Die Bataille von Fröschweiler

Die Bataille von Fröschweiler

Beitragvon pentium » 15. Juli 2017, 21:32

Die Bataille von Fröschweiler
Von Winfried Lachauer




Die Bewohner des elsässischen Dorfes Fröschweiler bereiteten ihren Soldaten einen stürmischen Empfang. Ihr Pfarrer Karl Klein schreibt in seiner Chronik:

Es waren auch wirklich so herzig liebe Leutchen, diese Husaren, und sie mußten fort in den Krieg, - wer weiß, wo sie kämpfen, bluten und sterben werden? Die sollen uns willkommen sein und liebevoll traktiert werden und in der Tat - es war eine Begeisterung im ganzen Dorfe, die man nicht beschreiben kann, ein Wetteifern, wer am längsten bei ihnen bleiben, am zärtlichsten sie bewirten könnte. Und als am Abend die grande garde biwakierte . . . und die Speckomeletten lustig im Abendrot dampften, und der Weinkrug schäumend unter den rohen Gesellen kreiste, das war ein still heimlich Kriegsbild, wobei auch der Friedlichste eingestimmt hätte: "Was kann's Schönres geben als Soldatenleben?"

Vierzehn Tage später, am 6. August 1870, war Fröschweiler zerstört. Die Idylle hatte sich zum théâtre de la guerre verwandelt. Entgegen aller Voraussicht war das nordelsässische Dorf zum Mittelpunkt einer äußerst blutigen und opferreichen Schlacht geworden.

Den Sieg seiner Armee über die Franzosen telegraphierte der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm vom "Schlachtfelde bei Woerth, 4 1/2 Uhr Nachmittags". Für die Deutschen blieb dieser erste entscheidende Sieg im Krieg gegen die Franzosen mit dem Namen Woerth verbunden, dem Standort des Oberkommandos.

Stunden später, auf dem Rückzug, telegraphierte Marschall Mac-Mahon an Napoleon III., seinen Kaiser: "J'ai perdu la bataille." Seine Niederlage ging als "Bataille de Froeschwiller" in die französische Geschichte ein. Dort hatte Mac-Mahon am Vorabend des Gefechts Quartier bezogen.

Schon 1871 erschien in Straßburg ein "Guide du touriste (!) sur le champ de bataille de Froeschwiller", sein deutsches Gegenstück trug den Titel "Führer über das Wörther Schlachtfeld". Legion war schon bald die Zahl der Reiseführer- und Memoirenliteratur: Fröschweiler und Woerth, nunmehr im "Reichsland Elsaß-Lothringen" gelegen und berühmt, standen dem Glanz von Sedan nicht nach. Kein anderer Autor aber erreichte Karl Kleins Popularität und Auflagenhöhe - 36 Auflagen im Münchner C.H. Beck Verlag, dazu zwei illustrierte "Prachtausgaben". In seiner "Fröschweiler Chronik" war die Rede von einem "vielbesuchten Wallfahrtsort". Spötter nannten das Schlachtfeld vom 6. August 1870 ein "deutsches Mekka".

Zehntausende zog es alljährlich dorthin, eine Eisenbahnlinie wurde eigens angelegt. Droschkenunternehmen fuhren die bemittelten Reisenden zu den Schauplätzen und in die prosperierenden Gaststätten, die nun statt "Au Cheval blanc" "Zum weißen Roß" hießen oder "Zur Jägerzusammenkunft" anstelle von "Au Rendez-vous des chasseurs". Man annoncierte "civile Preise" und "Sammlung von Kriegswaffen aus 1870 im Hause". Achtzehn Hotels und Restaurants für Orte, die kaum mehr als tausend Einwohner zählten.

Was suchten, besser noch: was fanden die Besucher dort Einzigartiges? Und was finden die Touristenscharen noch heute an einem Ort, der seine Besucher mit großen Hinweisschildern auf "Son champ de bataille, son musée du 6. Août 1870" begrüßt? Zunächst stand Woerth für die erste große siegreiche Schlacht im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Wichtiger noch als die Zerstörung des Nimbus von der französischen Unbesiegbarkeit war ein anderer Effekt, den ein Augenzeuge, der populäre Schlachtenmaler Georg Bleibtreu, in einem Brief an seine Frau niederlegte:

Was habe ich alles erlebt! Das war ein Tag, der bei Woerth! Gott hat mich im Granat- und Chassepotfeuer gnädig bewahrt. Ich konnte nicht anders, ich war von einem unwiderstehlichen inneren Drange vorwärts getrieben, ich mußte den Kampf des geeinten Deutschlands, der meine Träume zur Wirklichkeit macht, in der Nähe sehen. Aufjauchzen mußte ich, von allen Schrecken der Schlacht umgeben, als ich die Süddeutschen im Wettkampf mit ihren Brüdern im Norden, gegen und über die Höhen vordringen sah. - Ich muß fort, ich kann dir nicht mehr schreiben!

Das "geeinte Deutschland": auf dem Schlachtfeld war es kein bloßer Traum mehr! Im Siegesrausch von Woerth wurde die Einheit wieder und wieder beschworen. "Eisen und Blut" sollten nun vollbringen, was der nationalen und demokratischen Bewegung verwehrt geblieben war: die (klein-)deutsche Einheit. Diesen Zusammenhang formulierte der badische Großherzog in schönster Offenheit: "Eine Kaiserkrone kann nur auf dem Schlachtfeld errungen werden."

Für die Franzosen war Froeschwiller zwar ein Ort der Niederlage, aber die Kombattanten bestätigten einander, daß die französische Armee einem übermächtigen Gegner "ruhmvoll und tapfer" unterlegen sei. Auf den Monumenten beider Seiten finden sich denn auch Verweise auf "Gloire", "Tapferkeit" und "Heldenmut". Sie legitimieren die militärische Aktion, verklären die Opfer und bestätigen den fortbestehenden Primat des Militärischen für das Kaiserreich

Fortsetzung folgt...
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Re: Die Bataille von Fröschweiler

Beitragvon pentium » 15. Juli 2017, 21:35

Die Bataille von Fröschweiler

Die Chronik des Dorfpfarrers

Mit der "Fröschweiler Chronik" bekam der Besucher etwas Drittes zu Gesicht: ein literarisches Monument, das der Geschichte der "tapferen Helden" vom 6. August die konkrete Schilderung jener "Hundstage" konfrontiert. Pfarrer Klein stellt der Perspektive der deutschen und französischen Feldherrenhügel die lokale seines Kirchspiels gegenüber. Er beschreibt den Höhenflug des nationalen "Fieberwahnsinns" in seinem Dorf bis zum Absturz in die Hölle des Krieges. Die Lektüre wird so zum Memento mori.

Die eingangs zitierte Idylle schrieb Klein in dieser kritischen Absicht - er wußte ja schon um das schreckliche Ende seines Dorfes, die weit mehr als 20 000 toten und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten, die abertausend toten Kavallerie- und Zugpferde: Sie alle lagen bei glühender Hitze in den verwüsteten Gärten, Wiesen, Getreidefeldern, Hopfenpflanzungen, Kartoffeläckern, Wein- und Obstgärten der Dorfbewohner.

Karl Klein versucht nichts weniger als eine Physiologie des Krieges - nicht nur der "Bataille von Fröschweiler". In seinen Augen bildet die Grundvoraussetzung fast einer jeden kriegerischen Handlung die Annahme, der Krieg werde andernorts stattfinden, nicht in heimischen Gefilden: "Fort in den Krieg ziehen". Klein erhellt den Hintersinn dieser Redewendung: "Jeder ist auf schwere Heimsuchungen, auf Blutvergießen, Brand und Verwüstung gefaßt; daß aber das alles seine Heimat, sein Dorf, sein Haus, seine Person treffen könnte, daran denkt keiner."

Diese Mentalität beobachtet Klein in seiner engeren Heimat und attestiert sie der ganzen Nation: Überall hörte man nach der französischen Kriegserklärung vom 19. Juli 1870 den Schlachtruf: "A Berlin! A Berlin! Déjeuner a Berlin!" Im nämlichen Geiste appellierte Napoleon III. an seine Soldaten: "Welches auch der Weg sein mag, den wir jenseits der Grenzen nehmen werden, - wir werden auf ihm die ruhmvollen Spuren unserer Väter finden. Wir werden uns ihrer würdig zeigen." Auch der Name der französischen Streitkräfte drückt diese Haltung aus: "L'armée du Rhin".

Die Nation schien also einig in der Erwartung, die französische Armee werde in einer raschen Offensive über die französische Landesgrenze hinweg den Oberrhein überschreiten, die süddeutschen Staaten entweder zu Bündnispartnern gewinnen oder niederwerfen, um schließlich den Hauptgegner Preußen anzugreifen und ein für allemal in die Schranken zu verweisen. Von dieser Siegesgewißheit erzählt auch Alphonse Daudet in seinen "Contes du lundi". Plötzlich brach in Paris ein Sturm los auf die teuren Luxuswohnungen an den Champs-Élysées und am Arc de Triomphe. Wer genügend Vermögen besaß, reservierte sich einen Logenplatz für die baldigst erwartete Siegesparade der französischen Streitkräfte.

Die Einwohner von Fröschweiler hatten inzwischen andere Probleme: Ihr Dorf glich "einem tosenden Heerlager", die sehnlichst erwartete französische Offensive kam aber nicht zustande. Statt dessen gab es Krieg an einer anderen Front:

Und der Morgen kam, und die Sonne stand am hohen Himmel, und 6000 Menschen lagerten, hungerten, marodierten da herum und sollten ihr Blut vergießen, und der Hunger glitzerte ihnen zu den Augen heraus . . . O Napolium, wo warst du? Wo waret ihr Marschälle, Senatoren, Generäle, Intendanten und alle ihr goldverbrämten Possenreißer, die ihr in heillosem Spielerwahnsinn diesen Krieg vom Zaun gebrochen . . .? Ihr waret nicht da! So die Chronik.

Seit ihrer Einquartierung warten die französischen Soldaten auf Verpflegung, sind sie auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen. Der Sommer ist ungewöhnlich heiß, die Ernte droht mager auszufallen. Schon plündern die eigenen Soldaten aus Not unreifes Obst, die Gemüsegärten, die Kartoffeläcker. Noch am Vorabend der Schlacht wird Mac-Mahon um Lebensmittel telegraphieren! Doppelte Rationen waren versprochen, viele französische Soldaten aber werden ausgehungert kämpfen, sterben . . .

"A La Gloire des Généraux, Officiers, Sous Officiers Et Soldats . . . Morts Pour La France", steht auf dem französischen Armeedenkmal. Einzig Klein bewahrt die Erinnerung an die unwürdigen Tage von Fröschweiler, an die Leiden der Zivilbevölkerung, deren kein Monument gedenkt.

Fortsetzung folgt...
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Re: Die Bataille von Fröschweiler

Beitragvon pentium » 15. Juli 2017, 21:36

Die Bataille von Fröschweiler

Pariser Wahnvorstellungen

"Spielerwahnsinn" - Kleins Anklage zielt auf eine Äußerung des Kriegsministers LeBoeuf. Dieser hatte öffentlich erklärt, Frankreich sei archiprêt, erzbereit. Selbst wenn der Krieg zwei Jahre dauern würde, nicht einmal ein Gamaschenknopf an der Ausrüstung werde fehlen.

Und nun fehlte es an Lebensmitteln, aber auch an Transportkapazitäten, um die geplante Zahl von 200 000 Soldaten in das Elsaß vorzuführen. Zwar hörte man in Fröschweiler Tag und Nacht Eisenbahnverkehr von dem nahe gelegenen Reichshofen herüber, dennoch: Die "Bataille de Froeschwiller" wird Mac-Mahon mit nur 39 000 Infanteristen und 5000 Mann Kavallerie bestreiten müssen. Weitere 150 000 Mann sind noch auf dem Fußmarsch Richtung Fröschweiler. Marodierende Soldaten sind eine schwere Plage, aber lähmendes Entsetzen überfällt die Dorfbewohner, als sie begreifen, daß man den Feind nunmehr im eigenen Land erwartet!

Bei allem Schrecken entging den Einheimischen nicht die Orientierungslosigkeit der führenden Offiziere. Kein Wunder, verfügten diese doch über keinerlei Kartenmaterial. Da die Offensive ja jenseits der Grenze vorgesehen war, hatte man sich nicht mit Karten der eigenen Territorien versehen.

Aber die Dorfbewohner wußten nur allzu gut, daß Fröschweiler schon einmal strategischer Verteidigungspunkt war, 1793, im Kampf der französischen Truppen gegen die Verbände der preußisch-österreichischen Interventionsarmee. Seitdem war die Lage Fröschweilers als schwer einnehmbare strategische Höhe bekannt. Und so könnte es wieder kommen, befürchten die meisten. Den Vorteil dieser Position hat Klein glänzend beschrieben:

Das Dorf Fröschweiler sitzt da oben . . . wie eine quadratförmige Burg. Unsere Hochfläche überragt durchgängig die gegenüberliegenden Anhöhen, bildet aber eine ununterbrochene Reihe von Hügeln und Niederungen, welche für Truppenbewegungen nicht günstiger sein könnte . . . Aber besonders gegen das Sauertal hinab war die Verteidigungsfront ein wirklich furchtbares Bollwerk. Denn vom nördlichen Ende unseres Dorfes, im Halbkreise bis zum Niederwald hinunter, bilden unsere Bergvorsprünge eine Reihe von natürlichen, steilen Festungen, die das ganze Sauertal und die gegenüber aufsteigenden Hügel beherrschen; und diese kegelförmigen Vorsprünge sind durchweg mit Reben, Obstbäumen so bedeckt, und die zwischen einmündenden Tälchen so mit Hopfenanlagen verrammelt, daß ein Heran- und Heraufdringen des Feindes als unmöglich erscheinen sollte.

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