Bleibe im Lande und wehre dich täglichDie Arztpraxis für Hautkrankheiten übernahm sie von ihrem Vater - und wurde Teil einer Notgemeinschaft der Niedergelassenen, die neben den staatlichen Einrichtungen, die Versorgung sicherten. Als ein Patient niedergeprügelt wurde, nahm sie an Friedensgebeten teil. Von Ulrike Schwäblein-SprafkeHeute denke ich mit Dankbarkeit an den Herbst 1989 zurück, dem Wunder der friedlichen Revolution folgte das Wunder der Wiedervereinigung.
Im Winter 1972 übernahm ich nach dem Tod meines Vaters die Niederlassung, die gesetzliche Erbfolge bei gleicher Fachrichtung war in der DDR noch möglich. Es gab damals im Bezirk Karl-Marx-Stadt (heute Verwaltungsdirektion Chemnitz) noch etwa 150 niedergelassene Ärzte mit einem Durchschnittsalter von über 60 Jahren. Der damalige DDR-Gesundheitsminister soll in diesem Zusammenhang gesagt haben: "Die niedergelassenen Ärzte sind kein politisches, sondern ein biologisches Problem."
Ein Plakat für die Wandzeitung - der Protest im Herbst 1989, den sich Dr. Ulrike Schwäblein-Sprafke traute. Das Plakat von damals hat sie noch heute.
Foto: Mohn
Wir waren eine verschworene Notgemeinschaft und machten das Beste aus dem System. "Bleibe im Lande und wehre dich täglich" - wir Niedergelassenen hatten hier zu bleiben, weil es für uns keinen Ersatz gab. Als Einzelkämpfer versorgten wir viele Patienten und erfüllten somit einen wichtigen Part im zentralistisch ge-lenkten Gesundheitswesen.
Wir litten an einem chronischen Mangelsyndrom: es mangelte an moderner Medizintechnik. Medikamente, Hilfsmittel und Verbandsstoffe waren zwei Jahre voraus mit allen Mängeln der sozialistischen Planwirtschaft geplant.Zurück zum medizinischen Alltag: Die Wartezeit auf eine elektrische Schreibmaschine für meine Praxis von etwa sechs Jahren entsprach der Wartezeit auf einen Rollstuhl für Behinderte.Machen wir einen Zeitsprung in den Herbst 1989: Es war eine spannende und interessante Zeit mit einer atemberaubenden Entwicklung, voller Angst und Hoffnung. Wir waren geprägt von unserem vormundschaftlichen Staat, von der Schizophrenie, dass es seit der Schulzeit immer einen gab, der einem sagte, wo es lang ging und was für einen gut war. Aber Eingesperrte nehmen jeden Zipfel an Information auf, lesen jedes Buch, entwickeln eine ureigene Philosophie.
Meine Patienten kannten meine Einstellung und haben mir vertraut. Ich hatte ganz einfach Angst, der Einladung zur Teilnahme an der Demo in Leipzig nachzukommen. So traute ich mich lediglich, ein Protestplakat für die Wandzeitung zu schreiben. Das habe ich bis heute aufgehoben.
Erst als mir ein Patient, der als Unbeteiligter brutal im Polizeigewahrsam verprügelt worden war, seinen Rücken zeigte, war das für mich das Zeichen, dass alle Widerstand leisten müssen.http://ftp.aerztezeitung.de/politik_ges ... glich.html6 Jahre mussten Behinderte auf einen Rollstuhl warten. Das waren ja beinahe Zustände wie in Entwicklungsländern.