Die alltägliche „Erziehungsdiktatur“ DDR
Verfasst: 18. Mai 2017, 10:52
Um die Diktatur der DDR zu begreifen, genügt es nicht, die offensichtlichen Merkmale wie das Ministerium für Staatssicherheit sowie die politische Justiz und Haft zu betrachten. Waren diese Repressionsinstrumente am Anfang der DDR oft noch brutal. geprägt vom sowjetischen Stalinismus, so änderte sich das deutlich mit dem Streben nach internationaler Anerkennung ab den 70er Jahren.Um die Diktatur in ihrer Wirkung zu begreifen, muss man sich klar machen, dass das politische Verständnis der SED-Regierung das gesamte gesellschaftliche bis hinein ins persönliche Leben durchzog. Die diffizilen Wirkungsmechanismen waren allgegenwärtig, aber erst bei Abweichung von der vorgegebenen Norm wurden sie wirksam.
Am deutlichsten war das in allen Bereichen, in denen es der Staat mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatte, denn die galt es „zu formen“. Lehrer waren „Sprachrohr des Staates“ und wurden als solche „geführt“, die Freizeitarbeit mit Kindern und Jugendlichen, organisiert von hauptamtlichen Pionierleiter/innen und FDJ-Funktionären sollte vollständig unter staatlicher Kontrolle sein. In der Schule war das Fach „Staatsbürgerkunde“ ab der 7. Klasse Unterrichtsfach, die ideologische Erziehung durchdrang aber alle Fächer: Heimatkunde, Deutsch, „Geschichte“, Erdkunde, je selbst im Fremdsprachenunterricht war das ab der 5. Klasse für alle obligatorische Fach Russisch von den „heroischen Erfolgen“ unseres sowjetischen „Brudervolkes“ geprägt und im Englisch- oder Französisch-Unterricht nahm der „Klassenkampf der Arbeiter und Bauern“ breiten Raum in den Texten ein. Ziel war es, „sozialistische Persönlichkeiten“, „überzeugte Marxisten“ (natürlich im Sinne der marxistisch-leninistischen SED), „klassenbewusste Staatsbürger“ und „patriotische Internationalisten“ heranzuziehen.
Dieses System ständiger staatlicher Bevormundung verlangte vor allem eines: Anpassung. Wer als Jugendlicher (und ebenso als Erwachsener) immer in den vorgegebenen Bahnen blieb und die Bestätigungsrituale vollzog, wenn auch innerlich ablehnend, hatte wenig zu befürchten. Der konnte es sich in der DDR gemütlich einrichten. Und viele haben den erzwungenen Verzicht auf eigene Meinungsäußerung, auf kritische Mitbestimmung und auf bürgerliche Freiheit und Eigenständigkeit zunehmend nicht mehr wahrgenommen.
Wer sich so als „Sozialistische Persönlichkeit“ erwartungsgemäß verhielt, wurde belohnt: Alle höheren Bildungswege und Karriereschritte wurden als vom Staat gewährte „Auszeichnung“, nicht als selbstverständliches Recht bei guten Leistungen gehandhabt.
Auf die EOS („Erweiterte Oberschule“ bis zum Abitur) kam nur, wer nicht negativ aufgefallen war, auch wenn sie oder er beste schulische Leistungen vorweisen konnten. Die Verpflichtung, als „Soldat auf Zeit“ (3. Jahre) oder Berufsoffizier seinen „Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee“ zu leisten, zeitweilig auch die Verpflichtung als Lehrer/in (!), war dagegen ein Türöffner für das Abitur und den gewünschten Studienplatz, selbst bei mangelnden Leistungen. Studienplätze wurden zentral vergeben, eine Ablehnung nicht begründet.
Aber wer abwich, wer seinen eigenen Weg gehen wollte, bekam die Diktatur zu spüren: „Tramper“, „Punker“ wurden wegen „asozialem Verhalten“ vor Gericht gestellt, ebenso diejenigen , die sich ausprobieren wollten und deshalb keinen festen Arbeitsplatz hatten. Wer die DDR „unberechtigt“ verlassen wollte sowieso, wer seine eigene Meinung vertrat oder sich als Christ bekannte, bekam ins Zeugnis geschrieben dass er sich noch „einen klaren Klassenstandpunkt erarbeiten“ müsse und musste damit rechnen, keine Zulassung zum Abitur, zum Studium, zu begehrten Berufsausbildungen zu bekommen.
Und wer gar die einzige legale Möglichkeit, den Waffendienst in der NVA zu verweigern in Anspruch nahm und „Bausoldat“ (Soldat in der NVA, aber ohne Waffenausbildung, nur ganz wenigen bekannt und außer in der kirchlichen Öffentlichkeit nirgends bekannt gemachte) wurde, hatte – bis auf ganz wenige Ausnahmen – keine Chance mehr, einen Studienplatz zu bekommen.
So wurde die Erziehungsdiktatur mit ihrer immer selbstverständlichen Verwurzelung im Alltag von einer steigenden Mehrzahl immer weniger wahrgenommen. Innerhalb der vorgegebenen Bahnen organisierten Jugendliche genauso wie Erwachsene ihr Dasein, suchten sie ihre Freiräume und lebten ihr Leben. Gleichzeitig ging das Bewusstsein für das „Unnormale“ daran mehr und mehr verloren.
Diese Haltung, sich anzupassen, nicht auffallen zu wollen und verbriefte Rechte nicht einzufordern, haben viele in der DDR aufgewachsene Bürger bis heute nicht abgelegt.
Aber jeder, der das kritisiert frage, sich selbst, ob er nicht genauso wäre, wenn er unter diesen Umständen der „Erziehungsdiktatur“ groß geworden wäre.
http://www.gesellschaft-zeitgeschichte. ... sdiktatur/
Eine Frage, die wohl die meisten mit ja beantworten müssten, wollten sie ihre Existenz und die ihrer Familie nicht gefährden. Allerdings stellt sich mir gleichzeitig auch die Frage, warum diejenigen, welche damals Diener oder Anhänger dieses Systems waren und heute sich nicht schämen, SED - Unrecht und Verbrechen zu leugnen oder schönzureden, ungestraft tun können und sogar in Behörden und Ämtern ihren Dienst tun können?
Am deutlichsten war das in allen Bereichen, in denen es der Staat mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatte, denn die galt es „zu formen“. Lehrer waren „Sprachrohr des Staates“ und wurden als solche „geführt“, die Freizeitarbeit mit Kindern und Jugendlichen, organisiert von hauptamtlichen Pionierleiter/innen und FDJ-Funktionären sollte vollständig unter staatlicher Kontrolle sein. In der Schule war das Fach „Staatsbürgerkunde“ ab der 7. Klasse Unterrichtsfach, die ideologische Erziehung durchdrang aber alle Fächer: Heimatkunde, Deutsch, „Geschichte“, Erdkunde, je selbst im Fremdsprachenunterricht war das ab der 5. Klasse für alle obligatorische Fach Russisch von den „heroischen Erfolgen“ unseres sowjetischen „Brudervolkes“ geprägt und im Englisch- oder Französisch-Unterricht nahm der „Klassenkampf der Arbeiter und Bauern“ breiten Raum in den Texten ein. Ziel war es, „sozialistische Persönlichkeiten“, „überzeugte Marxisten“ (natürlich im Sinne der marxistisch-leninistischen SED), „klassenbewusste Staatsbürger“ und „patriotische Internationalisten“ heranzuziehen.
Dieses System ständiger staatlicher Bevormundung verlangte vor allem eines: Anpassung. Wer als Jugendlicher (und ebenso als Erwachsener) immer in den vorgegebenen Bahnen blieb und die Bestätigungsrituale vollzog, wenn auch innerlich ablehnend, hatte wenig zu befürchten. Der konnte es sich in der DDR gemütlich einrichten. Und viele haben den erzwungenen Verzicht auf eigene Meinungsäußerung, auf kritische Mitbestimmung und auf bürgerliche Freiheit und Eigenständigkeit zunehmend nicht mehr wahrgenommen.
Wer sich so als „Sozialistische Persönlichkeit“ erwartungsgemäß verhielt, wurde belohnt: Alle höheren Bildungswege und Karriereschritte wurden als vom Staat gewährte „Auszeichnung“, nicht als selbstverständliches Recht bei guten Leistungen gehandhabt.
Auf die EOS („Erweiterte Oberschule“ bis zum Abitur) kam nur, wer nicht negativ aufgefallen war, auch wenn sie oder er beste schulische Leistungen vorweisen konnten. Die Verpflichtung, als „Soldat auf Zeit“ (3. Jahre) oder Berufsoffizier seinen „Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee“ zu leisten, zeitweilig auch die Verpflichtung als Lehrer/in (!), war dagegen ein Türöffner für das Abitur und den gewünschten Studienplatz, selbst bei mangelnden Leistungen. Studienplätze wurden zentral vergeben, eine Ablehnung nicht begründet.
Aber wer abwich, wer seinen eigenen Weg gehen wollte, bekam die Diktatur zu spüren: „Tramper“, „Punker“ wurden wegen „asozialem Verhalten“ vor Gericht gestellt, ebenso diejenigen , die sich ausprobieren wollten und deshalb keinen festen Arbeitsplatz hatten. Wer die DDR „unberechtigt“ verlassen wollte sowieso, wer seine eigene Meinung vertrat oder sich als Christ bekannte, bekam ins Zeugnis geschrieben dass er sich noch „einen klaren Klassenstandpunkt erarbeiten“ müsse und musste damit rechnen, keine Zulassung zum Abitur, zum Studium, zu begehrten Berufsausbildungen zu bekommen.
Und wer gar die einzige legale Möglichkeit, den Waffendienst in der NVA zu verweigern in Anspruch nahm und „Bausoldat“ (Soldat in der NVA, aber ohne Waffenausbildung, nur ganz wenigen bekannt und außer in der kirchlichen Öffentlichkeit nirgends bekannt gemachte) wurde, hatte – bis auf ganz wenige Ausnahmen – keine Chance mehr, einen Studienplatz zu bekommen.
So wurde die Erziehungsdiktatur mit ihrer immer selbstverständlichen Verwurzelung im Alltag von einer steigenden Mehrzahl immer weniger wahrgenommen. Innerhalb der vorgegebenen Bahnen organisierten Jugendliche genauso wie Erwachsene ihr Dasein, suchten sie ihre Freiräume und lebten ihr Leben. Gleichzeitig ging das Bewusstsein für das „Unnormale“ daran mehr und mehr verloren.
Diese Haltung, sich anzupassen, nicht auffallen zu wollen und verbriefte Rechte nicht einzufordern, haben viele in der DDR aufgewachsene Bürger bis heute nicht abgelegt.
Aber jeder, der das kritisiert frage, sich selbst, ob er nicht genauso wäre, wenn er unter diesen Umständen der „Erziehungsdiktatur“ groß geworden wäre.
http://www.gesellschaft-zeitgeschichte. ... sdiktatur/
Eine Frage, die wohl die meisten mit ja beantworten müssten, wollten sie ihre Existenz und die ihrer Familie nicht gefährden. Allerdings stellt sich mir gleichzeitig auch die Frage, warum diejenigen, welche damals Diener oder Anhänger dieses Systems waren und heute sich nicht schämen, SED - Unrecht und Verbrechen zu leugnen oder schönzureden, ungestraft tun können und sogar in Behörden und Ämtern ihren Dienst tun können?