Der Contergan-Skandal

Themen über die Gesundheitssysteme in beiden deutschen Staaten

Der Contergan-Skandal

Beitragvon pentium » 16. Februar 2015, 18:13

1957 war es, als in Deutschland in Form des neuartigen Schlafmittels Contergan der weltweit größte Arzneimittelskandal seinen Lauf nahm.

In den Jahren 1960 und 1961 wurden in den Kliniken der Bundesrepublik immer mehr Kinder mit fehlenden oder verkrüppelten Gliedmaßen geboren. Phokomelie wurden die bizarren Missbildungen genannt, bei denen Gliedmaßen ganze Knochen fehlten und verkrüppelte Hände wie Flossen an den Schultern und Beinstummel an den Hüften angewachsen waren. Die Fehlbildungen an den Extremitäten gingen einher mit irreparablen Nervenschäden, außerdem mit Fehlbildungen an Ohren und den inneren Organen. In Münster, Hamburg, Marburg, Bonn und Kiel rätselten Forscher über die mysteriösen Kindesmissbildungen und bemühten sich den Grund für die erschreckenden Anomalien herauszufinden.

Der Hamburger Kinderarzt Widukind Lenz sollte schließlich der Ursache auf die Spur kommen. Im Juni 1961 war Lenz erstmals darauf aufmerksam geworden, dass sich die Gliedmaßenfehlbildungen bei Neugeborenen unnatürlich häuften. Der Rechtsanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen hatte sich an den damaligen Direktor der Hamburger Universitätskinderklinik gewandt, um den Grund für die auffällige Behinderung seines Sohnes und seiner Nichte herauszufinden. Der Leiter der Klinik, Prof. Schäfer, zog Lenz zu dem Fall hinzu. Als Schulte-Hillen den Medizinern eröffnete, dass in seiner Heimat Minden die Missbildungsfälle gehäuft aufgetreten waren, war Lenz alarmiert – eine zuvor angenommene familiäre Erbkrankheit konnte also ausgeschlossen werden. Lenz begann zu recherchieren und stellte fest, dass die vorliegende Missbildungshäufigkeit die früher bei einem von 50.000 Kindern gelegen hatte, bundesweit auf dramatische ein bis zwei je 1000 Neugeborene gestiegen war.

Im Herbst des Jahres 1961 waren sich die Forscher in Deutschland zunehmend einig, dass die Fehlbildungen die unmittelbarer Beziehung zu einer eingenommen, toxischen Substanz sein mussten. Lenz begann daher, junge Mütter mit geschädigten Kindern gezielt über ihre Schwangerschaftsgewohnheiten zu befragen, dabei konzentrierte er sich besonders auf eingenommene Arzneimittel während der frühen Schwangerschaftsphase.

Anfang November 1961 fand Lenz wonach er suchte. In allen Fällen der tragischen Missbildung neugeborener Kinder hatten die werdenden Mütter während der Schwangerschaft ein neuartiges, 1954 von der Aachener Pharmafirma Grünenthal synthetisiertes und seit 1957 angebotenes Schlafmittel, zu sich genommen: Contergan. Lenz schlug sofort Alarm. Am 15. November 1961 unterrichtete er telefonisch den Forschungsleiter der Firma Grünenthal Heinrich Mückter und forderte die Rücknahme des brisanten Präparates. Das Gespräch verlief für Lenz wenig zufriedenstellend, woraufhin er in einem Einschreiben an die Firma Grünenthal seine Einschätzung des gefährlichen Arzneimittels wiederholte.

Am 19. November 1961 machte Lenz seinen Verdacht auf einem Vortrag der Vereinigung Rheinisch-Westfälischer Kinderärzte öffentlich. Am 20. November 1961 wurde Lenz von Vertretern der Firma Grünenthal in leitender Position aufgesucht, die ihm Rufmord vorwarfen und mit erheblichen juristischen Konsequenzen drohten. Noch am gleichen Tag traf sich Lenz mit Grünenthal-Vertretern in der Hamburger Gesundheitsbehörde, erneut verweigerte Grünenthal die Zurücknahme des Medikaments. Am 26. November 1961 berichtete die Welt am Sonntag über den Vortrag von Dr. Widukind Lenz – am Tag darauf zog Grünenthal Contergan aus dem Verkehr.

Vier Jahre war das Schlafmittel Contergan auf dem Markt gewesen. Eingenommen während einer Schwangerschaft konnte es – schon bei einer einzigen Tablette – zu schwerwiegenden Schädigungen am ungeborenen Leben führen. Weltweit wurden etwa 10.000 Kinder mit Missbildungen der Gliedmaßen geboren, darunter allein in Deutschland 4000 bis 5000 schwerstbehinderte Kinder, von denen 3000 überlebten. Es kam zum Strafprozess vor dem Landgericht Aachen gegen Verantwortliche der Firma Grünenthal, der Prozess wurde 1970 jedoch wegen geringer Schuld eingestellt. 1971 gründete die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit der Firma Grünenthal eine Stiftung zur finanziellen Entschädigung der Opfer. Die Verantwortlichen der Grünenthal AG wurden strafrechtlich nie belangt.

Wäre die Contergan-Katastrophe vermeidbar gewesen? Das pharmazeutische Wissen der 1950er Jahre reichte aus, um Zweifel an dem, dem Contergan-Präparat zugrunde liegenden Wirkstoff Thalidomid, aufkommen zu lassen. Nicht auf allen Märkten wurde Contergan zugelassen, es gab einige wenige Ausnahmen. In den USA verweigerte die beherzte Mitarbeiterin der Zulassungsbehörde Francis Kelsey die Genehmigung für den amerikanischen Markt, trotz des erheblichen Drucks, der auf sie ausgeübt wurde. Kelsey, die mit der Problematik der arzneilichen Stoffgruppe vertraut war, verlangte ausdrücklich Nachweise für die Unbedenklichkeit des Wirkstoffs auf die embryonale Organbildung in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Für ihre Standhaftigkeit wurde sie später von John F. Kennedy persönlich geehrt.

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http://www.planet-wissen.de/alltag_gesu ... tergan.jsp

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Re: Der Contergan-Skandal

Beitragvon pentium » 16. Februar 2015, 18:14

Das Kurzreferat beschreibt kurz und prägnant die Hauptcharakteristika des Arzneimittels,den Contergan-Skandal, aufgetretene Schädigung durch das Medikament und die Folgen und Resultate des Contergan-Skandals.

Exkurs: Contergan

Gliederung:

1. Beschreibung des Arzneimittels und Entstehungsgeschichte
2. Nebenwirkungen und Schädigungen
3. Verlauf des Contergan-Skandals
4. Folgen und Resultate des Skandals
5. Quellen

1. Beschreibung des Arzneimittels

Strukturformel des Wirkstoffes Thalidomid

Unter dem Markennamen Contergan ( auch Softenon genannt) vertrieb in das Pharmaunternehmen Grünental ein kostengünstiges Schlaf-und Beruhigungsmittel Ende der 50-er/Anfang der 60-er Jahre. Synthetisiert wurde dieses Arzneimittel erstmals von Heinrich Mückter, Wilhelm Kunz und Herbert Keller.
Dieses Medikament hat als Arzneistoff Thalidomid, welches zu der Gruppe der Piperidindione, einer Abwandlung der Barbiturate gehören. Pepiridin ist eine farblose, ammoniakartige Flüssigkeit.
Der Wirkstoff Thalidomid verfügt über eine schlaffördernde, entzündungs- blutgefäßneubildungs-und tumorhemmende Wirkung. Es ist darüber hinaus ein Sedativum, ein Hypnotikum und ein Immunsuppresivum. Trotz des Contergan-Skandals wird Thalidomid in den USA gegen Lepra eingesetzt und wird in Deutschland zu Bekämpfung von multiplen Myelomen und des Myelodysplastisches Syndroms unter strengen Sicherheitskontrollen eingesetzt. Auch hilft Thalidomid bei Patienten mit Prostatakrebs, da es den Zeitraum verlängert, in dem der PSA-Wert wieder anfängt zu steigen und dies das erneute Wachstum des Tumors induziert.

2. Nebenwirkungen und Schädigungen

Laut Grünenthals Untersuchungsergebnissen konnten bei Mäusen und Ratten keine pathogenen Reaktionen festgestellt werden. Auch hohe Dosen erwiesen sich bei anderen Tierversuchen, wie beispielsweise an Hunden oder Katzen, als nicht lebensgefährlich.
Somit bekam das Medikament die Klassifizierungen "völlig ungiftig" und "unschädlich". Es gelang am 1. Oktober 1957 auf den Markt und wurde als "erstes bromfreies Schlaf- und Beruhigungsmedikament ohne größere Nebenwirkungen", unter dem Namen Contergan, vertrieben. Grünenthal testete jedoch nicht , ob dieses Medikament die Plazentaschranke bei Schwangeren Frauen durchtritt oder nicht.
Da es auch bei morgendlicher Übelkeit half, wurde es speziell Schwangeren in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten empfohlen.
Ende der 50-er Jahre jedoch kam es jedoch zu einer Häufung von Missbildungen bei Neugeborenen. Das deutsche Bundesministerium nannte zunächst als Ursache Radioaktive Strahlung, aufgrund der damals oberirdisch durchgeführten Atomwaffentests.
Widukind Lenz, ein Humangenetiker, entdeckte jedoch die Parallelen zwischen Contergan und den Missbildungen und machte den Skandal publik, da nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, Großbrittanien und Australien die Missbildungen auffällig wurden.

Thalidomid führt in den ersten Schwangerschaftsmonaten zu Fehlbildungen der Gliedmaßen (Dysmelien), besonders zum Fehlen der Röhrenknochen (Phokomelie), oder auch zu ganzem Fehlen der Gliedmaßen (Aplasie). Darüber hinaus setzt Thalidomid den Wachstumsfaktor VEGF außer Kraft und die Gliedmaßen der Extremitäten der Embryos durch die fehlenden Blutgefäße unterversorgt werden. Schuld dafür ist es, dass Thalidomid sich an das Protein Cereblon hängt und dieses hemmt. Cereblon bildet normalerweise Komplexe, welche die Morphogenese von Gliedmaßen steuern.

Thalidomid wirkt sich trotz Befürchtungen vieler nicht auf das Erbgut schädlich aus.

3. Verlauf des Contergan-Skandals

Trotz des Bekanntwerdens der Schädigungen von Neugeborenen wurde erst 1961 Contergan von Grünenthal vom Markt genommen.
Dem Bundesverband Contergangeschädigter zufolge wurden etwa 5000 contergangeschädigte Kinder geboren. Heute sind nur noch die Hälfte am Leben. Hinzu kommt noch die Todeszahl an Embryonen die während der Schwangerschaft verstorben sind. Auch in anderen Ländern der Welt, in welchen dieses Arzneimittel vertrieben wurde kam es zu beträchtlichen Zahlen an Contergan-Opfern.
In einem zwei Jahre andauernden Prozess wurde am 18. Januar 1968 das Hauptverfahren gegen Grünenthal vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Aachen gegen verschiedene Beteiligte wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung eröffnet.
Am 10. April 1970 einigten sich die Eltern der Geschädigten und Grünenthal auf einen Vergleich. Dazu gehörte ein weiterer Klageverzicht und ein Entschädigungsbetrag von 100 Millionen Deutsche Mark, den die Firma Grünenthal in die Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder", später umbenannt in Conterganstiftung, einzahlte.
Seit 1997 übernimmt der Bund die Finanzierung der Renten der Contergangeschädigten.
2008 erklärte Grünenthal sich freiwillig bereit weitere 50 Millionen Euro in die Stiftung einzuzahlen.

4. Folgen und Resultate des Skandals

Der Contergan-Skandal hatte, wie auch die Sulfanilamid-Katastrophe in den 30-Jahren in den USA, zu Wirkung, dass die Zulassung für Medikamente sich verschärft hatte. Mit dieser Gesetzesänderung mussten Konzerne 1962 erstmals eine therapeutische Wirksamkeit des entsprechenden Medikaments vorlegen.

Als Aufarbeitung des Skandals wurden zahlreiche Filme und Dokumentationen gedreht.
Der Dokumentarfilm "NoBody's perfect" wurde von dem selbst contergangeschädigten Nico von Glasows gedreht, welcher sich mit elf anderen Contergangeschädigten mit der Katastrophe auseinandersetzt.
Ziel seines Filmes ist das Wecken des Bewusstseins der Bevölkerung für die Katastrophe. Der Film wurde von der ARD 2010 ausgestrahlt. Darüber hinaus erhielt der Dokumentarfilm den deutschen f
Filmpreis 2009 und wurde auch international mit zahlreichen Preisen prämiert.

5. Quellen

Henning Sjöström, Robert Nilsson "Contergan oder die Macht der Arzneimittelkonzerne" (ganzes Buch)
http://www.nobodysperfect-film.de/ (14.07.2012)
http://www.google.de/imgres?um=1&hl=de& ... BCA&zoom=1 (14.07.2012)
http://de.wikipedia.org/wiki/Contergan-Skandal (14.07.2012)
http://de.wikipedia.org/wiki/Sulfanilamid-Katastrophe (14.07.2012)
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=& ... MG7cOe8mVw (14.07.2012)
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=& ... fPL82DWqJg (14.07.2012)

http://www.e-hausaufgaben.de/Facharbeit ... tergan.php

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