Häftlingsprotest in der DDR - "Beten Sie mit uns, dass das hier friedlich abläuft"Hilfeschrei in letzter Minute: Hunderte Häftlinge besetzten in den letzten Tagen der DDR die Dächer ihrer Gefängnisse. Sie fürchteten, im Wiedervereinigungstaumel vergessen zu werden.Verhandlung: Wenige Tag vor der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 besetzten Hunderte Strafgefangene in der ganzen DDR die Dächer ihrer Strafanstalten. Das Foto zeigt Innenminister Peter-Michael Diestel auf dem Dach der Untersuchungshaftanstalt in Leipzig bei Verhandlungen im Juli 1990. Eigentlich wollte Johannes Drews über "Glaubens- und Lebensfragen" diskutieren. Wie es der katholische Pfarrer seit Monaten in der Strafvollzugseinrichtung Brandenburg an der Havel tat. Doch an diesem Abend des 19. September 1990 wollte sich keine Ruhe einstellen.
Gegen 22 Uhr verließ Drews die Haftanstalt. Es war bereits nach Mitternacht, als das Telefon in seiner Wohnung schrillte. Gerade hatten die Wachen die vermissten Häftlingen entdeckt - im Licht eines Scheinwerfers saßen sie hoch oben auf dem alten Verwaltungsgebäude der Haftanstalt.
Drews raste mit seinem roten Wartburg zum Gefängnis. Bis heute hat er die Worte eines Häftlings im Kopf: "Na, Pfarrer, jetzt können Sie nur noch mit uns beten, dass das hier friedlich abläuft."
In den folgenden Tagen besetzen Hunderte Gefangene in der gesamten DDR Dächer von Haftanstalten oder traten in den Hungerstreik. Sie hatten Angst, im Wiedervereinigungstaumel vergessen zu werden.
"Menschenunwürdig"Fast 25.000 Verurteilte saßen im März 1989 in den Gefängnissen des Arbeiter- und Bauernstaates ein. Und machten die DDR zumindest in diesem Bereich zum Spitzenreiter. Während in der Bundesrepublik nur 66 von 100.000 Bürgern inhaftiert waren, waren es in Ostdeutschland 149.DDR-Richter verhängten gemäß dem ideologisch beeinflussten Strafgesetzbuch hohe Freiheitsstrafen - gerade bei politischen Straftaten wie der versuchten Republikflucht. Von rechtsstaatlichen Verhältnissen war das Land weit entfernt: Die Stasi erpresste in manchen Fällen Geständnisse, ein freier Zugang zu einem Anwalt war nicht gewährleistet.
Die Strafgefangenen fristeten ihr Leben in maroden und überfüllten Haftanstalten wie etwa in Brandenburg an der Havel. Einst für rund 1900 Häftlinge errichtet, pferchte der DDR-Strafvollzug bisweilen bis zu 3000 Männer in das größte Gefängnis des Landes ein. Bei einer Pressekonferenz am 5. Dezember 1989 durfte Drews, der seit über einem Jahr dort Gefängnisseelsorger war, zum ersten Mal die Zellen der Gefangenen sehen. "Die Unterbringung war menschenunwürdig", erinnert er sich im Gespräch mit einestages. "Ein kleiner Haftraum war mit zwölf Gefangenen belegt. Dreistockbetten, ein kleiner Tisch und vier Stühle."
Unwürdig: Strafgefangene lebten in DDR-Gefängnissen meist unter unwürdigen Bedingungen. Die Zellen waren klein und überbelegt, die Bausubstanz oft marode. Das Bild wurde 1990 in einer Berliner Untersuchungshaftanstalt aufgenommen.Mit dem Bericht und weiteren Fotos geht es hier weiter:
http://www.spiegel.de/einestages/dachbe ... 52979.html