Wie die Stasi den Schweizer Finanzplatz lieben lernte
Um Embargos zu umgehen, geschäftete *) die DDR-Diktatur im Kalten Krieg intensiv mit Schweizer Tarnfirmen und Geschäftsleuten. Die Verstrickungen lösten 1992 in Zug einen Skandal aus – doch manche wirken bis heute nach.
Am 4. Juli 2006 herrscht am Zugersee grosse Aufregung: Der deutsche Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder ist zu Gast, begleitet von einem Tross aus Beratern und Sicherheitsleuten mit Sonnenbrillen. Er besichtigt die Zuger Altstadt, speist im «Rathauskeller» und löst bei der Besatzung des MS «Schwyz» derartige Hektik aus, dass bei der Abfahrt ein nicht gelöstes Landungsseil mit lautem Knall reisst. Grosse Bilder in der «Neuen Zuger Zeitung» zeigen den SPD-Politiker, wie er mit dem Handy am Ohr durch die Strassen schreitet, flankiert von einem bulligen Mann, auf dessen Stirn die Sonne glänzt.
«Schröder gibt hier Gas», kalauert die Lokalpresse, «hier verbindet Gerhard Schröder Job und Vergnügen.» Tatsächlich ist der Ex-Kanzler nicht wegen des Wetters an den Zugersee gereist: Er und sein Begleiter Matthias Warnig stehen im Dienste des russischen Gaskonzerns Gazprom, der im Raum Zug mehrere Firmen kontrolliert. Was die «Neue Zuger Zeitung» in ihrem launigen Bericht nicht erwähnt: Der Mann an Schröders Seite ist ein enger Freund des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin – und wie Putin ist er ein ehemaliger Geheimdienstmann, der bis zum Fall der Berliner Mauer für den berüchtigten Staatssicherheitsdienst (Stasi) der DDR arbeitete.
Und so muss sich die Zeitung einige Tage später vom damaligen grünen Nationalrat Jo Lang in einem Leserbrief vorhalten lassen, sie betreibe «Schönwetter»-Journalismus: Ob man denn nicht wisse, welche alten Verstrickungen sich da mit dem Besuch des alten Stasi-Offiziers offenbarten?
Tatsächlich weist Warnigs Präsenz auf dem Schweizer Finanzplatz nicht nur auf die erstaunliche Wandelbarkeit vieler Ex-Kommunisten hin, zumal der ehemalige Stasi als einer der mächtigsten Männer der russischen Wirtschaft gilt (bis heute bekleidet er hohe Ämter bei Putin-nahen Firmen wie Rosneft und der VTB Bank; dazu ist er führender Manager bei der Gazprom Schweiz AG und der seit 2005 in Zug domizilierten Nord Stream 2 AG). Sie erinnert auch daran, dass die Kommunisten im freien Westen gerade dort viele Freunde fanden, wo am lautesten vor ihnen gewarnt wurde. Zum Beispiel in der stramm antikommunistischen Schweiz, die in den 1980er Jahren zunehmend als «Stasi-Drehscheibe» in Verruf geriet.
Wie konnte sich diese seltsame Liebesbeziehung zwischen bürgerlichen Finanzplatz-Fans und ostdeutschen Kasernenhof-Kommunisten entfalten? Die Ursachen, so viel steht fest, gehen bis in die 1970er Jahre zurück. Damals zeigten sich die desaströsen Folgen der sozialistischen Planwirtschaft derart klar, dass die greisen Apparatschiks hinter dem Eisernen Vorhang immer kreativere Wege finden mussten, um Geldquellen und neue Technologien zu erschliessen.
Das antikapitalistische «Arbeiterparadies» DDR etwa besserte seine Bilanz auf, indem es im Westen mit Wirtschaftskriminellen aller Art kooperierte. Diese bestellten zum Beispiel tonnenweise Billighemden aus Fernost und lieferten sie an DDR-Textilkombinate. Dort wurde die Ware kurzerhand zum DDR-Produkt umgelabelt, womit sie im damaligen EG-Raum ohne Zollschranken und -gebühren verkauft werden konnte. Auch am Schnapsschmuggel und an dubiosen Stahlgeschäften verdienten die DDR-Parteibonzen kräftig mit.
Im technologischen Bereich stiessen sie allerdings auf besonders arge Probleme, trotz aller Propaganda von der wissenschaftlichen Überlegenheit des Sozialismus. Erich Honeckers Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) verkündete zwar 1980, man wolle in der Computertechnologie mit dem Westen gleichziehen. Doch das war angesichts von mangelndem Know-how und vor allem wegen westlicher Embargo-Bestimmungen einiges schwerer, als mittels staatlicher Doping-Programme Medaillenrekorde aufzustellen.
So sahen sich die DDR-Führer und ihre Stasi-Schergen gezwungen, die benötigte Ware auf illegalem Weg zu beschaffen, mit Hilfe von Tarnfirmen, Banken und anderen Komplizen im Westen. Der zuständige DDR-Staatssekretär Alexander Schalck-Golodkowski baute dazu ein regelrechtes Schattenreich auf, das bis nach Wien, Zürich, Zug und Lugano reichte.