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Nach dem Tod von Matthias DomaschkDie Nachricht von Matthias Domaschks Tod beim Stasi-Verhör verbreitet sich in Windeseile in Jena und dringt über die wenigen Telefone auch in andere Städte. Die erste Reaktion ist Fassungslosigkeit, Trauer, Wut. Auch wenn niemand genau den Tathergang und die Hintergründe kennt –
die Tatsache, daß Matthias Domaschk bei einem Stasi-Verhör ums Leben kam, genügt, daß alle sofort wissen: »Sie haben ihn auf dem Gewissen!« In den Schock mischt sich Empörung. Was soll, was kann man tun? Wie kann der ungeheuerliche Vorgang bekannt gemacht werden? Den verhaßten Staatssicherheitsdienst offen anzuprangern, würde unweigerlich Repressionen nach sich ziehen. Wie ist es dennoch möglich, in der DDR an den Tod von Matthias Domaschk zu erinnern, ohne selbst Haft und damit unter Umständen das gleiche Schicksal zu riskieren, das er erlitten hat? Das sind Fragen, die seine Freunde nicht mehr loslassen.
Der Tod von Matthias Domaschk ist eine Zäsur. Schlagartig wird klar, daß Opposition gegen die Parteiherrschaft oder auch nur eine nonkonforme Lebensführung tödliche Folgen haben kann. Gleichwohl formiert sich ein phantasievoller und allmählich radikalisierender Widerstand, der zunächst von nur wenigen Menschen ausgeht. Die Unabhängige Friedensbewegung in der DDR erlebt 1982 und 1983 ihre ersten Höhepunkte in Jena. Mit den daraufhin einsetzenden staatlichen Repressalien steigt zugleich die Zahl der Ausreiseanträge rapide an. Beides sind Vorboten für die Exit-und-Voice-Bewegung von 1989, die zum Ende der DDR beigetragen haben.
Die entsetzliche NachrichtAm Montag, dem 13. April 1981, spielt die Leipziger Bluesband »Mama Basuto« im RAW. Die Jenaer Szene trifft sich hier. Matthias Domaschk wäre dabeigewesen. Aber er ist noch nicht von der Stasi zurück. Wird er dort noch länger festgehalten, oder kommt er in den nächsten Tagen frei? Was am 12. April geschehen ist, weiß noch niemand. Peter Rösch schaut kurz vorbei. Er wirkt ausgelaugt, ist übernächtigt und erzählt, was er in den letzten drei Tagen erleben mußte. Rufe nach einem Arzt hat er im Gefängnis gehört, als er entlassen wurde. Ist Matthias Domaschk etwas zugestoßen? Befindet er sich in einem Haftkrankenhaus? Schon seit Sonntagnachmittag gehen Freunde immer wieder zu seiner Wohnung. Vielleicht wissen die Eltern mehr. Aber kaum jemand kennt ihre Adresse.
Am Mittwochvormittag will sich Matthias Domaschks Schulfreund Manfred Hildebrandt bei der Mutter auf der Arbeitsstelle erkundigen. Doch sie hat frei genommen, und eine Arbeitskollegin flüstert ihm zu: »Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen sagen darf. Morgen ist die Beerdigung von ihrem Sohn.« Manfred Hildebrandt ist entsetzt. Er läßt seine Arbeit ruhen und informiert sofort Freunde. Erst einmal muß jemand mit den Eltern von Matthias Domaschk sprechen, die Nachricht ist zu unglaublich.
Am Wochenende vor seinem Tod hat Matthias Domaschk mit Katrin Werlich bei seinen Eltern die Wohnung renoviert. Sie ruft in Neulobeda an, um von den Eltern etwas zu erfahren. Ihr Sohn habe sich umgebracht, ist ihnen gesagt worden. Inzwischen hat auch Pfarrer Hans Gellner beim Bestattungsinstitut in Erfahrung gebracht, wann das Begräbnis stattfinden soll. Die Stasi notiert: »Nach Bekanntwerden dieses Termins am 15.04.1981 gegen 11.00 Uhr verbreiteten diese negativ dekadenten Personen durch mündliche und schriftliche Übermittlungen in ihrem Umgangskreis die Nachricht vom plötzlichen Tod des D. sowie dessen Bestattungstermin. Da zu diesem Zeitpunkt unter diesem Personenkreis noch keine konkreten Angaben zum eigentlichen Sachverhalt vorlagen, wurden verschiedenste Gerüchte, die sich gegen die Sicherheitsorgane richteten, verbreitet.
Den 60jährigen Vater, Gerhard Domaschk, hatten am späten Montagnachmittag die Stasi-Offiziere Oberstleutnant Horst Jürgen Seidel, Oberleutnant Karl-Heinz Petzold und Oberstleutnant Hande von der Objektdienststelle Zeiss Jena aus dem Krankenhaus zur Stasi-Kreisdienststelle Eisenberg holen lassen und ihm gemeinsam mit dem Bezirksstaatsanwalt Benndorf den Tod seines Sohnes mitgeteilt. Der habe durch sein »dekadentes« und »renitentes Verhalten im Zug zu seiner Festnahme beigetragen«, behaupten sie. Matthias Domaschk habe bei einer Befragung Aussagen gemacht »über von ihm unterhaltene Kontakte zu einer negativ-feindlichen Gruppierung in Jena, die durch eine in West-Berlin ansässige Person geschult, gesteuert und materiell unterstützt wird.« Mit »dieser Person« hätten »konspirative Treffs im sozialistischen Ausland« stattgefunden. Als Matthias Domaschk nach Hause gefahren werden sollte, habe er sich ab 14 Uhr zehn Minuten lang im Besucherzimmer aufhalten können und sei um 14.10 Uhr »mit seinem Oberhemd stranguliert aufgefunden« worden. Es seien sofort Wiederbelebungsversuche unternommen worden. Ein Arzt habe um 14.30 Uhr nur noch den Tod feststellen können. Staatsanwalt Benndorf stützt diese Version bei einem weiteren Gespräch und beteuert, daß »eine Bewachungspflicht des DOMASCHK, Matthias nicht bestanden hätte.«
Gleich beim ersten Gespräch setzt die Stasi den Vater, der soeben seinen Sohn verloren hat, unter Druck und gibt die Richtung vor: »Obwohl wir die Umstände, die zu diesem bedauerlichen Ereignis führten, wiederholt analysiert haben, können wir zu keinem anderen Ergebnis gelangen, als daß gegnerische Kräfte, die Ihren Sohn seit mehreren Jahren durch ihre Feindtätigkeit mißbrauchten, die volle Verantwortung für den Freitod Ihres Sohnes tragen.« Dem Vater wird die Einsicht in das Verhörprotokoll verweigert, somit können die Eltern bis zum Ende der DDR nichts näheres erfahren.
Außerdem verlangen die Stasi-Offiziere von Gerhard Domaschk, daß er über die »Unterredung« mit niemandem spricht und Kontakte zu Freunden seines Sohnes meidet.Noch wichtiger als ihre Unschuldsbeteuerungen aber ist den Stasi-Abgesandten beim Gespräch mit dem Vater vor allem, »eine Einäscherung seines Sohnes ohne Feierlichkeiten im engsten Kreise der Familie durchzuführen« und »die Beisetzung möglichst nicht in Jena zu realisieren. »Gegenüber Verwandten sollte der Tod des DOMASCHK, Matthias als Unglücksfall dargestellt werden«; darüber hinaus »wird angestrebt zu erreichen, daß keine Mitteilungen in der Presse über den Tod des D., Matthias veröffentlicht werden.« Oberleutnant Karl-Heinz Petzold begleitet Vater Domaschk zum Bestattungsinstitut, damit sein Sohn rasch unter die Erde komme, und händigt ihm dessen persönliche Gegenstände aus. Bis zur Urnenbeisetzung und auch um den ersten Todestag von Matthias Domaschk herum werden Oberleutnant Petzold und Oberstleutnant Seidel bei Gerhard Domaschk immer wieder vorstellig. Sie bedrängen ihn, sich an den Thüringer Landesbischof zu wenden, um kirchliche Aktivitäten zu untersagen. Da ein Grabmal nur »Zusammenrottungen« provozieren würde, solle die Familie doch zunächst darauf verzichten.Am 16. April gibt die Familie eine Traueranzeige in der SED-Bezirkszeitung »Volkswacht« auf. Roland Jahn will ebenfalls eine Annonce schalten mit dem Text »Wir werden nicht vergessen«. Das weiß ein »zuverlässiger IM« zu verhindern. Die Eltern von Matthias Domaschk lassen ihren Sohn auf dem Jenaer Nordfriedhof beisetzen, neben dem Grab seiner Schwester Sabine. Die Stasi zimmert eilig einen Maßnahmeplan, den sie »Aktion Nordfriedhof« nennt. »Insbesondere der harte Kern der ›Jungen Gemeinde‹ Jena-Stadt-Mitte wird durch die KD Jena und die Abt. XX unter Kontrolle gehalten. Auch bei Hergerts läuten Stasi-Offiziere an der Tür und versuchen, gut Wetter zu machen. Sie würden gern mit der Familie reden, daß sie auf ihre Tochter Kerstin, der Freundin von Matthias Domaschk, einwirke. Die Stasi-Offiziere verlangen von den Eltern, mit ihnen zusammen nach Weimar zu fahren, wo Kerstin Hergert im Gefängnis sitzt.
Vater Hergert schmeißt die Stasi aus seiner Wohnung.Den ganzen längeren Beitrag kann man hier finden:
http://www.gera-chronik.de/www/gerahist ... suchparam=Warum wurde von dem Vorgang denn so ein Geheimnis gemacht und warum schlug die Stasi seinem Vater vor, gegenüber von Verwandten den Tod von Matze Dimaschk als Unglücksfall darzustellen, wenn es doch nach deren Aussage Selbstmord war?!