von andr.k » 5. Juni 2013, 21:50
ISOR e.V.'s Klage auf Herausgabe von elektronisch gespeicherten Daten wird abgewiesen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger, die Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR e.V.), begehrt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland die Herausgabe von elektronisch gespeicherten und anonymisierten Daten betreffend Bruttoarbeitsentgelte früherer hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. Amtes für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS).
Die früheren Angehörigen des MfS/AfNS gehörten in der DDR einem Sonderversorgungssystem außerhalb der allgemeinen Sozialversicherung an. Beschäftigungszeiten und Arbeitsentgelte dieser Personengruppe werden nach dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets - Anspruchs- und Überleitungsgesetz - AAÜG – vom 25. Juli 1991 in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik übergeleitet. Zuständiger Versorgungsträger für die Aufbereitung der Entgeltdaten und deren Übergabe an die gesetzliche Rentenversicherung ist das Bundesministerium für Inneres (BMI), das diese Aufgabe an das BVA delegiert hat. Die für die Erfassung der Daten durch das BVA erforderlichen Unterlagen zu Beschäftigungszeiten und Bruttoarbeitsentgelten werden auf einzelfallbezogene Anfragen des BVA von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) den dort vorhandenen Personalakten des früheren MfS/AfNS entnommen und an das BVA übersandt; seit Anfang der achtziger Jahre liegen die Daten für die einzelnen Mitarbeiter in Form elektronischer Dateien (Jahresübersichten des sog. Gehaltsprojekts des MfS/AfNS) vor und werden mit den die vorangegangenen Zeiträume erfassenden Papierunterlagen ebenfalls an das BVA übermittelt. Die Unterlagen bzw. Dateien weisen die monatlichen Bezüge der Mitarbeiter, aufgeschlüsselt in Brutto-Vergütung, VK-Beiträge, Verpflegungsgeld, Wohnungsgeld, Bekleidungsgeld, Kindergeld und Ehegattenzuschlag, Grundgebühr Telefon aus. Aus diesen Unterlagen erstellt das BVA für die einzelnen Mitarbeiter Überführungsbescheide, in denen festgestellt wird, für welche Zeiten eine Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem bestand, welche tatsächlichen Jahresbruttoarbeitsentgelte erzielt wurden und welche Arbeitsausfälle auftraten. Die Daten werden jeweils in der Anlage 1 (Entgeltbescheinigung nach § 8 Abs. 2 AAÜG und Bescheinigung von Zeiten der Unterbrechung der Arbeitspflicht) tabellarisch aufgestellt und in elektronisch lesbarer Form – zugleich als „Schablone J 2“ und „Schablone J 5“ aufbereitet - an den Rentenversicherungsträger übermittelt, der darüber entscheidet, in welchem Umfang die festgestellten Bruttoarbeitsverdienste rentenrechtlich berücksichtigungsfähig sind.
Den Umfang der aus den Sonderversorgungssystemen überzuleitenden Einkommen regelt § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG i.V.m. Anl. 6 zu diesem Gesetz. Nach der ursprünglichen Fassung dieser Bestimmung konnten Arbeitsentgelte oder –einkommen der betroffenen Personen, insbesondere der früheren Mitarbeiter des MfS/AfNS, nur bis zu höchstens 70 v.H. des jeweiligen Durchschnittsentgelts aller Beschäftigten im Beitrittsgebiet rentenwirksam sein. Diese Regelung erklärte das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 28. April 1999 – 1 BvL 11/94, 33/95, 1 BvR 1560/97 – (BVerfGE 100, 138) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig, soweit für die Rentenberechnung das zugrunde zu legende Arbeitsentgelt oder -einkommen unter das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet abgesenkt werde. Zur Begründung heißt es in der Entscheidung: Der Gesetzgeber sei zwar berechtigt gewesen, für Angehörige des MfS/AfNS eine Sonderregelung zu treffen und Umfang und Wert der zu berücksichtigenden Einkommen grundsätzlich niedriger einzustufen als bei anderen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet. Dem Gesetzgeber sei bekannt gewesen, dass die große Mehrheit der hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit innerhalb der relativ nivellierten Einkommensverteilung der DDR deutlich oberhalb des Durchschnitts angesiedelt gewesen sei. Es hätten außerdem Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass Arbeitseinkommen beim MfS/AfNS die allgemein in der DDR für eine vergleichbare Tätigkeit oder eine Position mit gleichwertiger Qualifikation erzielbaren Verdienste überstiegen hätten. Die Anwendung der im Anspruchs- und Überleitungsgesetz enthaltenen Jahreshöchstverdienstgrenzen führe aber zu einer Schlechterstellung des betroffenen Personenkreises gegenüber allen anderen Bestands- und Zugangsrentnern aus dem Beitrittsgebiet. Deren tatsächlich erzielte Arbeitsverdienste würden bei der Rentenberechnung bis zur Beitragsbemessungsgrenze voll berücksichtigt. Die besonders ungünstige Anrechnung von Arbeitsverdiensten bei Angehörigen des MfS/AfNS führe dazu, dass sogar in der Sozialpflichtversicherung der DDR versicherte Personen mit unterdurchschnittlichen Arbeitseinkommen besser gestellt seien. - In Umsetzung dieses Urteils wurde durch Gesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939) die Anlage 6 zum Anspruchs- und Überleitungsgesetz dahingehend geändert, dass die darin enthaltenen Werte dem im jeweiligen Jahr im Beitrittsgebiet erzielten Durchschnittsentgelt entsprechen. Mit Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 – (JURIS) lehnte das Bundesverfassungsgericht in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren eine erneute verfassungsgerichtliche Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG ab. Der Vortrag des dortigen Beschwerdeführers und insbesondere die von ihm vorgelegten Gutachten seien nicht geeignet, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 in Frage zu stellen.
Unter Hinweis auf diese Sach- und Rechtslage beantragte der Kläger beim BMI im Juni 2004, das BVA zu veranlassen, die nach dem Stand der Ermittlungen mögliche Auskunft über die Einkommensverhältnisse im MfS/AfNS zu erteilen, welche für die weitere Gesetzgebung im Bereich der Versorgungsüberleitung von grundlegender Bedeutung seien. In dem sich anschließenden Schriftwechsel präzisierte der Kläger seinen Auskunftsantrag dahin gehend, dass die Herausgabe der im BVA elektronisch erfassten (mit Schreiben vom 10. Dezember 2004 näher beschriebenen) Einkommensdaten für die früheren Angehörigen des MfS/AfNS benötigt würden, für die nach dem Anspruchs- und Überleitungsgesetz Arbeitsentgelte aus einer Beschäftigung oder Tätigkeit für das MfS/AfNS zu ermitteln sei und für die ein Entgeltbescheid bereits erteilt sei. Diesen Antrag lehnte das BMI mit Schreiben vom 1. August 2005 ab, weil nach § 29 Abs. 1 Stasi-Unterlagengesetz (StUG) die Weitergabe der Daten, die dem BVA durch die BStU auf der Grundlage von Ersuchen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG erteilt worden sei, unzulässig sei. Sei eine Rentenangelegenheit eines hauptamtlichen Mitarbeiters Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, so sei nur das Gericht nach § 20 Abs. 1 Nr.9 StUG ersuchensberechtigt. Im Übrigen könne jeder einzelne hauptamtliche Mitarbeiter Auskunft über seine personenbezogenen Informationen, also auch über seine Vergütung erhalten. Gegen dieses nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Schreiben hat der Kläger am 21. Oktober 2005 Klage erhoben (VG 1 A 216.05).
Unter dem 25. August beantragte der Kläger bei der BStU, ihm in elektronisch lesbarer Form folgende vom BVA aus den Unterlagen des MfS/AfNS ermittelten Daten zu übermitteln: Bezogen auf die einer beliebigen laufenden Nummer zugeordnete Person Beträge des Bruttoarbeitsentgelts ohne Wohnungsentgelt und Zeitpunkt der entsprechenden Erstfeststellung bzw. Änderung sowie den Geburtsjahrgang der Person, und zwar auf alle im Zuge der Erteilung von Bescheiden nach § 8 AAÜG (Entgeltbescheide) geklärten Fälle sowie auf die darüber hinaus auf Datenträgern des Gehaltsprojekts des MfS/AfNS elektronisch lesbaren Fälle. Grundlage sei § 20 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 29 Abs. 1 StUG. Zweck der Auswertung der Daten sei die Feststellung des tatsächlichen Einkommensniveaus im MfS/AfNS im Verhältnis zu demjenigen in der Volkswirtschaft der DDR, um eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs. 1 Satz i.V.m. Anl. 6 AAÜG i.d.F. des Gesetzes vom 27. Juli 2001 zu erreichen. Diesen Antrag lehnte die BStU mit Bescheid vom 22. September 2005 ab, weil die Anerkennung von Beschäftigungszeiten sowie Überführung und Zahlung der Renten ehemaliger Angehöriger der Staatssicherheit in der alleinigen Zuständigkeit des BVA liege. Folglich könne lediglich das BVA ein Ersuchen auf § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG stützen, im Einzel(streit)fall auch ein Gericht. Auskunft an einzelne ehemalige Mitarbeiter würden auf Antrag gem. § 16 StUG erteilt. Die Zugangsmöglichkeit des Klägers als nichtöffentliche Stelle beschränke sich gem. § 19 Abs. 2 i.V.m. § 26 StUG auf allgemeine Unterlagen wie Struktur- und Stellenpläne des Staatssicherheitsdienstes. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die BStU mit Bescheid vom 22. Dezember 2006 zurück. Die begehrten elektronisch lesbaren Daten des BVA lägen ihr – der BStU – nicht vor. Ungeachtet dessen wäre eine Übermittlung aus den im Ausgangsbescheid genannten Gründen, die der Widerspruchsbescheid vertiefend darlegt, unzulässig. Ergänzend führt der Widerspruchsbescheid aus: Das Stasi-Unterlagengesetz regele die Zugangsrechte zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes abschließend. Zugangsrechte zu anderen als in den §§ 20 – 23, 25 und 26 StUG genannten Zwecken seien daher abzulehnen. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG sei auf den Kläger nicht anwendbar. Nach § 19 Abs. 2 StUG sei er deshalb auch nicht ersuchensberechtigt. Gegen die vorgenannten Bescheide der BStU hat der Kläger am 13. Januar 2006 Klage erhoben (VG 1 A 17.06).
Zur Begründung seiner mit Beschluss der Kammer vom 16. Februar 2006 zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen trägt der Kläger vor: Der Gesetzgeber habe nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nichts unternommen, um das tatsächliche Verhältnis der Erhöhungstatbestände im MfS/AfNS gegenüber den Einkommen in der Volkswirtschaft der DDR zu klären. Er habe auch nicht auf die beim BVA hierzu vorliegenden Daten zurückgegriffen. In dieser Lage hätten die von § 7 AAÜG Betroffenen nur die Möglichkeit, selbst eine Klärung der Voraussetzungen herbeizuführen, die für eine erneute Überprüfung des § 7 AAÜG durch das Bundesverfassungsgericht bestünden. Jeder Betroffene habe aber nur Zugriff auf die ihn selbst betreffenden Daten. Deshalb habe der Kläger als Interessenvertreter der von § 7 AAÜG Betroffenen darum ersucht, als nicht öffentliche Stelle gem. § 19 Abs. 1 StUG Zugang zu den zur Klärung der Einkommensverhältnisse erforderlichen Unterlagen zu erlangen. Das Begehren des Klägers verfolge einen im Rahmen der Überführung von Renten zulässigen Verwendungszweck i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG. Dies ergebe sich aus den satzungsmäßigen Aufgaben des Klägers, natürliche Personen zu unterstützen, die wegen ihrer früheren Tätigkeit Beschränkungen oder Verletzungen ihrer sozialen Rechte unterlägen. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG ziele nicht ausschließlich auf das für die verwaltungstechnische Rentenüberleitung zuständige BVA. Die restriktive Auslegung der Beklagten sei nicht notwendig und deshalb unverhältnismäßig, weil sie den Kläger in der Ausübung seiner verfassungsrechtlich geschützten Vereinsfreiheit unzumutbar behindere. Auf andere als die vom Kläger beantragte Weise könne die nach wie vor offene Klärung der Frage, ob Einkommen der beim MfS/AfNS Tätigen überhöht gewesen seien, nicht geklärt werden. Für den Fall, dass die vom Kläger begehrten Unterlagen nicht unter das Stasi-Unterlagengesetz fielen, ergebe sich der Herausgabeanspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes – IFG -.
Der Kläger beantragt,
1.die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der BStU vom 23. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 22. Dezember 2005 zu verpflichten,a.in allen im Zuge der Erteilung von Überführungsbescheiden nach § 8 Abs. 2 AAÜG vom BVA anhand der Unterlagen der BStU geklärten Fällen undb.in allen auf Datenträgern des Gehaltsprojekts des MfS/AfNS elektronisch lesbaren Fällenfolgende anonymisierte Daten in elektronischer Form für den jeweiligen Fall herauszugeben:
- das Bruttoarbeitsentgelt der ehemaligen Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes ohne Wohnungsgeld und den Zeitpunkt der entsprechenden Erstfeststellung bzw. Änderung
- die Zeiten der Unterbrechung der Beitragspflicht (Ausfalltage)
- den Geburtsjahrgang
2.hilfsweise, die Beklagte, vertreten durch die BStU, zu verpflichten, der Weitergabe der vorgenannten Daten durch das BVA zuzustimmen,3.die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BMI vom 1. August 2005 zu verpflichten,a.in allen im Zuge der Erteilung von Überführungsbescheiden nach § 8 Abs. 2 AAÜG vom BVA anhand der Unterlagen der BStU geklärten Fällen undb.in allen beim BVA auf Datenträgern des Gehaltsprojekts des MfS/AfNS elektronisch lesbaren Fällenfolgende anonymisierte Daten in elektronischer Form für den jeweiligen Fall herauszugeben:
- das Bruttoarbeitsentgelt der ehemaligen Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes ohne Wohnungsgeld und den Zeitpunkt der entsprechenden Erstfeststellung bzw. Änderung
- die Zeiten der Unterbrechung der Beitragspflicht (Ausfalltage)
- den Geburtsjahrgang
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an dem angefochtenen Schreiben des BMI und den angefochtenen Bescheiden der BStU aus deren Gründen, die sie vertiefend darlegt, fest. Ergänzend führt sie aus: Die begehrten Unterlagen fielen sämtlich unter das Stasi-Unterlagengesetz, und zwar auch insoweit, als Daten in die vom BVA erstellten Überführungsbescheide übernommen worden seien. Maßgeblich sei insoweit, dass die Überleitungsbescheide ausschließlich auf Grundlage von Informationen aus Stasi-Unterlagen erstellt worden seien. § 20 Abs. 1 Nr.. 9 StUG als einzig in Betracht kommende Grundlage für die Bereitstellung der Daten an den Kläger sei nicht erfüllt. Es sei unerheblich, dass nach ihrer – der Beklagten – Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG allein entscheidungsbefugte öffentliche Stellen – hier: das BVA oder ein Gericht - ersuchensberechtigt seien. Normadressaten des § 20 StUG seien zwar grundsätzlich öffentliche und nichtöffentliche Stellen. Nicht jeder Verwendungszweck richte sich aber an beide. Bei einigen Verwendungszwecken liege es in der Natur der Sache, dass jeweils nur eine öffentliche oder eine nichtöffentliche Stelle zur Erfüllung der in § 20 StUG beschriebenen Aufgabe zuständig sei. So gälten z.B. § 20 Abs. 1 Nr. 6 a und b und Nr. 8 StUG ebenfalls nur für die Verwendung durch öffentliche Stellen; der darin geregelte Verwendungszweck könne nur durch eine öffentliche Stelle erreicht bzw. durch ein Gericht überprüft werden. – Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes sei hier wegen des Vorrangs des Stasi-Unterlagengesetzes nicht einschlägig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Gerichtsakte auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (BMI: 2 Hefte, eine Musterakte des BVA; BStU: ein Heft) verwiesen.
Gründe
Auf Grund des von den Beteiligten im Erörterungstermin am 14. Februar 2007 erklärten Einverständnisses konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Herausgabe der begehrten Daten, die bei der BStU in elektronischer Form geführt werden (Dateien des sog. Gehaltsprojekts des MfS/AfNS) bzw. in den vom BVA erstellten Anlagen zu den Überführungsbescheiden (insbes. Entgeltbescheinigungen) enthalten sind. Die dies ablehnenden Bescheide des BMI und der BStU sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für das Klagebegehren kann das vom Kläger für einschlägig erachtete Stasi-Unterlagengesetz nur insoweit sein, als der Kläger die Herausgabe der bei der BStU geführten elektronischen Dateien des sog. Gehaltsprojekts des MfS/AfNS begehrt. Es handelt sich um Dateien i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 1 a) StUG.
Soweit das BVA Daten aus den von der BStU in Papierform übersandten Besoldungsunterlagen der früheren Stasi-Mitarbeiter herauszieht, aufbereitet, zusammengefasst (Jahres- statt Monatsentgelte) und in jeweils neue Unterlagen mit anderem Datenformat (Entgeltbescheinigungen) übernimmt, ist das Stasi-Unterlagengesetz hingegen nicht einschlägig. Insoweit handelt es sich nicht um Unterlagen im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes.
Das Stasi-Unterlagengesetz geht in seiner Begriffsbestimmung der Unterlage in § 6 Abs. 1 und 2 vom archivrechtlichen Unterlagenbegriff (vgl. § 2 Abs. 8 und 9 BArchG) aus. Dieser fasst Unterlagen – anders als das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes – nicht vom Inhalt her als Informationen auf, sondern begreift sie im physikalischen Sinne als Informationsträger unabhängig von der Form der Speicherung (Akten, Dateien, Schriftstücke, Karten, Pläne, Filme, Bild-, Ton- und sonstige Aufzeichnungen) einschließlich Kopien, Abschriften oder sonstige Duplikate der Informationsträger. Ein mit Hilfe von Stasi-Unterlagen erstelltes Dokument, in das aus Stasi-Unterlagen stammende Daten eingehen (hier: ein mit Hilfe von Daten aus Stasi-Unterlagen erstellter Verwaltungsakt), kann aber auch bei weitem Begriffsverständnis nicht mehr als Kopie, Abschrift oder sonstiges Duplikat eines Informationsträgers i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StUG aufgefasst werden. Er ist ein (neuer) Informationsträger, auf den das Stasi-Unterlagengesetz nicht anwendbar ist. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass das Stasi-Unterlagengesetz eine Nutzung der Stasi-Unterlagen nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der Fragwürdigkeit und Brisanz der in ihnen enthaltenen Informationen einschränkt. Dieses Anliegen ändert aber nichts daran, dass Schutzobjekt die „Unterlage“ und nicht die aus ihr gewonnene Information ist. Anderenfalls würden kaum überwindbare Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn Informationen aus Stasi-Unterlagen verarbeitet und in anderer Form publiziert werden. Ob Informationen aus Stasi-Unterlagen als solche - etwa im Rahmen einer Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes - den Verwendungsbeschränkungen des Stasi-Unterlagengesetzes unterliegen, bedarf hier keiner Entscheidung.
2. Hinsichtlich der – wie gesagt - unter das Stasi-Unterlagengesetz fallenden Dateien aus dem sog. Gehaltsprojekt des MfS/AfNS kann Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren nur § 19 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 StUG sein. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 StUG macht der Bundesbeauftragte Mitteilung an öffentliche und nicht-öffentliche Stellen und gibt ihnen Unterlagen heraus, soweit deren Verwendung nach den §§ 20 – 23, 25 und 26 zulässig ist. § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG lässt die Verwendung von Unterlagen, soweit sie keine personenbezogenen Informationen über Betroffene oder Dritte enthalten, durch öffentliche und nicht-öffentliche Stellen in dem erforderlichen Umfang für die Anerkennung von Beschäftigungszeiten, Zahlung und Überführung der Renten ehemaliger Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes zu. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Soweit sich die Klage gegen den Ablehnungsbescheid des BMI richtet, kann sie auf der Grundlage des Stasi-Unterlagengesetzes schon deshalb keinen Erfolg haben, weil für die Freigabe von Stasi-Unterlagen – sei es von Originalen, sei es von Kopien - allein die Bundesbeauftragte zuständig ist (§§ 2, 19 Abs. 1 – 3 StUG).
Aber auch soweit der Kläger den Ablehnungsbescheid der BStU in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides angreift, ist die Klage unbegründet. Der Kläger ist zwar als eingetragener Verein eine nicht-öffentliche Stelle i.S. der hier einschlägigen §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG. Er verfolgt indes nicht den in der letztgenannten Bestimmung beschriebenen, eine Herausgabe der Unterlagen legitimierenden Zweck.
35Die hier einschlägige Regelung in § 20 Abs. 1 StUG wendet sich in dem Satzteil, der den anschließend aufgezählten Verwendungszwecken vorangestellt ist, an öffentliche und nichtöffentliche Stellen. Das bedeutet aber nicht, dass sich jeder einzelne der in § 20 Abs. 1 Nrn. 1 – 10 StUG genannten Verwendungszwecke sowohl auf öffentliche als auch auf nichtöffentliche Stellen beziehen kann. Soweit die Vorschrift in den Einzeltatbeständen Verwaltungsaufgaben umschreibt, kann Normadressat nach Sinn und Zweck des Gesetzes nur diejenige öffentliche Stelle sein, die als Verwaltungsbehörde für die im Gesetz beschriebene Aufgabe zuständig ist (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 StUG). Zu diesen allein auf die verwaltungsmäßige Nutzung der Unterlagen abhebenden Verwendungstatbeständen zählt auch § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG, da nur die hierfür zuständige Behörde Beschäftigungszeiten anerkennen und Mitarbeiterrenten zahlen und überführen kann. Dieses auf die (verwaltungsrechtliche) Handlungskompetenz abhebende Verständnis des § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG trifft auf die Tätigkeit von Interessenverbänden im Zusammenhang mit den in § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG beschriebenen Verwaltungsaufgaben nicht zu. Der Kläger wird dadurch nicht kategorisch daran gehindert, sich die von ihm begehrten Informationen zu beschaffen. Der Sache nach geht es ihm um eine Aufarbeitung der Tätigkeit und Funktionsweise der Staatssicherheit, zu der auch die statistische Erfassung und Bewertung der Vergütung der Mitarbeiter der Staatssicherheit gehört. Diese regelt § 32 StUG, der hier anwendbar sein dürfte, sofern ein entsprechender Antrag für ein Forschungsprojekt gestellt werden sollte (zu den hierfür geltenden Anforderungen s. Rapp/Lücke, zu: Geiger/Klinghardt, StUG, 2. Aufl. 2006, § 32 Rdn. 5 ff.). Angesichts dieser für den Kläger selbst als Interessenverband nicht einschlägigen Option bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, die Verwendung von Stasi-Unterlagen in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 9 StUG auf öffentliche Stellen zu beschränken.
3. Soweit der Kläger sein Begehren (mit Schriftsatz vom 1. März 2007) vorsorglich auf das Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes - Informationsfreiheitsgesetz/IFG - vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722) stützt, ist die Klage unzulässig. Es fehlt an einem vorherigen Antrag bei der zuständigen Verwaltungsbehörde. Dieser ist hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil der beim BMI gestellte und auf das Stasiunterlagengesetz gestützte Antrag als auf Herausgabe der begehrten Daten nach jedweder Rechtsgrundlage gerichtet hätte aufgefasst werden müssen. Denn das Informationsfreiheitsgesetz ist erst am 1. Januar 2006 und damit nach Klageerhebung gegen den Bescheid des BMI in Kraft getreten. Das BMI konnte den Antrag mithin nicht nach den Maßstäben des Informationsfreiheitsgesetzes prüfen und bescheiden, was aber Voraussetzung für eine zulässige Klage ist (vgl. § 75 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes (Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718) auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Quelle: Verwaltungsgericht Berlin
AK
Man lebt ruhiger, wenn man nicht alles sagt, was man weiß, nicht alles glaubt, was man hört und über den Rest einfach nur lächelt.