Lokaljournalismus in der DDR
Verfasst: 28. Juli 2015, 09:26
„WER AM TISCH DER MÄCHTIGEN SITZEN DURFTE“
(Interview mit Ullrich ERZIGKEIT)
Von Paul-Josef RAUE
Als uns Ullrich Erzigkeit bei der Grenzwanderung begleitete, kehrten wir zum Abendessen in den „Schwarzen Adler“ in Bad Lobenstein ein. „Hier habe ich im Herbst 1968 mein Volontariat begonnen“, erzählte er, „im heutigen Gastraum standen früher die Schreibtische der Volkswacht-Lokalredaktion.“ Wir sprachen mit ihm über den Lokaljournalismus an der Grenze:
Gab es in der DDR einen unabhängigen Journalismus, wie wir ihn heute kennen und pflegen?
Nein, wir waren eine Parteizeitung, abhängig von den Weisungen der SED, die dirigistisch eingriff, eben ein Teil der umfassenden Propaganda, mit der die Partei die DDR überzog. Als sich die Volkswacht zur unabhängigen Tageszeitung wandelte, verabschiedeten wir ein Redaktionsstatut: Von dem Tag an waren wir Anwalt der Bürger und nicht mehr Anwalt einer Partei und ihrer Funktionäre.
Wie berichteten Sie in einer Grenz-Redaktion wie Lobenstein über die Grenze?
Wir durften über die Grenze nichts berichten, die war komplett tabu. Nur an Silvester war das anders: Da gingen die hohen SED-Funktionäre zu den Soldaten und dankte ihnen für den „vorbildlichen Dienst“ mit den üblichen Floskeln; darüber berichteten wir mit Foto und vorgeschriebenem Text.
Waren auch verhinderte Fluchten kein Thema? Immerhin gab es für die Soldaten Lob und Auszeichnung.
Nein, wir erfuhren auch offiziell nichts davon. Wenn wir abends mit den Grenzern ein Bier tranken, erfuhren wir schon, was an der Grenze los war. Aber das war inoffiziell, das durften wir eigentlich gar nicht wissen, erst recht durften wir davon nichts schreiben.
Fluchtversuche passten so gar nicht in das Bild vom sozialistischen Paradies der Arbeiter und Bauern.
Hatten die Grenzer keine Angst, dass sie plötzlich doch in der Zeitung standen?
Nein, die wussten genau: Das bleibt eine vertrauliche Verschlusssache. Hätte ich etwas über eine Flucht geschrieben, wäre das in der mehrfachen Zensur sicher rausgeflogen – und ich gleich hinterher; keinen Tag länger wäre ich Redakteur geblieben. Wir mussten die vorgestanzten Texte von oben mitnehmen, das war unsere Aufgabe, das sicherte uns auch die Ruhe.
Prahlten die Grenzoffiziere nicht damit, wenn sie eine Flucht verhindert hatten?
Einige schon, aber manche fragten sich schon: Ist es das wert? Müssen wir wirklich ein Menschenleben zerstören, nur weil einer fliehen will?
Weiter mit dem Interview geht es hier:
http://www.thueringer-allgemeine.de/web ... 1674641818
(Interview mit Ullrich ERZIGKEIT)
Von Paul-Josef RAUE
Als uns Ullrich Erzigkeit bei der Grenzwanderung begleitete, kehrten wir zum Abendessen in den „Schwarzen Adler“ in Bad Lobenstein ein. „Hier habe ich im Herbst 1968 mein Volontariat begonnen“, erzählte er, „im heutigen Gastraum standen früher die Schreibtische der Volkswacht-Lokalredaktion.“ Wir sprachen mit ihm über den Lokaljournalismus an der Grenze:
Gab es in der DDR einen unabhängigen Journalismus, wie wir ihn heute kennen und pflegen?
Nein, wir waren eine Parteizeitung, abhängig von den Weisungen der SED, die dirigistisch eingriff, eben ein Teil der umfassenden Propaganda, mit der die Partei die DDR überzog. Als sich die Volkswacht zur unabhängigen Tageszeitung wandelte, verabschiedeten wir ein Redaktionsstatut: Von dem Tag an waren wir Anwalt der Bürger und nicht mehr Anwalt einer Partei und ihrer Funktionäre.
Wie berichteten Sie in einer Grenz-Redaktion wie Lobenstein über die Grenze?
Wir durften über die Grenze nichts berichten, die war komplett tabu. Nur an Silvester war das anders: Da gingen die hohen SED-Funktionäre zu den Soldaten und dankte ihnen für den „vorbildlichen Dienst“ mit den üblichen Floskeln; darüber berichteten wir mit Foto und vorgeschriebenem Text.
Waren auch verhinderte Fluchten kein Thema? Immerhin gab es für die Soldaten Lob und Auszeichnung.
Nein, wir erfuhren auch offiziell nichts davon. Wenn wir abends mit den Grenzern ein Bier tranken, erfuhren wir schon, was an der Grenze los war. Aber das war inoffiziell, das durften wir eigentlich gar nicht wissen, erst recht durften wir davon nichts schreiben.
Fluchtversuche passten so gar nicht in das Bild vom sozialistischen Paradies der Arbeiter und Bauern.
Hatten die Grenzer keine Angst, dass sie plötzlich doch in der Zeitung standen?
Nein, die wussten genau: Das bleibt eine vertrauliche Verschlusssache. Hätte ich etwas über eine Flucht geschrieben, wäre das in der mehrfachen Zensur sicher rausgeflogen – und ich gleich hinterher; keinen Tag länger wäre ich Redakteur geblieben. Wir mussten die vorgestanzten Texte von oben mitnehmen, das war unsere Aufgabe, das sicherte uns auch die Ruhe.
Prahlten die Grenzoffiziere nicht damit, wenn sie eine Flucht verhindert hatten?
Einige schon, aber manche fragten sich schon: Ist es das wert? Müssen wir wirklich ein Menschenleben zerstören, nur weil einer fliehen will?
Weiter mit dem Interview geht es hier:
http://www.thueringer-allgemeine.de/web ... 1674641818