WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 1. September 2015, 08:22

Protest gegen den Truppeneinmarsch in die ČSSR

Durch die Reformen in der ČSSR im Frühjahr 1968 - den "Prager Frühling" - hofften Menschen in allen sozialistischen Ländern auf demokratische Umgestaltungen auch in ihren Ländern. Sie wünschten sich eine Alternative zum "real existierenden Sozialismus", nämlich "Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Der Einmarsch von Truppen der Warschauer Vertragsstaaten im Sommer 1968 begrub diese Hoffnungen. Enttäuschung, Wut und Hilflosigkeit fühlten auch viele DDR-Bürger, die die Reformen als Chance gesehen hatten. Viele von ihnen behielten ihre Meinung nicht für sich und gerieten dadurch in das Blickfeld des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Zu ihnen gehörte auch Wolfgang Friemann. In den 60er Jahren hatte er vier Jahre lang in der Prager Botschaft der DDR gearbeitet und die gesellschaftliche Entwicklung in der ČSSR miterlebt.

Bild
Wolfgang Friemann wurde aus der SED ausgeschlossen, als man merkte, dass er die Partei verlassen will Quelle: BStU

Seine ablehnende Haltung zum Truppeneinmarsch und seine Absicht, aus der SED auszutreten, führten im Dezember zum Ausschluss aus der SED. Er hatte seine Meinung offen im Kreise seiner Kollegen und Parteigenossen vertreten. Im April 1969 wurde er in einen anderen Betrieb versetzt und seine Karriere beendet. Vor seinem Protest hatte er laut Stasi-Einschätzung eine "feste[…] Haltung zur Politik von Partei und Regierung der DDR" und war Sektorenleiter. Nach seinem Protest und trotz verantwortlicher Tätigkeit im Ministerium und im Ausland wurde er ein einfacher Technologe in Rostock.

Unter anderem sollen nicht unerwähnt bleiben:

Dem älteren Sohn, der 1988 auf Umwegen die einstige DDR in Richtung Göteborg/S. verließ, versagte die Stasi nach vierjähriger wissenschaftlicher Arbeit als Physiker die Promotion. Dafür entschuldigte sich 1993 der damalige Rektor der Universität Leipzig.

Nicht ausgeschlossen werden dürfen Handlungen von Pastoren, die mich trotz meiner Mitwirkung in Vorbereitung des Rostocker Kirchentages 1988 und dessen Durchführung bei der Stasi denunzierten. Zur Mitwirkung am Kirchentag wurde ich gebeten. Bis heute kein Wort der Entschuldigung.

Wolfgang Friemann
Rostock, im Juli 2001

Hier die Einschätzung des MfS:

Bild
Bild
Bild

http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450076

Wer eben nicht mit den Wölfen ( Genossen ) heulte, der riskierte als Andersdenkender nicht nur seine, sondern auch die Existenz des Sohnes.
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon HPA » 1. September 2015, 08:42

Logisch, so ein "liberalistischer Standpunkt" war den Stasischnüffelnasen natürlich seeehr verdächtig... [flash]
HPA
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon augenzeuge » 1. September 2015, 15:46

Damit beschäftigte sich also das MfS noch Anfang der 70er Jahre? [flash]

AZ
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84806
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 2. September 2015, 08:20

Kinder protestierten vor dem Rostocker Rathaus

1978 wurden auf einem Spielplatz in der Rostocker Altstadt die Spielgeräte abgebaut und ein Lagerplatz für Baumaterialien eingerichtet. Einige Kinder des Wohngebietes versuchten, ihren Spielplatz zu retten. Sie legten ihr Taschengeld zusammen, kauften einen Schreibblock und verfassten Protestschreiben. So ausgerüstet begaben sie sich zum Rathaus und warfen Zettel mit ihrer Bitte um Unterstützung in Hausbriefkästen.


Diese "Demonstrativhandlung" wurde am gleichen Tag dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bekannt. Rat der Stadt, Polizei und MfS arbeiteten zusammen, um die beteiligten Kinder festzustellen und zu klären, ob "Erwachsene als Initiatoren in Frage kommen".

Der Protest der Kinder sorgte für solche Aufregung, dass die Schuldirektorin der Kinder zu einem "klärenden Gespräch" aufgefordert wurde, "um weiteren Handlungen vorzubeugen". Darüber hinaus aber zeigte der Protest offenbar Wirkung. Eine Einwohnerversammlung zur Information sollte durchgeführt werden und der Rat der Stadt prüfte, ob sich eine andere Lagerungsmöglichkeit für die Baumaterialien schaffen ließ. Das MfS wiederum meldete die Ereignisse in einer streng vertraulichen Information an die SED-Bezirksleitung.

Bild
Protestplakat der Kinder
Quelle: BStU, MfS, BV Rostock, AKG Nr. 173, Bd. 1, S. 252

Bild
Bild
Bild
Bild

http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... list%253D5

Wie krank muß dieser Staat eigentlich gewesen sein, wenn ein Geheimdienst sich mit dem Protest von Kindern befasst, die gegen die Schliessung ihres Spielplatzes protestierten ?
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon karnak » 2. September 2015, 08:34

[flash] Der Staat hatte nun mal was gegen Protest an sich, weil er der Meinung war er macht nichts falsch.
Ansonsten, wenn Du das Glas als halb voll betrachtest, die Stasi wollte sich halt kümmern, dass das Problem aus der Welt kommt, wo auch noch Baumaterial für die Kirche gelagert werden sollte. Ich vermute mal,dass wurde aus dem Westen angeliefert, wir hatten doch nichts. [flash]
Wäre noch interessant was daraus nun geworden ist, ob die Stasi ein gutes Werk getan hat.
Laie, Experte,Dilettant
(alle Fachrichtungen)
Benutzeravatar
karnak
 
Beiträge: 25084
Bilder: 0
Registriert: 5. Februar 2012, 13:18

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Kumpel » 2. September 2015, 09:35

Reichlich beschönigend diese Meinung.
Ob es dem MfS am Herzen lag , daß die Kinder ihren Spielplatz wieder bekamen ist mal anzuzweifeln. In erster Linie ging es wohl darum heraus zu finden ob sich dahinter organisierte Gegner des Systems verbergen.
Eine absolut typische Vorgehensweise des Staates DDR gegen seine Bürger.
Kumpel
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon karnak » 2. September 2015, 11:53

Sag ich doch,man müsste wissen was aus dem Spielplatz geworden ist.Ansonsten war mein Beitrag auch nicht ganz ernst gemeint. Und ich glaube nebenbei auch nicht,dass Kinder diese "Flugblattaktion"selbst ersonnen und durchgezogen haben,es wäre für DDR-Verhältnisse sehr unüblich gewesen.Das gleiche wird wohl auch die Stasi gedacht und "versteckt" agierende Gegner des Systemes "gewittert" haben.Gegner des Jeweiligen Systems zu bekämpfen,diese Aufgabe ist solchen Truppenteilen nun mal zugedacht.
Laie, Experte,Dilettant
(alle Fachrichtungen)
Benutzeravatar
karnak
 
Beiträge: 25084
Bilder: 0
Registriert: 5. Februar 2012, 13:18

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 2. September 2015, 13:47

Und selbst wenn die Eltern es sich ausgedacht hätten, dann bleibt es immer noch krank, dass ein Geheimdienst sich um Kinder/Eltern und deren Sorgen um die Spielplatznutzung kümmert und Agitation mit Hilfe des Klassenfeindes vermutet.

Man bestreitet doch immer und gerne, dass die Stasi allgegenwärtig war, aber dieses Beispiel bestätigt doch wieder einmal, dass die Stasi sich um jeden Furz kümmert.
Ich glaube, sogar bei ihrem eigenen Furz, hätten sie gerne noch versucht, ihn dem Klassenfeind unterzujubeln... [flash]
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon HPA » 2. September 2015, 13:56

Nur wenn er quergelegen oder anders als gewohnt gerochen hätte. Man weiss ja nie... [flash]
HPA
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon karnak » 2. September 2015, 14:36

Interessierter hat geschrieben:Und selbst wenn die Eltern es sich ausgedacht hätten, dann bleibt es immer noch krank, dass ein Geheimdienst sich um Kinder/Eltern und deren Sorgen um die Spielplatznutzung kümmert und Agitation mit Hilfe des Klassenfeindes vermutet.

Man bestreitet doch immer und gerne, dass die Stasi allgegenwärtig war, aber dieses Beispiel bestätigt doch wieder einmal, dass die Stasi sich um jeden Furz kümmert.
Ich glaube, sogar bei ihrem eigenen Furz, hätten sie gerne noch versucht, ihn dem Klassenfeind unterzujubeln... [flash]

will ich Dir sogar recht geben.Irgendwer muss wohl irgendwann gemeint haben,dass ist der richtige Weg und so wurde es dann gemacht,über die Zeit ist es wohl zum Selbstläufer geworden.
Laie, Experte,Dilettant
(alle Fachrichtungen)
Benutzeravatar
karnak
 
Beiträge: 25084
Bilder: 0
Registriert: 5. Februar 2012, 13:18

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon augenzeuge » 2. September 2015, 18:53

karnak hat geschrieben:[flash] Der Staat hatte nun mal was gegen Protest an sich, weil er der Meinung war er macht nichts falsch.


[laugh] [grins]
Klasse!!
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84806
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 3. September 2015, 09:57

ZUSAMMENARBEIT DREI MAL ABGELEHNT

Erinnerungen von Erdmuthe Großer-Bald an die Werbeversuche der Staatssicherheit

Bild
Erdmuthe Goßer-Bald in ihrer Studienzeit und heute Quelle: Privat

"Dreimal wurde seitens der Staatssicherheit versucht, mich zur Mitarbeit zu gewinnen. Dank mehrerer Gespräche, die ich seit Beginn meines Studiums in der Evangelischen Studentengemeinde und zu Hause mit meinen Eltern geführt hatte, war ich auf derartige Situationen vorbereitet. Ich wusste zwar nicht, wie sie sich darstellen würden - es ging nur die Rede um, man würde dann zu einer Tasse Kaffee eingeladen - aber ich trug feste Vorsätze in mir, die einfach und leicht zu merken waren: Sage keine Namen, mache keine Zusagen und kündige an, andere Menschen über den Werbeversuch zu informieren.

Der erste Versuch geschah im Herbst 1978, also in der Mitte meines Studiums an der Rostocker Universität.


Als ich Mittwoch Nacht vom ESG-Abend zum Studentenwohnheim zurück kam, fand ich an der Pforte einen kleinen handgeschriebenen Zettel vor, auf dem mir mitgeteilt wurde, aus Kleinmachnow wäre ein Anruf gekommen und ich sollte mich am kommenden Tag am frühen Abend zu einer genau beschriebenen Zeit in der Nähe des Wohnheims vor einem Cafe einfinden.

Kaum angekommen zu Zeit und Ort, fuhr vor dem Cafe ein Lada vor, aus dem ein mir unbekannter Herr stieg und mich mit meinem Namen ansprach. Er müsse dringend mit mir wegen eines Kriminalfalls sprechen; als ich bei ihm im Auto saß, zeigte er mir seinen Dienstausweis der Staatssicherheit. - Also Erdmuthe, es ist so weit: keinen Namen, keine Zusage... alles klar.


Er fuhr zu einem am Stadtrand Rostocks gelegenen Cafe, in dem er mich zu einer ‚Tasse Kaffee’ einlud. - Erdmuthe, es ist wie besprochen: die ‚Tasse-Kaffee-Affaire’ läuft. - Es gäbe da jemand, der zur ESG gehört hätte und nun in den Westen abgehauen sei - inwieweit hat dieser Mensch Einfluss auf die Studenten der ESG? Keine Ahnung, immer unverbindlich, immer nichts gewusst. Ein zähes Gespräch. Irgendwann kam der erwartete zweite Teil: ob er davon ausgehen könne, dass dieses Gespräch unter uns bliebe. Natürlich keinesfalls, schließlich hätte er die ESG ins Gespräch gebracht, und da hielte ich es durchaus für geboten, den Studentenpastor zu informieren. Tja, dies sei eine ehrliche Antwort.

Der Kaffee wurde bezahlt und die Rückfahrt schleunigst angetreten. - Geschafft - Belustigendes Nachgespräch im Auto: ob ich es denn bestätigen könne, dass solch ein Gespräch ‚eine ganz normale Angelegenheit’ sei? Dies hätte mich noch nie jemand gefragt, weder ein Lehrer, der mich unterrichten wollte, noch eine Ärztin, die mich habe impfen wollen, war jemals an meiner Bestätigung interessiert, dabei etwas ganz normales zu tun. In diesem Sinne wäre ich sehr erstaunt über solch eine Frage und könne sie auch nicht mit ja beantworten... Vielen Dank für das Gespräch - Auf Wiedersehen, Fräulein Großer.

Keine Antwort. Bloß kein Wiedersehen! Mein Besuch verwunderte unseren Studentenpastor nicht sonderlich - ich sei die Dritte in dieser Woche, die ihm vom Werbeversuch berichten würde. Ob ich denn mal meine Eltern anrufen wolle. Zu Hause war alles in Ordnung - meine Eltern wussten nun, dass ich meine erste ‚Tasse Kaffee-Affaire’ erlebt und bestanden hatte.

Wie die weiteren Versuche abliefen erfährt man hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450076

Schon interessant und erstaunlich was die Stasi sich so alles einfallen ließ, um Denunzianten zu gewinnen. Meint der Stasi - Typ doch tatsächlich, dass so ein Gespräch/Ansinnen normal sei .. [denken]
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon augenzeuge » 3. September 2015, 13:02

Interessierter hat geschrieben:Irgendwann kam der erwartete zweite Teil: ob er davon ausgehen könne, dass dieses Gespräch unter uns bliebe. Natürlich keinesfalls ....


[flash]
Oh, da hat sich die Stasi aber seltsam dumm angestellt. Normalerweise hatten die ein Trumpf in der Hand. "...wenn sie oder ihre Kinder studieren wollen, dann behalten sie alles für sich." [angst]
So kenne ich es...

AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84806
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 4. September 2015, 09:22

1988 Auf Flugblättern Meinungsfreiheit eingefordert

Sylke Glaser wollte ihre kritische Meinung zu den politischen Verhältnissen in der DDR äußern. Eine freie Presse oder regierungsunabhängige Medien gab es in der DDR aber nicht. Sie fertigte und verteilte daher Flugblätter und schrieb Briefe an verschiedene Partei- und Staatsfunktionäre.

Bild
Beispiel von einem Flugblatt, das Sylke Glaser im Februar und März 1988 anfertigte und im Rostocker Stadtgebiet verteilte Quelle: BStU, MfS, BV Rostock AU 1646/88 Beiakte S.84


Der Staatssicherheitsdienst verhaftete sie und brachte sie in die Rostocker Untersuchungshaftanstalt des MfS. Nach zwei Monaten wurde sie wegen "mehrfacher öffentlicher Herabwürdigung" (§ 220 Strafgesetzbuch der DDR) zu 1 Jahr und 3 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Im Urteil wurden ihre Aktionen so dargestellt, als habe Sylke lediglich die Ausreise aus der DDR als politischer Häftling erreichen wollen. Rückblickend sagt Sylke Glaser - heute Sylke Weißer:

"1988 war ich gerade 19 Jahre alt, als ich immer interessierter und kritischer wurde in Bezug auf die Politik. Ich studierte damals Kindergärtnerin an der Pädagogischen Fachschule in Schwerin. Und immer öfter traten Widersprüche auf zwischen dem was wir im Marxismus-Leninismus lernten und der Realität. Ich versuchte Kontakte zu knüpfen über die Kirche, aber das gestaltete sich schwieriger als angenommen. Und so war ich auf mich allein gestellt.

Aber ich wollte aktiv werden und möglichst vielen Menschen meine Meinung kundtun. Deshalb verfasste ich Briefe und Schriftstücke, die ich im gesamten Rostocker Raum verteilte. Es wurde immer schwieriger, da ich bereits registriert war, ein Verhör bei der Stasi hinter mir hatte, aber trotzdem weiter machen wollte. Bis sie mich schließlich doch inhaftierten.

Bild
Quelle: BStU, MfS, BV Rostock AU 1646/88 Untersuchungsvorgang S. 9

Der vollständige Bericht mit weiteren Dokumenten hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450076

Dieses ist für mich ein weiteres Beispiel, dass die große Mehrheit der jungen Menschen in der DDR sehr wohl erkannt hatte, in einer Diktatur zu leben. Auch wenn immer wieder User versuchen, ihr willfähriges Dienen für dieses SED Regime mit ihrer Jugend zu rechtfertigen.
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Nostalgiker » 4. September 2015, 09:43

Interessierter hat geschrieben:
Dieses ist für mich ein weiteres Beispiel, dass die große Mehrheit der jungen Menschen in der DDR sehr wohl erkannt hatte, in einer Diktatur zu leben. Auch wenn immer wieder User versuchen, ihr willfähriges Dienen für dieses SED Regime mit ihrer Jugend zu rechtfertigen.


Bevor du dich zu solchen Pauschalaussagen hinreißen lässt solltest du erst mal schauen wann die von dir diffamierten User im jugendlichen Alter gewesen sind.
Es macht in Bezug auf die DDR Geschichte schon einen Unterschied ob ich 1969, 1974 oder gar 1963 18 oder 19 war oder wie im angesprochenen Fall 1988.

Aber das kann Jemand der sein bruchstückhaftes Wissen über die DDR nur aus ihm genehmen Quellen entnimmt nicht wissen.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
Benutzeravatar
Nostalgiker
 
Beiträge: 13708
Registriert: 28. August 2012, 12:36

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Kumpel » 4. September 2015, 09:48

Erkannt hatten es wohl die meisten , daß sie in einer Diktatur leben , allerdings waren besonders die Studenten bis 1989 besonders ruhig, da ihre Karriere ganz schnell beendet werden konnte bevor sie überhaupt begann.
Eine Bemerkung nicht Wählen zu gehen reichte bereits aus um geext zu werden.
Kumpel
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 4. September 2015, 10:12

Zitat " Thoth ":
Es macht in Bezug auf die DDR Geschichte schon einen Unterschied ob ich 1969, 1974 oder gar 1963 18 oder 19 war oder wie im angesprochenen Fall 1988.


Natürlich waren die Lebensumstände zu den verschiedenen Zeiten unterschiedlich, wie übrigens in jedem Land der Welt. Aber schon 1953 bemerkten nicht nur ältere Menschen, dass sie in einer Diktatur lebten, sondern auch junge Bürger. Vom Mauerbau 1961 ganz zu schweigen.

Deutlicher konnten die gegen die Bevölkerung eingesetzten Panzer und späteren Terrorurteile, es ja den Bürgern aller Jahrgänge nicht vor Augen führen.

Deine von mir zitierte, leierkastenartig vorgetragene Pauschalaussage ( man beachte die Zeit ) ist in Bezug auf das Erkennen dieser verbrecherischen Diktatur völlig falsch. Auch wenn es Dir mißfällt, dass sehr viele Bürger es schon in den fünfziger Jahren bemerkten.
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Nostalgiker » 4. September 2015, 10:24

Interessierter, sie brauchten es nicht "zu bemerken", es stand jeden Tag in der Zeitung!
'Diktatur des Proletariats'

Aber deine "Zeitzeugen" lasen ja keine DDR Zeitungen, deshalb "bemerkten" sie es erst später oder überhaupt nicht oder nachdem sie durch die Westmedien mit der Nase drauf gestupst wurden.

Deine Leierkastenartig vorgebrachten Behauptungen sind sowas von dröge und abgestanden .....

Naja in deiner argumentativen Hilflosigkeit fällt dir nichts besseres ein, was ich verstehen kann .....
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
Benutzeravatar
Nostalgiker
 
Beiträge: 13708
Registriert: 28. August 2012, 12:36

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Kumpel » 4. September 2015, 10:46

Thoth hat geschrieben:Interessierter, sie brauchten es nicht "zu bemerken", es stand jeden Tag in der Zeitung!
'Diktatur des Proletariats'



Selbst das war gelogen. Das Proletariat hatte nun nicht all zuviel zu melden von wegen ......arbeite mit , plane mit , regiere mit. Hahaha... Diktatur der SED, trifft es wohl eher.
Kumpel
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 4. September 2015, 10:48

Interessierter, sie brauchten es nicht "zu bemerken", es stand jeden Tag in der Zeitung!
'Diktatur des Proletariats'


Nur, dass diese titulierte Diktatur nichts mit der praktizierten zu tun hatte. [laugh] Das wußtest und weißt Du genau; aber Dein Wahn bestimmten User regelmässig zu widersprechen und sie zu diffamieren, lässt Dich derartige Pamphlete verfassen, wenn Dir die Argumente ausgehen.
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 5. September 2015, 08:12

1988 Kirchengemeindemitglied sollte als IM geworben werden - sie sagte "nein"

Karin Esins fiel dem Staatssicherheitsdienst wegen ihrer Kontakte zur Kirchengemeinde Rostock-Toitenwinkel auf. Das MfS plante daher, sie anzuwerben und in der Gemeinde als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) einzusetzen.

Bild
Kirche in Rostock-Toitenwinkel Quelle: BStU Rostock

Im Mai 1988 wurde Frau Esins zum Rat der Stadt Rostock, Referat Jugendhilfe, vorgeladen. Zu ihrer Überraschung erwartete sie ein hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter. Frau Esins' Reaktion schilderte der Mitarbeiter in seinem Aktenvermerk:

"[...] Nach Vorstellen des Mitarbeiters und Erläuterung des Grundes für dieses Gespräch unterbrach die E. den Mitarbeiter und erklärte, daß sie ‚keine Zeit’ hat für ‚solche Sachen’, da sie alleinstehend ist und 2 Kinder zu versorgen hat. Sie sagte dem MA, daß er sich ‚jemanden anders’ für seine Probleme suchen soll. Damit war das Gespräch beendet und die E. verließ ohne Verabschiedung den Raum. [...]"

Karin Esins’ prompte Ablehnung überrumpelte den Stasi-Mitarbeiter offensichtlich. Er konnte sie nicht einmal - wie sonst üblich - zum Schweigen über das Gespräch verpflichten.

Den Aktenvermerk der Stasi findet man hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450076
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 6. September 2015, 10:05

Büttenreden als Versuch der freien Meinungsäußerung

Bild
Bei der Büttenrede Quelle: privat

Kritik zu üben an den Verhältnissen in der DDR, sich Luft zu machen über die vielen alltäglichen Ärgernisse konnte in der DDR gefährlich sein. Selbst wenn Menschen nur im kleinsten Freundeskreis ihre Meinung äußerten, konnte dies über unentdeckte Inoffizielle Mitarbeiter (IM) dem Staatssicherheitsdienst bekannt werden. Leicht folgte dann der Meinungsäußerung eine Anklage wegen staatsfeindlicher Hetze (§ 106 Strafgesetzbuch der DDR).

Weil sie diese Gefahr kannten, suchten manche Einwohner nach Möglichkeiten, sich trotzdem ungestraft öffentlich zu äußern. Nicht selten waren politische Witze das Ventil, Unmut über die gesellschaftlichen Verhältnisse oder unverständliche politische Entscheidungen herauszulassen.

In Form einer Büttenrede beschrieb der Ahlbecker Lehrer Roland Stadelmann im Jahr 1989 in ironischer Form alle Facetten des Lebens in der DDR. Wie er vermutete, saß allerdings die Stasi mit im Saal. Sie beschaffte sich seine Rede und veranlasste über die Abteilung Volksbildung "Disziplinierungsmaßnahmen" gegen ihn.

Die Büttenrede findet man hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450076
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon augenzeuge » 6. September 2015, 10:14

"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84806
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 7. September 2015, 08:12

1962 Protest gegen den Bau der Mauer

Am 13. August 1961 errichtete die DDR-Führung um West-Berlin eine Mauer. Sie unterband damit die letzte Möglichkeit, vergleichsweise einfach aus der DDR in die westliche Welt zu gelangen.

Bild
Bau der Berliner Mauer Quelle: BStU, ZA, MfS, SdM Fo 4 Bild 8

Die Proteste gegen den Mauerbau waren zunächst laut und durch spektakuläre Fluchten gekennzeichnet. Doch kein westlicher Regierungschef rührte sich, um die Öffnung der Grenze zu erzwingen. Bald machte sich in der DDR Resignation breit. Viele Bürger versuchten dennoch, weiter zu protestieren.

Im Juli 1962 wurden durch die Abteilung M (Postkontrolle) der Bezirksverwaltung (BV) Schwerin des MfS Briefe nach Westdeutschland abgefangen. Sie waren mit einem falschen Absender versehen. Der Inhalt der Briefe wurde als "staatsgefährdend" eingestuft. Es waren Sprüche, künstlerisch als Linolschnitte gestaltet, die sich kritisch mit dem Mauerbau auseinander setzten. Nach einem Schriftenvergleich wurde der Urheber im November 1962 identifiziert.

Bild
Durch die Postkontrolle konfiszierter Brief Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AOP 639/63

Am 28. März 1963 führten der Leiter der Kreisdienststelle (KD) Perleberg und der Staatsanwalt mit dem Beschuldigten eine Aussprache. Seine Gesundheit war zu diesem Zeitpunkt stark angegriffen. Daher wurde "[...] in Übereinstimmung mit dem Leiter der Bezirksverwaltung sowie Rücksprache der Staatsanwaltschaft von einer Inhaftierung […] Abstand genommen [...]". Lediglich eine Verwarnung folgte. (Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AOP 639/63)

Bis 1984 aber wurde die Post des Urhebers der damaligen Briefe kontrolliert. In den 60er und 70er Jahren waren seine Briefe aus Sicht des MfS harmlos und hatten privaten Charakter. In den 80er Jahren aber änderte sich der Stil seiner Schreiben. 1982 etwa schrieb er: "Der Brief den ich jetzt beginne, wird eine Art Risikobrief, das heißt, er könnte für mich zu einem Problem werden, wenn er irgendwie in falsche Hände geriete. Er muß aber geschrieben werden. Dieser Hinweis schon muß Dir klar machen, wie ich wirklich zu einem Staat stehe, in dem zu leben ich wie alle anderen gezwungen bin." (Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, KD Perleberg, ZMA 3422)

Dieser Brief hat seinen Bestimmungsort nie erreicht. Er liegt als Original in den Stasiakten. Aus den Unterlagen zum Beschuldigten geht nicht hervor, ob dieser oder andere Briefe den Betroffenen in Schwierigkeiten brachten.

Das Protokoll und das Strafrechtsergänzungsgesetz (StEG) § 19, Absatz 2 hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450068
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 8. September 2015, 07:31

1968 Prager Frühling

Das Interesse an der Reformpolitik war auch in der DDR groß. Der tschechoslowakische Versuch, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu schaffen, wurde von weiten Teilen der Bevölkerung mit großer Anteilnahme und Hoffnung aufgenommen. Die Darstellung der Reformen als Konterrevolution und die vermutete Beteiligung der NVA am Einmarsch in die ČSSR lösten Entsetzen und Wut aus. Gegen die Besetzung der ČSSR regte sich in der DDR vielfältiger Protest von Einzelpersonen und Gruppen.

Bild
Losungen auf einem Bahnhof Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, Gerichtsakte, Band 4, Bl. 218

Protest regte sich auch in Gemeinden und Städten des Bezirkes Schwerin. Fünf junge Menschen - Facharbeiter und Lehrlinge - wollten ihrer Wut und Enttäuschung ein Ventil geben. Im Bewusstsein, nicht öffentlich gegen die Propaganda der SED auftreten zu können, schrieben sie heimlich Losungen auf Mauern und Straßen und fertigten Flugblätter an.

Bild
Die folgenden Seiten des Gutachtens der Kriminalpolizei findet man im Link

Polizei und Staatssicherheit reagierten prompt. Obwohl nicht vorbestraft oder als "feindlich negativ" eingestuft, ermittelte die Stasi die Jugendlichen schnell als Verursacher. Nach ihrer Einlieferung in die Untersuchungshaftanstalt stellten die zuständigen Kreisgerichte die Haftbefehle aus. In der Haft verhörte die Stasi die Jugendlichen (Namen geändert).

Bild
Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 11/69, Band 1, Bl. 20

Im Schlussbericht gab die Stasi der Staatsanwaltschaft die durch Verhöre "herausgearbeiteten" Straftatbestände vor.
Am 30.September 1968 erhob Staatsanwalt Gabler Anklage beim Bezirksgericht Schwerin. Drei Einzelhandlungen und eine gemeinschaftlich begangene Handlung führte er zu einer Anklage zusammen. Der Vorwurf lautete "staatsfeindliche Hetze" und "Staatsverbrechen".

Den vollständigen Bericht mit der Anklageschrift und dem Urteil findet man hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450068
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon augenzeuge » 9. September 2015, 07:24

Nun kommt mal bitte zum Thema zurück! Sollte das hier so weitergehen, gibts für alle ne Erholungspause. Für den Thread...und die "Netzwerke"...etc. [grins]
AZ
"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“.
„Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten“.
Benutzeravatar
augenzeuge
Flucht und Ausreise
Flucht und Ausreise
 
Beiträge: 84806
Bilder: 6
Registriert: 22. April 2010, 07:29
Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 9. September 2015, 07:32

Um wieder zum Thema dieses Threads zu kommen:

Student war Mitglied der ESG 1970 bis 1987

Gerhard Gramowski studierte 1970 am Pädagogischen Institut (später Pädagogische Hochschule "Liselotte Herrmann") in Güstrow. Er war Mitglied der Evangelischen Studentengemeinde (ESG). Im Januar 1970 schrieb der Inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Cornelia Schröder" das erste Mal über ihn. "Cornelia Schröder" war mit Gerhard Gramowski in einer Seminargruppe.


Im September 1970 berichtete der IM, dass er in Gerhards Zimmer im Studentenwohnheim ein "handgemachtes Plakat der ESG" gesehen habe. Ein Disziplinarverfahren gegen Gerhard Gramowski wurde eingeleitet. Mit diesem Plakat habe er gegen die Verfassung der DDR und gegen das Gebot der Trennung von Staat und Kirche verstoßen.

Bild
Ausschnitt eines nachgezeichneten Plakats von Gerhard Gramowski Quelle: Gerhard Gramowski

Im Ergebnis des Verfahrens wurde festgelegt:

"Wegen groben Verstoßes gegen die Verfassung der DDR, damit verbundener Schädigung des Ansehens des Instituts .... wird Herrn Gramowski ein strenger Verweis, verbunden mit der Androhung der Verweisung vom Institut ausgesprochen." (Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, KD Gadebusch, ZMA 7642, Blatt 57)

Im Februar 1972 gab es in der Kreisdienststelle Güstrow des MfS erneut Hinweise auf eine feindliche Einstellung Gramowskis. Er sei weiterhin als Vertrauensstudent der ESG Güstrow tätig und nehme "ständig eine negative politische Haltung" ein. Die Stasi leitete daraufhin eine Operative Personenkontrolle (OPK) ein, "mit dem Ziel der Exmatrikulierung des Studenten". Sie suchte jetzt nach Vorwänden, um dieses Ziel zu erreichen.

In einem erneuten Disziplinarverfahren gegen Gerhard Gramowski im April 1973 wurde er mit sofortiger Wirkung von der Hochschule exmatrikuliert. Das Datum lag 2 Monate vor Beendigung seines Studiums.

Folgende Gründe gab die Kommission an:

Verweis vom November 1970
Grober Verstoß gegen die Wohnheimordnung (Übernachtung bei Frau Fleßing nach der Geburt des gemeinsamen Kindes) und
Schädigung des Ansehens der Hochschule in der Öffentlichkeit.

Nach seiner Exmatrikulation von der Pädagogischen Hochschule kontrollierten mehrere Inoffizielle Mitarbeiter Gerhard Gramowski weiter. Ein IM erwähnte, dass Gramowski 1973 beim Wohnungsbaukombinat als Bauschlosser tätig sei. Für den Zeitraum von 1973 bis 1986 enthält die Akte keine Informationen.

Das letzte Blatt der Akte, ein IM-Bericht vom 3. Dezember 1987, befasste sich wiederum mit den kirchlichen Bindungen Herrn Gramowskis.

Bild
Quelle: MfS, BV Schwerin, KD Gadebusch ZMA 7642, Bl. 9

Frau Fleßing und Herr Gramowski heirateten 1973. Nach dem Ende der DDR erhielt Herr Gramowski das Diplom als Lehrer, absolvierte sein Referendariat und arbeitete als Realschullehrer in Schleswig-Holstein.

Den vollständigen Bericht mit vielen weiteren Dokumenten findet man hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450068
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 10. September 2015, 09:57

1979 - Kein Vertrauensmissbrauch durch Pflegerin

Die Abteilung VIII der Bezirksverwaltung (BV) Schwerin des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war zuständig für Beobachtungen, Ermittlungen und Festnahmen von Personen. Weiterhin war sie verantwortlich für die Sicherung und Kontrolle der Transitwege und die Kontrolle und Sicherung der ausländischen Militärmissionen.

Ein Schwerpunkt der Abteilung VIII lag in der "konspirativen Wohngebietsermittlung". Zur Erfüllung dieser Aufgabe setzte das MfS zumeist "Ermittler-IM" (Inoffizielle Mitarbeiter) ein.

Im folgenden Beispiel hatten die "Ermittler-IM" eines hauptamtlichen MfS-Führungsoffiziers ein fortgeschrittenes Alter erreicht. Den Verantwortlichen schien, dass sie "den gestiegenen Forderungen auf dem Gebiet der Wohngebietsermittlung nicht mehr gerecht werden konnten". Die Werbung neuer IM war erforderlich.

Bild

Die potentielle neue IM wurde dem MfS-Mitarbeiter durch einen bereits aktiven IM vorgeschlagen. Sie war im Stadtbereich von Schwerin in der Hauswirtschaftspflege tätig. Damit hatte sie gute Voraussetzungen, um während ihrer Arbeit unauffällig für das MfS zu ermitteln. Am 11. Juni 1979 wurde der Beschluss gefasst, zu überprüfen, ob die junge Frau als IM geeignet wäre. Nach dem dritten Kontaktgespräch erarbeitete der Führungsoffizier am 12. Juli 1979 den Vorschlag zur Verpflichtung.

Am 17. August 1979 versuchte der MfS-Mitarbeiter, die "Kandidatin" zu werben. Diese "...reagierte sofort aggressiv und meinte, daß es wohl das Letzte sei, das Vertrauen der ihr anvertrauten alten Leute zu mißbrauchen."

Bild

http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... -beschluss

Es hat sich eben nicht jeder Bürger zum Denunzianten für die SED - Diktatur machen lassen. [grins]
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 12. September 2015, 08:43

1980 - 17jähriger Lehrling widerrief seine Verpflichtung

Die Abteilung XVIII (Sicherung der Volkswirtschaft) der Bezirksverwaltung Schwerin des MfS stellte 1980 fest, dass sie über eine Berufsschule in Schwerin nicht genug Informationen bekäme. Ein neuer Inoffizieller Mitarbeiter müsse geworben werden.

Bei der Suche nach geeigneten "Kandidaten" wurde das MfS auf einen Lehrling aus Parchim aufmerksam. Seine Aufgabe sollte die "Aufdeckung, Aufklärung, Überprüfung und Kontrolle negativ-dekadenter Erscheinungen unter den Jugendlichen" werden. Nach zwei Kontaktgesprächen erarbeitete der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) den Plan zur Werbung. Ein nachträglicher Zusatz verrät erste Zweifel. "Generell ist das jugendliche Alter und die noch nicht fest ausgeprägten Persönlichkeitseigenschaften des Kandidaten in der künftigen inoffiziellen Zusammenarbeit ständig zu beachten."

Am 24. Juli 1980 fand das Werbungsgespräch mit dem "Kandidaten" statt, in welchem er eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit schrieb.

"Verpflichtung
Schwerin, den 24.07.1980

Hiermit, verpflichte ich mich, …. , freiwillig aus der Überzeugung und Notwendigkeit zur Bekämpfung der Feinde unserer Republik mit dem MfS inoffiziell zusammenzuarbeiten. Mir ist bewußt, daß ich die mir in dieser Zusammenarbeit bekannt werdenden Tatsachen und Sachverhalte gegenüber jedermann strengstes Stillschweigen zu wahren habe. Auf die Verletzung der Schweigepflicht, bin ich hingewiesen worden, daß ich damit nach den geltenden Gesetzen unseres Staates zur Verantwortung gezogen werden kann.

Ich erkläre hiermit, daß ich die Aufgaben, Aufträge und Termine während der Zusammenarbeit entsprechend meinen Möglichkeiten erfüllen bzw. einhalten werde. Die Informationen werde ich in schriftlicher Form bzw. mündlich zur Kenntnis geben. Zu meiner eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Informationen werde ich diese mit dem Decknamen "Klaus" unterzeichnen."


Nach zwei Monaten vereinbarte der Führungsoffizier ein Treffen mit dem Lehrling. Dieser hinterließ am vereinbarten Ort jedoch nur einen Brief für den Stasi-Mitarbeiter.

Abschrift des Briefes:


"Werter Herr Uwe!

Ich habe mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen, und bin zur Einsicht gelangt, daß ich für diesen Beruf mich nicht geeignet fühle. Zu dieser Entscheidung bin ich von selbst gelangt, ohne Beeinflussung eines anderen. Ich weis daß ich bei dem letzten Treffen einen Zettel geschrieben habe, aber da ich noch nicht volljährig bin hat er sowieso keinen großen Wert. Sie brauchen mich deswegen nicht mehr anzurufen, wenn ich mir einmal etwas anderes überlegt habe, bleibe ich dabei.

Klaus"
(Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AIM 912/81, Band 1, Blatt 83)


Mehrere Versuche des Führungsoffiziers, Verbindung zu dem Lehrling aufzunehmen, scheiterten. Die Akte ging am 3. Juli 1981 ins Archiv. Die Begründung zur Ablage lautete, dass der Lehrling "unzuverlässig" und "unehrlich" gewesen sei.

Die dazu gehörenden Dokumente gibt es hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450068
Interessierter
 

Re: WIDERSTAND UND ZIVILCOURAGE IM NORDEN DER DDR

Beitragvon Interessierter » 14. September 2015, 08:35

1985 - 1987 "A" wie Ausreise

Im November 1985 stellte das Ehepaar D. aus Schwerin mit zwei Kindern einen Ausreiseantrag. Der offizielle Titel war "Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR zum Zweck der ständigen Wohnsitznahme in der BRD". Vom MfS wurde daraufhin eine Operative Personenkontrolle (OPK) eingeleitet. Das Ehepaar hatte zahlreiche Kontakte zu Ausgereisten und Ausreisewilligen und gehörte einem "kirchlichen Hauskreis" an. Im Rahmen der OPK wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:

Kontrolle durch Inoffizielle Mitarbeiter (in den Unterlagen ist die Berichterstattung von 19 IM dokumentiert)
Postkontrolle - Maßnahme M
Abhören von Telefongesprächen - Maßnahme 26a
Operative Beobachtung der Familie.

Ein Jahr lang reagierten die staatlichen Stellen auf die Anträge der Familie nicht. Dem Ehepaar D. erschien die Lage zunehmend hoffnungslos. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, fertigte Frau D. ein "A" an. Sie hing es am 15. November 1986 in das Fenster ihrer Parterrewohnung.

Bild
Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin

Am 17. November 1986 erfuhr die Stasi von dieser den meisten DDR-Bürgern verständlichen Demonstration. Sie verhaftete das Ehepaar D. sofort. Eine Haftbeschwerde von Frau D. wiesen Staatsanwalt und Bezirksgericht Schwerin zurück. Nachdem feststand, dass Frau D. als "Alleintäterin" gehandelt hatte, wurde gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" eingeleitet.

Im Februar 1987 wurde sie vom Kreisgericht Schwerin-Stadt zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Bild
Quelle: BStU, MfS, BV Schwerin, AU 556/87, Strafakte, Bl. 44

Auch Herr D. erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Seine Straftat war die "ungesetzliche Verbindungsaufnahme" zu Einwohnern der Bundesrepublik nach StGB § 219 Absatz 2 Ziffer 1. Die Beweise dafür lagen zunächst nur inoffiziell vor, da die Wohnungsdurchsuchung durch das MfS geheim stattgefunden hatte. Erst nach der Verhaftung von Herrn D. wurde die Wohnung offiziell durchsucht, da nur auf legalem Weg gesicherte Beweise vor Gericht Verwendung fanden.

Der vollständige Beitrag mit zahlreichen Dokumenten hier:
http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/Akten ... nn=2450068

Einfach widerlich wie diese " Demokratische " Republik die Menschenrechte mit Füssen trat und ihre Bürger willkürlich ins Gefängnis warf.
Interessierter
 

Nächste

Zurück zu Opposition in der DDR

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast