Kindheit in der DDR

Wie lief der Alltag in beiden deutschen Staaten zur Zeit der Teilung ab? Wie wurde gearbeitet? Was waren typische Berufe? Was wurde nach Feierabend gemacht? Wohin gings in den Urlaub?
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Kindheit in der DDR

Beitragvon Interessierter » 30. Januar 2018, 11:16

Wir haben die Geschichte gefälscht!

Faulig-feuchte Klamotten, eiskalte Füße und unzählige Sorten Alkohol: Marko Schuberts Erinnerungen an seine DDR-Kindheit in der Kleingarten-Parzelle sind düster. Komisch nur, dass die Fotos im Familienalbum eine ganz andere Geschichte erzählen.

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Das Leben in unserer Datsche: Es dauerte gefühlte fünf Jahre, bis in unserem Garten diese Datsche stand - und nochmals fünf, bis man sich hier auch ohne zu erfrieren aufhalten konnte.

Die Reise mit meinen Kumpels war eine einzige Katastrophe. Ich kam frustriert zurück nach Berlin und beschloss: Diesmal merkst du dir aber genau, warum das so eine beschissene Tour war - bevor du noch einmal mit denselben Idioten verreist. Man muss nicht jeden Fehler zweimal machen.

Vor einigen Tagen bekam ich die Fotos aus diesem Urlaub wieder in die Hände. Darauf ist Folgendes zu sehen: Jenna, Göte und ich liegen lachend und bekifft an einsamen mexikanischen Traumstränden, schnorcheln mit riesigen Riffhaien und Manta-Rochen in der Nähe tropischer Inseln, paddeln durch geheimnisvolle dunkle Höhlen in Belize und bestaunen mit offenen Mündern die Pyramiden der Maya im Regenwald von Guatemala.

Es gibt kein einziges Bild von dieser Reise, auf dem nicht mindestens einer von uns glücklich in die Kamera grinst. Ich weiß heute beim besten Willen nicht mehr, was ich jemals daran auszusetzen hatte, was schief gelaufen war und ob wir uns gestritten haben. Die Bilder zeigen einen fantastischen, abenteuerlichen und entspannten Abschnitt meines Lebens. Ich habe alle negativen Erlebnisse komplett verdrängt.

Doch es gibt eine Entschuldigung dafür: "I was born in the GDR", wie ich auf dieser Reise immer wieder erklären musste - ich bin in der DDR geboren.

Kollektives Verdrängungssaufen

Es gibt viele Beschreibungen und Lieder, Bücher und Filme über dieses verschwundene Land hinter der dicken weißen Mauer. Besonders jungen Menschen muss es heute vorkommen wie ein fantastisches Märchenland, mit niedlichen Pappautos und Legoland-Neubaublöcken, in denen verschrobene, komisch bekleidete Menschen wohnten, die lustigen Bräuchen nachgingen. Eine Fantasiewelt aus dem Spielwaren-Katalog, die sich irgendjemand ausgedacht hat und von der er uns jetzt erzählt. Doch wer hat all dies erstunken und erlogen? Wer hat die Historie zu seinen Gunsten geschönt?

Ich kenne die Antwort: Wir Ossis haben euch diese Geschichte erzählt und wirklich nicht mit Absicht gelogen - wir haben alle negativen Erinnerungen aus unserem Lebensabschnitt in der Deutschen Demokratischen Republik einfach verdrängt! Nicht erst als alles vorbei war, sondern schon vorher - und in Verbindung mit unglaublich viel Alkohol.

Ein ganzes Volk hat bis zur Besinnungslosigkeit gesoffen. Es gab ungewöhnlich viele Sorten Alkoholika in den Plastik-Regalen der Kaufhallen. Pfeffi, Goldi, KiWi und Stoni waren liebevolle Kosenamen für hochprozentigen Stoff. Wenn eine Pulle 14,50 kostete, wurde sie "zehn vor drei" genannt, der etwas bessere Schnaps hieß "zehn vor sechs" und auch "blauen Würger" konnte man trinken. Man könnte meinen, die Staatsführung hatte kollektives Verdrängungssaufen angeordnet.


Laute Musik und Honecker-Witze


Meine Eltern und unsere Gartennachbarn feierten jeden Abend ein lustiges Beisammensein, und zwar meistens auf unserer Terrasse. Es kann sich kein Mensch vorstellen, schon gar nicht ein kleines Kind, wie viel Flüssigkeit, vor allem kistenweise Bier, süßen bulgarischen Rotwein und Nordhäuser Doppelkorn dieses Gartenkollektiv in sich hinein schütten konnte. Zunächst hörten wir sie nur lachen und singen - tief in der Nacht wurde dann bei lauter Musik getanzt und wurden Honecker-Witze gebrüllt. Zumindest wussten wir: Wer gerade am besoffensten war, der hatte am meisten zu verdrängen!

Glückliche Gesichter


Doch Stopp! Ich muss mich entschuldigen. Die Geschichte von unserer kleinen Datsche hat so niemals stattgefunden. Denn unsere Familie besitzt ein Fotoalbum, das die wirkliche Historie unseres Gartens zeigt. Es sind Bilder voller Lebensfreude und Harmonie. Wir Kinder planschen im Bassin, spielen mit unseren Krocketschlägern und Wurfspielpfeilen, bauen bunte Indianerzelte auf und schneiden fast immer lustige Grimassen. Unsere Eltern stehen neben uns und beobachten stolz ihren Nachwuchs, grundsätzlich mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Mein Vater hält dabei fast immer ein halbvolles Glas Bier in der Hand. Es gibt kein einziges Foto von unserem Leben in der Datsche, auf dem nicht mindestens einer glücklich in die Kamera grinst.

Den vollständigen Beitrag und weitere Fotos findet man hier:
http://www.spiegel.de/einestages/kindhe ... 49799.html
Interessierter
 

Re: Kindheit in der DDR

Beitragvon Volker Zottmann » 30. Januar 2018, 14:17

Vergesst bitte nicht, dass auch Farbrollfilme mit 36 Aufnahmen stolze 8,75 Mark kosteten. Plus Entwicklung der Fotos. Da wurde natürlich für Alben stets nur "heile Welt" abgelichtet.

Und bei den steten Widerworten hier im Forum erkennt man ja, dass Negatives noch heute stets noch ausgeblendet wird. Klar, dass ich mit meiner Erinnerungskultur da tüchtig einen auf die Mütze bekomme.
Genau deshalb sind aber die Rezensionen, die gerade ich erhalte stets positiv.
Mein Nachbar, heute weit über 90 und endlich bei Hamburg leben dürfend, freute sich auch: "Endlich mal wieder einer, der es den Gestrigen vor Augen hält, wie das Alltagsleben tatsächlich aussah."

Auch ich hatte streckenweit eine tolle Kindheit bei der Oma oder bei den anderen Großeltern im weiten Obstgarten. Nur habe ich die dunkle Seite nie ganz ausgeblendet.
Ich denke, die sollte man auch behüten, damit sich eine DDR, wie wir sie erlebten, nie wiederholen kann.
Eine deutsche und obendrein noch demokratische Republik kann ich mir trotzdem gut vorstellen, eine die den Namen verdient.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Kindheit in der DDR

Beitragvon karnak » 30. Januar 2018, 15:11

Hast Du denn heute, wo das Fotografieren billig ist Fotoalben mit Fotos auf denen Du Deine Frau verprügelst oder besoffen auf Komposthaufen schläfSt? [flash]
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Re: Kindheit in der DDR

Beitragvon Wosch » 30. Januar 2018, 16:10

karnak hat geschrieben:Hast Du denn heute, wo das Fotografieren billig ist Fotoalben mit Fotos auf denen Du Deine Frau verprügelst oder besoffen auf Komposthaufen schläfSt? [flash]



Dein Zustand scheint sich Deiner Schreibweise nach nicht verbessert zu haben, was gibt es denn bei Eurer Kur eigentlich zu trinken?
Veruch's doch mal mit Gänsewein.

Gute Besserung.

Wosch.
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Re: Kindheit in der DDR

Beitragvon Volker Zottmann » 30. Januar 2018, 16:28

karnak hat geschrieben:Hast Du denn heute, wo das Fotografieren billig ist Fotoalben mit Fotos auf denen Du Deine Frau verprügelst oder besoffen auf Komposthaufen schläfSt? [flash]

Keinesweg. Du auch nicht. Aber ich habe tausende Fotos von Alltagsbildern, ohne gestellt zu sein.
Die geben später auch Zeugnis vom echten Alltag.
Im übrigen habe ich schon immer Misstände interessanter als Perfektes gefunden, weil ich da noch was verbessern kann. Sprich Einmischen!

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Kindheit in der DDR

Beitragvon Interessierter » 5. Februar 2018, 12:28

Schulzeit in der DDR - Ehrenwache und Elvis

Dank seiner proletarischen Herkunft und eines Stipendiums durfte Rainer Schinzel ab 1960 ein Internat im Thüringer Wald besuchen. Doch während der Ehrenwache für den toten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck unterlief ihm ein schwerer Fehler.

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Haupteingang EOS: Haupteingang zur Erweiterten Internatsoberschule Wickersdorf

Im Jahr 1960, ich war 14, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Die Grundschule war beendet, ich kam auf eine Erweiterte Oberschule (EOS) mit erweitertem Russischunterricht. So hieß das. Ein Internat, gelegen auf den Höhen des Thüringer Waldes.

Ich wurde dafür ausgewählt, wegen meiner guten Noten, aber auch wegen der richtigen Klassenzugehörigkeit. Eltern Proletarier, beide Großmütter proletarisch, die sozialistische Ahnenforschung hatte nichts zu beanstanden.

Die Jugendweihe hatte ich auch absolviert.

Im Mai 1960 war mein Vater verstorben, wie man das euphemistisch formulierte - er hatte sich umgebracht. Meine Mutter hegte Besorgnisse: "Oberschule können wir uns nicht leisten." Mein Grundschuldirektor leistete Überzeugungsarbeit, ein Stipendium, das ich bekam, half. Die großen Erfolge der Arbeiter und Bauern in der Produktion machten es möglich.

Teil des Klassenkollektivs

Ich wurde Teil eines Klassenkollektivs in der "Kaderschmiede des Sozialismus" in Wickersdorf - eine neue Welt tat sich auf. Eine seltsame Welt. Überall lauerte der Klassenfeind. Das erzählten uns die Lehrer und wir waren wachsam. Nicht wachsam genug, wie sich herausstellte.

Wilhelm Pieck starb.

Da gab es in der DDR Staatstrauer. Auf unserem Schulhof in Thüringen wurde ein Riesen-Portraitfoto von Wilhelm aufgebaut, mit Trauerflor und Blumen. Rechts und links brannten Fackeln und wir - die junge Garde des Proletariats - hielten Ehrenwache. Rund um die Uhr.

Mein Wachturnus war nachts, von 3 bis 4 Uhr. Ich stellte mir den Wecker, ging zur Wachablösung und übernahm von meinem Vorgänger das Kleinkalibergewehr, mit welchem wir Ehrenwache halten sollten, das Gewehr vor der Brust, das war wohl die angemessene Position für so was. Erfahrung darin hatte ich ja nun keine. Auf der anderen Seite des riesigen Bildes, schwach beleuchtet durch den Fackelschein, stand ein Mitschüler, der wie ich zur Wachablösung erschienen war.

Da standen wir nun, auf dem dunklen Schulhof, nachts gegen 3 Uhr, um uns herum tote Hose. So sagten wir es natürlich nicht, aber wir fingen schon an, uns zu unterhalten, halblaut. "Hier sieht uns doch keiner - warum sollen wir mit dem schweren Schiessprügel dumm 'rumstehen?" "Setzen wir uns doch lieber hin und stehen erst wieder korrekt rum, wenn die Ablösung kommt!"

Fehlende revolutionäre Wachsamkeit

Das machten wir. Und wo wir schon mal saßen, zündeten wir uns jeder einer Zigarette an. Rauchen war damals noch nicht so gesundheitsschädlich wie heute. Schädlich war es aber, denn der kontrollierende Lehrer vom Dienst (LvD hieß der bei uns im Internat) erwischte uns. Mit besserer revolutionärer Wachsamkeit, als wir sie hatten, hatte er sich richtig angeschlichen.

Wir hatten ein Problem. Jetzt hatten wir nicht nur ein Wachvergehen begangen, sondern auch noch das tote Staatsoberhaupt missachtet. Da stand nun allerheftigste Selbstkritik an. Das konnte man kaum wieder gut machen. Irgendwie klappte es. Wir durften uns bewähren.

Später "verhalf" mir ein Klassenkamerad, der mir helfen wollte, zu Schwierigkeiten. Er hatte mich ertappt, als ich Westsender hörte (ich war heimlicher Elvis-Fan). Er sprach das in der FDJ-Versammlung an, der Versuch des Klassenfeindes, mich ideologisch zu vergiften, müsse unterbunden werden. Der Versuch wurde unterbunden, ich übte wieder mal heftige Selbstkritik und bekam erneut die Chance, mich zu bewähren.
[flash]

http://www.spiegel.de/einestages/schulz ... 49788.html
Interessierter
 

Re: Kindheit in der DDR

Beitragvon augenzeuge » 5. Februar 2018, 22:07

So ähnlich war das. Ich erinnere mich an 1978,wir waren zur Klassenfahrt im Berliner Raum. Kassettenrecorder war dabei.
Abends kam die Lehrerin und verbot uns die Nachrichten im Rias zu hören. Bei der Musik sagte sie nichts.

Später erfuhr ich warum. In der Klasse hatte ein Mitschüler beide Eltern beim Militär oder Stasi, genau wusste das keiner . Da hatte man einfach Angst, auch als Lehrer.
AZ
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