Schmuggel im Staatsauftrag – das war für das Regime in Ost-Berlin ein einträgliches Geschäft. Ein Forscher hat jetzt die Methoden der Stasi enthüllt. Regensburg. Es waren goldene Geschäfte ohne Grenzen: Ob mit Kunst und Antiquitäten, Waffen und Kriegsgerät oder Gold und Silber – in der DDR herrschte bis zu deren Zusammenbruch ein staatlich gelenktes Schmuggel- und Schwarzmarktsystem von West nach Ost und von Ost nach West. Das Ziel: Dem Land überlebenswichtige Devisen und Rohstoffe besorgen. Doch nicht nur der sagenumwobene Milliardenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski spielte mit seinem Imperium „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) eine zentrale Rolle. Auch die Stasi mischte mit, – und betrieb ein perfides Doppelspiel, wie der Berliner Forscher und Jurist Enrico Rennebarth jetzt bei Recherchen für seine Doktorarbeit herausfand.
Warum gibt es in der DDR keine Banküberfälle? Weil man auf das Fluchtauto 12 Jahre warten muss. Witze wie dieser, der auf die lange Lieferzeit für einen Trabant anspielt, machen in den 80er Jahren im Land des real existierenden Sozialismus die Runde. Mit boshafter Ironie mokieren sich die DDR-Bürger über die Mangelwirtschaft. Faktisch ist die DDR in den 1980er-Jahren pleite – im Ausland hochverschuldet, und die Waren, die in den Kombinaten produziert werden, sind international nicht konkurrenzfähig oder werden zu Dumpingpreisen in den Westen verramscht.
Edelmetalle – knapp und begehrtIm Gegenzug tut sich die DDR schwer, teure Rohstoffe zu beschaffen wie Gold und Silber, die für die Industrie benötigt werden. Der große Bruder UdSSR geizt mit Lieferungen und die DDR ist auf den Weltmarkt angewiesen – gegen harte Devisen. An dieser Stelle kommen Leute wie Schalck-Golodkowski ins Spiel – sowie „Hans Schiller“ und seine Frau „Susanne“– so lauten ihre Decknamen als Informelle Mitarbeiter (IM) der Stasi.
Es ist ein Dezembertag im Jahr 1983, als „Hans Schiller“ Besuch bekommt. Seit wenigen Monaten betreibt der Ingenieur, der zwei Jahre zuvor mit seiner Ehefrau aus der Sowjetunion übergesiedelt war, eine Versicherungsagentur in West-Berlin. Der Gast, ein Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit, unterbreitet „Schiller“ ein Angebot, das ihn zum wohlhabenden Mann machen wird. Er soll Schmuggelrouten in die DDR ausfindig machen, auf denen professionelle Banden ebenso wie Kleinkriminelle agieren.Im Visier der Stasi ist die Bahn-Transitstrecke von Braunschweig nach Ost-Berlin. Im Gepäck von Touristen und Botschaftsangehörigen wandern russische Ikonen und Kaviar in den Westen. In den Osten gelangen illegal Gold und Silber – oft in den Taschen von Diplomaten, die den Schmuggel als einträgliches Geschäft entdeckt haben, sagt Rennebarth im Interview mit der MZ. Als Doktorand konnte er im Rahmen eines Stipendiums an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder Stasi-Akten ungeschwärzt einsehen. Dabei stieß er auf die brisanten Dokumente.
Der Auftrag für „Hans Schiller“: Er soll selbst Edelmetalle schmuggeln. Doch nicht nur, um die Strukturen des Schwarzmarkts offenzulegen. Sondern ganz explizit, um „bedeutsame Rohstoffe für die Volkswirtschaft der DDR“ zu beschaffen, wie es in seinem Stasi-Vermerk heißt. Dafür soll der IM fürstlich am Profit beteiligt werden. „Hans Schiller“ willigt ein – „aus politischer Grundüberzeugung“ – und um seine „materielle Existenz zu sichern“, steht in seiner Stasi-Akte.
Stasi-Major nahm Gold in EmpfangZwischen März 1983 und Juni 1988 schmuggeln „Hans Schiller“ und „Susanne“ mehr als 300 Kilo Gold, Platin, Silber und andere Edelmetalle aus der Bundesrepublik in die DDR. Über Kontaktpersonen beim Zoll genießt er erleichterte Einreisebedingungen, er wird ohne Kontrolle durchgeschleust. „Schiller“ hat meist drei bis vier Kilo Gold dabei und übergibt sie direkt an seinen Führungsoffizier, Major Gerhard Dorday. Mehr als 80 Treffen im Interhotel „Stadt Berlin“ und in konspirativen Wohnungen sind in den Stasi-Akten verzeichnet. Der Stasi-Offizier schafft das Gold dann zur staatlichen Münze, wo es eingeschmolzen wird.
„Hans Schiller“ erhält für die Lieferungen umgerechnet insgesamt zehn Millionen DM. Außer den Edelmetallen liefert der Spion Informationen über Kontaktpersonen an die Stasi. Und er sammelt Daten darüber, wo die Grenze durchlässig ist. Den Goldschmugglern und ihren Helfern drohen drakonische Strafen. Bis zu zehn Jahre Haft sehen die DDR-Gesetze vor. Hier geht es weiter:
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