NVA-Militärknast: Schwedt und das Schweigen
Vor 25 Jahren wurde das berüchtigte Militärgefängnis der NVA in Schwedt/Oder geschlossen. Noch immer reden nur wenige Ex-Insassen über ihre Erfahrungen.SUPERillu besuchte die Anlage, die in der DDR ein Synonym Angst und Schrecken stand, mit einem Ex-Häftling und einem Wärter.Sieben Fliesen quer, einhundertachtzig längs. Detlef Fahle ist so oft durch „seinen“ vergitterten Gefängnistrakt gelaufen, dass er die Zahl der Fußbodenfliesen niemals vergessen wird. Fahle: „Wenn wir vor den Stubentüren auf- und abmarschieren mussten, habe ich Fliesen gezählt. So hatte mein Kopf was zu tun. Sonst wäre ich wahnsinnig geworden.“
Als 19-Jähriger war Fahle 1983 drei Monate ohne Gerichtsurteil in der berüchtigten „Disziplinareinheit“ im NVA-Knast Schwedt inhaftiert, drei Monate Drill und Schufterei. Das Perfide: Über das, was er hier erlebte, durfte er später nicht sprechen: Bei der Entlassung musste er – wie alle Häftlinge – einen Schweigebefehl unterschreiben. Auch das trug dazu bei, dass der „Mythos Schwedt“ entstand, der bei den Soldaten Angst erzeugte und die Bereitschaft, sich bedingungslos unterzuordnen.
Bis heute gehört der Armeeknast zu den nur wenig erforschten Kapiteln der DDR-Geschichte. In Schwedt selbst, der 35 000-Einwohner-Oderstadt, erinnert nichts an das einstige Straflager. Ohnehin ist nur noch eines der Hafthäuser (eben das der „Disziplinareinheit“) erhalten. Der größte Teil ist heute Gewerbegebiet.
2013 gründete Detlef Fahle mit anderen Ex-Häftlingen einen Verein – um endlich öffentlich darüber zu reden, was damals dort geschehen war. Mitglied im Verein ist auch Harald Blaschke, einer von der anderen Seite: Er war von 1983 bis 1990 Wärter in Schwedt.
Blaschke: „Meine Aufgabe war, die Jungs so müde zu machen, dass sie nicht auf dumme Gedanken kamen. Dass ich sie damit auch seelisch quälte, habe ich erst später begriffen. Aber ich stehe dazu. Damals war das normal.“Befehle wurden gebrüllt, alle Wege waren im Laufschritt zurückzulegen. Fahle: „Schon der Normalzustand war pure Schikane. Zum Beispiel hatte man nie genug Zeit, um sich zu waschen, wenn Waschen befohlen war. Also drängten wir uns im Waschraum um die Hähne, und dann hielt einer seine flache Hand so vor den Strahl, dass alle um ihn herum nass gespritzt wurden.“
Genauso hektisch ging es beim Essen zu. „Immer musste man alles schnell, schnell hinunterschlingen.“ Und schon beim kleinsten Zwischenfall konnte es heißen: Essen vorbei, alle raus zum Appell. Fahle: „Als ‚Disziplinarbestrafte‘ fühlten wir uns wie Tiere.“
Die „Disziplinareinheit“, in der diese verschärften Bedingungen galten, war eine Art „Knast im Knast“, der parallel zum regulären Militärstrafvollzug existierte. Den gab es in Schwedt seit 1968. Insgesamt verbüßten hier etwa 5 000 Soldaten eine Freiheitsstrafe, zu der sie ein Militärgericht verurteilt hatte – wegen Körperverletzung oder Alkoholexzessen. Etwa 25 Prozent der Häftlinge saßen aus politischen Gründen ein.
1982 kam die auch DE genannte Disziplinareinheit dazu: ein vierstöckiger Plattenbau, vom übrigen Lager durch Sicherheitsschleusen und meterhohe Mauern getrennt. Hier saßen - ohne Prozess und Urteil - bis 1990 insgesamt rund 3 000 weitere Häftlinge ein: Befehlsverweigerer, Fahnenflüchtige oder solche Soldaten, deren Vergehen nicht offiziell untersucht wurden. Detlef Fahle etwa wurde als junger Soldat in seiner NVA-Einheit solange psychisch drangsaliert, bis er durchdrehte. Er klaute einen Lkw und fuhr einfach los. Natürlich kam er nicht weit, an einer Straßensperre war Schluss. Fahle: „Ein Verfahren hätte viel aufgewirbelt. Da war es für den Kommandeur bequemer, mich eine Weile in der ‚DE‘ verschwinden zu lassen.“
„Die Disziplinierung hat bei spürbar eingeschränkten Rechten zu erfolgen“, hieß es in einer Vorlage des Ministeriums für Nationale Verteidigung. Praktisch bedeutete das: um vier Uhr raus zum Appell, Frühsport, halb sechs brachte ein Bus die Haft-Soldaten in ein Betonwerk. Dort acht Stunden Schwerstarbeit. Nachmittags scharfer militärischer Drill, 19.30 Uhr „Aktuelle Kamera“, 20 Uhr Nachtruhe.
Der Schlagstock saß locker. Wärter Harald Blaschke, heute Schließer in der JVA Moabit: „Wer nicht mitzog, bezog Prügel. Oder er kam in die Mumpe.“ So hieß im Knast-Jargon ein winziges, finsteres Verlies.Dass sich der Ex-Wärter Blaschke in dem Verein engagiert, sein Wissen zur Verfügung stellt, rechnet ihm Ex-Häftling Detlef Fahle hoch an: „Ich hasse ihn nicht, an ihn persönlich kann ich mich auch gar nicht erinnern. Vielmehr habe ich Respekt vor ihm, weil er sich mit seiner Vergangenheit und der des Ortes auseinandersetzt. Ziel unserer Vereinsarbeit ist, dass eine sachliche Aufklärung den ,Mythos Schwedt‘ ersetzt. Dazu kann auch Herr Blaschke beitragen.“
http://www.superillu.de/exklusiv/nva-mi ... -schweigenSoweit einmal zwei Zeitzeugen zum Thema.