Rufmord durch VerdachtGerüchte im Bekanntenkreis, gefälschte Fotos in der Zeitung: Wie die Stasi die Opposition in Jena unterwanderte.Wie unterbindet man freies, selbstständiges Denken? Indem man Angst verbreitet, Beziehungen zerstört, Freunde so lange gegeneinander ausspielt, bis Feindschaften entstehen und der Vertrauensverlust Jahrzehnte nachwirkt. Die Staatssicherheit bringt es darin Ende der siebziger Jahre zur Meisterschaft. Das Regime sperrt Kritiker ein oder wirft sie aus dem Land. Es verbietet Künstlern den Beruf, die Zensur beschneidet jede Kritik.
Niemand ist sicher vor den perfiden Herrschaftsmethoden der Geheimpolizei.Im thüringischen Jena gründet Siegfried Reiprich in jenen Tagen mit Roland Jahn, Jürgen Fuchs und weiteren Freunden einen Lesekreis. Die Dissidenten um Václav Havel in der Tschechoslowakei und ähnliche Gruppen in Polen haben sie inspiriert. Die Studenten lesen Werke russischer Schriftsteller und von Autoren der DDR, sie philosophieren über den Staat und die Welt.
So werden aus Studenten Bürgerrechtler. Als sie gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann Unterschriften sammeln, holt die Geheimpolizei einige von ihnen ab. Unter den Festgenommenen ist Jürgen Fuchs, der nach monatelanger Haft in den Westen abgeschoben wird. Doch einen verschont die Staatssicherheit: Siegfried Reiprich. Er darf in Jena bleiben und als Hilfskraft im Schott-Glaswerk arbeiten. Warum ihm nichts geschieht, versteht niemand.
Siegfried Reiprich Ende der 1970er Jahre © privat
Reiprich und die Freunde, die noch frei sind, treffen sich weiter. Sie schreiben ihre Vision einer besseren Welt auf. Dieses Manifest soll Roland Jahn, so der Plan, über Mittelsmänner an die Westmedien weitergeben. Die Bürgerrechtler fotografieren den Text ab und verpacken das belichtete Zelluloid in Staniolpapier. Diese Methode soll es vor den Augen der Stasi schützen. Wird das Beweisstück bei einer Grenzkontrolle gefunden und geöffnet, zerstört es sich wegen des einfallenden Lichts selbst. Doch so weit kommt es nicht. Denn statt die Nachricht weiterzugeben, verbrennt Jahn das Material.
Warum? Im Herbst 1979, als der Kalte Krieg mit dem Nato-Doppelbeschluss einen neuen Höhepunkt erreicht, schreibt Reiprich an einem weiteren Papier der Bürgerrechtler mit. Das Gründungsdokument einer Friedensbewegung entsteht. Wieder soll ein Mittelsmann das Papier in den Westen schmuggeln. Wolf Biermann und Jürgen Fuchs, der mittlerweile als Schriftsteller in West-Berlin lebt, sollen es veröffentlichen. Doch als das Papier bei Fuchs ankommt, lehnt er ab, es zu verbreiten.
Weshalb?Einen Verdacht gezielt gestreutDie Stasi kennt die Antwort. Fuchs kennt sie auch. Als er drei Jahre zuvor in Haft gesessen hatte, 1976 war das, hatten ihm die Vernehmer Verhörprotokolle vorgehalten. Darin hieß es, Reiprich "hat gesungen". Fuchs glaubte, Reiprichs Handschrift erkannt zu haben. Reiprich, ein Verräter? Der Verdacht zog Kreise. Immer mehr Menschen gingen auf Distanz, Freundschaften erkalteten. Alles, was unter Reiprichs Mitwirkung entsteht, jedes Papier und jedes Manifest, hätte staatlich gesteuert sein können. Die Stasi hatte diesen Verdacht gezielt gestreut.
Siegfried Reiprich ist Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft in Dresden. © Tim Deussen/Gedenkstätte Hohenschönhausen
Wie die perfiden Machenschaften der Stasi ans Tageslicht kamen, erfährt man hier:
http://www.zeit.de/feature/stasi-akten- ... biografien