Schreiben Mittigs an Egon Krenz, mit Anlage: Grundsätze zur Zurückdrängung von Übersiedlungsersuchen und zur Genehmigung von Übersiedlungen im Interesse der Gewährleistung einer hohen Ordnung und Sicherheit.
Werter Genosse Egon Krenz!
Die beiliegenden Grundsätze gründen sich auf eine zentrale Entscheidung.
Die Stellvertreter Inneres der Vorsitzenden der Räte der Bezirke wurden am 15.4.1988 im MdI durch den Stellvertretenden Minister des Innern Genossen WINTERLICH, den Leiter Innere Angelegenheiten des MdI Genossen HUBRICH und Genossen NIEBLING des MfS eingewiesen.
Vorschläge zur Übersiedlung sind unter Beachtung der konkreten Lage im Bezirk durch die Abteilungen Inneres der Räte der Bezirke und die zuständige Diensteinheit des MfS mit dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED abzustimmen und dem MdI/MfS zuzustellen.
Es wurden den Abteilungen Inneres der Räte der Bezirke und Diensteinheiten des MfS im Bezirk Orientierungslimite vorgegeben.
Die Maßnahmen sind keine Änderung der Festlegungen des Vorsitzenden des Ministerrates vom 26.2.1988, sondern zum Abbau des Druckes und zur Beherrschung der Lage notwendig.
Gegenwärtig gibt es in der DDR
111.348 Bürger, darunter 33.371 Bürger unter 18 Jahren, die aktiv ihre Übersiedlung betreiben.
Zur Realisierung des Auftrages, im Interesse der inneren Stabilität der DDR und weiteren Erhöhung der Ordnung und Sicherheit Übersiedlungen von Personen vorzunehmen, von denen erhebliche Gefahren ausgehen, vor allem unter Berücksichtigung politischer Höhepunkte (1. Mai, 8. Mai, Konferenz vom 20.6.–22.6.88 u. a.) wird folgendes Vorgehen vorgeschlagen:
1. Die Hauptrichtung der Tätigkeit ist auf die Fortsetzung der personenbezogenen politisch-ideologischen Einflussnahme zur Erreichung maximaler Ergebnisse bei Abstandnahmen von Übersiedlungsersuchen zu orientieren. Dabei sind die Grundsätze des Vorgehens gemäß Schreiben des Vorsitzenden des Ministerrates vom 26.2.88 auf Erstersuchende sowie Übersiedlungsersuchende, bei denen Versagungsgründe vorliegen, zu konzentrieren.
Übersiedlungen bei Vorliegen humanitärer Gründe sind kurzfristig abzuwickeln.
2. Aus politisch-operativem Interesse und zur vorbeugenden Verhinderung von Störungen sowie des öffentlichen provokativen Auftretens Übersiedlungsersuchender sind zur Realisierung der Übersiedlung vor allem Personen auszuwählen,
- die aufgrund ihrer feindlich-negativen Grundhaltung zur Erzwingung ihrer Übersiedlung an Zusammenrottungen, Zusammenschlüssen, Gruppenbildung und öffentlichen Demonstrationen teilgenommen haben bzw. zu denen Hinweise zu solchen Aktivitäten vorliegen,
- von denen Provokationen ausgehen bzw. die dazu neigen,
- die die vielfältigsten Aktivitäten zur Erzwingung der Übersiedlung unternehmen, wie Lösung des Arbeitsrechtsverhältnisses, Protestschreiben, Unterschriftensammlungen, Androhungen von provokatorisch-demonstrativen Handlungen und andere Straftaten, Schreiben an Feindorganisationen, die UNO, Repräsentanten westlicher Staaten, Inspirierung von Aktionen im Ausland u. a.,
- die mehrfach vorbestraft sind oder sich asozial verhalten und unbelehrbar sind,
- von denen aufgrund ihrer labilen Haltung weitere Aktivitäten ausgehen und dadurch ständiger Unsicherheitsfaktor sind.
3. Die Anzahl der Genehmigung von Übersiedlungen ist auf monatlich ca. 2.000 bis 3.000 Personen zu erhöhen (bisheriger monatlicher Durchschnitt im Jahre 1988 – 1.000 Personen). Dazu sind den Bezirken differenzierte Vorgaben zu übermitteln, die den Rahmen für den Umfang der zu unterbreitenden Vorschläge bilden (Anlage). Dadurch kann auch gewährleistet werden, daß
- eine verantwortungsbewußte und differenzierte Auswahl der zu übersiedelnden Personen langfristig und abgestimmt erfolgt,
- territoriale Konzentrationen der in Ziffer 2 genannten Personen abgebaut und bei der Realisierung von Übersiedlungen nicht zugelassen werden,
- in den Gesprächen, ausgehend von den Bedingungen der Lage und dem Verhalten der Personen, im Interesse der Ordnung und Sicherheit sowie der Disziplinierung die Genehmigung der Übersiedlung auf längere Frist in Aussicht gestellt werden kann.
4. Die Anforderungen an die gemäß den dienstlichen Weisungen zu unterbreitenden Vorschläge zur Genehmigung der Übersiedlung sind zu vereinfachen.
5. Zur Beschleunigung der Abwicklung von Übersiedlungen werden die nach der zentralen Bestätigung der Vorschläge durchzuführenden Antrags-, Prüfungs- und Entscheidungsverfahren durch Weisung des Ministers des Innern und Chefs der DVP auf die Abteilungen Innere Angelegenheiten der Räte der Kreise delegiert. Die Stellvertreter der Vorsitzenden für Inneres der Räte der Kreise werden befugt, die Anträge zu genehmigen.
Das Verfahren bei der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR bleibt davon unberührt.
Vorgaben für die differenzierte Unterbreitung von Vorschlägen zur Genehmigung von Übersiedlungen
Anlage
Ü1.JPG
AK