Karl IV. Der weise Europäer

Karl IV. Der weise Europäer

Beitragvon pentium » 10. August 2016, 09:31

Kaiser Karl IV. ist in Prag allgegenwärtig - besonders in diesem Jahr. Zu seinem 700. Geburtstag wird der große europäische Herrscher des Spätmittelalters, der auf Tugend statt Tyrannei setzte, mit einer länderübergreifenden Ausstellung geehrt.

Von Oliver Hach
erschienen am 10.08.2016

Prag. Europa driftet auseinander. In diesen Tagen ist viel Säbelrasseln zu vernehmen, viel Unversöhnliches, gewachsen aus Unwissenheit. Die Diplomatie, so scheint es, ist ins Hintertreffen geraten. Es wächst die Sehnsucht nach Vernunft in der Politik. Mancher träumt gar von einem klugen Herrscher, der in der Lage ist, erfolgreich zu verhandeln, der Mentalität, Sprache und Befindlichkeiten der Gegenseite kennt - einem, der "mit Weisheit ohne Krieg den Frieden festigte". So steht es geschrieben anno 1378 in der Leichenpredigt des Prager Erzbischofs Jan von Jenštejn für den verstorbenen römisch-deutschen Kaiser und böhmischen König Karl IV.

Der Monarch ist in Prag heute omnipräsent: Auf der Karlsbrücke über die Moldau reißt der Besucherstrom nie ab. Der Karlsplatz, ein innerstädtisches Parkgelände, war im Mittelalter Europas größter Marktplatz. Die Karls-Universität ist die älteste Universität nördlich der Alpen. Und in ganz Tschechien halten Tausende jeden Tag das Konterfei dieses Idols in der Hand: Karl IV. wurde auf der 100-Kronen-Banknote verewigt.

Die Tschechen verehren ihren Karel. Und im großen Jubiläumsjahr trifft man ihn nun auch in Prager Metrostationen und auf Plakatwänden. Die Nationalgalerie in Prag und das Haus der Bayerischen Geschichte Augsburg richten gemeinsam die Erste Bayerisch-Tschechische Landesausstellung "Kaiser Karl IV. 1316-2016" aus. Hauptkurator Jiří Fajt und sein Team, zu dem auch die Historikerin Susanne Jaeger von der Universität Leipzig gehört, haben dazu aus halb Europa Skulpturen, Gemälde und Schriftdokumente, aber auch Kleidung, Schmuck und Alltagsgegenstände des Spätmittelalters zusammengetragen.

Mit gebeugtem Rücken, den Kopf leicht zur Seite geneigt, schaut Karl IV. auf die Besucher der Wallenstein-Reitschule hinab. Die fast 650 Jahre alte Sandstein-Skulptur vom Altstädter Brückenturm ist eines der Schlüsselexponate der Ausstellung. Denn die Skulptur zeigt den Herrscher so, wie er wohl tatsächlich war: kein Übermensch, sondern eher kleinwüchsig mit sanft blickenden Augen - und gezeichnet von einem Ereignis, das sein Leben verändert hatte.

Geboren am 14. Mai 1316 in Prag als Sohn Johanns von Luxemburg und seiner Gattin Elisabeth aus dem böhmischen Geschlecht der Přemysliden, wurde Karl IV. schon im Alter von sieben Jahren an den Hof des französischen Königs entsandt. In Paris lernte er nicht nur das Hofzeremoniell kennen, sondern bekam auch Unterricht in Latein und Grammatik - die Grundlage für die Entwicklung des jungen Prinzen zu einem polyglotten und kosmopolitisch denkenden Intellektuellen, einem aus heutiger Sicht wahren Europäer. Fünf Sprachen beherrschte der römisch-deutsche König, König von Böhmen und König von Italien: Latein, Deutsch, Tschechisch, Französisch und Italienisch.

Karl IV. erkannte, wie wichtig Bildung ist. Zur Ausbreitung des Wissens gründete er zahlreiche Universitäten, die erste 1348 in seiner Residenzstadt Prag. Die Ausstellung zeigt die Gründungsurkunde und eine Kopie der Petschaft. Die tiefe Frömmigkeit des Monarchen wird durch Reliquien bezeugt, die er sammelte. Karl IV. war aber auch ein Lebemann. Er machte schönen Damen den Hof und trug, sehr zum Missfallen der Geistlichkeit, gern eng anliegende Kleidung.

Seine Leidenschaft für Turniere hätte den Herrscher um ein Haar das Leben gekostet. 1350 wurde er von der Lanze eines Gegners am Kinn getroffen, aus dem Sattel geworfen und erlitt schwerste Verletzungen an Halswirbeln und Rückenmark. Ein Jahr lang dauerte die Genesung. In dieser Zeit verfasste er seine Autobiografie "Vita Caroli Quarti", deren älteste Abschrift in der Landesausstellung zu sehen ist. Auch diese Reflexion über die eigene Herrschaft manifestiert die Abkehr vom traditionellen Verständnis des Königs als erstem Ritter hin zum König der Weisheit und Tugend. Für den Rest seines Lebens war der Monarch von dem Unfall gezeichnet. Mit buckliger Gestalt wurde er 1355 in Rom zum Kaiser gekrönt. Die Krone mit Liliendiadem und Edelsteinen haben die Ausstellungsmacher aus der Schatzkammer des Domkapitels Aachen nach Prag geholt.

Friedfertigkeit indes - auch das belegt die Schau auf der Prager Kleinseite - führt bisweilen zu Schwäche und Ignoranz mit tödlichen Folgen: Die Judenpogrome, zu denen es Mitte des 14. Jahrhunderts in Mitteleuropa kam, hat Karl IV. nicht verhindert. Obwohl die Juden traditionell unter dem Schutz des Kaisers standen, ließ dieser den Reichsstädten hier freie Hand. Das beweist ein Marktbrief von 1349, in dem Karl IV. den Abriss des Nürnberger Judenviertels erlaubt.

Die Bayerisch-Tschechische Landesausstellung räumt mit Stereotypen über Karl IV. auf. Und sie zeigt zugleich, wie eng Deutsche und Tschechen zusammengehören. Die einen, so erklärt es Kurator Fajt, sahen in dem Monarchen lange den gerissenen Pragmatiker und Stiefvater des Reichs, die anderen den ruhmreichsten Vater des Vaterlandes. Heute haben sich beide Seiten in der Rezeption angenähert.

Der Geist des weisen, gelehrten Regenten reicht in seiner Bedeutung aber noch weit über Europa hinaus. "Mit Waffen kann man Terroristen töten - mit Bildung Terrorismus", dieser Satz wird heute der pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai zugeschrieben. Karl IV. hatte dies schon im 14. Jahrhundert erkannt.

Die Landesausstellung "Kaiser Karl IV. 1316-2016" ist noch bis zum 25. September in der Wallenstein-Reitschule der Nationalgalerie in Prag, Valdštejnská 3 zu sehen. Eintritt und Ausstellungskatalog: je 280 Kronen. Vom 20. Oktober 2016 bis 5. März 2017 wird die Schau dann im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gezeigt.

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