Wer von der tschechischen Geschichte keine Ahnung hat, kennt meistens ein Ereignis, den Prager Fenstersturz.
Der bekannteste Prager Fenstersturz ist jener vom 23. Mai 1618: zwei königlich-habsburgische Statthalter wurden damals aus einem Fenster der Prager Burg geworfen. In den Geschichtsbüchern steht, dass dies der Auslöser des 30jährigen Krieges zwischen Protestanten und Katholiken in ganz Europa war.
Der Prager Fenstersturz von 1618 ist wohl der bekannteste seiner Art, jedoch nicht der einzige. Es scheint, dass die Prager eine Vorliebe für diese Art der Problemlösung haben, für die sie auch ein Wort erfunden haben: Defenestrace sagt man auf Tschechisch zu diesem Ereignis - Defenestration heisst dieses eingedeutscht. Bereits am 30. Juli 1419 haben aufgebrachte Hussiten Vertreter der alten Glaubensrichtung aus dem Fenster des Neustädter Rathauses auf dem heutigen Karlsplatz geworfen. Dieser erste Prager Fenstersturz löste die Hussitenkriege aus, die zwei Jahrzehnte lang das Land und dessen Nachbarn zu Schauplätzen blutiger Schlachten werden ließen.
Es sei erwähnt, dass jene Vertreter der alten Ordnung ihren Fenstersturz aus dem Neustädter Rathaus nicht überlebt haben. Der Initiator der ersten Defenestration, Jan Zelivsky, wurde drei Jahre später für seine Tat bestraft und auf dem Altstädter Ring hingerichtet. Dort erinnert heute eine Gedenktafel an ihn und seine radikalen Mitstreiter der Hussitenbewegung.
Doch nun zurück zum zweiten Fenstersturz, dem vom Mai 1618. Der Anlass war ein ähnlicher wie knapp zwei Jahrhunderte zuvor: Glaubensfragen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatten die Hussiten u.a. dafür gekämpft, dass das Abendmahl in beiderlei Form eingenommen werden darf, wie es der böhmische Reformator Jan Hus gefordert hatte. Knapp 200 Jahre später, und rund 100 Jahre nach der deutschen Reformation, forderten die Nachfahren des Jan Hus und Jan Zelivsky, dass die im 15. Jahrhundert erkämpften Glaubensfreiheiten weiterhin von der Habsburger Obrigkeit eingehalten werden sollten. Immerhin war in den Böhmischen Ländern die Bevölkerungsmehrheit im Gegensatz zu ihrem Habsburger Herrscher nicht katholisch.
1612 war der in Böhmen allseits beliebte Habsburger Kaiser Rudolf II. gestorben. Dessen Bruder Matthias scherte sich wenig um die von Rudolf gegebenen Versprechen und verletzte wiederholt die von seinem großen Bruder garantierte Glaubensfreiheit in den Böhmischen Ländern. Immer mehr Protestanten wurden aus ihren königlichen Ämtern entlassen. Der Einfluss der Katholiken nahm ebenso zu wie der Missmut der Protestanten. Diesen drückten sie zunächst in einem Protestschreiben an Kaiser Matthias aus. Als dieser nicht reagierte und dazu noch weitere Versammlungen der Protestanten verbot, war das Fass voll. Nach langen Diskussionen beschlossen am 21. Mai 1618 protestantische Adelige, eine radikale Aktion gegen die unbeliebten königlichen Statthalter auf der Prager Burg durchzuführen.
Und so zog am frühen Morgen des 23. Mai 1618 eine Delegation unzufriedener protestantischer Adeliger auf die Prager Burg - bestimmt ahnten sie nicht, dass sie wenige Minuten später den bis dahin größten gesamteuropäischen Konflikt auslösen würden, der ganz Europa in den folgenden 30 Jahren unsägliches Leid bringen sollte.
In einer improvisierten Gerichtsverhandlung warfen die unzufriedenen Protestanten den in der Hofkanzlei anwesenden Statthaltern Jaroslav von Martinic und Vilem Slavata vor, gegen die Landes- und von Kaiser Rudolf II. garantierte Religionsfreiheit verstoßen zu haben. Die Strafausführung war ebenso spontan wie der gesamte Akt: die beiden Statthalter wurden kurzerhand aus dem Fenster ihrer königlichen Kanzlei geworfen.
Ihnen folgte der ebenfalls anwesende Schreiber Johannes Fabricius, der später von Kaiser Matthias geadelt wurde und den treffenden Titel "von Hohenfall" erhielt. Die Tatsache, dass die drei ihren Sturz aus dem Fenster im zweiten Stock überlebten, erklärten die Protestanten mit deren Landung auf einem Misthaufen unterhalb besagten Fensters. Die Katholiken dagegen sahen darin ein direktes Eingreifen der Jungfrau Maria, die ihren Schutzmantel über die drei Märtyrer geworfen habe.
Quelle: Radio Prag
mfg
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