Der Leiter der HA I, Karl Kleinjung, entschied, eine "Einsatzkompanie" einzusetzen. Zum Personal und den Aufgaben der Einsatzkompanie hat Tom schon ausführlich geschrieben. Der Maßnahmeplan wurde von dem Chef der Einsatzkompanie,
Wolfgang S., ausgearbeitet, von dem Leiter der Abteilung Äußere Abwehr,
Helmut H., unterzeichnet und von
Karl Kleinjung bestätigt.
Er sah unter anderem vor, dass zur Verhinderung weiterer Angriffe der oder die Täter "festzunehmen beziehungsweise zu vernichten" seien.
Die Ermittlungen wegen der Tötung Gartenschlägers wurden zunächst allein von der StA II Berlin durchgeführt. Das Verfahren gegen die unmittelbar handelnden Beschuldigten wurde abgetrennt und an die StA Schwerin abgegeben. Diese erhob dann Anklage wegen gemeinschaftlich begangenen Mordversuchs.
Die Anklage griff allein auf den Strafanspruch aus dem StGB zurück, das auf die auf dem Territorium der DDR und damit nach dem funktionellen Inlandsbegriff im „Ausland“ begangene Tat gemäß § 7 Absatz 1 anwendbar war. Die Anklage beschränkte sich auf eine Versuchstat, weil ein rechtsmedizinisches Gutachten der Freien Universität Berlin aus dem Jahr 1993 zu dem Ergebnis gekommen war, dass Gartenschläger bereits durch die erste Schlussfolge tödlich getroffen worden sei. Diese erste Schlussfolge sei aber wegen Notwehr gemäß § 32 StGB oder zumindest Putativnotwehr gemäß §§ 32, 16 StGB nicht strafbar.
In der Abgabe weiterer Schüsse danach wurde deshalb nur noch ein Mordversuch gesehen. Das Verfahren gegen einen weiteren Soldaten, dem aufgrund der Ermittlungen die Beteiligung allein an der ersten Schlussfolge hatte nachgewiesen werden können, war gemäß § 170 Absatz 2 StPO eingestellt worden. Die Qualifikation der Tat als Mordversuch wurde mit dem Vorliegen eines „sonstigen niedrigen Beweggrundes“ begründet.
Eine zweite Anklage der StA II Berlin betraf die Strafbarkeit der drei für die Planung des Anschlags verantwortlichen MfS-Offiziere. Ihnen wurde keine versuchte, sondern eine vollendete Tat in mittelbarer Täterschaft vorgeworfen.
Obwohl die unmittelbar handelnden Soldaten selbst rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hätten, habe hier dennoch täterschaftliches Handeln vorgelegen. Verwirklicht sei die Ausnahmekonstellation, dass der Hintermann für seine Tat eine bestehende Organisation – das MfS mit seiner militärisch-hierarchischen Struktur – ausnutze, um regelhafte Abläufe durch seinen Tatbeitrag auszulösen.
Wer sich in einem solchen Fall die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden zur Tatbestandserfüllung zunutze mache und den Erfolg als Ergebnis eigenen Tuns ansehe, sei mittelbarer Täter.
Gemäß § 7 Absatz 1 StGB hätten alle drei grundsätzlich allein nach den Vorschriften des StGB verfolgt werden können. Im Falle von Wolfgang H. und Helmut S. stand dem aber die inzwischen eingetretene Verjährung entgegen.
Da Totschlag gemäß § 78 Absatz 3 Ziffer 2 StGB einer zwanzigjährigen Verjährungsfrist unterliegt und die Tathandlungen Ende April 1976 vorgenommen worden waren, hätte eine Unterbrechung der Verjährung durch eine entsprechende Maßnahme nur bis Ende April 1996 ausgelöst werden können. Tatsächlich erfolgte die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, durch die gemäß § 78 c Absatz 1 Ziffer 1 StGB die Verjährung unterbrochen wird, gegenüber Wolfgang H. und Helmut S. aber erst am 8.7.1996.
Eine Strafverfolgung allein auf der Grundlage des StGB in Verbindung mit Artikel 315 Absatz 4 EGStGB kam daher nur noch bei Karl Kleinjung in Frage, demgegenüber die entsprechende Mitteilung bereits im Juli 1995 erfolgt war. Deshalb stützte die Staatsanwaltschaft die Anklage auch auf einen übergeleiteten Strafanspruch aus dem StGB-DDR. Sie führte aus, dass alle drei gemäß § 22 Absatz 2 Ziffer 1 StGB-DDR Anstifter zum vollendeten Totschlag gewesen seien.
Anders als nach dem StGB scheide mittelbare Täterschaft nach dem StGB-DDR aus, wenn die unmittelbar Handelnden selber strafrechtlich voll verantwortlich gewesen seien. Hingegen sei auch gemäß dem StGB-DDR die eingetretene Abweichung des tatsächlichen von dem zuvor vorgestellten Kausalverlauf für die Verantwortlichkeit der Angeklagten unerheblich.
Die Verhandlung in diesem Verfahren konnte erst im Mai 2002 begonnen werden.
Das Verfahren gegen den inzwischen neunzigjährigen früheren Leiter der HA I Karl Kleinjung wurde wegen dessen Erkrankung abgetrennt. Nach dem krankheitsbedingten Ausfall eines Richters konnte die Hauptverhandlung nicht zu Ende geführt werden. Erst 2003 wurde der Fall erneut verhandelt. Helmut H. wurde schließlich freigesprochen. Das Verfahren gegen Wolfgang S. wurde gemäß § 206 a StPO zunächst eingestellt. Er wurde anschließend vom BGH freigesprochen.
(Karl Kleinjung, 2003 verstorben)
Quellen:
Anklage der StA II Berlin vom 27.5.1997, S. 87 f., unter Verweis auf BGH St 40, 218, 236 f.
Urteil des LG Schwerin vom 24.3.2000
Beschluss des LG Berlin vom 7.5.2002
Urteil LG Berlin vom 10.4.2003 und des BGH vom 16.2.1995
Einstellungsbeschluss des LG Berlin vom 23.6.2003
AK