Die Streitkräfte der DDR nannten sich vollmundig „NVA“ – Nationale Volksarmee. Gebetsmühlenartig wurde sie in Hymnen, Filmen und Zeitungen immer wieder als „Armee des Volkes“ gepriesen. Die Botschaft: Im Sozialismus kämpfen alle Bürger bereitwillig gegen den Klassenfeind im Westen. Dass dies nur eine hohle Phrase war, wurde im Westen schon immer vermutet. Nun präsentiert der Historiker Matthias Rogg die Beweise dafür.
NVA-Soldaten in Ostberlin, 1989 (AP)
„Soldaten des Volkes! Wir lernten sie kennen. Soldaten, die für Frieden und Vaterland auf Wacht stehen. Für Dich, für mich, für alle. Für unser Programm, den Sozialismus. Dafür sind sie Soldaten. Des Volkes Soldaten!“
Alles nur Tarnung. Die Nationale Volksarmee war keine Armee des Volkes. Bislang unbekannte, interne NVA-Dokumente belegen dies etwa anhand der Sozialstruktur der Führungsschicht. Aus ihnen geht hervor, dass die Befehlshaber überhaupt nicht den Bevölkerungs-Querschnitt vertraten. Vielmehr repräsentierten sie zu fast 100 Prozent die Staatspartei SED – analysiert der Historiker Matthias Rogg:
„Sie konnten nur reüssieren in diesen Streitkräften, wenn sie Angehörige der Partei waren. Noch nicht mal Angehörige der Blockparteien hatten eine Chance, Offizier zu werden – geschweige denn in höhere Ränge aufzusteigen. Und man hat vor allem versucht, Arbeiter und Bauernkinder zu gewinnen, vor allem in der Aufbauphase hatten es Kinder von Intellektuellen sehr schwer – das waren die gesellschaftlich nicht erwünschten Kreise. Ähnlich schwer hatten es Christen in der NVA. Die zwar als Wehrdienstleistende willkommen waren, aber die kaum eine Chance hatten als Berufskader.“
Das Buch beschreibt die Propagandaschlacht an der DDR-Heimatfront; die Militarisierung der Kindergärten, Schulen und Medien, um Berufsoffiziere zu rekrutieren. Und es zitiert offizielle Stellen, die dennoch über einen Personalmangel klagen, jahrzehntelang. Das „Parade“-Beispiel vom Rat des Bezirkes Halle, 1982:
„Immer noch werden von einem Teil der Bevölkerung die Tätigkeit des Berufssoldaten sowie seine Dienst- und Lebensbedingungen als nicht erstrebenswert und attraktiv beurteilt. Nachhaltig wirken sich negative Äußerungen von Angehörigen der Armee beziehungsweise Reservisten sowie Schilderungen von Missständen bei der Ableistung des Dienstes aus.“
Autor Matthias Rogg arbeitet hauptamtlich im Bundesverteidigungsministerium und nebenbei als Privatdozent an der Universität Potsdam. Der Wissenschaftler hat im Rahmen seiner Recherchen mehrere zuvor geheime NVA-Untersuchungen entdeckt, die zu dem Schluss kommen, dass sich im Ernst – also Kriegsfall – die meisten Soldaten nicht auf ihre vorgesetzten Offiziere verlassen hätten.
„Über die Hälfte der Soldaten hat kein Vertrauen in die Vorgesetzten. Und zwar kein Vertrauen in die fachliche Kompetenz und in die soziale Kompetenz der Vorgesetzten. Das ist ein – aus Sicht der NVA – niederschmetterndes Ergebnis gewesen.“
Und auch der Staat selbst misstraute der angeblichen „Armee des Volkes“. So habe die Stasi besonders viele Agenten bei den Uniformierten rekrutiert: Während Ende der 1980er Jahre jeder hundertste Ostdeutsche ein Inoffizieller Mitarbeiter war, spitzelte in der NVA jeder Dreizehnte für das MfS. Schließlich führt das Buch auch Militärpapiere aus der Wendezeit an, die den Volksarmee-Mythos zerschlagen. Papiere, in denen junge, kritische Oberstleutnante und Majore undemokratische Führungs-Prinzipien, Bevormundung und Willkür angreifen.
„Dass ganz klar gesagt wird: Es ist eine Parteiarmee gewesen, die die Leute gegängelt hat, die jeden heraus geekelt hat oder zum Teil mit heftigen Strafen belegt hat, der anderer Meinung war.
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Matthias Rogg: Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR.
Ch. Links-Verlag Berlin. 687 Seiten. 39.90 Euro.