DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon augenzeuge » 3. Oktober 2017, 15:51

Bis in die 70er-Jahre bot die britische BBC DDR-Bürgern die Chance, im Radio Kritik zu üben. Die Stasi tat alles, um die Autoren ausfindig zu machen. Erst jetzt wurden die anonymen Briefe entdeckt.

Die Schriftstellerin Susanne Schädlich hat diesen erstaunlichen Fund gehoben und jetzt in ihrem Buch „Briefe ohne Unterschrift“ veröffentlicht. Historisch sind die Dokumente deshalb, weil sie einen ganz unverstellten Einblick in die Gemütslage der DDR-Bürger geben, die hier offen vom Leder ziehen. Befreit von ideologischen Fesseln und vom heimischen Überwachungsapparat reden die Menschen über alles, was sie in ihrem Alltag bedrückt: Sie klagen über die miese Versorgungslage, verurteilen die mangelnde Meinungs- und Pressefreiheit, empören sich über den Bau der Mauer und ihr Eingesperrtsein.

Der Erfolg der Stasi, der Schreiber habhaft zu werden, war gering.

Beispiele von Briefen, die DDR-Bürger an die BBC schrieben und die in den Jahren 1949 bis 1974 jeden Freitagabend im deutschsprachigen Programm des Radiosenders verlesen wurden:
„Ich bin ein Schüler der 8. Klasse und im (Ost-Berliner) Bezirk Lichtenberg geboren. Wir bekommen in der Schule lauter Quatsch über die Politik zu hören. Darum höre ich Ihre Sendung so gerne. Ich verurteile den Sozialismus in der DDR sehr. Aber leider können wir nichts machen.


Eine erst 16-Jährige schreibt: „Zur Erweiterten Oberschule bin ich ja doch nur gekommen, weil ich in der Schule was verstanden habe, vor allem aber weil ich es verstanden habe, in gewissen Situationen gewissen Leuten nach dem Mund zu reden bzw. zu schweigen. Ich finde das selbst von mir charakterlos. Aber was soll ich machen? Wir werden ja zur Lüge erzogen. Manchmal kann ich Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden.“


Ein Soldat beklagt das Regiment in der NVA: „Soldaten, die gerade ein Jahr ihren Dienst versehen, aber haben schon, auf Deutsch gesagt, die Schnauze voll. Hier hört man den ganzen Tag weiter nichts als – Erhöhung der Einsatzbereitschaft. Und das ewige Gequatsche von den kriegslüsternen westlichen Imperialisten. Ich sage Ihnen, das habe ich satt.“


https://www.welt.de/geschichte/article1 ... isten.html

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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Spartacus » 3. Oktober 2017, 16:42

Was es alles so gab. Habe ich auch noch nicht gewußt. [hallo]

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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon pentium » 3. Oktober 2017, 16:54

Spartacus hat geschrieben:Was es alles so gab. Habe ich auch noch nicht gewußt. [hallo]

LG

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Na ja, den Artikel hat sicher wieder der Praktikant der Redaktion geschrieben. Wo hat diese Schriftstellerin den diese Briefe gefunden, bei der BBC? Im übrigen, BBC = British Broadcasting Corporation.
Eine "britische BBC" wie geschrieben ist Mumpitz! Genau wie BBC London. London ist der Sitz der BBC. Das ist so als würde man ZDF Mainz schreiben. Mal davon abgesehen, wie hoch war die Reichweite der BBC zur damaligen Zeit in der DDR, anders gefragt, wer hat sich die Sendungen (sicher auf Kurzwellen) in der DDR angehört?
Fazit: Man sollte die Sache nicht überbewerten, zumal ja 1974? die Sendung eingestellt wurde. Aber schön das es erwähnt wird.

...
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon augenzeuge » 3. Oktober 2017, 17:05

Pentium, hast du jemals BBC gehört?

Eine "britische BBC" wie geschrieben ist Mumpitz! Genau wie BBC London.
Oh, da irrst du dich aber.

https://www.youtube.com/channel/UCBwejc ... NgrkHQ5-6A

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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon pentium » 3. Oktober 2017, 17:16

Ja habe ich! Auf Kurzwelle, genauso wie den deutschen Dienst von Radio Kanada und RSA (Radio-Südafrika), und viele mehr, damals in der DDR. Mir ging es ja mehr um die "britische BBC"...
...
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon pentium » 3. Oktober 2017, 17:27

Susanne Schädlich fand zufällig in Stasi-Akten einen Hinweis auf abgefangene Briefe Ostdeutscher an die Londoner BBC. Sie wurden dort viele Jahre in einer in der DDR beliebten Hörfunksendung verlesen. Hier ihr Bericht. Sie hat inzwischen in einem britischen Archiv Originalbriefe gefunden und konnte einen vom MfS aufgespürten und verurteilten Briefschreiber interviewen. Daraus ist ein Buch entstanden....

Die BBC-Sendung „Briefe ohne Unterschrift“ lief von 1949 bis 1974 am Freitagabend 20.15 Uhr. Die Briefe wurden an wechselnde Deckadressen in Berlin (West) geschickt und nach London weitergeleitet. Die Stasi fing jährlich bis zu 1.000 Briefe ab und suchte intensiv nach den Briefschreibern.

Im Zuge der KSZE-Entspannungspolitk wurde die Sendung eingestellt. In den letzten Jahren häufte sich in den Briefen die Kritik an der sozialliberalen Ostpolitik, die der SED nach Meinung der Briefschreiber zu weit entgegenkam.

...

Also sollte man das Buch lesen und sich dann hier wieder versammeln.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Interessierter » 3. Oktober 2017, 17:33

Wenn ich mich nicht irre, behaupten doch noch auch nach fast 3 Jahrzehnten User, dass man doch nur wegen der " Fleischtöpfe "gerne in der Bundesrepublik gelebt hätte... [flash]

Diese Briefe belegen aber mal wieder genau das Gegenteil. SED Lügen und Propaganda scheinen irgendwie bei manchen Menschen fest eingemeißelt zu sein.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon augenzeuge » 3. Oktober 2017, 17:49

pentium hat geschrieben:Also sollte man das Buch lesen und sich dann hier wieder versammeln.


Muss man doch gar nicht. Ich bin ehrlich gesagt froh, wenn es gelingt, etwas neues zu finden, was wir hier noch nicht hatten.

Und wenn ich lese, wieviele Briefe dort landeten, welchen Inhalt diese hatten, dann ist das schon wichtig. Das sollte unstrittig sein.

Nicht zuletzt auch weil die Stasi der Suche einen nicht geringen Stellenwert einräumte. Teilweise ja auch mit Erfolg...
So wurde der Schüler Karl-Heinz Borchardt aus Greifswald geschnappt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er den Einmarsch der Roten Armee 1968 in Prag verurteilt hatte.


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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Wosch » 3. Oktober 2017, 18:23

Ein par Jahre frueher konnte "BBC" hoeren noch den Kopf gekostet haben.
Als junger Bengel hatte ich auch mein Glueck versucht den Sender rein zu kriegen, war mir aber auf Dauer zu beschwerlich und Ich schwenkte dann auf den RIAS um, der wurde trotzt der Stoersender bei uns einigermassen gut empfangen-man durfte von dem Gehoerten nur nichts nach draussen dringen lassen.
Auch wenn Es hin und wieder abgestritten wird, fuer das Hoeren dieses Senders konnte man zu meiner DDR-Zeit schon mal etwas larger weggesperrt werden. Fuer meine Mutter als Lehrerin waeren die Unannehmlichkeiten mit Sicherheit auch nicht Klein gewesen. Aehnliche Briefe gingen auch ans ZDF zu Haenden Von Gerhard Loewenthal und wurden in seiner Sendung Von ihm verlesen.

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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Wosch » 4. Oktober 2017, 19:28

Ich vermisse den Beitrag vom @emw- mitarbeiter und den meine darauf folgende Antwort.
Für eine Aufklärung wäre ich dankbar.
Hchachtungsvoll,
Wosch.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Wosch » 5. Oktober 2017, 22:42

Wosch hat geschrieben:Ich vermisse den Beitrag vom @emw- mitarbeiter und den meine darauf folgende Antwort.
Für eine Aufklärung wäre ich dankbar.
Hchachtungsvoll,
Wosch.



Kann doch nicht so schwer sein meine Frage zu beantworten.

Mit besonderer Hochachtung,
Wosch.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon augenzeuge » 6. Oktober 2017, 09:09

Wosch hat geschrieben:
Wosch hat geschrieben:Ich vermisse den Beitrag vom @emw- mitarbeiter und den meine darauf folgende Antwort.
Für eine Aufklärung wäre ich dankbar.
Hchachtungsvoll,
Wosch.



Kann doch nicht so schwer sein meine Frage zu beantworten.

Mit besonderer Hochachtung,
Wosch.


Wosch, es kommt vor, dass User einen geschriebenen Beitrag wieder löschen möchten. Im Einzelfall wird das auch vom Team umgesetzt.
In diesem Zusammenhang werden Beiträge, die sich direkt auf den zu löschenden Beitrag beziehen, ebenfalls gelöscht.

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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Wosch » 6. Oktober 2017, 11:35

Recht herzlichen Dank für die erschöpfende Auskunft, nun weiß ich ja Bescheid. [wink]

Wosch, der sich immer über "vernünftige" Regeln erfreut zeigt, auch wenn sie manchmal unverständlich erscheinen.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Interessierter » 22. August 2018, 10:42

Gefängnis für ein bisschen Meinung

DDR Bürger des sozialistischen Staates, die Briefe an den britischen Sender BBC schrieben, galten dem Regime als Verräter. Viele taten es trotzdem, wie ein neues Buch verrät
Von Roland Mischke

1969 wurden Hunderte Greifswalder Schüler gezwungen, am Schulort Hausarbeiten zu schreiben. Diese wurden ihnen sofort abgenommen. Schriftsachverständige im Dienst der Stasi prüften die Texte und verglichen sie mit einem abgefangenen Brief, den ein Greifswalder Schüler über eine Deckadresse an die BBC geschrieben hatte. Der „Täter“ wurde identifiziert: Karl-Heinz Borchardt, 18 Jahre jung. Sieben Schergen des Staatssicherheitsdienstes holten ihn ab. Grund dafür war, dass der junge Mann schon mit 16 sich ein bisschen Meinungsfreiheit herausnahm. Er klagte beim Klassenfeind über den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei, die den „Prager Frühling“ niederschlugen.

Borchardt verbrachte acht Monate in Untersuchungshaft in Rostock, wurde dann in die Stasi-Haftanstalt Roter Ochse nach Halle verlegt, später in den Jugendknast Dessau. Ein Leutnant des Ministeriums des Innern erklärte ihm im Verhör: „Bei den Nazis hätten wir dich schon längst durch den Schornstein gejagt!“ Borchardt schrieb insgesamt drei Briefe an die BBC. Der Londoner Sender verlas in „Briefe ohne Unterschrift“ anonyme Schreiben von DDR-Bürgern. Meist Beschwerden über Gängelung, Mangelwirtschaft, Funktionärsherrschaft und das mühselige Leben im sozialistischen Staat.

Für die Briten war das Journalismus, der aufklärte. Für DDR-Funktionäre war das Verrat im Sinne einer Zersetzungsabsicht des noch jungen Staates. Mit Schriftvergleichen, Speichelproben, „Sichern latenter Fingerspuren“, Vergleich von Schnittkanten, Farbsubstanz und Klebstoff wurde verfolgt, wer zwischen 1955 und 1975 im Verdacht stand, im britischen Radio aus der Arbeiter-und-Bauern-Welt zu berichten. Immer am Freitagabend, 45 Minuten lang in deutscher Sprache, zitierten Sprecher aus anonymen Schreiben. Die meisten Briefschreiber wurden nicht gefasst und bestraft, denn der Stasi-Laden war nicht auf dem besten Stand der Überwachungstechnik. Immerhin umfasst der Bestand 233 Ordner. Die BBC stellte die Sendung ein, nachdem auch Großbritannien die DDR anerkannt hatte.

Manchmal hat es doch Sinn, einen Stasi-Zuträger in der Familie gehabt zu haben. Susanne Schädlich, die Tochter des Schriftstellers Hans Joachim Schädlich und Nichte von Karlheinz Schädlich, kam dadurch an hochbrisantes Material heran, das als verschollen galt. Daraus hat die 51-Jährige ein spannendes Buch gemacht.

Karlheinz Schädlich war Historiker mit dem Spezialgebiet englische Geschichte. Ab 1975 bespitzelte er als IM „Schäfer“ seinen populären Schriftstellerbruder, aber auch Günter Grass. Als er 1992 entlarvt wurde, schrieb er noch die Erzählung „Die Sache mit B.“, entschuldigte sich telefonisch bei einigen, über die er Material gesammelt hatte, und erschoss sich auf einer Ost-berliner Parkbank.

Austin Harrison war der Journalist, der die BBC-Sendung eingerichtet hatte. Er sprach Deutsch, die Stasi hatte auf ihn, der hin und wieder West- und Ostberlin besuchte, eigens mehrere Leute angesetzt. Harrison galt als Agent des britischen Secret Intelligence Service, zeitweise war eine Liquidierung des verhassten Medienmannes im Gespräch. Doch Harrison starb 1981 friedlich eines natürlichen Todes in England. Er hatte sich gewünscht, dass die Briefe als Buch erschienen; Susanne Schädlich hat seinen Wunsch nun posthum erfüllt.

Heute erscheint es unfassbar, warum ein junger Mann wie Karl-Heinz Borchardt für solche Zeilen zwei Jahre in Haft war. „Ich bin noch Schüler und habe daher vielleicht nicht so den Durchblick“, schrieb er, „aber mich würde doch interessieren, wie es kommt, dass dieser Staat sich so lange halten kann.“ Er kenne niemand, „der wirklich von diesem Staat begeistert ist“. Da bestand die DDR aber noch weitere zwei Jahrzehnte fort.

https://www.augsburger-allgemeine.de/ku ... 03596.html
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon zonenhasser » 22. August 2018, 14:44


Susanne Schädlich liest aus ihrem Buch

Als Kind und Jugendlicher habe ich diese Sendung gern gehört. Das Kurzwellen-Fading machte die Sache nur spannender.

Schreibt ein Mann aus der DDR seiner Oma im Westen:

"Liebe Oma, mir geht es gut. Wir haben eine Neubauwohnung, einen Trabant und einen Schrebergarten. Es gibt auch Dinge, die mir in der DDR nicht gefallen. Das kann ich Dir nicht schreiben, weil bei uns manchmal Briefe geöffnet werden."

Darauf folgt eine Anklage wegen Staatsverleumdung: "In der DDR werden keine Briefe geöffnet!"
Die “Rote Fahne” schrieb noch “wir werden siegen”, da hatte ich mein Geld schon in der Schweiz.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon zonenhasser » 4. November 2019, 15:08

Anonyme DDR-Hörerbriefe entdeckt "Schreiben Sie uns, wo immer Sie sind"

Schriftvergleiche, Speichelproben, Hausaufgaben-Tests: Die Stasi verfolgte jeden, der heimlich an die BBC schrieb. Anonyme DDR-Briefe, die es trotzdem ins britische Radio schafften, schienen verschollen - bis Susanne Schädlich ihre Spur aufnahm.


https://www.spiegel.de/geschichte/ddr-a ... 57333.html

Ein Bild von 19: Bild
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon zonenhasser » 6. April 2020, 22:21

Fundstücke im Museum für Kommunikation in Berlin


Berlin Seine Sammlung mit politischen DDR-Witzen landete im Feuer. Und das war gut so. Karl-Heinz Borchardt hatte die Blätter bei seiner Verhaftung in Greifswald kurz nach seinem 18. Geburtstag in einem unbeobachteten Moment aus dem Fenster werfen können.

Eine Nachbarin habe die Papiere aufgesammelt und dann verbrannt, gibt der heutige Rentner zu Protokoll. Zu sehen und zu hören ist der Zeitzeuge jetzt in der virtuellen Ausstellung "Briefe ohne Unterschrift" des Berliner Museums für Kommunikation.

Die geplante Ausstellungseröffnung vor wenigen Tagen platzte wegen der Coronakrise, nun gebe es eine digitale Variante, sagt Museumschefin Anja Schaluschke. "Das ist ein spannendes Stück Ost-West-Geschichte", sagt die 52-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.

Es geht um eine BBC-Radiosendung aus London, in der jeden Freitagabend im deutschsprachigen Programm Briefe von DDR-Bürgern vorgelesen wurden. Ungeschöntes und Kritisches aus dem Alltag in der Deutschen Demokratischen Republik wurde so öffentlich. Die Absender blieben anonym und gaben sich Phantasienamen.

Es seien auch Schreiber zitiert worden, die der DDR gegenüber positiv eingestellt waren, betont die Museumschefin. Es habe sich ein gesellschaftlicher Diskurs entwickelt, der in der DDR so nicht stattgefunden habe. "Da wurde ein Stück Demokratie zugelassen", so Schaluschke.

Den Sender erreichten laut Museum von 1949 bis 1974 mehr als 40 000 Briefe aus der DDR – verschickt über Deckadressen in West-Berlin. Moderator Austin Harrison ermunterte die Zuhörer: "Schreiben Sie uns, wo immer Sie sind, was immer Sie auf dem Herzen haben."

Auch er habe an die BBC geschrieben, sagt Karl-Heinz Borchardt. West-Fernsehen habe er nicht empfangen können in Greifswald, also habe er Radiosender gesucht. Ihn machte die Staatssicherheit ausfindig, er kam in Untersuchungshaft und wurde dann wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu zwei Jahren Haft verurteilt.

An den Sender hatte er sich als "schreibender Schüler" nach der Niederschlagung des Prager Frühlings gewandt. Er habe seine Meinung sagen wollen und sich nicht im Propagandakrieg der Systeme missbraucht gefühlt, meint Borchardt heute.

Die Stasi habe die Sendung als Hetzsendung gegen die DDR eingestuft und mit großem Aufwand versucht, die Schreiber zu identifizieren, so das Museum. Briefe wurden abgefangen. Handschriften seien analysiert, konspirativ Speichelproben beschafft worden. Auch die BBC-Mitarbeiter gerieten in den Fokus der Stasi. Harrison wurde überwacht, ihn sah die Stasi als Agenten des britischen Geheimdienstes.

Die Berliner Ausstellung, die von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert wurde, basiert laut Museum auf dem Buch "Briefe ohne Unterschrift. Wie eine BBC-Sendung die DDR herausforderte" von Susanne Schädlich. Die Autorin hatte Tausende Schreiben in einem BBC-Archiv entdeckt. In ihrem Buch wird aus einem Brief nach dem Mauerbau vom 13. August 1961 zitiert: "Wenn es vor dem schon dies und das nicht gab, so gibt es jetzt überhaupt nichts mehr: keinen Pfeffer, keine Zwiebeln, keinen Reis, von Obst und Gemüse ganz zu schweigen." Ein Soldat beklagte in seinem Schreiben: "Soldaten, die gerade 1 Jahr ihren Dienst versehen, aber haben schon, auf Deutsch gesagt, die Schnauze voll. Hier hört man den ganzen Tag weiter nichts als – Erhöhung der Einsatzbereitschaft. Und das ewige Gequatsche von den kriegslüsternen westlichen Imperialisten. Ich sage Ihnen, das habe ich satt."

In der virtuellen Ausstellung sagt Schädlich, es hätten sich Lehrer, Arbeiter, Bauern, Akademiker an den Sender gewandt. Wer Kritisches loswerden wollte, habe Moderator Harrison als Freund, als Vertrauen angesehen und auch so geschrieben.

Dass die Sendung letztlich eingestellt wurde, lag aus Sicht von Schädlich an der veränderten Lage. Zum einen sei die Postkontrolle der Stasi immer ausgetüftelter geworden. Zudem seien in internationalen Verträgen quasi zwei deutsche Staaten festgeschrieben worden. Und dann schickte Großbritannien 1974 einen Botschafter in die DDR.

moz.de 04.04.2020

Museum für Kommunikation Berlin
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon zonenhasser » 7. April 2020, 13:32

https://www.youtube.com/watch?time_cont ... e=emb_logo
Karl-Heinz Borchardt über die Sendung "Briefe ohne Unterschrift", seine Jugend in der DDR und seine Verhaftung mit der Begründung des Verfassens eines sogenannten "Hetzbriefes" an die Sendung des German Service der BBC.

https://www.youtube.com/watch?time_cont ... e=emb_logo
"Briefe ohne Unterschrift" - Susanne Schädlich im Interview
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon zonenhasser » 7. April 2020, 14:04

https://www.youtube.com/watch?time_cont ... e=emb_logo

Günter Burkart arbeitete im Team des German Service der BBC und ist als Redakteur in der Sendung "Briefe ohne Unterschrift" von 1966 - 1974 aktiv. Er berichtet über den Sendeablauf, die Bedeutung der Sendung und den Moderator Austin Harrison.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Interessierter » 7. April 2020, 16:09

Interessant und gleichzeitig immer wieder erschreckend, wie diese SED Schergen mit kritischen und andersdenkenden jungen Menschen umgingen.

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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon zonenhasser » 7. April 2020, 22:01

Bild © BBC

Dieser Austin Harrison war ein typischer Brite, herrlich der etwas versnobte Akzent. Die vom RBB produzierte Doku fiel einem Virus-Spezial zum Opfer. Aber es gibt eine englische Fassung und hier davon einen Trailer.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Werner Thal » 14. April 2021, 05:29

Ich selbst kenne die allabendlich ausgestrahlten deutschsprachigen BBC-Sendungen. Mir ist jedoch
nicht im Traum eingefallen, an die angegebenen Berliner Deckadressen zu schreiben. Neben diesen
abendlichen Sendungen gab es aber auch noch die Rubrik „ Der verwunderte Zeitungsleser“.
In Berlin und Umgebung konnte man die Sendungen ungestört via UKW-Rundfunk empfangen.
Ansonsten wurde das MW-Signal massiv durch Störsender beeinträchtigt.
Als Alternative konnte man als Wdhl. die Sendungen am nächsten Morgen im KW 41-Meterband
ungestört empfangen.

W. T.
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Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Volker Zottmann » 14. April 2021, 09:29

Interessierter hat geschrieben:Interessant und gleichzeitig immer wieder erschreckend, wie diese SED Schergen mit kritischen und andersdenkenden jungen Menschen umgingen.

[denken]


Meine Frau bekam als Jugendliche auch Besuch. Besser ihre Eltern.
Weil angeblich ein Brief an Radio Luxemburg geschrieben wurde. Beweisen konnten die das nicht. Der Ärger war trotzdem erstmal riesengroß, eigentlich wegen nichts! Damit machte sich der Staat unglaubwürdig und sicher schuf er sich so keine "glühenden Anhänger".

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: DDR Bürger üben Kritik bei der BBC London

Beitragvon Werner Thal » 14. April 2021, 11:31

Der Deutsche Dienst der BBC - Das Ende einer Erfolgsstory?

https://www.addx.org/textarchiv/99-05-10-13.pdf

W. T.
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