken womöglich auch selbst einmal dort einer der Gefangenen zu sein,
lief mir jedes mal ein eiskalter Schauer über den Rücken.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 19. August 2014, 19:19

Erkundungstouren und Ausspähaktionen folgten Anfang 1985
Exemplarisch hier nur einige Beispiele:


Erkundungstour in Sassnitz (Rügen)


Eine weitere Erkundungstour führte mich im Frühsommer des Jahres 1985 auf die Insel Rügen.
In Sassnitz war ein Transit- Hafen mit einer regulären Fährverbindung nach Trelleborg/ Schweden.

Ich wollte also die Fluchtmöglichkeiten über diesen Fährhafen ausspähen. Gesagt getan.
Dazu gehörte, wie immer, eine gründliche Vorbereitung.

Ich studierte alle mir zugänglichen Karten und schließlich kaufte ich mir eine Fahrkarte für den
Zug nach Sassnitz. An alles war gedacht.
Sogar eine passende Legende hatte ich mir überlegt.

Meine Schutzbehauptung für den Fall einer Personenkontrolle war eine geplante Bewerbung
für die Arbeit im neu entstehenden Fährhafen Mukran.

Um das ganze noch glaubhafter zu machen, hatte ich einen Aktenkoffer mit Bewerbungsunterlagen dabei.
Dazu auch ausgeschnittene Stellenanzeigen in denen Arbeitskräfte für die Arbeit im neuen Fährhafen gesucht wurden.

So konnte ich bei etwaigen Personen- Kontrollen sofort einen plausiblen Grund für meine Anwesenheit
auf der Insel Rügen präsentieren.
Rügen stand nämlich als Grenzgebiet auch unter besonders scharfer Beobachtung durch Stasi und Vopo.

Noch mehr fürchtete ich mich aber vor den unsichtbaren zivilen Spitzeln, den Freiwilligen Helfern der Grenztruppen.

In Sassnitz angekommen fand ich mich sofort zurecht. Als Kind war ich in den Ferien oft auf Rügen
und hatte auch diesen Ort mehrmals besucht.
Ich beobachtete also den Fährhafen von einem öffentlichen Aussichtspunkt am Fuße des Rügen- Hotels.
Von dort sah ich etwas entfernt am Hang den Fährhafen mit seinen Schiffen und die Zufahrt.
Ich wagte es aber nicht, mein mitgebrachtes Fernglas zu benutzen denn ich war hier nicht alleine.
Den Fährhafen selber wollte ich mir aber doch gerne etwas näher ansehen.
Ich lief die Hauptstraße einige hundert Meter weiter in Richtung Mukran.

Nach einigen hundert Metern entdeckte ich eine ungewöhnlich gut ausgebaute Straße die in Richtung
Fährhafen führte. Den Eingang zum Fährhafen sah man aber nicht. Wie es nach der Rechtskurve weiter
ging war nicht zu sehen. Ich wunderte mich noch, dass hier gar kein Verkehr war, nicht ein einziges Auto war zu sehen.
Ich wagte es auch nicht, diese leicht abschüssige Straße zu Fuß in Richtung Fährhafen weiter zu gehen.
Ich fühlte mich beobachtet und ging lieber zurück in den Ort.

Dann beobachtete ich noch den Fischereihafen aus einer leicht erhöhten Position hinter einer lange Halle.
Gut getarnt aus dem dichtem Unterholz. Vor der Halle standen bunt gestapelte Fischkisten herum.
Ich sah mir für längere Zeit den Fischereihafen mit den vielen Kuttern durch das Fernglas an ohne aber
eine wirklich geeignete Fluchtmöglichkeit zu erkennen.

Dann folgte noch ein bischen Funkaufklärung. Ich setzte mein mitgebrachtes UFT 721 (ein DDR Funkgerät)
in Betrieb. Ich hoffte darauf, den Rangierverkehr der Züge im Fährhafen abhören zu können.
Empfang hatte ich aber nach dem ausprobieren mehrerer Quarze nicht ein einziges mal.

Der Tag neigte sich langsam dem Ende entgegen und ich hatte noch etwas Zeit bis der Zug zurück
nach Rostock los fuhr. Es begann leicht zu regnen. Ich setzte mich in das Wartehaus einer Bushaltestelle
gleich in der Nähe vom Sassnitzer Bahnhof gelegen.

Zu mir gesellte sich ein offenbar Wehrdienstleistender der Marine in Uniform.
Wir kamen kurz in's Gespräch über dies und das. Ich gab vor, dass ich „Rüganer“ sei und gerade von der
Berufsschule gekommen bin. Ich hatte ja meinen Aktenkoffer dabei. So einen Diplomatenkoffer wie er
unter den Berufsschülern in der DDR zu dieser Zeit Mode war. Das machte meine Geschichte glaubhaft genug.
Außerdem erzählte ich ihm, daß ich bei der GST in der Abteilung Seesport war und später selbst auch
mal zur Marine wolle. Ausreichend Fachkenntnisse hatte ich ja zu dem Thema und darum war das Gespräch
mit diesem unbekannten Marine- Soldaten sehr leicht.
Ich versuchte nun durch nicht allzu direktes Fragen einige Details über die Sicherung der Seegrenze zu erhalten.
Jedoch kam nichts wirklich brauchbares dabei heraus.

Insgesamt brachte diese Tages- Tour nach Rügen wenig an Informationen so dass ich auch diesen
Fluchtweg als nicht geeignet abhaken mußte.


Wieder mal die VoPo's hautnah

Eine andere Erkundungstour führte mich im Sommer an die Ostseeküste
auf den Darß und zwar in die Nähe von Prerow.
Dieses mal aber mit dem Moped welches ich mir im Frühjahr 1985 gebraucht von meinem Sparbuch
kaufen konnte. Ich hatte es aufgelöst. Das Sparen hatte keinen Sinn mehr.

Ich wollte die Ablandungsmöglichkeiten am Strand bei Prerow erkunden.
Die Entfernung nach Dänemark ist dort vom Darss aus besonders kurz.
Und das ist, wenn man es auf der Landkarte betrachtet, eine sehr starke Verlockung für Fluchtwillige,
es genau hier über die Ostsee zu versuchen.
Das wußten wiederum natürlich auch die Grenzer. Also wurde das Ufer in der Gegend um Prerow schon
lange vor dem eigentlichen Strand besonders stark überwacht.

Was viele Flüchtlinge jedoch nicht bedachten, war die starke Strömung.
Denn in Wirklichkeit war es eher unwahrscheinlich genau die kürzeste Entfernung von Land zu Land
zu erwischen. Wie leicht konnte man man von Strömung und Wind abgetrieben werden und verpaßte
so natürlich die nur schmale Landzunge von Gedser.
Somit war der Weg eben nicht die kürzeste Strecke sondern viel länger.
Einige Flüchtlinge bezahlten diese Fehleinschätzung dann auch mit dem Leben und ertranken
erschöpft und oder starben durch Unterkühlung.

Ich wollte mir also die Küste von Prerow nun einmal selber anschauen.
Die Fahrt dort hin dauerte von Rostock aus nur etwa eine Stunde.
Auf einem Waldparkplatz stellte ich mein Moped abseits etwas versteckt ab und schlich am bewaldeten
Rand des Parkplatzes in Richtung Strand. Beim Beobachten der Umgebung stockte mir plötzlich der Atem.

Vor mir in nur etwa 30m Entfernung näherte sich eine Fußstreife der Volkspolizei.
Die beiden VoPo's hatte ich erst im allerletzten Moment gesehen.
Das war wieder mal sehr knapp !

Die beiden VoPo's waren in ein Gespräch vertieft und Ihr Blick dabei zum sandigen Boden nach unten gesenkt.
Ich begann sofort hinter einem Auto in Deckung zu gehen, wie in Zeitlupe und ohne ein Geräusch zu machen.

Am Boden liegend sah ich unter dem Auto hindurch die beiden in weniger als 10m langsam Schritt für Schritt
vorbei gehen. Sie hatten mich zum Glück noch nicht bemerkt. Mein Herz pochte in diesem Moment heftig.

Als die beiden VoPo's in Richtung Strand verschwunden waren schlich ich noch vorsichtiger zurück
zu meinem Moped und fuhr sofort zurück nach Rostock ohne den Strand von Prerow überhaupt selbst gesehen zu haben.

In Rostock auf der Langen Straße muß ich dann meine Ledertasche,
in einer Kurve verloren haben. Bei der hektischen Abfahrt in Prerow hatte ich offenbar vergessen,
die Tasche ordentlich am Gepäckträger zu sichern.
Ich fuhr die Lange Straße noch einmal ab, jedoch ohne Erfolg.
Hinweise auf meine Person und mein Vorhaben waren zum Glück aber nicht in der Tasche enthalten.
Also keine Gefahr. Schade aber um meine Tasche.
Sie war ein Mitbringsel aus dem Kaufhaus am Ostbahnhof in Berlin.
Wieder einmal war eine Erkundungstour ohne Ergebnis zu Ende gegangen.


Der Flugplatz

Ein anderes mal, wieder mit dem Moped, fuhr ich in Richtung Westgrenze.
Unterwegs irgendwo hinter Bad Doberan, es wird wahrscheinlich in der Nähe des Ortes Sandhagen gewesen sein,
sah ich auf der rechten Seite unweit der F105 eine Art Betonpiste die ganz zweifellos zu einem kleinen Flugplatz
gehören mußte. Flugzeug wäre auch eine Möglichkeit, dachte ich.
Also sah ich mir das einmal näher an.
Flugzeuge waren an dem Tag weit und breit gerade nicht zu sehen.
Ein festes Gebäude extra eingezäunt war noch da. Ich fuhr mit dem Moped auf die Betonpiste.
Kaum war ich da, tauchte auch schon ein grauer
Barkas B1000 auf und zwei Männer begannen irgendwas zu mir zu rufen.
Dazu fuchtelten sie wild mit den Armen. Sie waren etwa 200m weit weg.
Verstehen konnte ich ihre Rufe aber nicht denn ich hatte meinen Helm auf.

Ich drehte auf der Stelle um und entfernte mich so schnell es ging zuerst auf die Hauptstraße.
Dann bog ich bei nächster Gelegenheit wieder in einen Feldweg ein.
Dort wartete ich etwa 2 Stunden in einem Kornfeld versteckt.
Ich hatte offenbar wirklich einen Flugplatz gefunden. Die Männer mit dem
grauen Barkas* würden in der Zwischenzeit sicher Meldung machen.
Und wieder mußte ich eine Erkundungstour ohne brauchbares Ergebnis abbrechen.

*B1000 ein Kleinbus, das DDR- Gegenstück zum VW- Bulli


Überseehafen Rostock

Eine andere Idee war, an Bord eines Handelsschiffes zu schleichen und mit diesem als blinder Passagier
das Land zu verlassen. Dazu hatte ich mir bereits orangene Arbeitskleidung mit einem DSR- Aufnäher auf der
Brust besorgt. Damit würde ich mich unauffällig im gut gesicherten Hafengebiet umsehen können.
So einen orangefarbenden Arbeitsanzug trugenüblicherweise die Seeleute der DDR- Handelsflotte.
Für mich war es aber ein perfekter Tarnanzug in leuchtendem Signal- Orange. Darauf kommt keiner !

Den Überseehafen kannte ich grob aus mehreren Besichtigungen aus meiner Schulzeit.
Das Problem war nur, woher sollte man wissen welches Schiff als nächstes Kurs auf einen Hafen
im Westen nehmen würde. Und wie könnte man unbemerkt an Bord so eines der Schiffe gelangen ?

Mehrmals erkundete ich noch den großen Rangierbahnhof der sich mit seinen Gleisanlagen mehrere
Kilometer vor dem Gelände des Überseehafens Rostock befand.
Einmal, ich war gerade wieder auf dem Rückweg von einer Erkundungstour,
winkte mir ein Eisenbahner von einem Stellwerk hektisch mit den Armen zu.
Ich fuhr mit dem Moped gerade die Straße unter seinem Stellwerk vorbei.
Es schien ganz so, als ob der Eisenbahner mich für einen Bekannten hielt.
Oder wollte er mich vor irgend etwas warnen?
Von da ab meidete ich die Gegend rund um den Rangierbahnhof des Überseehafens.

Auf das Hafengelände zu gelangen wäre wohl auch möglich gewesen.
Die Schiffe wurden aber zu stark bewacht. Am Landgang der ausländischen Schiffe war immer ein
Wachposten abgestellt. Und die DDR Schiffe hatten auch immer mindestens eine Wache am Landgang postiert.


Soweit einige Begebenheiten aus der Zeit vor der Flucht.
Im nächsten Kapitel soll der Tag der vorläufigen Festnahme, und die unglaubliche Wendung geschildert werden.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon HPA » 19. August 2014, 19:29

Mit nem Drachen vom Hochhaus hüppen hat man tatsächlich mal in Berlin probiert. Ist in die Hose gegangen. Mangels funktionsfähiger Technik.
HPA
 

Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon augenzeuge » 19. August 2014, 20:28

Vielen Dank Doctore für die umfangreichen Schilderungen. Ja es ist erstaunlich, welche Ideen ein Mensch alles entwickelte, um weg zu kommen. Mich überrascht die ziemlich lockere Sicherung des Überseehafens. Du hast auch Glück gehabt, mit dem Moped nicht in eine Straßenkontrolle zu kommen.

Naja, bin gespannt wie es weitergeht. Ein Schiff als Fluchtmöglichkeit schließe ich mal aus.

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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Volker Zottmann » 19. August 2014, 20:51

Hallo Dr. 213,
das hast Du bisher alles sehr plastisch geschrieben, bin schon auf die Fortsetzung gespannt. [super]

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 19. August 2014, 21:00

Ich hörte auch von einer Geschichte, wo 2 von einem Berliner Dach aus starten wollten.
Die beiden wurden aber noch vor dem Start einkassiert wenn ich es recht erinnere.

az: Da werde ich dich vielleicht noch überaschen. Kennste den Schlager "Ein Schiff wird kommen" ? [wink]


vorläufige Festnahme 14.8.1985 gegen 9 Uhr

Mir gelingt es noch einen kleinen Stapel Geldscheine zu greifen und in meiner Unterhose zu schieben.
Unter einem Vorwand gehe ich auf's Klo. Dort wandert das Geld hübsch verteilt in meinen beiden Socken.
Mehr kann ich im Moment nicht tun. Dann geht es auch schon los. Es ist ein Zweitürer.
Ich muß über den zurück geklappten Beifahrersitz nach hinten einsteigen.
An Flucht ist nicht zu denken. Als wenn er Gedanken lesen konnte mahnte der Bulle mich,
lieber nicht abzuhauen. Er selbst wäre auch gut zu Fuß und würde mich sofort wieder einfangen.
Dann geht die Fahrt auch schon los. Anhand der Fahrstrecke merke ich, daß die Fahrt genau in Richtung
Stasi Zentrale geht. Kurz davor biegt der Wagen jedoch in der August- Bebel Straße auf einen kleinen Hinterhof.
Wir steigen aus. Es ist zu meinem erstaunen jedoch nicht die Stasizentrale.
Die befindet sich noch ein Stück weiter weg. Ich kenne diese Gegend wie meine Westentasche.
Es muß unmittelbar in der Nähe zur Tanzschule Niemeyer und dem Schifffahrtsmuseum am Steintor sein.

Das Dienstgebäude ist recht unscheinbar und nicht sofort als Dienststelle zu erkennen.
Auf dem Hof gibt es einen Flachbau. Dort laufen Männer in Zivil herum. Auch ganz Junge Kerle.
Sie tragen Anzug und Krawatte. Das sollte wahrscheinlich Eindruck machen,
wirkte aber bei diesen noch recht jungen Bübchen etwas komisch. Im Hof standen nur zivile Fahrzeuge herum.

Genaues wird mir nicht vorgeworfen. Dauernd fragen die mich, ob ich mal in einem Wohnwagen war.
Offenbar war denen die Größenordnung ihres Fanges noch nicht wirklich bewußt, stelle ich innerlich
leicht amüsiert fest. Besser so, wenn meine Fluchtvorbereitungen noch nicht erkannt worden sind.

Am liebsten würde ich nun mein verstecktes Geldbündel aus der Socke holen und es ihnen lässig
mit einem breitem Grinsen vor ihnen auf den Schreibtisch feuern.
Dieser Gedanke sorgte innerlich bei mir für Heiterkeit und verstärkte in mir das Gefühl von
zumindest partieller Überlegenheit. Ernsthaft betrachtet saß ich jedoch ganz schön in der Patsche.
Andere wären in dieser Situation schon völlig zusammen gebrochen.
Vom Verstand verlassen, die Hände wie gelähmt, dem Schiksal sich ohne Gegenwehr ergebend.
Dabei war noch nicht einmal viel passiert. Die Art Verhör, wie man sie aus Krimis im Fernsehen kennt,
hatte man sich offenbar für später aufgehoben.
Man wollte sich wohl die Atmosphäre nicht durch zu viel Druck vermasseln.

Mein Fahrer bleibt noch einige Minuten und flüstert dabei geheimnisvoll mit dem deutlich
älteren Ober- Krawattenträger. Er muß hier der Chef sein. Denn auch die jungen Spunde, die mit den
viel zu großen Krawatten, so als würde hier gleich eine Konfirmationsfeier für die jungen Burschen beginnen,
sprachen ihn immer unterwürfigst mit „Genosse Oberleutnant“ an.
Oder sagten Oberstleutnant zu ihm ? So genau weiß ich es heute nicht mehr.

Ich muß auf einem alten schäbigen Hocker ohne Rückenlehne Platz nehmen.
Auf der Sitzfläche liegt ein dünner Putzlappen.
Ich wunderte mich noch über diesen komischen alten Lappen.
Irgendwie paßte der da überhaupt nicht dort hin.
Mit heutigem Wissen kann man sagen das mit diesem Lappen sicher eine Geruchsprobe erstellt worden ist.
Ich bin bei einer ganz speziellen Dienststelle gelandet, die erst später nach der Wende als K1 bekannt wurde.

Ich erhalte Zettel und Bleistift und soll einfach aufschreiben was ich alles getan habe.
Nach einiger Zeit herrscht Aufbruchstimmung unter den Krawattenträgern.
Ich werde in eine große Sammelzelle im Hauptgebäude an der Straße geführt. Ich bin dort ganz alleine.
Ab und zu kommt ein Uniformierter und schaut kurz in den Raum.
Nach einiger Zeit werde ich wieder in die Baracke in das Vernehmerzimmer geführt.


Zweite Vernehmung

Ich erhalte wieder Stift und Zettel zum Aufschreiben meiner „Taten“.
Der Chefvernehmer giert nach meinem Geschreibe auf dem Zettel und merkt wohl das ich abgelenkt bin.
Ich beginne kaum noch zu schreiben und gebe so dem Vernehmer zu verstehen,
daß ich wohl zu aufgeregt und abgelenkt zum Schreiben bin und bräuchte daher
noch ein wenig Ruhe und Abgeschiedenheit.
Das ich dabei wieder zurück in die Große Zelle im Hauptgebäude will erwähne ich dabei aber nicht offen.

Der Chefvernehmer sieht endlich ein, daß ich in der Sammelzelle von vorhin viel
schreibfreudiger gewesen war. Unt tatsächlich passiert das unglaubliche.
Wie vorausgedacht führt man mich nun tatsächlich über den Hof
zurück in die große Sammelzelle des Hauptgebäudes, und nicht etwa in die benachtbarte Zelle
wo die Tür offen stand und darin ein Menschen- Vogelkäfig in der größe einer Telefonzelle zu sehen war.
Hinter mir schließt sich die Tür. Ich muß hier so schnell wie möglich entkommen denn ich weiß nicht,
ob mir dieses Kunststück der Manipulation noch einmal gelingt.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 19. August 2014, 21:15

Winke Winke !


Die Fenster sind von Innen mit schweren eisernen Gitterflügeln gesichert.
Diese Gitter sind aber anstatt mit einem richtigen Schloß, nur mit einer riesigen Schraube
und Mutter gesichert. Die sind zwar fest, aber mit Hilfe des dicken Vorhangstoffes der Fenster
kann Ich die Schraube an einem der Gitter packen und kurz darauf wirklich ganz lösen.

Mist. An den dahinter liegenden normalen Fensterflügeln fehlten die Griffe.
An der Stelle wo sonst normalerweise die Griffe sind guckte nur der Vierkant heraus.
Die Griffe hatte man alle vorsorglich entfernt. Ich versuchte es wieder.

Nein, viel zu fest ! Ohne eine Zange ist da einfach gar nichts zu bewegen.
Die Fensterflügel blieben zu, so sehr ich mich auch anstrengte.

Suchend schaute ich mich in dem Raum um und entdecke etwas passendes.
Der Wasserhahn ist nur ein geschwungenes Rohr und läßt sich leicht abmontieren.
Er hat genau den richtigen Durchmesser um auf den Vierkant geschoben zu werden.
Etwas schräg unter Spannung ansetzen und siehe da,
der Vierkant dreht sich wirklich und der Fensterflügel ist endlich auf.
Ich schaue vorsichtig auf die Straße heraus. Alles ruhig.
Auf der gegenüber liegenden Straßenseite steht eine graue flache Baracke.
Drinnen scheint aber keiner zu sein.
Ich lehne das Fenster zunächst wieder an und baue sogar den Wasserhahn wieder am Waschbecken an.
Wer weiß, eventuell brauche ich den nochmal.

Vorsichtig horche ich nochmal an der Tür. Auch vor der Zelle ist alles ruhig.
Es kann losgehen. Es muß sogar losgehen ! Jetzt nur keine Zeit verlieren.

Ich stellte noch schnell die Töpfe mit den Grünpflanzen beiseite und öffne die beiden Fensterflügel
nun ganz nach innen. Ich schaue wieder vorsichtig zur Straße heraus. Es sind etwa 2 Meter bis zum Boden.
Ganz schön hoch. Ich habe wirklich keine Zeit mehr zu verlieren und springe los.

Mit einem lauten "Platsch" knallen die flachen Sohlen meiner hellbraunen Jesuslatschen
auf die Betonplatten des Gehwegs vor dem Haus.

Meine Fußgelenke kribbelten heftig, so als wären sie von hunderten kleiner Nadeln getroffen.
Aber soweit ich feststellen konnte war alles gut. Ich war bei dem Aufprall tief in die Knie gegangen
und richtete mich nun langsam wieder auf. Ich war für's erste entkommen und könnte jetzt einfach
schnell davon rennen. Aber das wäre viel zu auffällig.

Ich schaute leicht nach oben in Richtung des offenen Fensters und tat so, als ob ich in aller Ruhe
mit jemand dort oben im Raum sprechen würde. Dann zeigte ich in aller Gemütlichkeit auf mein
Handgelenk als ob da eine Uhr wäre und sage nach einigen Worten schließlich mit einer winkenden
Handbewegung "Tschüß". Dann ging ich zunächst recht langsam in Richtung Hermannstraße davon.

Ein zufälliger Beobachter dieses Schauspiels hätte wohl kaum an eine gerade erst beginnende
Flucht gedacht. Und genau das war meine Absicht. Jemand der aus dem Fenster springt und wie
ein Irrer los rennt, als wäre er von einer Tarantel gebissen worden, wäre dagegen sofort aufgefallen.

Ich war nun wieder frei. Doch wann wird meine Flucht entdeckt werden ?
Wie groß würde der Vorsprung sein bis mein Verschwinden aus der Zelle bemerkt wird?

Ich beschließe erst einmal in die belebte Fußgängerzone der Rostocker Innenstadt abzutauchen.
Es ist früher Nachmittag. Zu dieser Tageszeit laufen hier besonders viele Menschen herum.
Ein besseres Versteck als in dieser Menschenmenge gibt es nicht, denke ich.

Der Weg führt mich direkt an der Stasizentrale im Bezirk Rostock vorbei. Davor stehen wie immer
einige Posten regungslos Wache. Ich kenne den Anblick. Knobelbecherhose, graues Hemd.
Pistole am Gürtel. Also kein Grund zur Besorgnis.
Natürlich habe ich schon frühzeitig auf die andere Straßenseite gewechselt.
Zwischen mir und dem Haupteingang zur Stasizentrale sind es in diesem Moment keine 30 Meter.
Aber eine Straßenkreuzung ist ja dazwischen.
In dem Abstand gehe ich scheinbar gelassen an der Stasizentrale vorbei.
Dann erhöhe ich mein Tempo ohne aber wirklich auffällig zu rennen.
Ich kenne mich bestens in dieser Gegend aus. Nicht weit von hier ist die Augustenstraße.
Hier verbrachte ich einige Jahre meiner Kindheit.
Genau gegenüber dieser Stasizentrale, auf der anderen Straßenseite, war früher eine lange,
graue und flache Baracke. Dort war ich in den Kindergarten gegangen.
Der Weg in die Innenstadt ist nur einige hundert Meter kurz.

An der Unterführung beim Barocksaal verändere ich mein Aussehen so gut es geht.
Meine markanten Hosenträger fliegen in einen Beton- Abfallkorb.
Ich könnte die Stelle wo damals dieser Mülleimer aus Waschbeton stand noch heute bis
auf wenige Meter genau wiederfinden. Ich muß nun dringend auch meine Kleidung wechseln.
Auf Dauer würde es nicht reichen nur die Hosenträger wegzulassen und die Hemdsärmel
hoch zu knöpfen. Etwas Geld hatte ich ja zum Glück auch bei mir in meinen Socken.
Ich gehe also in das Centrum- Warenhaus, damals das größte Kaufhaus in der gesamten
Rostocker Innenstadt. Ich laufe in die sogenannte Jugendmodeabteilung im 1. oder 2. Stock.
Etwas passendes finde ich aber nicht und so gehe ich unverrichteter Dinge wieder hinaus.

Direkt vor dem Kaufhauses sehe ich plötzlich in der Menschenmenge einen
einzelnen Polizist Streife gehen. Alleine und sichtbar gelangweilt schlendert dieser just in
dem Moment am Haupteingang des Kaufhauses vorbei. Offenbar ist der Bulle gerade nicht
im Fahndungsmodus, stelle ich zu meiner Erleichterung sehr schnell fest.
Ich entferne mich zusammen im Gewühl der Menschenmenge über die Ampel
zum Waffengeschäft “Suhler Jagdhütte“. Auf dieser Seite der Lange Straße gehe ich in Richtung Kanonsberg.
Beim Interhotel Warnow wechsle ich wieder hinüber auf die andere Seite.

Damit ist diese Flucht geglückt und die Geschichte ist aus.
Denkste ! [laugh]
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Spartacus » 20. August 2014, 09:49

Sehr schön Doc,

das muss man erst mal bringen, den Bullen abzuhauen, die werden schön blöd aus der Wäsche geschaut haben.

So nun will ich nicht kritisieren, aber ich kann nicht verstehen, wieso sie dich nicht wegen dem § 249 ( Assi)
hochgenommen haben? Hätte eigentlich auf der Hand gelegen, so lange wie du keiner Arbeit nachgegangen bist.
Bzw. hätten die dir einfach eine Arbeitsstelle zuweisen können und wenn du da nicht erschienen wärst, bumm
249 und weg. Habe ähnliche Fälle in Bautzen kennengelernt, daher meine Fragen.

Freue mich drauf, wie es weitergeht.

LG

Sparta


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Nicht Deutschland schafft sich ab, sondern Deutschland schaltet sich ab.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 20. August 2014, 19:27

Die haben einfach gepennt.
Und es es ist doch in der Rückschau äußerst angenehm feststellen zu dürfen,
dass die Überwachung überhaupt nicht so lückenlos war, wie manche sich das heute so vorstellen.
Die "Organe" mit dem Anspruch, immer alles wissen zu müssen, haben eben auch nur mit Wasser gekocht.
Ich will nichts verharmlosen. Die Organe haben trotztem für erheblich Unheil und Leid gesorgt.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 20. August 2014, 19:43

Die Flucht aus der Sammelzelle war mir gerade geglückt.
Nun sollen noch die weiteren Ereignisse an diesem Fluchttag geschildert werden.


Das Interhotel Warnow in Rostock

Ich komme kurz darauf am Interhotel Warnow an.
Ich habe ja sogar etwas D- Mark im Strumpf und beschließe eine Art Henkersmahlzeit zu nehmen.
Wenn ich schon hinter Gitter landen soll, dann schnell noch mal die Sonnenseite des Lebens genießen.
Das kann mir dann keiner mehr nehmen. So denke ich.

Ich gehe also in den Intershop und kaufe mir eine Dose Coca- Cola und dazu noch zwei Marsriegel.
Das Wechselgeld wird auf volle DM Beträge ausbezahlt und die Pfennigbeträge in Kaugummikugeln zurückgegeben.
Diesen Trick hatte sich die klamme DDR ausgedacht, um auch noch die letzten West- Groschen Wechselgeld günstig einzubehalten.

Wie riskant mein Besuch im Interhotel Warnow wirklich war, erfuhr ich erst Jahre später kurz
nach der Wende aus einem Fernsehbericht über die Stasi.
Das ganze Hotel war nämlich mit Kameras und Abhörwanzen vollgestopft.
Das es dort Kameras rund um das Hotel gab war für jedermann leicht zu erkennen.
Und es war auch nichts neues für mich. Was wir aber nicht ahnten, war das Ausmaß der Überwachung.
Fast jedes Zimmer war verwanzt. Mache sogar mit Videokameras.
Die Beobachtungszentrale mit der Abhörtechnik war in einem der Häuser in der nur ca. 150m entfernen Fußgängerzone.
Das muß so ungefähr dort gewesen sein, wo es damals ein Zoogeschäft gab. Gleich in der Nähe war auch ein
Blumenladen aus dem es beim vorbei gehen immer so entsetzlich nach fauliger Blumenerde gerochen hatte.

Ich setze mich auf eine Parkbank vor dem Hotelgebäude. So eine besonders große, weiß und mit weit
geschwungener Rückenlehne. Dort sitze ich nun und genieße meine Kaffeepause mit Blick auf ein Wasserspiel.
Dazu ein perfekt blauer Himmel.
Nur einige veriirte weiße Schleierwolken formen ständig neue Formen.
Einen Moment sieht eine der Wolke wie ein Krokodil aus. Ein schlechtes Omen ?

Die Coca- Cola war zwar nicht gekühlt aber trotzdem sehr erfrischend.
Ich finde besonderen Gefallen daran, anschließend die geleerte Cola- Dose
mit meinen Händen so klein wie möglich zusammen zu falten.
Dabei kann ich etwas entspannen und über meine äußerst mißliche Lage und
die nächsten Schritte meiner Flucht nachzudenken.
Irgend etwas wirklich ganz besonders gutes muß mir jetzt einfallen.
Sonst ist es aus. Und sollten Sie mir schon mit einem Spürhund folgen,
so wäre es jetzt höchste Zeit, die Fährte mal ganz schnell zu unterbrechen.

Ich kaufe mir einen Fahrschein und nehme die Straßenbahn in Richtung Zoo.
Sogar mit Sitzplatz auf einem der mit grünem Kunstleder bezogenen Sitze.
Es gab damals nur zwei Straßenbahn- Linien, die 9 und die 11.

Wenige Augenblicke später, so ungefähr am Doberaner Platz, hörte ich die Sirene eines
Polizeiwagens ganz in der Nähe heulen. Gesehen habe ich den Wagen aber nicht.
Und doch wußte ich sofort wem das galt. Meine Flucht war inzwischen also ganz sicher bemerkt worden.
Mir war plötzlich heiß und kalt. Die Straßenbahn war sehr voll und ich glaubte in diesem Moment,
daß ausnahmslos alle Fahrgäste genau in mein Gesicht starren würden.
Was natürlich nur Einbildung war. Ich hatte gekonnt meine Unschuldsmiene aufgesetzt
und schaute wie gelangweilt aus dem Fenster der Straßenbahn.
Innerlich pochte mir aber das Herz wie bei einem Traktor mit Vollgas.

Am Klement- Gottwald Bahnhof (heute Parkstraße) verlasse ich endlich die Straßenbahn.
Mit einem vertrauten Schnurrgeräusch öffnet sich die Tür.

Ich überlege kurz, ob ich am Zeitungskiosk eine möglichst große Zeitung kaufen soll.
Das “Neue Deutschland“ ist im Format riesengroß und damit prima um sich dahinter scheinbar lesend zu verstecken.
Die Idee gefällt mir dann aber doch nicht mehr so richtig und so gehe ich die Treppen
zum Bahnhof hinauf. Vorbei an meinem alten Freund dem Fahrkartenautomat.
Er hatte mich in der Zeit der Arbeitslosigkeit hin und wieder mit Kleingeld versorgt.

Der Zug ist noch nicht da und so habe ich noch etwas Zeit.
Hinter den Bahngleisen in Richtung Warnemünde ist ein Stützpunkt der Grenzbrigade Küste.
Nur von eine schäbigen Betonmauer von den Bahngleisen getrennt.
Hin und wieder sah man auf dem Hof dort große LKW mit ihren riesigen Suchscheinwerfern
und LKW mit Funktechnik herum stehen.
Quer über den Hof der Kaserne waren lange Drahtantennen gespannt.

Ich warte nicht lange als kurz darauf auch schon die S- Bahn ankommt.
Doppelstockwagen wie immer. Merkwürdig nur, der Zug hält genau auf der anderen Seite
des Bahnsteiges. Egal, es werden wieder irgendwelche Bauarbeiten auf der Strecke sein.
Die Fahrt beginnt. Ich nehme einen Sitzplatz in der oberen Etage und habe Glück.
Ich finde einen freien Fensterplatz auf Bahnsteigseite. Sogar mit herunter kurbelbarem Fenster.
Auf jedem Haltebahnhof ein vorsichtiger Blick durch das offene Zugfenster.

Wer wartet auf dem Bahnsteig ? Wer steigt ein ? Irgendwas auffälliges ?
Zusätzlich schaue ich im Zug so gut es geht den Gang entlang.
So geht es von einem Haltepunkt zum nächsten. In Richtung Warnemünde.

Ich muß hier unbedingt raus. Der nächste Bahnhof wäre schon die Endstation gewesen.
Ja Endstation, welch ein trefflicher Begriff. Aus jahrelanger Erfahrung bei der Fahrt zur Berufsschule
kannte ich den Anblick der Trapo (Transportpolizei).

Die stellten sich besonders gerne am Ende des Bahnsteigs auf und musterten mit ihren dunkelblauen
Knobelbecherhosen die aussteigenden Fahrgäste der S- Bahn. Wer verdächtig erschien wurde angehalten
und konrolliert. Die Trapo's werden sich gerade heute auf dem Bahnhof aufgebaut haben und besonders
genau nach so einem wie mir Ausschau halten. Doch sie sollen heute kein Glück haben !

Damit ich also den Trapo's nicht in die Arme laufe, steige ich schon hier aus,
am Haltepunkt Werftbahnhof, es ist der letzte Halt vor Warnemünde.
Mein Blick geht noch einmal kurz in Richtung Werftgelände.

Über die Fußgängerbrücke gehe ich in Richtung des großen Parkplatzes.
Dumpf poltert bei jedem Schritt der Fußboden der Brücke.
Ich spaziere durch den sommerlichen Ort Warnemünde und benehme mich dabei so
unauffällig wie möglich. Eine Karte brauchte ich nicht.
Der Ort war mir bestens vertraut und so gelang es mir auf Nebenstraßen
unbehelligt das Hotel Neptun zu erreichen.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 20. August 2014, 19:57

Jetzt kommt was für unsern lieben Tom.
Er schrieb hier irgendwo vor kurzem mal vom Neptun Hotel es sei "sein Hotel" .
Das Hotel der Spione und der Agenten.
Na dann war das ja, als "Privat Agent" genau die richtige Lokalität für mich. [laugh]



Das Neptun Hotel

Ich weiß nicht mehr warum mich der Weg ausgerechnet hier hin führte.
Es war so ein Bauchgefühl. Aber eines spürte ich innerlich genau,
es war die völlig richtige Entscheidung.
Ein Gefühl, welches ich in den darauf folgenden Stunden noch öfter haben werde.

Das Hotel Neptun. Gebaut von einer schwedischer Firma so Anfang der
70er und ganz im westlichen Stil. Getönte Scheiben, viel dunkles Holz als Kontrast zu der
sonst schneeweißen Außenfassade. Selbst die Deko- Steine am Hoteleingang waren schneeweiß.
Im Keller gab es eine Kegelbahn. Die war immer sehr beliebt und darum für Wochen im vorraus
ausgebucht. Wir jedoch hatten etwas Glück denn wir kannten eine Frau, die im Hotel arbeitete.
Im Keller gab es eine Disco mit einer richtigen Western- Tür am Eingang.
Und unglaublich modern für die damalige Zeit, standen im Vorraum zu der Kegelbahn einige
echte Video- Spielautomaten aus dem Westen und rechts daneben auch noch zwei oder drei bunt
leuchtende und blinkende Flipperautomaten.

Das Neptun Hotel wurde nach der Wende als Tummelplatz für allerlei dubiose Gestalten bekannt.
Agenten und Spione, westliche Politiker und Wirtschaftsbosse gingen hier ein und aus.
Und darum wurde dieses Hotel auch besonders gut von der Stasi überwacht.
Genau vor den Aufzügen waren Videokameras schräg in die Decke eingelassen.
Irgendwer konnte also genau beobachten wer dort den Aufzug benutzte.
Mir waren diese Kameras aber bereits bestens bekannt.
Sicher gab es noch viel mehr davon, möglicherweise sogar gut getarnte.
Viele Mitarbeiter des Hotels waren ganz sicher Zuträger der Stasi.
Nur wußte man leider nie genau welche.
Aber ich fühlte mich genau hier, in der Höhle des Löwen, besonders sicher.

Als Kinder machten wir uns einen Heidenspaß daraus, mit diesen für uns überaus modern
Aufzügen spazieren zu fahren und durch die nur spärlich erleuchteten Etagenflure im Hotel herum zu schleichen.
Es dauerte natürlich jedes mal nicht sehr lange bis uns irgendwer vom Hotelpersonal
fragte was wir hier wohl machen würden.

Die Antwort war genauso genial wie einfach und verfehlte, soweit ich mich erinnern kann,
nie seine Wirkung. „Wir wollen zu Frau B. etwas abholen“.
Und diese Frau B. gab es ja nun einmal wirklich.

Außer eben, daß man uns natürlich sofort und auf der Stelle raus schickte,
passierte uns aber nie etwas beim Fahrstuhl fahren im Hotel.

Im Erdgeschoß gab es rechts ganz hinten in der Ecke einen Intershop.
Hatte man den fettigen Geruch der Broilerbar hinter sich gelassen,
vernahm man dort den Duft der großen weiten Welt. Ein Mix aus Waschpulver,
Seife und künstlichem Erdbeerduft sowie Vanille plus dem eigentümlichen und unvergleichlichen
Geruch von zerkleinerten Papp- Kartons kitzelte einem diesen “Internationalen Duft“ in die Nase.
Man kann diesen magischen Duft noch heute fast im Original so nacherleben.
Man muß nur an einer (noch geschlossenen !) Tragepackung Persil Wasch- Pulver schnuppern.

Genau der gleiche Duft war genau so übrigens in jedem Intershop der Republik zu riechen,
wie ich mich noch heute erinnern kann.


Im Intershop des Neptun kaufte ich eine Schachtel Zigaretten und fragte auch nach einem
kleinen Nähzeug. Leider gab es da aber keines zu kaufen.
Im nur 10 Meter entfernten und hoteleigenen Souvenierladen gleich neben dem Intershop
gelegen hatte ich mehr Glück.

Es gab an der Kasse ein kleines Reisenähzeug in Form eines Fliegenpilzes.
Und das sogar für recht wenig Geld. Es hat keine 2 Mark gekostet.
Der Stiel war innen hohl und darin untergebracht waren einige Nadeln und dazu
ein kleine Auswahl von verschiedenfarbigem Zwirn.
Gedacht für Urlauber die mal was flicken mußten.

Und zugleich genau das richtige Utensil für mein Vorhaben, freute ich mich
über diesen kleinen Glückspilz. Ich war nun wieder voll in meinem alten Plan.

Die Luft draußen wurde zunehmend schwüler. Typisches Sommerwetter.
Ich beschließe noch etwas in der angenehm kühlen Hotelhalle zu bleiben.
Zurück in der Hotelhalle schaute ich mich zuerst vorsichtig um.
Ich ging nach links und nahm Platz an der kreisrunden Lobby- Bar.
Zu dieser Stunde war hier an der Bar noch sehr wenig Betrieb.
Außer mir saßen nur noch zwei Männer in dunklen Anzügen an der Bar.
Jedoch nicht am Tresen sondern etwas abseits an den Tischen.
Beide intensiv in ein Gespräch vertieft. Dem Anschein nach Geschäftsleute.
Sicher keine Stasi- Aufpasser. Ich bestellte mir eine Cola mit Eis.
Coke war es dieses mal nicht, das merkte ich gleich beim ersten Schluck.
Aber auch sehr erfrischend. Ich saß mit dem Rücken zum Hoteleingang und der Rezeption.
Die Barfrau putzte hier und da an der Einrichtung herum und legte nebenbei auch noch die
Platten für die Musik auf. Ich saß genau vor den beiden Plattenspielern.
Daneben lag ein Stapel Platten.

Hinter dem Tresen drehte gerade eine Platte und spielte die neuesten, auch westlichen Hits.
Ich versuche das Verhältnis der Ost/West Titel zu erkennen.
Irgendwo hatte ich gehört das es so eine Vorschrift geben soll.

Eines der Musikstücke wurde zu einem richtigen Ohrwurm den ich die folgenden
Stunden nicht mehr vergessen konnte. Es war „Secret“ von der Gruppe OMD.

Während ich mich an der Hotelbar ganz frech bei meiner kühlen Cola erfrischte,
lief draußen die Fahndung sicher schon auf Hochtouren.
Aber hier in der Höhle des Löwen und, direkt unter den Augen der Kameras fühlte
ich mich auf irgendeine Weise ganz besonders sicher.

Ich nippte langsam an meiner Cola und hatte dabei genug Zeit, mir einen Plan für die
folgende Nacht und mein weiteres Vorgehen zu überlegen.

Ich machte eine Bestandsaufnahme. Was für Möglichkeiten hatte ich noch ?

Meine in monatelanger Vorbereitung zusammen getragene Ausrüstung würde
ich nicht mehr gefahrlos aus dem Versteck holen können.
Ja genau genommen war die gesamte Ausrüstung wohl für immer verloren.
Rund um mein Versteck würde es nur so von Stasi und Polizei wimmeln.
Ich mußte irgendwie wieder an eine neue Flucht- Ausrüstung heran kommen.
Natürlich würde ich mich dabei auf das notwendigste beschränken müssen.

Die Cola im Hotel war zwar teurer als die Flasche in der Kaufhalle um die Ecke
aber für mich wirklich kein Problem. Geld dafür hatte ich genug im Strumpf.

Das Lied „Secret“ spielte nun schon zum zweiten mal. Viel Zeit war also inzwischen vergangen.
Und die Zeit drängte etwas. Die Läden in Warnemünde würden bald für diesen Tag schließen.
Und meine Ausrüstung bestand bisher einzig aus diesem kleinen Nähzeug.
Ich zahlte meine Cola und verließ das Hotel durch den Haupteingang.
Wieder vorbei an den schneeweißen Steinen und den automatischen Türen.
Ich war ausgeruht und voller neuer Ideen.
Ich beschließe zuerst einmal meine Ausrüstung zu komplettieren.

In einer nahen Kaufhalle besorgte ich mir ein kleines Küchenmesser mit schwarzem Griff,
eine Packung Pflaster sowie eine blaugrüne, geflochtene Kunststoff- Wäscheleine.
Das ich mich genau für diese, und nicht die billigere Sorte,
welche nur aus einem mit weißen Fasern gefülltem Plastikmantel bestand entschieden hatte,
sollte sich im Verlauf der Flucht noch als ein echter Glücksgriff erweisen.

Dann kaufte ich noch Streichhölzer und eine Tafel Zartbitterschokolade.
Und eine große Tüte SB- Brötchen, und dieses vor allem nur wegen der Brötchentüte aus Papier.
Damit brauchte ich die neue Ausrüstung nicht offen und für jedermann sichtbar mit mir herum zu tragen.
Wer spaziert schon mit einer Wäscheleine und einem Küchenmesser unter dem Arm mitten durch
den sommerlichen Badeort Warnemünde?
Das ganze in einer unscheinbaren Brötchentüte verborgen würde dagegen keinerlei Aufsehen erregen.

Vor der Kaufhalle entdecke ich in der Menschenmenge einige mir bekannte Schüler der nahen Berufsschule
der Warnowwerft. Es waren alles Schüler der Maschienenbausparte. Deren Lehrzeit dauerte noch an.
Einige von denen kannte ich von der Werft. Ich hoffe die haben mich nicht gesehen.
Ich wende mich von ihnen ab und gehe in eine Seitenstraße.

Wenige Meter weiter an der Ecke war ein kleiner, mir natürlich längst bekannter Elektrogeräteladen.
Dort kaufte ich eine flache, gelbe ARTAS Taschenlampe für 1,75 Ostmark.
Und dazu zur Sicherheit gleich noch zwei Ersatz- Batterien in Größe AA.

Klappspaten, Fernglas und isolierter Seitenschneider fehlten noch.
Leider fiel mir hierzu keine passende Einkaufsquelle in Warnemünde ein.
Und es war nun schon wirklich spät am Nachmittag.

Unterwegs “borgte“ ich mir von einer Wäscheleine eine dünne Arbeitsjacke der
chinesischen Marke "Frendship" in Dunkelblau aus.
Modisch nicht gerade der letzte Schrei aber Hauptsache etwas dunkle Kleidung zur
Tarnung in der kommenden Nacht.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon SkinnyTrucky » 20. August 2014, 20:49

Hey Doc, ich kenn ja deine Geschichte schon aber lese sie nun zum zweiten Mal mit wahrer Begeisterung....und ja, ich finde es mal wieder besonders schön, das du sie wieder in Teilen erzählst und es dadurch besonders spannend für den Leser machst.... [super]


groetjes

Mara
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon augenzeuge » 20. August 2014, 21:13

Dr. 213 hat geschrieben: Ich gehe also in den Intershop und kaufe mir eine Dose Coca- Cola und dazu noch zwei Marsriegel.
Das Wechselgeld wird auf volle DM Beträge ausbezahlt und die Pfennigbeträge in Kaugummikugeln zurückgegeben.
Diesen Trick hatte sich die klamme DDR ausgedacht, um auch noch die letzten West- Groschen Wechselgeld günstig einzubehalten.


Unglaublich... [flash]

Schöne kurzweilige Geschichte. Ich staune, an was du dich alles erinnerst...
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Edelknabe » 21. August 2014, 07:58

Ähhhh Doktor, kleiner Tip vom Rainer, ab und an mal die schöne Geschichte retour lesen siehe die Ferngucker, siehe also dein:

"Ich beobachtete also den Fährhafen von einem öffentlichen Aussichtspunkt am Fuße des Rügen- Hotels.
Von dort sah ich etwas entfernt am Hang den Fährhafen mit seinen Schiffen und die Zufahrt.
Ich wagte es aber nicht, mein mitgebrachtes Fernglas zu benutzen denn ich war hier nicht alleine."

Denn später dann, da warst du in Warnemünde, siehe hierzu dein:

"Klappspaten, Fernglas und isolierter Seitenschneider fehlten noch. Leider fiel mir hier keine passende Einkaufsquelle ein"

Rainer-Maria denn die Ferngläser von CARL ZEISS Jena so das DEKAREM multi coated 10x50 waren zu DDR-Zeiten einfach keine normalen Taschenlampen, die man so eben einmal im HO-Warenhaus kaufte.

Und einen guten Tag allen ins Forum

Meines Doktor nahm ich immer mit an die schöne Ostseeküste in den Urlaub. Die Schnellboote der Grenzbrigade Küste wurden dadurch etwas größer...verdammt, nur eben leider nicht groß genug. Also entweder waren es meine Augen oder die 10x50? Ich tippe heute auf letzteres.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon karnak » 21. August 2014, 15:02

Dr. 213 hat geschrieben:Ich hörte auch von einer Geschichte, wo 2 von einem Berliner Dach aus starten wollten.
Die beiden wurden aber noch vor dem Start einkassiert wenn ich es recht erinnere.

az: Da werde ich dich vielleicht noch überaschen. Kennste den Schlager "Ein Schiff wird kommen" ? [wink]


vorläufige Festnahme 14.8.1985 gegen 9 Uhr

Mir gelingt es noch einen kleinen Stapel Geldscheine zu greifen und in meiner Unterhose zu schieben.
Unter einem Vorwand gehe ich auf's Klo. Dort wandert das Geld hübsch verteilt in meinen beiden Socken.
Mehr kann ich im Moment nicht tun. Dann geht es auch schon los. Es ist ein Zweitürer.
Ich muß über den zurück geklappten Beifahrersitz nach hinten einsteigen.
An Flucht ist nicht zu denken. Als wenn er Gedanken lesen konnte mahnte der Bulle mich,
lieber nicht abzuhauen. Er selbst wäre auch gut zu Fuß und würde mich sofort wieder einfangen.
Dann geht die Fahrt auch schon los. Anhand der Fahrstrecke merke ich, daß die Fahrt genau in Richtung
Stasi Zentrale geht. Kurz davor biegt der Wagen jedoch in der August- Bebel Straße auf einen kleinen Hinterhof.
Wir steigen aus. Es ist zu meinem erstaunen jedoch nicht die Stasizentrale.
Die befindet sich noch ein Stück weiter weg. Ich kenne diese Gegend wie meine Westentasche.
Es muß unmittelbar in der Nähe zur Tanzschule Niemeyer und dem Schifffahrtsmuseum am Steintor sein.

Das Dienstgebäude ist recht unscheinbar und nicht sofort als Dienststelle zu erkennen.
Auf dem Hof gibt es einen Flachbau. Dort laufen Männer in Zivil herum. Auch ganz Junge Kerle.
Sie tragen Anzug und Krawatte. Das sollte wahrscheinlich Eindruck machen,
wirkte aber bei diesen noch recht jungen Bübchen etwas komisch. Im Hof standen nur zivile Fahrzeuge herum.

Genaues wird mir nicht vorgeworfen. Dauernd fragen die mich, ob ich mal in einem Wohnwagen war.
Offenbar war denen die Größenordnung ihres Fanges noch nicht wirklich bewußt, stelle ich innerlich
leicht amüsiert fest. Besser so, wenn meine Fluchtvorbereitungen noch nicht erkannt worden sind.

Am liebsten würde ich nun mein verstecktes Geldbündel aus der Socke holen und es ihnen lässig
mit einem breitem Grinsen vor ihnen auf den Schreibtisch feuern.
Dieser Gedanke sorgte innerlich bei mir für Heiterkeit und verstärkte in mir das Gefühl von
zumindest partieller Überlegenheit. Ernsthaft betrachtet saß ich jedoch ganz schön in der Patsche.
Andere wären in dieser Situation schon völlig zusammen gebrochen.
Vom Verstand verlassen, die Hände wie gelähmt, dem Schiksal sich ohne Gegenwehr ergebend.
Dabei war noch nicht einmal viel passiert. Die Art Verhör, wie man sie aus Krimis im Fernsehen kennt,
hatte man sich offenbar für später aufgehoben.
Man wollte sich wohl die Atmosphäre nicht durch zu viel Druck vermasseln.

Mein Fahrer bleibt noch einige Minuten und flüstert dabei geheimnisvoll mit dem deutlich
älteren Ober- Krawattenträger. Er muß hier der Chef sein. Denn auch die jungen Spunde, die mit den
viel zu großen Krawatten, so als würde hier gleich eine Konfirmationsfeier für die jungen Burschen beginnen,
sprachen ihn immer unterwürfigst mit „Genosse Oberleutnant“ an.
Oder sagten Oberstleutnant zu ihm ? So genau weiß ich es heute nicht mehr.

Ich muß auf einem alten schäbigen Hocker ohne Rückenlehne Platz nehmen.
Auf der Sitzfläche liegt ein dünner Putzlappen.
Ich wunderte mich noch über diesen komischen alten Lappen.
Irgendwie paßte der da überhaupt nicht dort hin.
Mit heutigem Wissen kann man sagen das mit diesem Lappen sicher eine Geruchsprobe erstellt worden ist.
Ich bin bei einer ganz speziellen Dienststelle gelandet, die erst später nach der Wende als K1 bekannt wurde.

Ich erhalte Zettel und Bleistift und soll einfach aufschreiben was ich alles getan habe.
Nach einiger Zeit herrscht Aufbruchstimmung unter den Krawattenträgern.
Ich werde in eine große Sammelzelle im Hauptgebäude an der Straße geführt. Ich bin dort ganz alleine.
Ab und zu kommt ein Uniformierter und schaut kurz in den Raum.
Nach einiger Zeit werde ich wieder in die Baracke in das Vernehmerzimmer geführt.


Zweite Vernehmung

Ich erhalte wieder Stift und Zettel zum Aufschreiben meiner „Taten“.
Der Chefvernehmer giert nach meinem Geschreibe auf dem Zettel und merkt wohl das ich abgelenkt bin.
Ich beginne kaum noch zu schreiben und gebe so dem Vernehmer zu verstehen,
daß ich wohl zu aufgeregt und abgelenkt zum Schreiben bin und bräuchte daher
noch ein wenig Ruhe und Abgeschiedenheit.
Das ich dabei wieder zurück in die Große Zelle im Hauptgebäude will erwähne ich dabei aber nicht offen.

Der Chefvernehmer sieht endlich ein, daß ich in der Sammelzelle von vorhin viel
schreibfreudiger gewesen war. Unt tatsächlich passiert das unglaubliche.
Wie vorausgedacht führt man mich nun tatsächlich über den Hof
zurück in die große Sammelzelle des Hauptgebäudes, und nicht etwa in die benachtbarte Zelle
wo die Tür offen stand und darin ein Menschen- Vogelkäfig in der größe einer Telefonzelle zu sehen war.
Hinter mir schließt sich die Tür. Ich muß hier so schnell wie möglich entkommen denn ich weiß nicht,
ob mir dieses Kunststück der Manipulation noch einmal gelingt.

Mein lieber Dr.213, vom Prinzip glaube ich Dir erst mal alles, dass schließt aber nun nicht aus, dass ich auch ab und an eine Frage stelle wenn mir Dinge unklar sind. Warum ich mir diese Fragen "erlaube", Du kannst es nachlesen was ich dem Alexander dazu geschrieben habe.
Und nun bin ich eben auch Zeitzeuge, wenn auch in dem Fall von der damals anderen Seite, ich habe selbst diverse vorläufige Festnahmen durchgeführt, kenne den Ablauf und die elementarsten Sicherheitsregel die dabei einzuhalten waren, bei Dir müssen dann"Lehrlinge des 1.Lehrjahres" am Wirken gewesen sein und der "Lehrmeister" war nicht da. [flash] Und wenn Du nun vorläufig festgenommen worden wärst, wie Du ja selbst schreibst, für was eigentlich müsstest Du noch mal erläutern, und in eine Einrichtung von was auch immer für einer Behörde verbracht worden wärst, hätte man Dich nicht einfach nurabgetastet und Du hättest keine Gelegenheit gehabt irgendetwas in Deine Socken zu stecken, man hätte Dich keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Und das in die Socken stecken hätte Dir auch nichts genutzt, spätestens in diesem Gebäude hättest Du Dich nackt ausziehen müssen, man hätte Dir in Deine gesamten Körperöffnungen geschaut und auch Deine Kleidung tiefgründig untersucht, auch die Socken. Wie gesagt, vorausgesetzt Du warst vorläufig festgenommen und die Tatsache hätte man Dir auch eindeutig mitgeteilt.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 21. August 2014, 16:59

Du kannst selbstverständlich Fragen stellen, ich bin da reichlich gelassen und werde so gut wie möglich antworten.
Wenn es zu dreist wird, könnte auch mal ne Antwort ausbleiben.

Also, spätestens als in der zweiten Vernehmungsrunde klar wurde, dass ich kein kleines Licht war,
hätten die wirklich mal schalten müssen. Haben sie aber nicht.
Die hatten mir schon ein Fotoalbum vorgelegt. Ein ganz besonderes Fotoalbum.
Und da ich den dort abgebildeten Ort wieder erkannte, konnte ich mir ein bejahendes Grinsen nicht verkneifen.
Das weiß doch jeder gute Ermittler, dass 90 Pozent unserer Körpersprache unbewußt sind, kaum zu beeinflussen.
Ausser man hat einen Eingeweihten vor sich und weiss es nicht. Da könnte man auch mal beschissen werden.

Ich pers. war es gewesen, der sich da ein UFS600 unter den Nagel gerissen hat. Auf gut DDR- Deutsch "entwendet".
Mein getuntes UFT721 hatten'se auch schon auf dem Tisch zu liegen.
Das ich noch viel größeres an Funktechnik in der Mache hatte, wußten die aber zum Glück noch nicht.

Also wirklich, die haben sowas von gepennt.
Diese jungen Burschen die da rumliefen, mit denen hatte ich kaum zu tun. Also nix mit Lehrlingen und so.
Der Chef, der übrigens fast genauso ausschaut wie der Opa auf dem Shoppingkanal, der immer die Bratfannen
anbiedert, der war bestimmt kein Anfänger. Mitte 50 wird er gewesen sein.

Ich sage heute, die waren einfach zu gierig darauf, dass ich möglichst viele meiner Taten selber aufschreibe.
Spätestens wenn ich damit fertig gewesen wäre, hätte die ihre Folterwerkzeuge ausgepackt als da wären,
stundenlange Vernehmungen, Schlafentzug, guter Cop - böser Cop (hatten die in Ansätzen schon gemacht).

Kristian, du must tapfer sein. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Du wirst noch über einige Unglaublichkeiten stolpern.

herzlichst
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Zuletzt geändert von Dr. 213 am 21. August 2014, 17:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon karnak » 21. August 2014, 17:11

Dr. 213 hat geschrieben:
Ich pers. war es gewesen, der sich da ein UFS600 unter den Nagel gerissen hat. Auf gut DDR- Deutsch "entwendet".
Mein getuntes UFT721 hatten'se auch schon auf dem Tisch zu liegen.
Das ich noch viel größeres an Funktechnik in der Mache hatte, wußten die aber zum Glück noch nicht.


Der Chef, der übrigens fast genauso ausschaut wie der Opa auf dem Shoppingkanal, der immer die Bratfannen
anbiedert, der war bestimmt kein Anfänger. Mitte 50 wird er gewesen sein.


Du wirst noch über einige Unglaublichkeiten stolpern.


Das heißt Du wurdest festgenommen weil Du geklaut hast. An und für sich ein Fall für die Kripo.
Und bei dem Opa auf dem Shoppingkanal muss ich an den mit dem Ohrring denken [flash] .Der damalige Chef wird wohl keinen gehabt haben.
Stolpere ich über "Unglaublichkeiten" werde ich mich melden. [grin]
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon augenzeuge » 21. August 2014, 17:16

Mal ne Zwischenfrage an Karnak. War es schon eine vorläufige Festnahme oder nannte sich das anders, wenn man dich wegen kriminellen Verdachtsgründen aus einer Verkehrskontrolle rausholte und dich zwang, die Uniformierten zu einem Verhör auf das VPKA zu begleiten, wo man auch deine Taschen, Auto durchwühlte, dich aber selbst unangetastet lies?
AZ
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 21. August 2014, 17:23

R.M. das mit dem Spekuliereisen ist ganz einfach.
Mein erstes Fernglas, ein eher antikes Stück aus der Kaiserzeit, war für mich unerreichbar geworden.

Als Ersatz hätte es auch ein Spielzeug"fernglas" sein können. Gab es für nen 10er in jedem Spielzeugladen.
Kein Vergleich zu deinem NVA DF natürlich, keine Frage.
Das Plastik- DF wäre mehr eine mentale Unterstützung gewesen, als das ich wirklich praktischen Nutzen davon gehabt hätte.
Klappspaten und ein isolierter Seitenschneider standen auf der Wunschliste. Wurden später aber nicht gebraucht. Also ok so.

Insgesamt war die Mini- Ausrüstung äußerst perfekt zusammengestellt, fast jeder Gegenstand wurde verwendet.
Die Wäscheleine, das Nähzeug, das Messer und die dunkelblaue Arbeitsjacke. Mehr brauchte ich nicht.
Einzige Ausnahme war das Päckchen Zigaretten. Das war für die Katz. Es blieb auch in der DDR zurück.
Der Trick mit den Kippen hätte auch schief gehen können, denn viele Westkippen wurden in der DDR gedreht.
Nicht auszudenken, wenn die Hunde auf diesen Geruch erst richtig abgefahren wären.

herzlichst
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon karnak » 21. August 2014, 17:33

augenzeuge hat geschrieben:Mal ne Zwischenfrage an Karnak. War es schon eine vorläufige Festnahme oder nannte sich das anders, wenn man dich wegen kriminellen Verdachtsgründen aus einer Verkehrskontrolle rausholte und dich zwang, die Uniformierten zu einem Verhör auf das VPKA zu begleiten, wo man auch deine Taschen, Auto durchwühlte, dich aber selbst unangetastet lies?
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Eine vorläufige Festnahme wurde und musste hoch offiziell ausgesprochen werden.Sprich"Sie sind vorläufig festgenommen". Ich weiß nun nicht was Du unter kriminellen Verdachtsgründen verstehst, eine vorläufige Festnahme wurde jedenfalls erst ausgesprochen wenn sich diese Verdachtsgründe erhärteten, unter anderem beim"Durchwühlen der Taschen und des Autos" [flash], bei dem der Besitzer dabei sein musste. Ansonsten dürfte es sich um das berühmte"Klären eines Sachverhaltes" gehandelt haben. [grin] Jedenfalls hat man Dich wegen krimineller Verdachtsgründe in irgendein VPKA "gezwungen" und Dich befragt, hat man Dich nicht irgendwo alleine sitzen lassen, dass gebot schon die Sicherheit, AUCH für den Gezwungenen, man wusste ja nicht wie der reagieren würde, ob er sich was antut, randaliert oder sonst was. Zumindest hat man das so realisiert wenn man von der Sache auch nur etwas Ahnung hatte. Unter anderem waren in unseren Räumen die Stühle und Tische am Fußboden angeschraubt und es standen keine Grünpflanzen rum damit man sich damit nicht zur Wehr setzen konnte.
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 21. August 2014, 17:37

GST Seesport Ausbildungszentrum

Langsam führte mich der Weg abseits der Hauptstraßen zurück zum Alten Strom.
Ich nahm aber nicht den normalen Weg über die Brücke.
Ich ging an einer weniger belebten Ecke am Haus des Sports (heute kleine Komödie) vorbei in Richtung Bahnhof.

Dort befand sich ein Seesport- Ausbildungsgelände der GST,
der Gesellschaft für Sport und Technik. Ich kannte mich dort sehr gut aus.

Für einige Wochen war ich dort selbst im Rudern ausgebildet worden.
Obendrein war mir ein Ausbilder schon seit über 10 Jahren bekannt.
Dieser Mann war ein typischer Seebär. Man hätte ihn sofort und ungeschminkt als Ersatz für
Jürgen Prochnow im Kinofilm "Das Boot" anheuern können.
Er war ein strenger aber durchaus netter Typ.

Von diesem Ausbilder nun hatte ich eine alte Fluchtgeschichte gehört.

Diese erzählte Geschichte einer unglücklich gescheiterten Flucht muß sich so ungefähr in
den 60er Jahren zugetragen haben und geht in etwa so:

Während einer Ausbildungsfahrt auf der Ostsee, nahe der DDR- Küste,
wollten einige der jungen Rekruten den Segel- Kutter gewaltsam übernehmen um damit in das nur
wenige Seemeilen entfernte Skandinavien zu flüchten.
Der Plan flog jedoch auf, weil die jungen Burschen eine detailierte Seekarte von Dänemark
und Schweden dabei hatten.
Und das war verbotene Zone ! Die Karte diente also nur zur Flucht.
Von dieser mitgeführten Karte erfuhr nun allerdings unser Kapitän,
der diese durch irgendeinen blöden Zufall entdeckt haben mußte.
Dann brauchte er nur noch eins und eins zusammen zu zählen.
Er stellte die angehenden Meuterer und Republikflüchtlinge zur Rede.
Der Kapitän steuerte darauf hin geradewegs das Ufer an wo bereits die irgendwie in der
Zwischenzeit informierten “zuständigen Organe" warteten.
Damit endete die Geschichte.

Was weiter mit den gescheiterten Republikflüchtlingen geschah wurde nicht weiter erwähnt.
Auch nicht, woher die „Organe“ an Land schon Bescheid wußten,
um darauf hin den Kutter gleich an der Küste in Empfang zu nehmen.

Unser Ausbilder also. Er war ein "100 prozentiger" wie man damals sagte.
Eigentlich auch logisch bei einem Mann der mit einem Segelkutter so ganz einfach Ausbildungsfahrten
auf der sonst so streng abgeriegelten Ostsee unternehmen durfte. Menschlich war er aber ganz in Ordnung.

Das Seesport- Ausbildungsgelände wurde nicht täglich genutzt.
Heute war scheinbar wieder genau so ein Tag. Alles war ruhig.
Die Boote lagen verlassen und wie üblich mit Kette und Vorhangschloss gesichert unten am Liegeplatz .
Kein Auto stand herum, also war an diesem Tag niemand im GST- Ausbildungs- Stützpunkt der Ärger machen konnte.
Ich sah mich schon mal nach einem Nachtlager um.
Hier und da lagerten Bootsteile unter halb zerrissenen Planen. Als Schlafplatz mit Schutz vor Regen,
Wind und noch viel wichtiger, einer Entdeckung, sehr gut geeignet.
Allerdings würden Ratten bestimmt aus genau den gleichen Gründen gerne hier schlafen wollen.
Und Ratten gab es durch den nahen Fischereibetrieb zweifellos in ungeheuren Mengen in dieser Gegend.

Zunächst jedoch war an Schlaf überhaupt nicht zu denken.
Ich überdenke erneut meine missliche Lage. Jetzt nur nicht aufgeben !
Ich hatte ja immerhin einen fertig ausgearbeiteten Fluchtplan im Kopf.
Das gab mir Halt und Richtung. Endlich war es an der Zeit meinen alten Fluchtplan in die Tat umzusetzen.
Der Zeitpunkt kam allerdings etwas überraschend und so mußte ich so gut es ging Improvisieren.

Ich überlegte mir, ob es sinnvoll wäre, mein Gesicht mit Ruß und Erde zu schwärzen,
denn ich bin ein sehr hellhäutiger Typ. Ich ließ es aber dann aber doch bleiben. Ich war der Meinung,
es wäre eventuell von Nachteil, das Zeug wieder restlos zu entfernen, falls es am nächsten Morgen nötig sein sollte.

Das Seesport- Ausbildungszentrum war mit Strauchwerk und Büschen umgeben.
Der ideale Sichtschutz also. Und ganz praktisch: Gleich daneben in nur 10 Meter Entfernung war die
Wartespur für Transit- LKW in Richtung Dänemark. Alle Autos die auf die Abfertigung für die Fähre
nach Gedser warten mußten, standen dort in einer langen Warteschlange.
Die Wartespur lag noch außerhalb des gut gesicherten Fährhafens. Ich versteckte mich also im
angrenzenden Buschwerk der Straße und wartete bis die Sonne vollständig untergegangen ist.

In meinem Versteck hebe ich eine kleine Grube aus. Alles was ich nicht mehr benötige fliegt dort hinein.
Auch die Zigaretten. Das Päckchen war noch voll. Ich war Nichtraucher und die Zigaretten waren
für etwas anderes gedacht. Ursprünglich sollten sie die Hunde täuschen. So hatte es der Vietkong
im Krieg auch gemacht. An den Eingängen zu ihren Erdhöhlen verstreuten sie zur Tarnung
die Kippen amerikanischer Zigarettenmarken.Die Spürhunde der Amerikaner schlugen in dem Fall
nicht an weil sie den Geruch der amerikanischen Zigaretten als nicht feindlich deuteten.
In meinem Fall hoffte ich, dass die Spürhunde den Geruch von Westzigaretten nicht zum Anlaß nehmen
würden, Alarm zu schlagen. An dieser Stelle ein Danke auch an Hauptmann C. von der NVA.
Der damals in einem Hochhaus in Rostock- Evershagen wohnte. Er hatte im Wehrkundeunterricht von diesem Trick erzählt.

Als alles erledigt war beobachtete ich wieder ich die Wartespur der Autos.
Die Straße selber war durch Straßenlaternen in gelbes Licht getaucht.
Nach und nach füllte sich die Wartespur tatsächlich mit LKW‘s .
Ich beobachtete das Geschehen genau. Und auch den Zugverkehr des angrenzenden Bahnhofs.
Solange auch nur eine S- Bahn dort auf Abfahrt wartetet konnte ich mich nicht aus der Deckung wagen.
Ich wußte das Fahrgäste aus der oberen Zugetage der wartenden
S- Bahn die Dächer der wartenden LKW leicht sehen konnten. So hatte ich es oft selbst getan wenn ich
mit der S- Bahn von der Berufsschule nach Hause gefahren war.
Und dann konnte außerdem jederzeit noch ein neuer LKW auftauchen um sich der bereits wartenden
Fahrzeugschlange hinten anzuschließen.

Endlich paßte ich einen günstigen Moment ab.
Eine S- Bahn hatte gerade den Bahnhof verlassen.

Die Zahl der möglichen Zuschauer aus Richtung Bahnsteig war für einen Moment besonders klein.......
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon tom-jericho » 21. August 2014, 18:48

Ahoi Doktor 213,

erst jetzt darauf gestoßen.

Werde mich in der Nacht durchschlagen.

72 sagt

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[hallo]
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon tom-jericho » 21. August 2014, 22:18

Dr. 123,

du sag mal!

Das könnte aber auch ein interessantes neues Drehbuch für Polizeiruf 110 aus Rostock mit unserem Charly Hübner aus Neustrelitz sein, oder???

[wink]
tom-jericho
 

Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon tom-jericho » 21. August 2014, 23:24

Den Weg Deiner Flucht brauche ich auf meinen alten Karten gar nicht nachvollziehen, den kenne ich auch so.

Nicht das Du jetzt gerade mit Martin Semmelrogge zusammen in Drei Bergen wohnst, und darüber berichtest!

[laugh]
tom-jericho
 

Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 21. August 2014, 23:45

tom-jericho hat geschrieben:Dr. 123,

du sag mal!

Das könnte aber auch ein interessantes neues Drehbuch für Polizeiruf 110 aus Rostock mit unserem Charly Hübner aus Neustrelitz sein, oder???

[wink]


Könnte es m.M.n.nicht.
Was wäre das für ein Polizeiruf, in dem die Gegenseite am Ende gewinnt ? Gab es das jemals in einer der Folgen?
Die erzieherische Botschaft wäre fatal. "Verbrechen lohnen sich doch". Wer sieht schon, dass tiefes Unrecht am Anfang stand.
Weil viele Spätgeborene den Hintergrund und erst recht nicht den Kern erfassen würden. Den finalen Auslöser des ganzen.
Diese hochkriminelle Konfliktkommision der Werft. Die das Recht gebeugt hatten, nur um ihre eigene rote Brut zu schützen.

Man müßte es so aufbereiten, wie "Das Leben der Anderen". Nur wäre es dann Kino. Mit all den Ungenauigkeiten und Kürzungen.
Außerdem viel zu heikel. Zu viele, die an das rote Zeug geglaubt haben leben noch und verteidigen ihr "Lebenswerk" bis heute.
Nicht weiter tragisch, solange es nicht in Unrechtsleugnerei ausartet. Und wer weiß, würden wir das in der Lage nicht auch selber tun ?
Da müssen noch sehr viele rote Socken im Flusensieb der Geschichte verschwinden bis man das Thema ohne Emotionen anfassen kann.

Wie man mit ihnen umgehen soll, ob es sich ein Dialog überhaupt lohnt, das kann man nur hoffen. Aber man weiß es nicht.
Ich würde gerne mal einen Wolfgang Welsch dazu fragen. Er macht viele Lesungen und trifft bestimmt auch auf ehem. Peiniger.
Das er seinem ehemaligen Giftmischer die Hand gegeben hat, wie steht er heute dazu, war es richtig und hat es sich gelohnt ?

herzlichst
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 21. August 2014, 23:51

tom-jericho hat geschrieben:Den Weg Deiner Flucht brauche ich auf meinen alten Karten gar nicht nachvollziehen, den kenne ich auch so.

Nicht das Du jetzt gerade mit Martin Semmelrogge zusammen in Drei Bergen wohnst, und darüber berichtest!

[laugh]


Ich würde mich auf das herzlichste freuen, wenn du noch was zum Neptun- Hotel schreibst.
Warum schreibst du, es wäre "dein Hotel" ?
Aber bitte mit verständlichen Worten. Sonst ham wir nämlich nix davon.
Versuch doch mal was hier im Forum beizutragen.
Ich mach das doch auch.

herzlichst
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon Dr. 213 » 21. August 2014, 23:59

Fertig zum Entern

Ich mußte die Straße ein ganzes Stück zurück laufen um nicht im Rückspiegel von einem der
wartenden LKW's gesehen zu werden. Ich näherte mich dann dem letzten LKW in der Warteschlange.
Es war ein LKW mit Anhänger. Die letzten Meter kroch ich auf dem immer noch warmen Asphalt von hinten
unter dem Anhänger hindurch zur Anhängergabel.

Geschickt wie ein Gecko kletterte ich an der vordere Bordwand des Anhängers hinauf.
Das Messer dabei wie ein Seeräuber quer im Mund, enterte ich das Dach des Anhängers.
Wie ich das überhaupt so schnell schaffen konnte ist mir bis heute noch unerklärlich.
Alles weitere passierte mechanisch und ganz wie von selbst. Oben angelangt schnitt ich einen etwa 40cm
langen Schlitz in die Dachplane des Anhängers und ließ mich so flach wie möglich hinein gleiten.

Glücklicherweise waren im Anhänger einige Kartons in genau der richtiger Position und Höhe
die mich weich und nahezu geräuschlos auffingen. Ich hatte ein unwahrscheinliches Glück.
Nur an dieser Stelle standen die Kisten im Anhänger so günstig gestapelt.
Etwa einen Meter daneben wäre schon nicht mehr so gut gewesen. Ich hätte dann fast 3 Meter tief auf den Holzboden
im Anhänger springen müssen. Den Außprall hätte möglicherweise der Fahrer vorne gehört.

Ich blickte mich um. Im Anhänger selbst war es erstaunlich hell.
Größte Gefahr waren nun Erschütterungen und Geräusche.
Jetzt nur keinen verräterischen Lärm machen.
Und keine Schatten die nach meiner Vorstellung durch die Plane des LKW wie ein Schattenspiel von
Außen für jedermann sichtbar sein konnten.


Das tapfere Schneiderlein

Als erstes mußte nun die aufgeschnittene Plane wieder verschlossen werden.
Mein uralter Original- Plan war es, mich selbst einzunähen.
Das Nähzeug hatte ich mir ja im Neptun- Hotel auch genau dafür besorgt.
Es konnte also los gehen.
Nun hatte ich aber bis dahin kaum selbst mit Nadel und Faden genäht.
Aber es blieb mir aber nicht s anderes übrig. Das Loch mußte wieder zu.

So nahm ich wie geplant das Reisenähzeug und begann zu nähen.
Stück für Stück schloss sich die Öffnung wieder. Das ganze war nicht gerade einfach.
Ich hätte das vorher wirklich mal besser üben müssen.

So eine LKW- Plane hängt ja meist sehr straff auf eine Art Gerüst gespannt.
Es gelang mir nur mit Mühe die beiden Schnittkanten wieder zusammen zu ziehen.
Als ich fast fertig war begann plötzlich ein starker Regenschauer.
Ein richtig heftiger sogar. Und von einem sommerlichen Gewitter begleitet.
Das Wasser ging prasselnd auf die Plane des Anhängers nieder.
Eigentlich sehr günstig für mein Vorhaben dachte ich.
Eventuelle von mir erzeugte Kletterspuren am Anhänger würden durch den Regen
bald nicht mehr zu erkennen sein. Die Wachhunde sind bei Regen auch im Nachteil
weil dann meine Spuren von dem vielen Wasser schön verwaschen werden.

Doch dann ein herber Rückschlag. Die mühsam gefertigte Naht hielt dem Regen leider nicht stand.
Der Zwirn wurde weich und die schöne Naht, die ich gerade mühevoll Stück für Stück fertig hatte, löste sich wieder auf.

Ich begann also erneut auf dem Rücken liegend zu nähen wodurch ich immer wieder
und wieder neue Wassertropfen ins Gesicht bekam.
Das Ergebnis war eine Naht, die diese Bezeichnung kaum verdiente.
Und vor allem hielt auch die nicht wirklich.
Ich mußte dieses Problem dringend irgendwie anders lösen.
Und wie ich so die Wäscheleine betrachtete, kam mir die rettende Idee.

Ich begann aus der Wäscheleine einzelne Fasern heraus zu lösen.
Mit dieser Art Angelsehne gelang es mir, die Plane wirklich gut zu flicken.

Die Arbeit war sehr anstrengend. Wieder auf Rücken liegend und mit fast voll ausgestreckten Armen.
Dabei tropfte mir erneut eintretendes Regenwasser in meine Augen.
Aber ich nähte tapfer so gut es ging weiter. Zentimeter um Zentimeter.

Die Öffnung war dann wenig später so gut es ging verschlossen.
Für meinen Augen aber noch nicht perfekt genug. Daher beschloß ich zur Sicherheit eine professionelle
Flickstelle vorzutäuschen. Die Wäscheleine spannte ich zickzackförmig unter die schadhafte Stelle.

Von oben mit einem starken Scheinwerfer angeleuchtet würde es wie die dicke Naht einer ganz normalen
Reparaturstelle an einer Plane aussehen. So jedenfalls dachte ich.
Beschädigte LKW- Planen und Segel werden tatsächlich oft zickzackförmig genau so geflickt.

Ich stocherte noch vorsichtig mit dem Messer zwei winzige Gucklöcher in die Plane und beobachtete
was draußen vor dem Anhänger passierte.
Alles ruhig. Ich konnte mir endlich die nasse Jacke ausziehen.
Zeit für eine kleine Pause. Erst jetzt sah ich mir die Ladung im Anhänger etwas näher an.

Es waren graue Plastik Teile zum Verbinden von Kunstoffrohren, muß wohl irgend etwas aus dem Bereich
Lüftung oder Sanitär gewesen sein.
Anhand der Aufkleber auf den Paletten und Kartons sah ich das der Ursprungsort der Ladung in
Linz (Österreich) war. Als Zielort der Fracht war "Kobenhavn" angegeben.
Bingo ! Das war genau richtig für mich.

Ich kletterte wieder zu meinem Gucklöchern und hielt erneut Ausschau.
Draußen war wieder nichts außergewöhnliches zu sehen und zu hören.
Erschöpft legte ich mich zum Ausruhen hin.

Ich mußte ein wenig in Gedanken versunken sein, da hörte ich auch schon den Motor des LKW starten...
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Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon tom-jericho » 22. August 2014, 08:32

Dr. NO,

1. Im WARNOW, war das eine COKE oder doch nur wieder eine PEPSI?

2. Die DISCO im NEP unten im Bunker, war die erste Disco in der DDR.
Wieviel kostete damals der Eintritt?
Wie nennt sich die DISCO heute?

3. Zum NEP, welchen Decknamen hatte das Konspirative Objekt zur Observation
und wo befand es sich?

PS: Meine letzten Beiträge der Nacht wurden durch den SD in das Thema "Neuer Papierkorb" verschoben.
tom-jericho
 

Re: Rette sich wer kann - Die Flucht des Dr. 213

Beitragvon augenzeuge » 22. August 2014, 08:35

Danke für deine Mühe, Dr.213, deine Geschichte hier einzustellen. Ich empfinde sie kurzweilig und spannend.

Leider ist es so, dass wir im Forum auch User haben, die ein Problem damit haben. Sie müllen den Thread zu, wie das auch hier passiert ist. Deren Beiträge sind jetzt im Papierkorb nachlesbar. Manch einer möchte sich vermutlich so eine Sperre "erkaufen". Ich bedaure dieses unsachliche Verhalten.

AZ
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